Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
_AL_
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Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von _AL_ »

Guter Wein bedeutet Sorgfalt und Handarbeit - dies kostet. Wo gestern (wie z.B. in Spanien) Luxusbodegas mit EU-Millionen gebaut wurden, ist heute vermutlich kaum noch eine teure Vinifikation möglich. In Portugal, Italien, Griechenland usw. muss es doch ähnlich dramatisch aussehen. Wie es in Frankreich außerhalb der Renommée-Gebiete ist, kann ich nicht beurteilen. Deutschland lasse ich mal außen vor - scheint ja der Fels in der Brandung zu sein.
Anfänglich dachten einige von uns (mich mit eingeschlossen), na dann wird der gute Wein aus XY eben billiger. Doch auf die Dauer frage ich mich, ob es noch guten (normalen) Wein, wie wir ihn heute kennen, aus XY geben wird. Bei spanischen Weinen bilde ich mir ein, dass nach 2008 viele mit angezogener Handbremse fahren oder z.T. nicht mehr wiederzuerkennen sind (bis auf das Etikett) - Ausnahme Priorat, hoffe ich! Einige große Händler schieben die Weine zwar so durch als hätte es nie eine Krise gegeben, aber das wird sich rächen. Dazu kommt die etwas esoterische Hypothese, dass ein trauriger Winzer mit düsteren Zukunftsaussichten auch eventuell einen traurigen Wein macht (ich weiss, Gefühltes ist immer äußerst unwissenschaftlich ...).

Dies ist jetzt alles ein wenig auch dem Bauch heraus geschrieben und ein wenig gedanklich unsortiert, aber trotzdem würde mich Eure Meinung/Erfahrung dazu interessieren.

Grüße
Alexander
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UlliB
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von UlliB »

Ich denke, hier muss zwischen Primär- und Sekundäreffekten der Krise unterschieden werden.

Primär: in den von der Krise bislang am härtesten getroffenen Ländern (Griechenland, Spanien, Portugal) dürfte es extrem schwierig bis nahezu unmöglich sein, im Moment an Kredite mit auch nur einigermaßen erträglichen Konditionen zu kommen. Wer zur Fortführung seines Betriebes einen Kredit braucht oder einen bestehenden Kredit kurzfristig umschulden muss, kommt ganz unmittelbar in tiefes Wasser: da wird in vielen Fällen nur rigoroses Sparen, ggf. auch Notverkäufe von Lagerbestand, Flächen, Equipment etc. übrig bleiben. Das kann natürlich alles auf die Qualität gehen. Andererseits können Betriebe, die finanziell gesund sind, die Krise möglicherweise "durchreiten" und sich sogar auf Kosten der weniger finanzkräftigen Nachbarn konsolidieren.

Sekundär, und möglicherweise erheblich gravierender: rigorose Sparmaßnahmen werden in den genannten Ländern zu einem ganz massiven Konjunktureinbruch bis hin zu einer schweren und hartnäckigen Rezession führen, was voll auf den privaten Konsum durchschlagen wird. Konsumeinschränkungen betreffen naturgemäß zuerst einmal Luxusartikel wie z.B. teurere Weine (wobei "teuer" bei Wein ziemlich weit unten anfängt). Nun werden in den genannten Ländern die Weine der oberen Qualitäts- und Preissegmente vermutlich vorwiegend für den Export hergestellt, aber einiges wird auch im Inland verbraucht worden sein. Und der Export steht in einer Weltwirtschaft, die am Taumeln ist, auch nicht auf sehr sicheren Füßen.

Im schlimmsten Fall erleben die Erzeuger einen Doppelschlag, den viele nicht überleben würden: kein fresh money von der Bank, und gleichzeitig deutlich einbrechende Verkäufe.


Was das etwas ausführlicher von Dir erwähnte Spanien betrifft: das ist nicht meine Baustelle; insofern kann ich zur Qualitätsentwicklung in den letzten Jahren nichts sagen, das müssten schon die Spanien-Experten tun. Was aber auch für einen Außenstehenden, am Thema "Wein" generell Interessiertem sichtbar ist: es hat in Spanien im Weinbereich wie auch in etlichen anderen Bereichen getrieben durch billige Zinsen eine ganz massive Fehlallokation von Kapital gegeben. Da wurde in neue Kellereien, topmodernes Equipment, Kapazitätsausweitungen, top-geschultes Personal etc. Geld gesteckt, als wenn der Markt für hochpreisige Weine endlos wachsen könnte. Das wird da jetzt eine extrem harte Landung geben. Die Spanienfreunde können sich schon mal auf eine interessante Zeit mit vielen Sales einstellen. Wie's danach weitergeht, weiß der Himmel...

Gruß
Ulli
_AL_
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von _AL_ »

Hallo Ulli,
vielen Dank für diese umfassende Einschätzung. Ich denke auch (nicht nur für Spanien), dass es erst einen Mitnahme-Effekt geben wird, dann aber die Qualität zwangsläufig leidet. Dies ist schade. Bei Spanien ist es mir nur persönlich aufgefallen, für andere Länder muss die Erfahrung der Forumsteilnehmer sprechen. Auch bei Griechenland hat sich in den letzten Jahren unglaublich viel getan, was aus dieser aufkeimenden Wein-Qualitätsrevolution wird, mag ich mir gar nicht vorstellen ...

Grüße
Alexander
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thvins
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von thvins »

Hallo Alexander,

für die in aufstrebenden spanischen Weinbaugebieten lebenden qualitativ hart strebenden Kleinwinzer wird es ein ziemlich zukunftsdüsteres Szenario geben, wenn die wohl extrem bucklige Bürokratie und Politik Spaniens hier nicht schnellstens umdenkt. Derzeit gibt man sich dort noch deutlich wachstumsfeindlicher als es z.B. in Deutschland und anderswo der Fall ist.

Gegenwärtig manövrieren sich wohl viele der enthusiastischen kleinen Winzer, die die Aufbruchstimmung z.B. im Priorat der letzten Jahre entscheidend mitgeprägt haben, in eine für sie katastrophale und eigentlich aussichtslose Klemme.

Wie ihr ja wißt, arbeite ich eigentlich grade mit solchen Kleinbetrieben, die zumeist ein besseres Preis-Genuss-Verhältnis bieten, lieber zusammen, als mit den Großen, die eh schon lange Jahre etabliert sind und deren Weine es quasi schon längst überall gibt.

Gestern nun erreichte mich der verzweifelte Anruf eines Winzers, dessen Weine ich jetzt erneut nach Deutschland importieren wollte... - er mußte seine Zusage widerrufen, mir Weine zu verkaufen, da er durch das neue computergesteuerte innereuropäische Zollverfahren (EMCS) ausgebremst worden ist.

In Spanien gibt es ein Gesetz, dass ein Kleinwinzer, der Weine in ein anderes EU-Land liefern will, zunächst eine Art Sondersteuer in Höhe von 1.000 € abdrücken muss (für Exporte in die USA, nach China oder Nordkorea braucht es dies nicht...) - bei grade mal 1.600 Flaschen in seinem Lagerbestand derzeit - er produziert bislang noch nicht viel mehr als 3.000 Flaschen im Jahr (eine für mich nicht unübliche Größe für relativ neu beginnende kleine Betriebe) ist das eine sehr harte Zusatzausgabe, die sich dann auch deutlich auf den Flaschenpreis auswirken dürfte. Diese 1.000 € - quasi "EU-weiter Verkaufsstartsteuer" hat er auch ohnehin nicht einfach so übrig, er wäre froh gewesen, wenn ich meine Bestellung bekommen hätte, dann hätte er dringend benötigten Umsatz in einer Zeit, wo die Exporte nach den USA (über Jahre das größte Segment für das Priorat) weggebrochen sind und die Inlandnachfrage eher bescheiden ist.

Aber ich bin sein einziger Importeur in einem EU-Land bislang, denn auch die Schweiz - für die es diese EXtra-Steuer nicht gibt, hilft nicht und es ist unter den überall derzeit widrigen Umständen gar nicht so leicht, neue Importeure in den krisengebeutelten Ländern der EU zu finden.

Würde er mir die Weine verkaufen und davon diese 1.000 € Steuer abdrücken, hätte er die Weine quasi verschenkt oder ich müßte deutlich teurer einkaufen und dann sind diese Weine eigentlich alles andere als ein Preis-Genuss-Hammer und ich hätte das Problem, dass sich die Weine nicht mehr verkaufen wie bislang. Weder kann ich ad hoc eine 5 mal so große Menge abnehmen (und vor allem ja weiterverkaufen), noch könnte ich ihm diese 1.000 € abnehmen. Also heißt es für mich und diejenigen, die diesen Wein gern im Keller hätten, warten, ob er irgendwann noch andere EU-Handelskunden findet, dass die Menge verkauften Weines diese 1.000 € irgendwie relativ schadlos aufschnappt.

Ein großer finanzkräftiger Konzern lacht über 1000 €, aber ein spanischer Kleinerzeuger muss davon einen Monat sich und seine Familie ernähren.

Mir ist durch diese Diskussion gestern abend aber auch schlagartig klar geworden, warum ich bei manchen Kleinwinzern einfach keine besseren Einkaufspreise für mich erwarten kann, denn die haben bei mir als einzigem EU-Handelspartner diese 1000 € einfach draufgerechnet und somit kauft ein Online-Händler in Spanien eben deutlich günstiger ein als ein EU-Importeur, denn verkauft der Winzer an einen Händler in Spanien, dann sind diese 1000 € ja nicht fällig.

Auch dass andere kleine Winzer mir schon durchblicken lassen haben, sie würden gern verkaufen - um ihre vollen Lager etwas zu leeren, aber sie dürften mir nichts verkaufen, weil sie den Status als EU-Exporteur nicht hätten, hängt dann wohl genau mit dieser Sache zusammen.

Bei einer so dummen Regelung seitens der spanischen Politik muss man sich am Ende nicht wundern, wenn viele kleine Betriebe schneller wieder aufgeben müssen, als dass sie bekannt werden... Und wenn die Krise schlimmer wird, statt irgendwann vorüber zu sein.
Beste Grüße

Torsten

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Gerald
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von Gerald »

Hallo Torsten,

eine derart schwachsinnige Regelung habe ich bisher noch nicht gehört, ist der spanische Gesetzgeber komplett verrückt? Ansonsten gibt es überall Exportförderungen, dort muss man zahlen, wenn man exportieren möchte???

Oder soll das einfach bedeuten, dass man nicht möchte, wenn Winzer selbst exportieren, damit das Ganze über Großhändler läuft. Also so wie z.B. im Mittelalter in Wien, wo Bauern nicht selbst ihre Lebensmittel in die Stadt liefern durften, sondern einen Händler mit entsprechender Konzession bemühen mussten?

Ich bin ehrlich gesagt entsetzt, dass es so etwas in der EU noch gibt ...

Grüße,
Gerald
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sorgenbrecher
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von sorgenbrecher »

tatsächlich unglaublich.

ich würde auf jeden fall dazu das bundeswirtschaftsministerium anschreiben und auch meinem europa-abgeordnetem ein schreiben zukommen lassen.
Gruß, Marko.
Bernd Schulz
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von Bernd Schulz »

Der bürokratische Irrsinn, der im modernen Mitteleuropa tobt, ist wirklich mit der Pest zu vergleichen!

Im übrigen glaube ich aber nicht, dass die Rezession in den Mittelmeerländern zu deutlichen Qualitätsverlusten führen wird. Winzer, die guten Wein machen, wollen in der Regel unbedingt guten Wein machen und tun dafür alles. Außerdem können sie erst recht nicht überleben, wenn ihre Produkte an Qualität und damit an Attraktivität verlieren.

Sobald ich bei den von mir hergestellten Produkten den gewohnt hohen Standard verlieren würde, weil es mit wirtschaftlich schlechter geht als im letzten Jahr, wäre ich ratzfatz völlig weg vom Fenster.

Der eine oder andere Erzeuger, um den es schade ist, wird vermutlich die Waffen strecken. Aber die guten Betriebe, die übrigbleiben, müssen weiterhin erstklassige Weine produzieren.

Beste Grüße

Bernd
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harti
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von harti »

Hallo Torsten,

eine Frage zu dieser Abgabe für spanische Winzer: Könnte es sich auch um eine Art einmalig zu zahlende Kaution handeln, die als Sicherheit dafür dient, dass die beim Empfänger der Waren geschuldete Umsatzsteuer auch abgeführt wird?

Grüße

Hartmut
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thvins
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von thvins »

Hallo Harti,

wie er mir sagte, ging es da nicht um eine Kaution (die würde er ja dann zurück bekommen müssen), sondern um eine zusätzliche Steuer. Begründet wurde dies damit, dass ja der spanische Staat Umsatzsteuereinbußen hätte und stattdessen der importierende Staat "reicher" wedren würde. Er sagte mir, er hätte aufgrund dessen, dass er diese 1000 € bislang nicht gezahlt hätte, keinen Zugang in das System - ich denke mal, das trifft jetzt alljene Kleinwinzer, die früher nicht das normale Papier E500. sondern das E503 -Papier für Kleinerzeuger genutzt haben (und davon arbeite ich eigentlich mit etlichen - hier war das auch der Fall) - ja, er könne mir noch nicht mal auf die Palette eine Kiste mit Musterflaschen beigeben (denn selbst kostenlose Muster unterliegen der Zollbürokratie.) - das einzige, was ginge, wäre mir das Paket mit Musterflaschen normal per Post o.ä. zu schicken - oder halt auch so die Ware zu versenden und dann hat er die spanische MwSteuer mir zu berechnen und zu zahlen - quasi wie ein spanischer Onlinehändler, der auch an End-Kunden im EU-Ausland liefert. Bestelle ich bei einem solchen spanischen Handler quasi was als Wiederverkäufer. dann braucht der Händler die Exportnummer und muss seinerseits diese 1000 € zahlen.

Wie mir das der Winzer darstellte, kaufst du mit den 1000 € quasi deine Exportlizenz, um in andere EU-Staaten zu exportieren. Und als Kleinwinzer hat er die halt mal nicht so eben nebenbei...
Beste Grüße

Torsten

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austria_traveller
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Re: Zusammenhang zwischen Euro-Krise und Weinqualität!?

Beitrag von austria_traveller »

jaja, mit der EU ist ja alles einfacher geworden. Zumindest für die Großen ...
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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