octopussy hat geschrieben:Ich möchte nochmal einen Gedanken zu der diesjährigen Subskriptionskampagne loswerden, der schon in Ansätzen diskutiert wurde. Vielleicht ist das schwindende Vertrauen der Konsumenten in die Vorteile einer Subskription und der Ärger über die prohibitativen Preise auch nur ein Kollateralschaden einer Strategie der Châteaux-Besitzer und vielleicht auch der négotiants, die sich hauptsächlich gegen Spekulanten auf dem Sekundarmarkt richtet.
Vielleicht sehe ich das falsch, aber mir kommt es so vor, als wären blue chip Bordeaux, d.h. die besseren Crus Classés vom linken Ufer und die hochbewerteten und mit einer gewissen Reputation ausgestatteten Weine vom rechten Ufer, mittlerweile einigermaßen fungibel, u.a. weil ein Handel über Liv-Ex und vielleicht auch andere Handelsplattformen möglich ist. Das erleichtert den Spekulanten ihre Tätigkeit und kurzfristige Profite. Es braucht dafür ja noch nicht einmal Endkunden, die bereit sind, über 1.000 Euro die Flasche für einen Lafite oder Latour auszugeben. Es braucht nur Leute, die denken, dass sie zukünftig mehr als den Einkaufspreis erzielen können. Da die Flaschen nicht verschickt werden müssen, sondern in irgendwelchen klimatisierten Lagerhallen liegen und nur den Eigentümer wechseln, wird der Handel erleichtert. Das treibt die Preise allein der Fungibilität wegen und natürlich wegen etwaiger zukünftiger Preisfantasien.
Würden die Châteaux den Spekulanten nun einen nenneswerten Teil des Marktes und des Handels überlassen, hätten sie Faktoren wie Preisstabilität nicht mehr in der Hand. Und dieser Faktor ist durchaus wichtig, da erhebliche Preisstürze die Preisgestaltung der Châteaux für die Zukunft gefährden würden. Es geht also auch um Kontrolle. Das betrifft natürlich zuvorderst die Weine mit einem Preis von >100 Euro. Alle anderen Châteaux, die etwas auf sich halten, ziehen aber mit, weil verhindert werden soll, dass die Spekulation sich auf die Stufe unter den >100 Euro Weinen erstreckt, wenn nur die obersten Preise prohibitiv sind.
Gegen uns Endverbraucher richten sich diese verrückten Preise also vielleicht gar nicht, sondern nur gegen einen aus den Fugen geratenten Spekulationsmarkt. Ist das plausibel?
@Bernd. Das ist alles so wahnsinnig schwer zu durchschauen. Ich checke es auch nicht richtig. Wir alle mutmaßen nur. Es sind so viele verschiedenen Ebenen involviert und so viele Faktoren. Das ist verrückt, auf einer theoretischen Ebene aber auch ungemein interessant.
Hallo octopussy,
das, was sich gerade abspielt, ist so undurchsichtig, wie die besten Tropfen, die ja die Grundlage dieser ganzen Betrachtung sind. Da ich nicht aus einer neutralen Position heraus schreibe (n kann), formuliere ich eher vorsichtig, ich bitte um Verständnis dafür. Ihre Interpretation geht aber mit meinen Ansichten und Vermutungen sehr stark d'accord.
Es geht darum, dass mit der regionalen Gewichtsverschiebung in der globalisierten Welt Güter dorthin verbracht werden sollen, wo die originäre Kundennachfrage wirklich herkommt (es ist quasi der Funktion einer Zentralbank invers: nicht "lender of last resort", sondern "consumer of final will"). Wie Latour richtig schreibt gab es mit 2006 und 2007 zwei Jahrgänge, die nicht einfach zu bewältigen waren. Die Châteaux haben Weine an Intermediäre verkauft und sie dann später wieder zurückgekauft (mit den Nachwehen der Geschäftbereichsaufgabe eines großen amerikanischen Importeurs z. B.). Das alles wäre ihnen erspart geblieben, wenn Sie damals schon das durchgezogen hätten, was sie jetzt gerade im Begriff sind zu tun. Ihnen ist die Kontrolle über ihre Erzeugnisse abhanden gekommen. Es brauchte Lehman, einen völlig von der Kritik verkannten Jahrgang 2008 und direkt danach einen großen Jahrgang mit weltweiter Anerkennung.
Es würde ein Nachdenken lohnen, warum die Öffentlichkeit so viel weniger über die Gemengelage des Jahrgangs 2010 informiert wurde als 2009. Es brauchte genau die Unsicherheit, die sich nun auch eingestellt hat.
Wer einmal genau Parker liest, dem muss auffallen, dass er nicht wenige 2010er deutlich schlechter bewertet hat als die vergleichbaren 2009er, obwohl er sinngemäß über den niedriger bewerteten 10er schreibt: "this may be the greatest vintage...".
Wer läßt sich schon gerne die Gewalt über seine cash-cow entreissen?
Etwaige terminologische Unklarheiten bitte ich zu entschuldigen.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse