Re: Interessant: Spontanvergärung
Verfasst: Mi 17. Aug 2011, 18:12

Hallo Bernd,Bernd Schulz hat geschrieben:Hallo Bodo,
deinen Hinweis auf die Geisenheimer Veranstaltung finde ich sehr interessant. Meine Erfahrungen waren bislang eher gegenteiliger Natur - in den letzten Jahren habe ich etliche RZ-Winzer heimgesucht und bin dort in der Mehrzahl der Fälle auf Weine gestoßen, die zwar nett, aber völlig austauschbar nimmzweifruchtig schmeckten. Oft konnte ich noch nicht einmal eine Gebietscharakteristik erkennen, von Böden oder Lagen ganz zu schweigen.
Es wäre recht spannend, zu erfahren, um welche Erzeuger es sich bei deiner Fortbildung konkret gehandelt hat. Ich will keine Verschwörungstheorien in Gang bringen und nichts unterstellen, aber mit Blick auf den Firmensitz von Erbslöh halte ich eine bewusste Auswahl der damals präsentierten Spontis und Reinzuchtis nicht für hundertprozentig (sondern nur für achtundneunzigkommafünfprozentig) ausgeschlossen...
Beste Grüße
Bernd
Naja, die "Philosohie" jedes Winzers klingt zunächst einmal ganz wunderbar. Gehe auf die Website eines beliebigen Betriebs und klicke auf "Philosophie". Dann stößt du garantiert auf die gängigen Phrasen über die "Verbindung von Tradition und Fortschritt" und den "Respekt vor der Natur".... und die Philosophie, wie auch zumindest der grobe Umriss der Produktion muss stimmen...
Eben. Er macht es um etwas zu erreichen, was er sich ohne den Einsatz von RZH nicht zutraut.DerFranki hat geschrieben:BuschWein hat geschrieben: Vielleicht macht er es, weil er es sich bei seiner Produktionsmenge nicht erlauben kann, dass ein Teil nicht ganz durchgärt, oder dass er Fehltöne im Wein hat, die seine Kunden nicht goutieren.
Nein, das hast Du völlig richtig verstanden. Wenn ein Winzer sagt, meine Verständnis der Lage X kommt erst so richtig mit Kaltvergärung und Reinzuchthefen zum Vorschein, dann hat das seine Berechtigung. Nur erwidere ich dann darauf: Junge, werd Steuerberater, denn von Deinen Lagen hast Du keine AhnungGerald hat geschrieben:Hallo Markus,
Im übrigen wäre nach deinem Verständnis ja auch nichts gegen Aromahefen einzuwenden, wenn der Winzer die Lage auf diese Weise interpretieren möchte, oder habe ich das falsch verstanden?Es gibt immer nur einen Winzer, der diese Lage interpretiert.![]()
Ja, das kann schon sein. Wie bereits festgestellt, verhält sich Riesling sehr empfänglich für "Fremdaromen" wie Kork, Sponti oder Aromahefe. Aber auch bei trockenen Rieslingen kann man die Spontanvergärung gut herausriechen und schmecken. Was aber definitiv stimmt: durch Spontanvergärung wird der Wein vielschichtiger, was den Zuckereindruck etwas weniger vordergründig macht.BuschWein hat geschrieben:Da fängt das erste Mißverständnis an, Wein ist kein Naturprodukt sondern ein Kulturprodukt. Ohne den Einfluß des Menschen geht gar nichts.Da ist also ein Winzer, der ein „Naturprodukt“ ganz „handwerklich“ herstellt.
Auch diese Aussage halte ich für sehr gewagt, ich kenne keinen großartigen Wein, wo der "Großteil des Geschmacks" durch "zugekaufte" Aromenhefen zustande kam.Und dann erfahren wir (meist nur auf Nachfrage), dass er bei einem ganz entscheidendem Faktor so ganz und gar nicht „ehrlich“, „traditionell“ und „handwerklich“ arbeitet, dass er vielleicht den Großteil des Geschmacks durch zugekaufte (Aroma-)Hefen in die Flasche kommt.
(...)
Wen ich mir auch hier einige Argumente so anschaue, dann sehe ich auch eine hohe Korrelation zwischen Spontangärung und der Rebsorte Riesling. Bei den meisten anderen Rebsorten wird das gar nicht so kategorisch gefordert. Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, dass der Riesling ungern wirklich trocken auf die Flasche gebracht wird?
Sprich mit Spontangärung ist der Restzucker einfach "natürlicher" zu erklären als mit Reinzuchthefen, denn bei der Spontangärung "weiß doch jeder" dass die Gärung schon mal restsüß stehen bleiben kann.
Absolut d'accord. Das ist in der Tat die Achillesferse und Schizophrenie aller Weinromantiker. Sie wollen "Naturwein" oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" und verstehen nicht nur nicht, dass es den gar nicht gibt, sondern vor allem, dass, wenn es ihn gäbe, er scheusslich schmecken würde.Auch interessant, dass insbesondere von den Freunden der restsüßen Rieslinge das hohe Lied auf die "Natürlichkeit" der Hefen gesungen wird, aber dass der gleiche Wein bevor er natürlich zum Gärstopp kommt, durch Kühlung oder Schwefel gestoppt wird und so doch viel mehr in ein "unnatürliches", süßes Geschmacksbild gepresst wird, das ist kein Problem.
So ganz verstehe ich diese Diskrepanz nicht.
Klar, Wein ist immer in gewisser Hinsicht ein *Kunstprodukt*. Aber diese Feststellung rechtfertigt doch nicht jedwede Form der Geschmacksmanipulation, oder? Wenn es eh keinen "Naturwein"oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" gibt, warum dann nicht gleich künstliche oder "naturidentische" Aromen oder Invertzucker oder was auch immer noch hinzufügen? Immer nur rin mit dem aus Sägespänen gewonnenen Erdbeergeschmack!Sie wollen "Naturwein" oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" und verstehen nicht nur nicht, dass es den gar nicht gibt, sondern vor allem, dass, wenn es ihn gäbe, er scheusslich schmecken würde.
Die Metaphern vom Zahnrad und von der Stellschraube gefallen mir richtig gut. Ich schlage folgende Experimente vor: Man nehme ein Getriebe und entferne ein kleines Zahnrädchen. Dann nehme man meine Oboe und drehe an nur EINER Stellschraube. Was passiert wohl in beiden Fällen?Noch einmal: Spontanvergärung ist nur EINE Stellschraube.
Ich auch nicht, wenn er das offen und ehrlich tut. Misstrauisch macht mich aber das übliche Phrasendreschen vom "Einklang mit der Natur" bei Erzeugern , die offenkundig mit übermäßiger Kosmetik herumhantieren.Ich persönlich würde niemals misstrauisch werden oder unterstellen, ein Winzer wäre unehrlich, wenn er vom Einsatz der RZH spricht.