Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

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Markus Vahlefeld
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Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Seit meinen Erlebnissen mit den Cornelissen Weinen mache ich eigentlich einen großen Bogen um derartige Experimente. Trotzdem kann ich nicht umhin, Frank Cornelissen für eine sehr treffende Begrüdnung meiner Ablehnung zu danken. Auf seiner HP schreibt er:

"Daher vermeiden wir konsequent alle möglichen Einmischungen wie chemische, organische oder bio-dynamische Behandlung auf unserem Land, denn all dies zeigt die Unfähigkeit des Menschen die Natur so wie sie ist zu akzeptieren."

Mein erster Gedanke: Ja, und das ist gut so! Wir sind die Wesen, die irgendwo zwischen Natur und Unnatur hin- und herpendeln. Warum soll ich eine Natur akzeptieren, die in Form von Erdbeben und Vulkanausbrüchen für meine Vernichtung sorgen will? Soll ich jetzt nackt rumrennen, weil ich die Kälte der Natur akzeptieren soll? Habe selten einen so dogmatischen bullsh*** gelesen. Oder ist wohl der Mensch Schuld an allen Übeln der Natur? Im Umkehrschluss: ohne den Menschen wäre die Natur rein und die Welt gut. Ja sorry, soll ich mich jetzt für meine Existenz entschuldigen? Das ist sich selbst geißelnder Natur-Protestantismus auf die Spitze getrieben. Und Religion und guter Geschmack gehen selten eine Allianz ein.

Weiter schreibt er: "Die göttliche Fähigkeit das "Ganze" zu verstehen ist den Menschen offensichtlich nicht gegeben, da wir nur ein Teil dieser komplexen Welt sind und nicht Gott selbst. Trotzdem und immer mehr versuchen Menschen Gott zu sein und verändern das natürliche Gleichgewicht nur um die Produktivität zu steigern, mit allen gegebenen Konsequenzen..." Jaja, jetzt fühle ich mich ganz schuldig!

"Unsere Produkte sind ohne Schutzmittel hergestellt (also auch ohne Schwefelzufuhr) damit sie sich frei zu ihrem vollen Potential entfalten können." Nachdem ich seine Weine im Glas hatte, möchte ich von diesem vollen Potential definitiv verschont bleiben. Da ziehe ich Weine vor, die in Magen und Darm keine weiteren bakteriologischen Nachgärprozesse auslösen. Danke, Herr Cornelissen!

TROTZDEM: ich bin ja ein offener Mensch und möchte kein noch so blödes Dogma verdammen, wenn die Qualität stimmt. Ich muss dennoch voranschicken, dass der folgende Wein GESCHWEFELT ist. Ungeschwefeltes Zeug rühre ich nicht mehr an! Ich muss oft genug gärenden Most und Weine vor der Cuveetierung probieren und weiss, wie ich mich am nächsten Tag fühle.

DER WEIN: 2008 Pithos rosso 'Anfora' IGT Sicilia der Azienda Agricola Cos
Die Farbe ist eher hell- bis mittelrot, dabei klar und durchscheinend. Schon beim ersten Anblick ist klar: hier ist kein Extraktmonster im Glas, sondern etwas Leichteres. Der Wein besteht aus Nero d'Avola (die ich kenne) und Frappato (gänzlich unbekannt). Nun ist es nicht so, dass der Wein völlig fremde Geschmacksaromen offenbart, er hat eine feine Himbeerfrucht, ist dabei getragen von einem sehr würzigen und eher dunkleren Aromenspektrum, auch Bleistift, ohne irgendwie schwer oder mächtig zu sein. Aus einem schwarzen Glas würde ich sogar eher auf einen vielleicht gereiften Weißwein tippen, Traubensorte unbekannt. Er ist schlank und kühl, dabei schön seidig.

Der Wein schockiert nicht und die Geschmackspapillen sind nicht vollständig irritiert. Trotzdem hat er einen erdigen Unterton, den ich bisher noch nicht erlebt hatte und der dem Wein durchaus eine weitere Dimension eröffnet. Holzeinfluss ist es nicht, das schmeckt anders. Ich tippe daher, dass es durch den Amphorenausbau kommt. Mit EUR 18,-- nicht ganz billig, aber mehr als nur einen Versuch wert. Ich kann ihn mir gut zu gebratenem weissen Fleisch mit Pilzen vorstellen.
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Mr. Nebbiolo
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Mr. Nebbiolo »

Hallo Markus,

ich hatte den Wein schon mal im Glas, ist aber schon lange her.

Mit dem Geschmak von Himbeeren und Erdbeeren hast du auch die wohl typischen Aromen des Frappato geschmeckt. Ich hatte schon ein paar Frappato pur und die Sorte ist, so weit ich weiß, auch in einigen Cerasuolo di Vittoria (vielleicht auch in allen)

Helle, trinkige Weine mit eher kleinem Körper, aber zum Teil unerwartet vielschichtigen Geschmacksnoten. Frapatto ist auch eher ein Fall von "entweder du liebst ihn, oder du hasst ihn".

Den meisten Gästen, den ich ihn sevierte habe, hat er eher nicht geschmeckt ;) . Ist jetzt nicht gerade mein Haus und Hof Wein, aber leicht gekühlt im Sommer, zum richtigen Essen kommt er immer wieder mal auf den Tisch.

Ich meine aber jetzt nicht den Pithos, sondern Frapatto und Cerasuolo allgemein.


Grüße

Klaus
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Klaus
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Markus Vahlefeld
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Ja, dann wird das der Frappato gewesen sein, denn den Nero d'Avola habe ich nicht rausschmecken können. Übrigens erinnerte mich der Wein an einen eher dunkleren Vertreter des Trollinger - von der Farbe her. Im Mund war der Wein vielschichtiger und errnsthafter.

Jedoch, wenn man einen "feurigen" Wein erwartet, ist man sicher enttäuscht.
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Pinot Nerd
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Pinot Nerd »

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Seit meinen Erlebnissen mit den Cornelissen Weinen mache ich eigentlich einen großen Bogen um derartige Experimente
Kann diese Erfahrung nur bestätigen. Hatte den Rosso Contadino 4 von Frank Cornelissen vor einem Jahr im Glas. Ein bekannter Weinjournalist hat ihn mir wärmstens empfohlen, weil er meinte, dass er einem großen Burgunder ähnelt. Das kann ich wirklich nicht behaupten, das flaue Gefühl im Magen habe ich jedoch kennengelernt. Leider hab ich noch zwei Flaschen :lol:
Gruß, PN
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pivu
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von pivu »

Pinot Nerd hat geschrieben:
Markus Vahlefeld hat geschrieben:Seit meinen Erlebnissen mit den Cornelissen Weinen mache ich eigentlich einen großen Bogen um derartige Experimente
Kann diese Erfahrung nur bestätigen. Hatte den Rosso Contadino 4 von Frank Cornelissen vor einem Jahr im Glas. Ein bekannter Weinjournalist hat ihn mir wärmstens empfohlen, weil er meinte, dass er einem großen Burgunder ähnelt. D
Na vielleicht ist er ja deshalb "bekannt" geworden, soche aberwitzigen Vergleiche zu ziehen. Burgundisch kann ich ja noch nachvollziehen (Farbe, Säure, Struktur), aber wie ein "großer Burgunder"?

Ciao
Peter
Weinschlumpf
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Weinschlumpf »

Auf unserer Cornellisenprobe im letzten Jahr war einzig und allein der Magma ein Wein den ich gerne getrunken habe..Alles andere von Cornellisen war doch sehr speziell, um es mal freundlich auszudrücken. Der anwesende Captain sprach was von "Mülltonne auf dem Wiener Großmarkt.." Ganz daneben liegt er damit nicht.

Ein großer Burgunder schmeckt definitiv anders..ganz anders.

Grüße

Nikolai
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Markus Vahlefeld
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

@Pinot Nerd
Der Rosso Contadino 4 hat der einen Jahrgang?
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Pinot Nerd
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Pinot Nerd »

Markus Vahlefeld hat geschrieben:@Pinot Nerd
Der Rosso Contadino 4 hat der einen Jahrgang?
Ganz einfach, der liebe Frank zählt doch nur: 2003 war der 1. Jahrgang, heißt Contadino 4 ist aus 2006. 5 ist dann aus 2007 usw.

Gruß, PN
bordeauxlero
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von bordeauxlero »

Hallo liebe Freunde des Weinexperiments ;)
ich glaube ich bin persönlich ein bisschen konservativer was "ungewöhnliche" Herstellungsmethoden angeht, als ich mir eingestehen möchte... ich habe leider auch nichts beizutragen zu den hier besprochenen weinen, aber würde ganz gerne irgendwann mal den Sprung wagen und z.B. einen Amphorenwein probieren. Auch wenn das was ihr hier berichtet ja teilweise nicht so vielversprechend klingt! Der hier http://www.weinkenner.de/home/peter-jakob-kuehn.html klingt ziemlich interessant, aber ist halt schon ausverkauft. Aber ich überlege den schon mal im Blikc zu behalten!
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Charlie
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Charlie »

Das Berliner Viniculture hat sich auf solche Weine fast spezialisiert und organisiert auch Proben. Bei einer war ich dabei - sehr lehrreich, Weine von wunderbar bis stinkig.
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