So, aufgeschreckt durch dievon Null verschiedene Wahrscheinlichkeit, der Poggione könnte Opfer eines Transportschadens vom Händler zu mir bzw. von mir weiter in meinen Gewölbekeller im Schweizer Réduit geworden sein -
und damit alle anderen Weine der Lieferung auch, oder -, habe ich von der selben Palette einen weiteren Kanarienvogel genommen zur Gegenprobe.
Tja, was soll ich sagen außer:
Herstellervarianzen!!1!elf!!
2016 Conti Costanti BdM (14%)
Anfangs ist der ziemlich verstörend: Seltsam erdige, fast modrige Nase; am Gaumen viel störrisches Tannin, kräftige Säure, etwas arg schwül-parfümierte und (seltsam unpassend)
cremige Frucht, im Abgang eine rostig-metallische Note, die nichts Gutes verheißt. F*ck. Eine ganze Subskriptionscharge gehimmelt.
Mit
viel Luft aber passiert etwas Erstaunliches: Das Holz wird würzig-komplex und bekommt einen fast französischen Touch (Vanille! Nelke!), die Nase wird immer dunkel-erdiger (das slawonische Holzfass setzt sich durch), gleichzeitig wandelt sich die Frucht zu einer Prozession an roten und schwarzen Waldbeeren und Kirschen, überlagert von eine fast penetranten, schweren Blumigkeit (alte Rosensorten oder Pfingstrosen? Iris?). Die Frucht wird immer dunkler, ist sehr konzentriert und sehr intensiv, aus der Cremigkeit wird Seidigkeit und Harmonie. Da kommt echt Touriga-Nacional-Feeling auf! Leichter Tabak, etwas Kräuter, aber ganz beiden nur ganz schwach. Das ganze wird sauber durchwirkt von jetzt schön abgerundeten Tanninen und gütig, aber bestimmt zusammengehalten von einer sehr frischen, aber perfekt dosierten und integrierten Säure. Sehr, sehr langer Nachhall auf der Frucht, allein die Komplexität ist nicht auf der Höhe, der Wein bleibt etwas simpel - aber vielleicht unterschätze ich ihn auch wegen seiner "Lieblichkeit", und er kann ja doch elliptische Integrale im Kopf lösen.
Das ist eine sehr weiche und liebliche Interpretation des Sangiovese, wie sie mir bislang noch nicht untergekommen ist - und schon ein anderer Schnack als die üblichen verschwitzten Bauarbeiterbrunelli in Tutus, die bei allem Schwanensee ihre einfache Herkunft nicht verbergen können. Das ist einfach
schön - so gut ist Poggione nicht mal, wenn er gut ist, und ich erwähne das, weil Eric Guido (Vinous) dem Poggione einen Punkt mehr gegeben hat als dem Costanti (97 vs 96). Kerin O'Keefe gab sogar 99(!) Punkte, was natürlich erst recht zu hoch ist, aber die Beschreibung passt nicht schlecht, wie so oft bei ihr:
This savory stunner has enticing scents of violet, rose and wild berry that gain complexity alongside notes of leather, camphor and sandalwood. The elegantly structured palate is all about precision, featuring juicy cherry, blood orange, star anise and tobacco framed in taut, refined tannins. Bright acidity keeps it energized. Drink 2024–2046.
Ich bin ja nun ausgewiesener Sangiovese-Hasser, aber hier zücke ich doch die 94 Punkte, was vielleicht ein bißchen hoch ist, aber immerhin hat mir diese Flasche meine Subs gerettet, so irgendwie. Auf cellartracker hat einer 95 Punkte gegeben und den Wein drei bis vier(!) Stunden vorher dekantiert. Ich würde sagen, der Mann hat recht. Ist aber ein Margaux Bro, insofern kein Wunder, daß er schreibt, es sei ein
very luxurious sangiovese made in a classic style - und jetzt weiß ich endlich auch, woran mich der Wein erinnert: An Rauzan-Ségla der Neuzeit, also mit einem Tacken zu viel
gloss, um zwar als enorm hochwertiges, aber doch sehr gestyltes Produkt angesehen zu werden. Ist aber einfach nur Winzerkunst (bei beiden).
Cheers,
Ollie