Interessant: Spontanvergärung

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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T's Weinblog
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von T's Weinblog »

:lol: Ich finde es egal, ob ein Wein spontan, oder mit Reinzuchthefen vergoren wurde. Schmecken muss er, und die Philosophie, wie auch zumindest der grobe Umriss der Produktion muss stimmen. Meine Meinung...
weinaffe
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von weinaffe »

Bernd Schulz hat geschrieben:Hallo Bodo,

deinen Hinweis auf die Geisenheimer Veranstaltung finde ich sehr interessant. Meine Erfahrungen waren bislang eher gegenteiliger Natur - in den letzten Jahren habe ich etliche RZ-Winzer heimgesucht und bin dort in der Mehrzahl der Fälle auf Weine gestoßen, die zwar nett, aber völlig austauschbar nimmzweifruchtig schmeckten. Oft konnte ich noch nicht einmal eine Gebietscharakteristik erkennen, von Böden oder Lagen ganz zu schweigen.

Es wäre recht spannend, zu erfahren, um welche Erzeuger es sich bei deiner Fortbildung konkret gehandelt hat. Ich will keine Verschwörungstheorien in Gang bringen und nichts unterstellen, aber mit Blick auf den Firmensitz von Erbslöh halte ich eine bewusste Auswahl der damals präsentierten Spontis und Reinzuchtis nicht für hundertprozentig (sondern nur für achtundneunzigkommafünfprozentig :mrgreen: ) ausgeschlossen...

Beste Grüße

Bernd
Hallo Bernd,

die Veranstaltung machte einen durchaus seriösen Eindruck und war wohl Teil einer Forschungsarbeit. Es ging auch überhaupt nicht darum, welche Gärungsvariante den spannenderen Wein hervorbringt, sondern allein darum, bei welcher Variante der "Boden" besser zu erschmecken war.
Es wurde das Traubengut von diversen Winzern, die über Weinberge mit eindeutiger Gesteinsformation verfügen, in der Geisenheimer Versuchskellerei in Kleingebinden jeweils identisch ausgebaut, eine Partie unter Zuhilfenahme einer ganz neutralen Reinzuchthefe und die andere Partie spontanvergoren.
Alle Rieslinge wurden völlig durchgegoren (keine Kaltvergärung) und nicht entsäuert.
Es waren echte "Rohlinge" mit Ecken und Kanten und durchaus fordernd, aber nur so konnte auch der Grundcharakter und die Mineralität einigermaßen sauber abgebildet werden.
So sehr ich auch diesen leichten Sponti-Stinker mag, waren doch eindeutig die Reinzuchtweine der jeweiligen Bodenformation besser zuzuordnen. Dieses Ergebnis hätte ich in dieser Eindeutigkeit auch nicht erwartet. Vielleicht relativiert sich das Ergebnis etwas, wenn die Weine in einem reiferen Stadium wieder blind probiert werden.

Grüsse
Bodo
Bernd Schulz
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Bernd Schulz »

... und die Philosophie, wie auch zumindest der grobe Umriss der Produktion muss stimmen...
Naja, die "Philosohie" jedes Winzers klingt zunächst einmal ganz wunderbar. Gehe auf die Website eines beliebigen Betriebs und klicke auf "Philosophie". Dann stößt du garantiert auf die gängigen Phrasen über die "Verbindung von Tradition und Fortschritt" und den "Respekt vor der Natur".

Deshalb ist mir Franks Misstrauen zunächst einmal nicht ganz fremd...

Beste Grüße

Bernd
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T's Weinblog
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von T's Weinblog »

Ist auch wieder richtig. Es ist ein echt schwieriges Thema! :cry:
Bernd Schulz
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Bernd Schulz »

Hallo Bodo,

nach deiner Beschreibung habe ich durchaus den Eindruck, dass es sich bei der Geisenheimer Fortbildung um eine ernstzunehmende Aktion gehandelt hat. Trotzdem sollte man das Ergebnis schon aufgrund der Unreife der Weine mit etwas Vorsicht genießen: Wenn ich Rieslinge von meinen Lieblingsspontanisten kurz nach der Geburt probiere, schmecke ich vor lauter Hefe- und Gäraromen auch nichts vom Boden. Nach einem Jahr oder erst recht nach noch längerer Zeit kann das aber ganz anders aussehen.

Und dass Geisenheim nicht komplett unabhängig ist, sollte man zumindestens immer im Hinterkopf behalten...

Beste Grüße

Bernd
82er Steirer
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von 82er Steirer »

DerFranki hat geschrieben:
BuschWein hat geschrieben: Vielleicht macht er es, weil er es sich bei seiner Produktionsmenge nicht erlauben kann, dass ein Teil nicht ganz durchgärt, oder dass er Fehltöne im Wein hat, die seine Kunden nicht goutieren.
Eben. Er macht es um etwas zu erreichen, was er sich ohne den Einsatz von RZH nicht zutraut.

Grüß euch alles zusammen,

habe die letzten Seiten jetzt mal überflogen und möchte jetzt auch meinen Senf dazugeben:

Auch ich bin der Meinung, dass es in den meisten Fällen, in denen Reinzuchthefen eingesetzt werden, einfach nur darum geht, einen stabilen Gärverlauf ohne Bildung von Fehltönen zu erreichen. Das die Hefen zusätzliche Aromen freisetzen wird wohl eher zweitranging sein bzw. wie stabil sind diese Aromen? Außerdem ist ja wohl auch davon auszugehen, dass die Hersteller von diversen Aromahefen auch einem Wettbewerb unterliegen, und daher gewissen "Zusatzleistungen" ihrer Hefen neben der Umwandlung von Zucker in Alkohol bewerben. Ob dann im Endeffekt was gescheites dabei rauskommt ist eine andere Sache.

Wie die letzten Seiten ja beweisen, wird das Thema hier einigermaßen emotional abgehandelt. Meiner Meinung nach hat dies allerdings relativ wenig mit dem tätglichen Weingeschäft zu tun. Ich denke mal das 99% aller Weine verkauft werden, ohne dass sich der Konsument über die Betriebsphilosophie und über die Gärweise Gedanken macht. Warum sollte sich also die Mehrheit der Winzer unnötig den Kopf zerbrechen? Die Winzer die das entsprechende Klientel bedienen (also uns) machen sich eh Gedanken und handeln so wie sie es für richtig halten.


lg Hans Peter
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Markus Vahlefeld
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Gerald hat geschrieben:Hallo Markus,
Es gibt immer nur einen Winzer, der diese Lage interpretiert.
Im übrigen wäre nach deinem Verständnis ja auch nichts gegen Aromahefen einzuwenden, wenn der Winzer die Lage auf diese Weise interpretieren möchte, oder habe ich das falsch verstanden? ;)
Nein, das hast Du völlig richtig verstanden. Wenn ein Winzer sagt, meine Verständnis der Lage X kommt erst so richtig mit Kaltvergärung und Reinzuchthefen zum Vorschein, dann hat das seine Berechtigung. Nur erwidere ich dann darauf: Junge, werd Steuerberater, denn von Deinen Lagen hast Du keine Ahnung :D
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T's Weinblog
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von T's Weinblog »

Naja, stimmt. Normalerweise sollte der Winzer das Beste aus seiner Lage herausholen. Das kann aber auch mit Reinzuchthefen geschehen. Finde ich zumindest!
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Markus Vahlefeld
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Markus Vahlefeld »

BuschWein hat geschrieben:
Da ist also ein Winzer, der ein „Naturprodukt“ ganz „handwerklich“ herstellt.
Da fängt das erste Mißverständnis an, Wein ist kein Naturprodukt sondern ein Kulturprodukt. Ohne den Einfluß des Menschen geht gar nichts.
Und dann erfahren wir (meist nur auf Nachfrage), dass er bei einem ganz entscheidendem Faktor so ganz und gar nicht „ehrlich“, „traditionell“ und „handwerklich“ arbeitet, dass er vielleicht den Großteil des Geschmacks durch zugekaufte (Aroma-)Hefen in die Flasche kommt.
Auch diese Aussage halte ich für sehr gewagt, ich kenne keinen großartigen Wein, wo der "Großteil des Geschmacks" durch "zugekaufte" Aromenhefen zustande kam.

(...)

Wen ich mir auch hier einige Argumente so anschaue, dann sehe ich auch eine hohe Korrelation zwischen Spontangärung und der Rebsorte Riesling. Bei den meisten anderen Rebsorten wird das gar nicht so kategorisch gefordert. Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, dass der Riesling ungern wirklich trocken auf die Flasche gebracht wird?

Sprich mit Spontangärung ist der Restzucker einfach "natürlicher" zu erklären als mit Reinzuchthefen, denn bei der Spontangärung "weiß doch jeder" dass die Gärung schon mal restsüß stehen bleiben kann.
Ja, das kann schon sein. Wie bereits festgestellt, verhält sich Riesling sehr empfänglich für "Fremdaromen" wie Kork, Sponti oder Aromahefe. Aber auch bei trockenen Rieslingen kann man die Spontanvergärung gut herausriechen und schmecken. Was aber definitiv stimmt: durch Spontanvergärung wird der Wein vielschichtiger, was den Zuckereindruck etwas weniger vordergründig macht.

Auch interessant, dass insbesondere von den Freunden der restsüßen Rieslinge das hohe Lied auf die "Natürlichkeit" der Hefen gesungen wird, aber dass der gleiche Wein bevor er natürlich zum Gärstopp kommt, durch Kühlung oder Schwefel gestoppt wird und so doch viel mehr in ein "unnatürliches", süßes Geschmacksbild gepresst wird, das ist kein Problem.

So ganz verstehe ich diese Diskrepanz nicht.
Absolut d'accord. Das ist in der Tat die Achillesferse und Schizophrenie aller Weinromantiker. Sie wollen "Naturwein" oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" und verstehen nicht nur nicht, dass es den gar nicht gibt, sondern vor allem, dass, wenn es ihn gäbe, er scheusslich schmecken würde.

Noch einmal: Spontanvergärung ist nur EINE Stellschraube. Ich persönlich würde niemals misstrauisch werden oder unterstellen, ein Winzer wäre unehrlich, wenn er vom Einsatz der RZH spricht. Eigentlich ist mir so einer sogar lieber, weil ich dann unterstelle, dass er zumindest ehrlich ist. Die Frage, wie jemand vergärt, sollte man zum einen nie ausserhalb des Gesamtkontextes stellen und zum anderen sogar besser gar nicht. Denn entweder man schmeckt Mehrdimensionalität oder eben nicht. Alles andere nennen die Norddeutschen Spökenkiekerei :lol:
Bernd Schulz
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Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Bernd Schulz »

Sie wollen "Naturwein" oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" und verstehen nicht nur nicht, dass es den gar nicht gibt, sondern vor allem, dass, wenn es ihn gäbe, er scheusslich schmecken würde.
Klar, Wein ist immer in gewisser Hinsicht ein *Kunstprodukt*. Aber diese Feststellung rechtfertigt doch nicht jedwede Form der Geschmacksmanipulation, oder? Wenn es eh keinen "Naturwein"oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" gibt, warum dann nicht gleich künstliche oder "naturidentische" Aromen oder Invertzucker oder was auch immer noch hinzufügen? Immer nur rin mit dem aus Sägespänen gewonnenen Erdbeergeschmack!

Die Frage ist doch, welches Ausmaß an Manipulationen, an "Styling" nötig und sinnvoll ist. Diese Frage stelle ich nicht nur als "Weinromantiker", ich stelle sie auch im Hinblick auf das, was mich geschmacklich reizt und herausfordert. Weine mit dropsigen Einheitsfruchtaromen schmecken mir auf Dauer nicht, sondern öden mich maßlos an.
Dass die Verwendung von Reinzuchthefen in den meisten Fällen überflüssig ist, wenn man sein Handwerk richtig versteht und im Wingert penibel seine Hausaufgaben gemacht hat, beweisen inzwischen genug hervorragende Winzer. Wir reden hier über einen manipulativen Eingriff, der zwar der Bequemlichkeit (meinetwegen nennen wir es auch Sicherheit) des Erzeugers sowie dem Profit der Getränketechnologieunternehmen dient, aber vielfach vermeidbar wäre und im ungünstigen Falle zu einer Banalisierung des Geschmacksbildes führt. Hier schrieb eben jemand: Was aber definitiv stimmt: durch Spontanvergärung wird der Wein vielschichtiger... ;)
Noch einmal: Spontanvergärung ist nur EINE Stellschraube.
Die Metaphern vom Zahnrad und von der Stellschraube gefallen mir richtig gut. Ich schlage folgende Experimente vor: Man nehme ein Getriebe und entferne ein kleines Zahnrädchen. Dann nehme man meine Oboe und drehe an nur EINER Stellschraube. Was passiert wohl in beiden Fällen? :mrgreen:
Ich persönlich würde niemals misstrauisch werden oder unterstellen, ein Winzer wäre unehrlich, wenn er vom Einsatz der RZH spricht.
Ich auch nicht, wenn er das offen und ehrlich tut. Misstrauisch macht mich aber das übliche Phrasendreschen vom "Einklang mit der Natur" bei Erzeugern , die offenkundig mit übermäßiger Kosmetik herumhantieren.

Beste Grüße sendet Bernd, der nach wie vor auch reinzüchtig vergorene Weine kauft...
Zuletzt geändert von Bernd Schulz am Do 18. Aug 2011, 00:24, insgesamt 2-mal geändert.
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