Matthias Hilse hat geschrieben: ↑Mi 7. Mai 2025, 12:02
Die 2024 produzierten Weine, die im Primeurzirkus keine Interessenten finden, werden in diesem Jahr in der überwältigenden Mehrzahl nicht von den Negoce "aufgesogen". Sie werden bei den Erzeugern verbleiben. Damit sind sie aber nicht im Markt. Sie sind einfach nur vorhanden.
Jetzt nehmen wir einmal an, einzelnen Erzeugern steht das Wasser bis zum Hals. Was werden die tun? Das ist nun natürlich eine Vermutung von mir - sie lehnt sich aber an das an, was in anderen Weinregionen längst passiert ist.
[...]
Ein Erzeuger in verzweifelter Suche nach "cash" wird auf jeden Deal eingehen, der ihm die gesamte Ernte vom Hof schafft.
Da diese Woche keine weiteren Angebote mehr kommen werden, die man diskutieren könnte, noch ein paar Gedanken hierzu.
Bei den Erzeugern, die ihren Wein
en primeur nicht mehr oder nur zu einem sehr geringen Teil absetzen können, wird sich daran auch in absehbarer Zukunft nichts mehr ändern. Warum sollte es auch, wenn es in wesentlich besseren Jahren wie 2020 oder 2022 schon nicht mehr funktioniert hat? Dieses Vertriebsmodell ist ist für diese Erzeuger einfach tot.
Das lange praktizierte Verfahren, den Negociants die Weine unter der Drohung reinzudrücken, zukünftige Allokationen zu entziehen, funktioniert auch nicht mehr. Die Negociants können und wollen nicht mehr.
Statt nun in Panik irgendeinem Großabnehmer die gesamte Ernte zu einem Dumpingpreis zu überlassen und damit einen betriebswirtschaftlichen Verlust einzufahren, kann man sich ja auch nach anderen Möglichkeiten umsehen. Denn die gibt es. Und am besten macht man das, bevor einem das Wasser bis zum Hals steht.
Als erstes sollte man sich das bisherige Vertriebsmodell Chateau -> Negociant -> Händler -> Konsument kritisch ansehen. Das ist ja nicht gottgegeben und alternativlos. Da könnte man die ohnehin kränkelnden Negociants (die im Moment das größte Risiko im Bordeauxmarkt darstellen) übergehen und direkte Geschäftsbeziehungen zwischen Chateau und den Händlern aufbauen. Natürlich macht das Arbeit, aber unübersehbar groß ist der Markt an Händlern, die sich mit Bordeaux auskennen und damit auch Volumen machen, ja nicht. Und ich wette: die Händler werden sich mit Enthusiasmus in den Vertrieb reinhängen, wenn man ihnen die gesamte Marge, die sonst Courtier und Negociant einstreichen, zusätzlich überlässt.
Einen Schritt weiter, und auch nicht unmöglich: einen Webshop aufmachen und direkt an den Endverbraucher verkaufen. Es gibt international tätige Logistiker, die einem Kommissionierung, Konfektionierung, die Erstellung von Begleitpapieren, die Zollabfertigung, den Versand und die Auslieferung komplett abnehmen. Die Kosten hierfür muss man aus den nicht fälligen Margen der Handelskette decken, das sollte gehen.
Man kann auch beide Wege parallel beschreiten, das erfordert zusätzliche Absprachen. Wie gesagt, das macht alles Arbeit und ist aufwendiger, als den Wein in einem Zug vor Ort abzuladen. Aber bevor man sehenden Auges in den Abgrund geht, muss man das auf sich nehmen. Außerdem rückt man so näher an den Endverbraucher heran, was nie schaden kann.
Über die Veränderung der Vertriebsstruktur hinaus kann man sein Portfolio diversifizieren und damit robuster machen. Viele Betriebe im Médoc produzieren ja jetzt schon Weißwein, das ließe sich noch ausweiten, und zumindest im Moment sind die Absatzrückgänge bei Weißwein geringer als bei Rotwein. Man könnte auch hochwertige Rosés herstellen; Rosé ist gerade das einzige Marktsegment, dass robuste Wachstumsraten zeigt, und das hätte gegenüber Weißwein den Vorteil, dass man nicht umstocken muss und zum Rotwein zurückkehren kann, wenn sich der Markt drehen sollte.
Ein blanc-de-noir-Cremant wäre vielleicht auch etwas. Und das Thema Luxuscuvée hatten wir ja schon.
Das alles mag den Traditionalisten unter den Kunden nicht gefallen, aber die sterben eh aus. Und was nützt einem die Tradition, wenn eine vollständige Bewahrung wirtschaftlich nicht mehr möglich ist?
Nur ein paar Ideen, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Tatenlos zusehen, wie einem das Geschäft kaputtgeht, kann es jedenfalls nicht sein.
Gruß
Ulli