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Re: Bordeaux 2022

Verfasst: Fr 16. Mai 2025, 09:12
von Charmail
Jochen R. hat geschrieben: Do 15. Mai 2025, 18:29 Hallo Steffen,
was hat dir denn aus ´22 im eher unteren bis Mittelklassebereich bisher besonders gefallen?

Viele Grüße,
Jochen
Servus Jochen,

tatsächlich hatte ich bisher erst 4 Weine aus 2022, das war der hier schon mehrfach erwähnte Senejac, der mir in seiner Preisklasse ausgesprochen gut gefiel, dann einen eher unbekannteren Saint Julien, Chateau Lalande ebenfalls prima, habe ich auch nachgekauft und dann auf dem Chateau probiert und für ausgesprochen gut gefunden, Chateau Seguin, für mein Geschmack der bisher beste Jahrgang und bei einem Preis von 31,50 € natürlich ein super Preis, im Gegensatz zu den Lobenberg Preisen und LCHB natürlich. Auch der Seguin hatte sich aber zweiten Tag schon verschlossen aber der Wein hat ein großes Potenzial, der gefiel mir schon richtig gut :)

Viele Grüße,
Steffen

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: Fr 16. Mai 2025, 12:00
von Jochen R.
Danke, Steffen!

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: Sa 17. Mai 2025, 11:52
von Ollie
amateur des vins hat geschrieben: So 4. Mai 2025, 16:07 "Opferflasche" vor ein paar Tagen:

Gruaud Larose 2022

Ganz offensichtlich versucht man bei Larosens am Image zu feilen: Das Etikett ist deutlich modernisiert, und der Flaschenhals ist mit Wachs zugekleckert. Immerhin haben sie ein relativ weiches und garnicht sprödes gewählt, das sich gut entfernen läßt.

Die Robe ist nahezu schwarz, aber mit deutlichem Purpur- bzw. eher schon Violett-Einschlag.
In der Nase habe ich Cassis und Schwarze Johannisbeeren, Tonnen davon. Dann Tropenholz, Rosmarin und etwas Tamarindensauce wie beim Inder.
Am Gaumen sehr seidiger, feiner, nur knapp mittelgewichtiger Antrunk -- und dann hauen die Tannine rein. Viele! Und sie bringen durchaus ein paar (nicht allzuviele) grünbittere Noten mit. Je länger es nachhallt, desto deutlicher diese Note. Nicht massiv; tolerabel sozusagen, aber präsent.

Dieser Wein ist mitnichten verschlossen. Aber genausowenig ist er ein charmantes Jungweinerlebnis, wie man sie zuletzt häufig antraf. Matthew Jukes, den Ollie oben zitierte (und von dem ich nie zuvor hörte) trifft es ganz gut. Die Disjunktheit zwischen feinem Auftakt und darauffolgender fast schon leicht rustikaler Struktur ist frappierend. Die Frucht ist extrem juvenil und ganz überwiegend primär, dabei aber charmant.

Läßt mich ein wenig ratlos zurück: Die fast brachiale Struktur paßt derzeit nicht zur Frucht und wirkt auf- oder jedenfalls abgesetzt. Ob sich beides auf Augenhöhe verbinden wird, vermag ich nicht zu sagen und bleibt abzuwarten. Jede Menge Potential, aber ein Wein für den ganz langen Atem, scheint mir.
Gestern Abend hat sich der Wein ganz genauso präsentiert wie von amateur beschrieben. Eine Mittrinkerin hatte sogar die grünbitteren Noten gefunden, "wie wenn man in einen Zweig beißt". Ich habe das nicht, dafür aber im Abgang gaaanz hinten die von Colin Hay oft beschriebene "Traubenhaut". Die Bitterkeit schlug für mich in eine leichte teerige Note nach kaltem Aschenbecher um (da muss Anthony Bartons Geist ins Fass geascht haben). Nicht unangenehm, aber halt doch merklich. Und was uns allen gefehlt hat: Der Wein ist aromatisch überhaupt nicht komplex genug. Okay, seidige, sehr dunkelbeerige Frucht mit ein bißchen Würze, aber das reicht halt gar nicht bei dem Preis. (Und nein, der Wein wirkte nicht verschlossen, auch wenn Martin das bei den Berserkern unlängst berichtet hatte.)

Insgesamt passt die Beschreibung von Matthew Jukes auch insofern, als es sich bei Gruaud Larose definitiv nicht um einen fröhlichen Wein handelt: brutalist architecture nannte er das, und angesichts des finsteren Wesens des Weins - vor allem gemessen an der Jahrgangscharakteristik und der heutzutage dominierenden Stilistik - ist das wirklich Bordeaux Gothic.

Ich werde definitiv nicht nachkaufen, aber den 2023er schaue ich mir bei der Arrivage noch mal an. Sie suchen sich ja noch.

Cheers,
Ollie

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: So 18. Mai 2025, 15:24
von harti
Hallo zusammen,

am letzten Freitag hatten wir eine für mich sehr aufschlussreiche Verkostung von 14 2022ern aus allen Qualitätsstufen, zu der ein generöser Freund eingeladen hatte: Danke, Claus!

Das Fazit gleich vorweg: Dieser Jahrgang ist nichts für mich. Meine Befürchtung, die ich schon während der Primeur-Kampagne hatte, dass sehr reife Weine mit einem hohen pH-Wert eigentlich nicht frisch schmecken können, fand ich bestätigt. Die Weine waren fast durch die Bank auffällig süß, das Tannin eher mild und die Säure ziemlich niedrig. 2022 ist somit alles andere als ein klassischer Jahrgang und ich fürchte, dass viele Weine im Laufe der Jahre sensorisch auseinanderfallen werden. Das heißt also: Nicht zu lange mit dem Trinken warten.

Trotz dieser Vorbehalte haben mir einige Weine gut bis sehr gut gefallen. Bei den kleineren Weinen fand ich Mangot (St. Emilion), Domeyne (St. Estèphe) und Pellot (Graves) sehr ansprechend und könnte mir vorstellen, dass diese Weine in den nächsten Jahren sehr viel Spaß machen werden. Batailley und Branaire gefielen mir richtig gut und ich freue mich sogar darüber, ein paar Flaschen davon gebunkert zu haben. Noch ein Tickchen über diesen Weinen sehe ich allerdings Les Carmes Haut Brion, Brane Cantenac und Montrose, die der Stilistik dieser Häuser treu geblieben und wirklich beeindruckend sind. Auch Cheval Blanc zeigte seine Größe, wobei ich mit den Jungweinen dieses Châteaus immer so meine Probleme habe.

Schwierigkeiten hatte ich an diesem Abend mit Canon (St. Emilion), Pontet Canet (Pauillac) und Gruaud Larose (St. Julien). Bei aller aromatischen Tiefe und Komplexität des Canon, die wirklich großartig ist, war mir die Süße zu dominant und es fehlte mir der Biss. Ich fürchte dieser Wein hat kein allzu langes Leben vor sich (KaDeDe, der bei dieser Probe dabei war, merkte an, dass der 47er Cheval Blanc - ebenfalls aus einem Hitzejahr - nahezu unsterblich ist und ist hinsichtlich der Lagerfähigkeit deutlich optimistischer). Pontet Canet empfand ich als ziemlich ruppig, das kräftige Tannin kam mir bitter vor. Möglicherweise hat sich dieser Wein schon verschlossen. Gruaud konnte ich gar nicht greifen, hier war ein für mich nicht definierbarer Fehlton wahrzunehmen. Ich hoffe, dass die anderen Flaschen, die ich für meine bessere Hälfte nur wegen der Störche auf dem Etikett gekauft hatte, besser performen werden.

Grüße

Hartmut

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: So 18. Mai 2025, 16:24
von Ollie
Wow, cooles line-up!
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 15:24 Batailley und Branaire gefielen mir richtig gut (...)
Hat euch Batailley viel preisgegeben? Gestern gab's den bei uns, und der Wein hat gar nicht gezündet. Enorm tanninstark, und obwohl man die hohe Dichte und Konzentration anfangs spürt, rückt der Wein nichts raus. Verschluss oder Flaschenfehler (fruit scalping vom Kork?), wir waren uns nicht sicher.
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 15:24 Gruaud konnte ich gar nicht greifen, hier war ein für mich nicht definierbarer Fehlton wahrzunehmen.
Tut mir sehr leid um euren Gruaud, da hätte mich eure Einschätzung schon sehr interessiert. Aber hinsichtlich Fehlton: Ich habe bei verstörend vielen 2022ern ziemliches Pech; entweder der Wein korkt, hat einen unangenehmen, leicht schärflichen "Rasierwasserton", oder hat fast etwas Brett-Artiges (Sattelleder, meine erste Flache HBL etwa - die Nachlieferung war Tipptopp).

Cheers,
Ollie

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: So 18. Mai 2025, 19:46
von harti
Ollie hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 16:24 Wow, cooles line-up!
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 15:24 Batailley und Branaire gefielen mir richtig gut (...)
Hat euch Batailley viel preisgegeben? Gestern gab's den bei uns, und der Wein hat gar nicht gezündet. Enorm tanninstark, und obwohl man die hohe Dichte und Konzentration anfangs spürt, rückt der Wein nichts raus. Verschluss oder Flaschenfehler (fruit scalping vom Kork?), wir waren uns nicht sicher.
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 15:24 Gruaud konnte ich gar nicht greifen, hier war ein für mich nicht definierbarer Fehlton wahrzunehmen.
Tut mir sehr leid um euren Gruaud, da hätte mich eure Einschätzung schon sehr interessiert. Aber hinsichtlich Fehlton: Ich habe bei verstörend vielen 2022ern ziemliches Pech; entweder der Wein korkt, hat einen unangenehmen, leicht schärflichen "Rasierwasserton", oder hat fast etwas Brett-Artiges (Sattelleder, meine erste Flache HBL etwa - die Nachlieferung war Tipptopp).

Cheers,
Ollie
Hallo Ollie,

der Batailley war sehr zugänglich, hatte aber auch reichlich Luft in der Karaffe gezogen (schätze um die vier Stunden).

Könnten die von Dir erwähnten Fehltöne vielleicht mit den hohen pH-Werten vieler Weine zusammenhängen? Ich könnte mir vorstellen, dass solche Weine anfälliger für mikrobiell bedingte Beeinträchtigungen sind.

Grüße

Hartmut

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: So 18. Mai 2025, 20:40
von Ollie
Hallo Harti,
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 19:46 der Batailley war sehr zugänglich, hatte aber auch reichlich Luft in der Karaffe gezogen (schätze um die vier Stunden).
Hm, an zu wenig Luft lag's nicht, denn heute früh war der Wein immer noch sehr zugeschnürt. Vielleicht hatte er ja wirklich einen Streifschuss. (Kommen jetzt irgendwie Covid-Korken in den Verkehr? Verdammt, können die nicht einfach alle auf DIAM umstellen, grrrrr!)
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 19:46 Könnten die von Dir erwähnten Fehltöne vielleicht mit den hohen pH-Werten vieler Weine zusammenhängen? Ich könnte mir vorstellen, dass solche Weine anfälliger für mikrobiell bedingte Beeinträchtigungen sind.
Das hatte ich anfangs auch gedacht. Aber eine Konterflasche HBL war Eins-A; außerdem hat der Wein einen recht niedrigen pH von 3.54, das sollte (bei normalen SO2-Gehalten) wirklich kein Problem darstellen. Gloria (kein Wert angegeben) war in der Konterflasche "rasierwasserfrei" (aber immer noch nicht sonderlich überzeugend), und Ferrière (der dritte betroffene Wein; pH=3.64) habe ich noch nicht nachprobiert. Capbern (pH=3.8) und Meyney (pH=3.75) waren einwandfrei. Trottevieille (pH=3.6) und La Gaffelière (pH=3.55) waren beide absolut sauber (und übrigens ohne störende Süße). Gruaud Larose hat übrigens ebenfalls pH=3.8, und meine Flasche war wahrscheinlich einwandfrei.

Cheers,
Ollie

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: Mo 19. Mai 2025, 09:09
von Nora
harti hat geschrieben: So 18. Mai 2025, 15:24 ... Schwierigkeiten hatte ich an diesem Abend mit Canon (St. Emilion), ... Bei aller aromatischen Tiefe und Komplexität des Canon, die wirklich großartig ist, war mir die Süße zu dominant und es fehlte mir der Biss. Ich fürchte dieser Wein hat kein allzu langes Leben vor sich (KaDeDe, der bei dieser Probe dabei war, merkte an, dass der 47er Cheval Blanc - ebenfalls aus einem Hitzejahr - nahezu unsterblich ist und ist hinsichtlich der Lagerfähigkeit deutlich optimistischer). ...

Grüße

Hartmut
Hallo Hartmut,

das passt genau zu meinem Eindruck, den ich vom Canon vor ein paar Wochen hatte. Ich schrieb damals:
Nora hat geschrieben: So 2. Feb 2025, 10:03 4 Tagen im Glas (und er ist immer noch nicht ausgetrunken)
Am ersten Tag, kam der Wein mit einer überbordenden Primärfrucht daher, so stark, dass ich es kaum aushielt und es für mich unangenehm war, an dem Wein zu riechen. Das hat sich die darauffolgenden Tage ganz gut entwickelt, ist angenehmer und zurückhaltender geworden, so dass ich das Attribut „gekocht“ zurücknehmen muss. Jetzt gibt es eine immer noch kräftige Nase nach sehr reifen, süßen roten Früchten ...
Die süßen Früchte beherrschen zunächst auch den Gaumen ...
Hattet ihr den Wein auch karaffiert und wenn ja, wie lange? Ich fand ihn ja am 2. und 3. Tag nicht mehr ganz so süß und Primärfruchtig, das ging etwas weg. Ich hoffe natürlich, dass sich das in den folgenden Jahren weiter zurückentwickelt.

VG Nora

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: Mo 19. Mai 2025, 11:33
von harti
Nora hat geschrieben: Mo 19. Mai 2025, 09:09 Hattet ihr den Wein auch karaffiert und wenn ja, wie lange? Ich fand ihn ja am 2. und 3. Tag nicht mehr ganz so süß und Primärfruchtig, das ging etwas weg. Ich hoffe natürlich, dass sich das in den folgenden Jahren weiter zurückentwickelt.
Hallo Nora,

die Weine hat unser Gastgeber vorbereitet, deswegen weiß ich die Dekantierzeit nicht so genau. Ich vermute ca. 2 Stunden. Der Wein hat im Glas noch zugelegt. Gleichwohl bin ich vom Canon wegen der - aus meiner Sicht - "strukturellen Defizite" aktuell nicht überzeugt. In dieser Preisklasse muss einfach alles stimmen.

Grüße

Hartmut

Re: Bordeaux 2022

Verfasst: Mo 19. Mai 2025, 18:52
von Nora
Vielen Dank, Hartmut für die Rückmeldung! Na mal sehen, ob der sich in den folgenden Jahren noch fängt. Ich bin gespannt.

VG Nora