vanvelsen hat geschrieben:
Liebe Leute, bitte mal halblang mit PC Bashing hier... Ich kann die stilistische Diskussion um PC absolut nachvollziehen, nicht aber die absurd tiefen Bewertungen Kelley's. Der Wein ist definitiv eher ein Wein im "kalifornischen Stil", mit viel üppiger Frucht, auch Assoziationen mit anderen Weinregionen - voll nachvollziehbar. Und ja, bei Blindverkostungen ist man da nicht zwingend im Bordeaux. Darum: Ein typischer Pauillac, nein! Aber muss man darum "wenig Punkte geben"? Nein! Verkoster sollen die Qualität der Weine beurteilen - die Stilistik erkennt man dann im Text. Und die Qualität ist hervorragend, auch 2022.
Meine Primeur-Notiz für 2022 Pontet Canet, den ich mit 98-100 bewertet habe: (57% Cabernet Sauvignon, 35% Merlot, 4% Cabernet Franc und 4% Petit Verdot, 55jährige Reben. 50% Neuholz, 35% Amphoren aus Beton und 15% gebrauchte Barriques. Die Trauben wurden mit Kamille und einem Gemisch aus gebranntem Lehm und Wasser gegen die die Hitze geschützt.) Sehr kräftige Farbe und ein reiffruchtigier Duft, dieser Pontet-Canet strahlt reiffruchtig aus dem Glas, das riecht nach schwarzer Kirsche, Backpflaume, Cassis und Lakritze, florale Noten schwingen mit. Im Gaumen mit cremiger Textur, einer umwerfenden Frucht und viel Struktur, die Tannine sind von höchster Güte, der Wein hat viel Kraft und gleichzeitig Eleganz, hallt im Abgang sehr lange nach. Ich erinnere mich an die hervorragenden 2009er und 2010er, dieser Wein ist wie eine Symbiose daraus. Grosses Pontet-Canet Kino. 2030-2060 (Verkostet "En Primeur" im April 2023 auf Château Pontet-Canet) #primeurs22
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Gruss,
Adrian
Guten Abend,
Bevor über die Frage verhandelt wird, ob die Bewertung der Typizität eines Weins die nach seiner Qualität vernebeln darf, könnte die Bestimmung des Wesens einer Kritik sinnlich rezeptiver Befassung an sich hilfreich sein.
Würde es um Theater- oder Opernaufführungen gehen, um Filme oder Buchneuerscheinungen, käme es zur Feuilletonvermutung: dort wäre Orientierung zu erwarten.
Wenn William Kelley, der nun möglicherweise konsequent in die Fußstapfen des Großdegustators tritt (Insider mutmaßen hier zu recht eine Anspielung auf Parker & Figeac), einen großen Pontet-Canet-Jahrgang verreißt, um dann von dessen Erzeuger der Bedingung der Möglichkeit zur „Rezension“ der neuesten seiner Auflagen enthoben zu werden, könnte man sich der Fehde zwischen Marcel Reich Ranicki und dem Literaturnobelpreisträger Günter Grass erinnert fühlen.
Jenseits der tautologischen Erkenntnis, dass zwei Alphatiere nicht auf ein Patt aus sind, steht die Abwägung, ob ich von einem „Kritiker“ implizit ein Urteil nach der Facon seiner persönlichen Verfassung zum Urheber des zu kritisierenden Objekts erwarte oder aber zur Sache selber.
Betrachtet man das Geschehen von der Leitwährung der vernetzten Welt aus, dann symbolisiert die Zuneingungsverweigerung des Weinkritikers den Versuch, beim Armdrücken in der Disziplin „Publizität“ zu reüssieren. Er vermengt dabei „Kommentar“ mit „Kritik“ und übersieht, dass er ohne Objekt ein nichtssagendes Subjekt ist.
Wenn die Familie Tesseron William Kelley die Akkreditierung verweigert, machen sie ihn sprichwörtlich sprachlos. Einen Kritiker ohne Gegenstand kann man aber noch nicht einmal falsch verstehen.
Wie sagt man so schön: just my 2 cents.
Im Gegensatz zu Adrian meine ich, im 2022er Pontet Canet (wieder) viel deutlicher einen Pauillac zu erkennen. Seine qualitative Bewertung spitze ich mit 99-100/100 Punkten sogar noch zu.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse