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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 11:30
von innauen
thvins hat geschrieben:Hallo Bernd,

Wolf hatte bei seinem Besuch einen solchen mitgebracht - Château Seguin (nie vorher was über diesen Wein gehört, nur der Name war mir geläufig) 2010, eine 15° Granate ("das ist das Neue Bordeaux"). Blind hätte ich nie auf Bordeaux getippt und auch beim Preisschätzen war ich deutlich zu zögerlich. Das war dann wohl einer der Alternativweine für die junge Generation, die sich Palmer nicht mehr leisten können, weil der keine 50 DM mehr kostet sonder 150+ €. Ich tat mich schwer, nicht mit dem Wein an sich, aber mit dem Wein als einem Wein, mit dem man zum Bordeaux - Fan werden soll (solches fiel mir mit dem 50 DM Palmer & Co.mitunter leichter)...

Ich hätte am Liebsten einen 9 € Wein aus Südwestfrankreich, aber Bordeaux-Cuvée (Côtes de Duras) dagegen gestellt, auch um über den Klassischen Bordeaux-Stil zu diskutieren, aber wir hatten an dem Abend so viel anderes Programm...

Vielleicht will der Kunde (Ausnahmen bestätigen die Regel) eben gar nicht das richtig preiswerte Bordelais (ebenso wie das richtig preiswerte Priorat übrigens - nach welchem auch kaum jemand verlangt.
der Seguin 2010 war mir an diesem Abend auch zu heftig, aber das habe ich auch zu Protokoll gegeben :) Wunderschön fand ich dagegen den Mas Jullien, war es 1999? Und leider hatten wir nicht nur viel vor, sondern ich mache ja schon immer nach einer halben Flasche Schluss. :shock:

Die Fähigkeit zum Altern, die der Mas Jullien zweifelsohne auch in diesem eher leichten Jahr aufzeigte, ist in Südfrankreich vielleicht nicht singulär, aber eben auch nicht die Regel. Doch die Grand Cru Classé können das alle und sie können das deutlich länger als Weine aus anderen Weingegenden. Das ist das Besondere an BDX für mich. Deshalb ist der Seguin kein gutes Substitut für Palmer. Diese Weine zwischen 20-35 Euro sind für eine kürzere Lebensdauer gemacht (obwohl ich das im konkreten Fall für Seguin noch erweisen muss. 2010 ist recht langlebig und vom Terroir her könnte Seguin noch einiges zeigen. Ob er es tut, muss die Zeit erweisen). Aber ein Batailley, ein Ferriere oder ein Poujeaux kosten 20 Jahre später die alten DM-Preise in Euro, haben sich qualitativ aber wesentlich verbessert. Wer es nicht glaubt, kann hier nochmal die alten Subskriptionspreise anschauen. https://docs.google.com/spreadsheet/ccc ... sp=sharing

Grüße,

Wolf

P.S. Nur um den Einwand hinwegzunehmen. Eine Steigerung von 100 Prozent in 20 Jahren ist preislich auch ganz ordentlich. Ja das stimmt. Aber 1. ist auch wirklich viel in die Weine investiert worden und sie geben es jedes Jahr zurück und 2. kosteten die Vin Pay d´Oc vor 20 Jahren auch nur einen Bruchteil des Geldes, der heute für aufwendig hergestellte und vermarktete Weine genommen wird, die früher einfach in den Genossenschaftswein eingeflossen sind.

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 11:45
von thvins
Hallo Ulli,

ich denke Burgund vermischt da hohe Qualität und rare Flaschenzahl und hat da einfach an seinem Image ebenso weiter gefeilt, welches es seit Jahrzehnten pflegt. Und auch hier ist es schick (und immer schick gewesen), die richtigen Namen (noch dazu in der komplizierten Verbindung aus Lage + Winzer) irgendwann im Leben mal im Glas gehabt zu haben - so weit man sich das leisten kann... Regelmäßig trinken kann das auch nur der Geldadel - genau wie im Bordeaux die Top... heutzutage.

Genauso aber wird kaum über die Masse der ehrlichen kleinen Winzer in Burgund geredet, die gute Weine für noch gutes Geld machen. Und auch die findet man ja im deutschen Handel nicht oder kaum. Auch dafür muss man halt hinfahren. Natürlich nicht unbedingt nach Vosne Romanée oder Gevrey - Chamertin, aber eben nach Auxey -Duresses, St. Romain, an die Côte Chalonnaise oder ins Auxerrois. Gesprochen wird aber auch darüber kaum. Natürlich erwarte ich von einem Givry 1er Cru für 12 € nicht dasselbe wie von einem Gevrey - Chambertin Les Cazetiers... Aber vom PGV wird mich ersterer vielleicht mehr überzeugen. Und ein Minenfeld ist Burgund schon so lange, wie ich mich mit den Weinen beschäftige. Mehr als das Bordelais im Übrigen.

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 12:16
von innauen
Burgund wiederholt gerade die Fehler, die Bordeaux beginnend mit dem Jahrgang 2003/2005 gemacht hat. Mediocre Jahrgänge werden hochgejubelt und die Spitzenweine strahlen ein Preisimage aus, das für das gesamte Angebot imageschädigend ist.

Die Folgen sind auch schon spürbar. Einige Preise sind am Markt nicht mehr durchsetzbar (siehe die Sonderangebote von Lobenberg letzte Woche), Händler und Konsumenten weichen auf andere Gebiete aus (Beaujolais) und plötzlich tauchen an allen Ecken und Enden Phantomweine auf, die man früher auch hätte nicht bezahlen, aber erst recht nicht hätte bekommen können. (http://www.blog.liv-ex.com/burgundy-2009/).

Grüße,

Wolf

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 12:32
von thvins
Hallo Wolf,

der Seguin passt für mich nur deswegen, weil er preislich für mich so ein "Ersatzwein" für einen Palmer gewesen wäre, der 1995er Palmer, den ich (teuer bei Hawesko, mangels damaligem besseren Wissen) seinerzeit für 55 DM gesubst hatte, der ist dann aber auch "klassisch Bordeaux", hat eine lange Lebensdauer und gehört (im Gegensatz zu einem Ferriere oder Batailley - der ja durchaus anständig sein kann) eben schon zu den Klassifizierten, die man wenigstens einmal im Leben getrunken haben sollte - ernsthaftes Interesse für die Ikonen des Bordelais vorausgesetzt. Und gerade hier reden wir nicht über 100 % Preissteigerung in 20 Jahren, sondern bei meinen noch sehr konservativ angenommenen 150 € über ca. 600% (und ich glaub für 150 € ist der wohl noch schwer zu bekommen, nimmt man mal einen mit 1995 qualitativ vergleichbaren Jahrgang an.

Der normale jugendliche Weinfreund um die 30, der nicht zur Upper-Class gehört, ist damit bei Ikonennamen a la Palmer, die den Ruf des Bordelais seit Generationen begründet haben, einfach außen vor. Mit dem 1995er wäre man eben noch mit einer "Kulturevent-eintrittskarte" dabei gewesen. Kein Wunder also, dass es heute eben nicht mehr die breite Masse an Weinliebhabern interessiert, sondern nur noch die zur Geldelite gehörigen. Die anderen wildern da, wo Budget und Erwartung an die dafür erreichbare Qualität besser übereinstimmen.

Ja, der Mas Jullien war der 1999er - und ich war selbst positiv überrascht, denn ich war beim 1999er bislang ja eher skeptisch. Ich habe eben auch damals schon in den anderen Gebieten "gewildert".

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 13:05
von Bernd Schulz
Der normale jugendliche Weinfreund um die 30, der nicht zur Upper-Class gehört, ist damit bei Ikonennamen a la Palmer, die den Ruf des Bordelais seit Generationen begründet haben, einfach außen vor. Mit dem 1995er wäre man eben noch mit einer "Kulturevent-eintrittskarte" dabei gewesen. Kein Wunder also, dass es heute eben nicht mehr die breite Masse an Weinliebhabern interessiert, sondern nur noch die zur Geldelite gehörigen. Die anderen wildern da, wo Budget und Erwartung an die dafür erreichbare Qualität besser übereinstimmen.
Genauso sehe ich das auch, wobei man das Wörtchen "jugendlich" im ersten Satz streichen könnte.
...und 2. kosteten die Vin Pay d´Oc vor 20 Jahren auch nur einen Bruchteil des Geldes, der heute für aufwendig hergestellte und vermarktete Weine genommen wird, die früher einfach in den Genossenschaftswein eingeflossen sind.
Wolf, das stimmt wohl - aber für mich als Konsument ist es im Endeffekt ein gewaltiger Unterschied, ob ein Wein von 3 auf 9 oder von 30 auf 90 Euro geklettert ist. Im ersten Fall fehlen mir heute 6 Euro, im zweiten Fall 60 Euro im Portemonnaie. Und ich gebe auch gerne Geld für andere Dinge als für Wein aus (z.b. ist mir Biofleisch in den letzten Jahren immer wichtiger geworden)....

Viele Grüße

Bernd

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 14:02
von innauen
So wie ich Anfang der 90er Jahre anfing, mich im Studium systematisch mit dem Politischen System und später mit dessen rechtlichen Grundlagen zu beschäftigen, startete ich außerhalb des Studiums systematisch die Erkundung von Weinen. Das war bisweilen ein müsames Unterfangen nach dem Trial and Error Prinzip. So hatte mir niemand gesagt, dass man in der späten Kohl-Ära im Supermarkt zwar allerhand Bedarfsgegenstände einfach kaufen konnte, die mir hinter den Mauern in der DDR verwehrt geblieben waren, dass aber ausgerechnet Wein besser an anderem Ort zu erwerben war. Die qualitative Spitze im Weinregal meines Marburger Supermarkts bildete ein Wein namens "Mouton Cadet", von dem ich mangels Französischkenntnissen annahm, das er sich "Muhtong Kadeh" ausprechen müsse und von dem ich mangels Weinkenntnissen annahm, das er auf Grund der Tatsache seines immens hohen Preises (20 DM) qualitativ gut sein müsse.

Später habe ich gelernt, dass man in den Restaurants, in denen ich verkehrte, besser Wasser oder Bier zum Essen ordern sollte. Und ich habe erfahren, dass es Weinläden gibt, dass man den Wein, den man letztes Jahr noch so gut fand, in diesem Jahr besser nicht trinken solte und dass per Hand angebrachte Aufkleber auf Weinflaschen mit dem Aufdruck "Barrique" einem am nächsten Morgen ziemliches Kopfzerbrechen bereiten können usw. Weintrinken war wie Minensuchen, man musste vielen Gefahren ausweichen, immer auf der Hut sein, viel lernen bis man endlich zufrieden lächelnd vor seinem Glas sitzen und sich uneingeschränkt freuen konnte.

Etwas mehr als 20 Jahre später fragen mich Freunde vor ihrer Bestellung erst, was ich trinken werde und sagen dann "das gleich bitte". Weinkarten lese ich wie Bücher. Kollegen fragen mich, welchen Wein sie ihrer Frau/dem Chef/der Geliebten an Weihnachten/zum Geburtstag/ zur Versöhnung schenken könnten. Alles scheint herrlich sein. Wenn nur nicht etwas an mir nagen würde. Eine Angst bohrt in meinem Kopf, lässt mich weiter suchen, weiter wühlen, läßt mir keine Ruhe. Ich fürchte mich, bis ich ich gefunden habe. Dann sitze ich endlich wieder glücklich udn befreit vor meinem Glas. Zufrieden mit der Welt und mir mir. Da ist er. Mein Wein. Selten und kostbar wie ein Tintenfischpilz. Hübsch sind sie beide. Und wie der dieser rar gewordene Pilz auch ist der Wein vor mir völlig ungenießbar. So etwas ist selten geworden. Danach muss man suchen. Das ist ein Geschenk und eine Bestätigung, dass ich den ganzen Lernaufwand nicht umsonst betrieben habe.

Trinkbar sind sie fast alle geworden, die Weine. Handwerklich sauber gemacht, zieht es einem weder regelmäßig die Backen zusammen, noch rollt sich die Zunge so schnell auf, wie eine Schnur beim Staubsauger. Wirklich schlechte, ungenießbare Weine gibt es noch, aber es werden immer weniger. Zwei Exemplare fand ich im letzten jahr. Und wirklich. Darüber habe ich mich gefreut. Wenn alles auf hohem Niveau wäre, wozu bäruchte es dann noch meine Weinkenntnisse? Wüßte ich nicht, dass Palmer so ein hervorragender Wein sein kann und den 1995er finde ich nicht wirklich hervorragend, der 1999er soll ja besser sein. Soll, denn getrunken habe ich ihn nicht. Aber der 1998er, schon der war besser als der 1005er, da hatten sie auf Palmer zwischenzeitlich einen Zweitwein eingeführt...., ja wüßte ich nicht, dass Palmer so ein hervorragender Wein sein kann, würde ich ihn vermissen, wenn ich heute sozialisiert werde? Aber nun bin ich ja mit dem Bordeaux-Virus infiziert, deshalb stellt sich für mich die Frage nicht mehr. Ich bin unheilbar erkrankt. Wird aber eine Generation künftiger 30jähriger noch Gefahr laufen, sich mit Bordeaux zu kontaminieren? Die Gefahr ist geringer denn je; jetzt wo so viel guter Wein bereit liegt.

Es ist zu viel guter Wein auf dem Markt, zu viel insbesondere für Palmer und Co. Ein Domaine de Chevalier 2011 ist definitiv besser als ein Palmer 1995. Warum die Ikonen kaufen, wenn man dem Himmel schon für weniger Geld nahekommen kann?

Grüße,

wolf

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 15:09
von Ollie
Das Problem der etablierten Qualitaet (aka Bordeaux):

http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014/39 ... -geschmack

Ich glaube, das isses zu einem Gutteil.

Cheers,
Ollie

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 15:12
von octopussy
innauen hat geschrieben:Ich bin unheilbar erkrankt. Wird aber eine Generation künftiger 30jähriger noch Gefahr laufen, sich mit Bordeaux zu kontaminieren? Die Gefahr ist geringer denn je; jetzt wo so viel guter Wein bereit liegt.
Das ist genau die entscheidende Frage. Ich bin da skeptisch (jedenfalls hinsichtlich der europäischen Weingenießer außerhalb Frankreichs), wenn die Bordelaiser nicht fundamental ihr Vertriebssystem und ihr Marketing ändern. Ich bin gar nicht mal der Meinung, dass die Châteaux in ihren Preisen (Niveau 2012/2013) runtermüssen mit Ausnahme einiger Weine, die 2009/2010 einen etwas großen Schluck aus der Pulle genommen haben, den sie anschließend nicht genug revidiert haben.

In den letzten Jahren haben die Bordelaiser in der alten Welt so viele Kunden verloren, sind von so vielen Restaurantkarten geflogen und von so vielen Händlern ausgelistet worden. Das setzt erst einmal für ein paar Jahre einen Negativzyklus in Gang, der nun wieder umgedreht werden muss.

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 15:34
von octopussy
Ollie hat geschrieben:Das Problem der etablierten Qualitaet (aka Bordeaux):

http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014/39 ... -geschmack

Ich glaube, das isses zu einem Gutteil.
Das trifft es wirklich sehr gut. Nur "Normcore" hat der Autor nicht verstanden. Da geht es gerade um die Verfeinerung der Verfeinerung, konkret darum, dass man die Verfeinerung nicht auf den ersten Blick erkennt. Tatsache ist aber, dass die "Normcore" Leute (die erkennt man sofort) ganz bewusst auswählen, wie ihre Jeans geschnitten sein muss, wie der schwarze Blouson aussehen muss und aus welchem Jahr die Adidas-Trainingshose sein muss. Die Leute, die sich "Normcore" anziehen, wollen im "Code of the Streets" erkannt werden, aber nur von den Eingeweihten, nicht von denjenigen, die sich erst einen Vollbart wachsen lassen und dann versuchen, bei H&M den Look nachzuahmen, der gerade erst drei Monate vorher zuerst von irgendeinem Modeblogger auf der Straße entdeckt wurde und der anschließend innerhalb von drei Wochen durchs Netz ging, bis er mit weiteren fünf Wochen Design- und Produktionszeit bei H&M im Regal steht.

Unter Hipster-Gesichtspunkten müsste man also jetzt wieder offensiv Bordeaux trinken. Wenn die Gäste kommen, einfach den Château Giscours auf den Tisch stellen und sagen: "Poulsard ist so 2013, ich war schon out, bevor out in war."

Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Verfasst: Do 18. Sep 2014, 15:43
von innauen
octopussy hat geschrieben:
Wenn die Gäste kommen, einfach den Château Giscours auf den Tisch stellen und sagen: "Poulsard ist so 2013, ich war schon out, bevor out in war."
Yepp. Das ist eine gute Möglichkeit für ein Bordeaux-Comeback :mrgreen: