Lieber Matthias Hilse,
vielen Dank für den Einblick in die Situation des Händlers in diesem Spiel. Diese Mechanismen waren mir bislang nicht klar.
Matthias Hilse hat geschrieben:
eine sehr lange, strategiereiche, nervenaufreibende und immer wieder überraschende Kampagne geduldet sich ihrem Ende entgegen. Manchmal ist es mir vorgekommen, als würde ich einem Hasen im Feld nachschauen, wie er seine Haken schlägt. Da dachte ich, ich hätte etwas verstanden, und schon bemerkte ich, auf der falschen Fährte gewesen zu sein. Und so wie jedes Ding mindestens zwei Seiten hat, kann man die empirischen Erkenntnisse, die sich in den letzten Wochen gewinnen ließen, eben so - aber auch os deuten
Diese Aussage beruhigt mich ehrlich gesagt ein wenig. Denn ich dachte immer, nur ich als schwächstes Glied in der Vertriebskette verstehe nicht, was läuft.
Nach allem verstehe ich die Strategie der Châteaux jetzt so, dass sie verstärkt in den Eigenhandel einsteigen. Wurde früher ein Großteil des Risikos gleich auf die Négotiants verlagert, so nehmen die Châteaux das Risiko nunmehr verstärkt selbst, da ihnen die Profite der vergangenen Jahre genügend Liquidität verschafft haben. Mit ihrem großen faktischen und ideellen Wert (siehe die Liv-Ex Liste) und einer dicken Liquiditätsdecke können sie zudem günstig Fremdkapital aufnehmen. Nach allem gibt es ja auch genügend Flaschen, die als Sicherheit dienen können. Jedenfalls ist der Zinssatz derzeit günstiger als die entgangene Marge, wenn man größere Mengen an den Négotiant verkauft und am Ende andere Marktteilnehmer auf dem Sekundärmarkt noch vorhandene und mögliche Profite mitnehmen.
Den Châteaux ist es letztlich egal, wenn ein paar wenige Allokationen nicht mehr abgerufen werden. Vielleicht finden sie es sogar gut. Durch den Zeitdruck und die Drohung, man müsse schnell handeln, sonst wandere die Allokation woanders hin, bekommt man noch eine Menge Flaschen zum hohen Preis weg. Nicht abgerufene Allokationen erhöhen die Flaschenanzahl für den Eigenhandel.
Soweit ist die Strategie clever. Jetzt fragt sich natürlich, wie die Châteaux in ein paar Jahren ihre Flaschenbestände absetzen wollen? Hierfür haben die Châteaux mehrere Möglichkeiten. Entweder werden kleine Mengen wieder über die Négotiatants verkauft (als reale Ware, nicht als Future). Oder sie nehmen an Auktionen teil. Und hier kommt die von Matthias Hilse genannte zweifelsfreie Provinienz als großes Asset ins Spiel, die Spekulanten evtl. nicht oder jedenfalls nicht mit der gleichen Überzeugungskraft bieten können.
Auch soweit ist die Strategie noch clever. Risiken sehe ich nur in der Unsicherheit über die tatsächliche Nachfrage nach Spitzen-Bordeaux-Wein zu diesen Preisen. Sollte es eine China-Krise geben oder eine weitere Weltwirtschaftskrise oder jedenfalls Ereignisse, die die Konsumenten unsicher werden lassen. Oder sobald die neuen Märkte erwachsen werden und ihren Weineinkauf diversifizieren (z.B. China nach Australien), kann es natürlich eine erhebliche Nachfragedelle geben. Und Preissenkungen wären für die Châteaux und ihr neues Luxusimage eine Katastrophe.
Falls ich das jetzt einigermaßen richtig gesehen habe, bin ich gespannt, wie es weitergehen wird. Man möchte ja gerne auf die Châteaux schimpfen. Aber vielleicht sind es doch auch die Spekulanten auf dem Sekundärmarkt, die die Châteaux in diese Strategie treiben. Es geht schließlich darum, wer das Zepter in der Hand hält und auch um Machtdemonstration.
Ich persönlich jedenfalls finde diese Entwicklung sehr betrüblich. Man fühlt sich als Konsument jedenfalls nicht sehr gut dabei. Frankie Wilberforce Beitrag weiter oben fasst das ganz gut zusammen. Das Vertrauen jedenfalls schwindet. Insofern finde ich es übrigens gut, wenn die Händler wieder mehr selektieren und einzelne ihnen besonders gut erscheinende Châteaux nicht nur unterstützen, sondern sich auch inhaltlich mehr mit ihnen auseinandersetzen. Ich würde denken, dass ein langsamer Ausstieg aus dem derzeit betriebenen Subskriptionssystem die Verhältnisse wieder gerade rücken könnte. Man weiß natürlich nicht, ob verloren gegangene Allokationen wieder zurück kommen, wenn es sich wieder lohnt. Aber für ganz unwahrscheinlich halte ich es nicht.