Hallo zusammen,
ich denke, dass in einem so großen und diversen Weinbauland wie Deutschland mit seinen so unterschiedlichen Kleinlimata und Bodenformationen (kurz: Terroirs

) ausreichend Platz für
verschiedene Stile von Riesling Großen Gewächsen sein sollte. Kein Mensch denkt auch nur im Traum daran, dass im Burgund ein Chablis Grand Cru Les Clos die gleiche Stilistik haben sollte wie ein Corton Charlemagne oder ein Le Montrachet. Im Gegenteil: jeder, der ziemlich viel Geld für diese Wein berappen muss, will für sein Geld gerade, dass die Stilistiken sich deutlich unterscheiden. Das ist zwar jetzt in etwa eine Eins zu Eins Bestätigung der Aussage von Ollie...
Ollie hat geschrieben:Wobei ich Markus' Definition eines Riesling-GGs problematisch finde. Man koennte auch schreiben "trocken, mit Spannung und Eleganz, bei trotzdem größtmöglichem Gehalt [Fuelle]", und haette perfekt das GG aus der Mosel beschrieben (speziell nach 7 bis 10 Jahren Flaschenreife). Boese Zungen koennten sogar behaupten, man hatte damit die trockene Spaetlese im Stile eine Mueller-Catoir von vor 2002 erfasst.
Solche Stilunterschiede sind ja nicht nur nicht schlimm, sondern sogar gewollt (und ueberleben, zum Glueck!). Interessanterweise wuerde niemandem einem kargen Chablis Groesse oder Grand-Cru-Charakter absprechen, nur weil weiter suedlich ein fetterer, holzwuerzigerer Chardonnay-Stil gepflegt wird. Von den Schattierungen dazwischen mal ganz abgesehen. (Das gilt ebenso fuer deutsche Pinots.)
...aber leider ist seine aus meiner Sicht völlig richtige Einschätzung etwas untergegangen.
Einen "Geschmackskorridor" für deutsche Riesling Große Gewächse halte ich für Blödsinn. Insofern kann ich mich auch durchaus mit der Aussage von Guido anfreunden, wenn er sagt:
Einzelflaschenfreund hat geschrieben:Wenn ich [...] einfach mal konstatiere, dass die Stellung der GG als "Bestes, was aus deutschem Riesling gemacht werden kann" eben nicht unstrittig ist, liege ich wohl nicht völlig falsch. Hier haben wir nebem o. g. Gründen eben auch eine Riesling-spezifische Problematik: Für viele Weine lässt sich die Steigerung innerhalb einer Qualitätspyramide auf den Nenner bringen: intensiver, konzentrierter, kräfter, alkoholischer, langlebiger. Lassen wir den letzten Punkt mal außen vor, so haben wir hier eben Parameter, die bei Riesling nun mal nicht unstrittig für Qualität und auch bei echten Fans nicht diskussionslos oben an der Pyramide stehen. Schon gar nicht im Vergleich mit Weinen ("einfache" trockene Spätlesen), die sich summa summarum nicht in so starkem Maße unterscheiden, wie es die Preise tun..Vielleicht ist (neben der grundsätzlichen Trocken-Problematik) diese Stilistik-Frage auch einer der Hauptgründe dafür, dass GG an der Mosel eine so viel geringere Rolle spielen. Oder anders formuliert: Die Übertragung dessen, was große trockene Weißweine in anderen Regionen der Welt auszeichnet, auf deutschen Riesling, führt zu Problemen bzw. Inkonsistenzen bei Image und gelerntem Geschmack.
Ich denke auch, dass das Problem vieler Großer Gewächse neben dem Preis und der damit und mit dem Namen "Großes Gewächs" einhergehenden Erwartungshaltung ist, dass sich durchaus einige Winzer (übrigens nicht nur VDP-Winzer, sondern auch die Nicht-VDP-Winzer, die ihre Spitzenweine - wenn auch auf niedrigerem Preisniveau - forcieren) zu sehr auf äußere Parameter wie Intensität, Konzentration, Kraft und Reife (ja, das sind in etwa genau Guidos Kriterien) fokussieren. Ein (gut gemachter) Grand Cru oder guter 1er Cru aus dem Burgund zeichnet sich übrigens nach meiner begrenzten Wahrnehmung nicht vornehmlich durch diese Parameter aus. Die zugelassenen Erträge sind (mit den bekannten Ausnahmen) auf 35 hl/ha bei den Grand Crus bzw. 45 hl/ha bei den 1er Crus begrenzt. Das bedingt dann natürlich eine gewisse Konzentration. Aber trotz dieser Ertragsbegrenzung und trotz der Tatsache, dass sehr viele Domaines im Burgund den Neuholzanteil bei ihren Grand Crus und besten 1er Crus deutlich höher ansetzen als bei ihren sonstigen 1er Crus und Village-Weinen, zeichnet sich ein Grand Cru bzw. guter 1er Cru Burgunder (ob Pinot Noir oder Chardonnay) nach meiner begrenzten Erfahrung vor allem dadurch aus, dass er erstens besonders vielschichtig ist, zweitens besonders komplex ist, drittens mit einem besonders hohen Wiedererkennungswert gesegnet ist und viertens besonders langlebig ist. Er soll immer noch gut zum Essen trinkbar sein, soll auch nach dem zweiten Glas noch zum Verzehr eines dritten und vierten Glases animieren.
Sollte nicht so ein eher abstraktes Profil - mehr Komplexität, mehr Vielschichtigkeit, größeres Entwicklungspotenzial, klarer Ausdruck seiner Herkunft - auch das Profil für ein Riesling Großes Gewächs sein?
Meines Erachtens AUF JEDEN FALL ja. Und das kann jedenfalls ich in allen Weinbaugebieten finden, an der Mosel, in der Pfalz, an der Nahe, in Rheinhessen, im Rheingau, am Mittelrhein, in der Ortenau, ja sogar in Franken und in Württemberg. Es sind eben unterschiedliche Ausprägungen von Komplexität und Vielschichtigkeit. Selbst bei manchen VDP-Weinen aus Ersten Lagen, die nicht offiziell Große Gewächse sind, weil sie mehr als 9 g/l Restzucker haben, passt die Bezeichnung Großes Gewächs aus meiner Sicht. Manche (z.B. ich) finden gut gemachte feinherbe Rieslinge, die nicht feinherb im klassischen, leichten, gestoppten Stil sind, gerade besonders harmonisch, andere lehnen eine solche Stilistik halt ab.
Aber ich halte es gerade für den großen Irrtum, dass ein trockener Riesling entweder besonders viel Druck und Power haben muss oder diesen nicht haben sollte. Und vielleicht ist auch deshalb ein gutes Großes Gewächs aus 2008 (siehe der Captain Cork Artikel) noch nicht ausverkauft, weil die meisten der Journalisten, Blogger und Meinungsmacher (inklusive des Gault Millau als der wohl immer noch Referenzpublikation) den Leuten weismachen wollen, dass in einem Jahr nur dieser oder jener Wein etwas taugt, dass ein "Riesling Großes Gewächs" so oder so schmecken sollte. Oft liest man ja noch nicht einmal, dass ein Wein ein idealtypischer Pfälzer- oder Nahe-Riesling sei, geschweige denn dass er ein Vertreter seiner Lage mit Wiedererkennungswert sei. Hier gibt es m.E. auch deutlichen Verbesserungsbedarf. Wenn ich mir anschaue, in welchem eng begrenzten Geschmacksbild sich einige Journalisten, Blogger und Meinungsmacher bewegen, muss man sich finde ich schon wundern.