Zu Kühn habe ich eine andere Meinung. Zwar habe ich ein paar wenige Flaschen vor 2003 von Kühn getrunken, aber so richtig beschäftigt habe ich mit den Weinen eigentlich erst seit dem 2003er Jahrgang. Und das zunächst ganz überwiegend auch nicht mit Flaschen aus meinem eigenen Keller, sondern nur im Rahmen von Oles und Michaels Ten-Years-After Verkostungen. Über die Jahre gab es ja zahlreiche Veränderungen im Hause Kühn. Was da genau vinifikationstechnisch alles ausprobiert wurde, wissen andere sicher besser, jedenfalls haben die Weine schon immer polarisiert. Ich fand sie teilweise ziemlich fürchterlich mit teils fiesen Klebstoffnoten, fauliger Botrytis, Apfelmost. Es waren aber auch sehr viele sehr gute Weine dabei und den Winzerstil kann man relativ schnell auch über die stilistischen Änderungen hinweg erfassen. Ich mag diesen Stil mittlerweile meistens sehr gerne.Sigbert hat geschrieben: Ausgangspunkt ist die Verklärung von Peter Jakob Kühn und seinen Weinen durch den Weinromantiker Markus Vahlefeld, die in der als Frage ausgedrückten Insinuation gipfelt, dass nicht der Winzer Weine macht, sondern dass die Weine ihn machen, „dass eine existentielle Symbiose zwischen Mensch hie und Natur dort stattfindet“. Und wie das neuerdings so ist bei den Vertretern des Primats der Natur, sind es auch hier laut Markus Vahlefeld sehr aktuelle Trends der Weinerzeugung, die zum Erfolg führen: Arbeit streng nach Demeter-Kriterien, Experimente mit Amphoren, „ultralange Maischestandzeiten“ und – wie könnte es anders sein – „minimalster Schwefeleinsatz“.
Das ist ein gutes und von Markus Vahlefeld sprachlich wie gedanklich präzise umrissenes Idealbild einer neuen, avantgardistischen Weinphilosophie. Man kann sich daran abarbeiten.
Mal abgesehen davon, dass alles, was Markus Vahlefeld hier aufführt, die These vom Primat der Natur wiederlegt, denn es ist der Winzer, der entscheidet, wie der Wein ausgebaut werden soll, frage ich mich, ob hier nicht etwas entscheidendes fehlt: nämlich die winzerliche Fürsorge, dem Wein eine gewisse Langlebigkeit angedeihen zu lassen. Das aber ist für mich ein wichtiges Kriterium, wenn es um die Berechtigung der GG‘s als Eliteklasse des deutschen Weins geht.
Langlebigkeit: Die großen Weinlegenden des Burgund oder des Bordelais wurden nicht auf Primeur-Verkostungen geschaffen, sondern erst nach oft vielen Jahrzehnten Reife. Leider gilt das inzwischen nicht mehr für die großen und sehr teuren weißen Crus des Burgund, die häufig schon nach kaum zehn Jahren oxidiert sind – je nach Standpunkt ein Lotteriespiel oder ein Verbrechen.
Und die Großen Gewächse? Da fehlt es vielleicht einfach noch an Erfahrungen. Mir geht es gar nicht um die Frage, ob hochreife Bombast-Gewächse, die Verkoster bei Primeur-Verkostungen jubeln ließen, auch nach 20 Jahren Flaschenreife beeindrucken – nur in Parenthese möchte ich erwähnen, dass mich die gereiften trockenen Rieslinge von Erzeugern mit jahrzehntelanger Erfahrung mit diesem Genre am meisten beeindrucken. Es sind sehr oft Weine, die wenig Alkohol aufweisen und in der Jugend sehr karg wirken können, wie zum Beispiel ein 20 Jahre alter trockener Kabinett von Maximin Grünhaus, aber das nur am Rande.
Es geht mir darum, dass ein „Weinmachen nach der Natur“, mit allem, was Markus Vahlefeld dazu aufgefahren hat, bei manchen Verkostern junger Weine eine Gänsehaut hervorrufen mag, dass aber diese Weine nicht so reifen wie „konventionell“ hergestellte und vielleicht sogar im Alter sehr enttäuschen können. Mir fehlt da die Erfahrung mit Kühn-Weinen.
Aber ich habe Anfang der Nuller Jahre eine ähnlich berauschende Erfahrung mit den Weinen von Clemens Busch gemacht. Sie rochen anders, schmeckten anders, waren anders. Dieses Weingut startete durch. Hoher Alkohol, viel Botrytis und Restzucker? Das störte weder mich noch viele andere Anhänger der Busch-Weine angesichts dieser unerhörten Aromatik und auch der neuen Wege bei der Wein-Produktion, die Clemens Busch sehr eindrucksvoll und überzeugend verkörpert.
Und heute? Alles hin, ab in den Ausguss damit! Und nur am Rande: So eindrucksvoll Buschs 2015er GG’s sind, nie würde ich sie kaufen, denn ihre Lager- und Entwicklungsfähigkeit würde ich anzweifeln
Oder das Weingut Heymann-Löwenstein, ebenfalls ein Vorreiter der Bio-Dyn-Bewegung in Deutschland. Die Weine der Nuller Jahre sind zwar nicht überwiegend hin wie die von Busch, aber mit ihrer hohen Reife, dem Restzucker und deren Botrytis eine echte Herausforderung für Genuss-Trinker. Ob sie sich je harmonisieren? Reinhard Löwenstein hat die richtige Konsequenz gezogen und liest seit dem Jahrgang 2012 die Botrytis wieder konsequent aus, macht seine Weine schlanker und trockener wie zu seinen Anfangszeiten. Und ich hoffe, er schwefelt sie gut. Auch wenn ich weiß, dass lange Maischestandzeiten konservierend wirken, ist mir der Schwefel als Konservierungsmittel verlässlicher. Aber eben auch, weil ich ein bestimmtes Geschmacksbild bei gereiftem Riesling bevorzuge – oxidative Noten (Sherry, matschiger Apfel, Brotkruste u.ä.) mag ich nicht, finde sie sogar fehlerhaft.
So gerne ich einen jungen Spitzenwein von z.B. Peter Jakob Kühn oder Clemens Busch probieren und vielleicht auch trinken würde, so sicher würden sie nie (mehr) den Weg in meinen Weinkeller finden.
Ob der Stil Rheingautypisch ist oder das Terroir wiederspiegelt, das möchte ich allerdings vehement in Frage stellen. Insofern finde ich Markus Vahlefelds Text zum Kühn St. Nikolaus zwar interessant zu lesen, man braucht aber viel Fantasie (oder eine Flasche Kühn), um diese angebliche Symbiose nachzuempfinden. Das, was Markus V. bei einem Kühn St. Nikolaus sieht, nämlich die Transzendenz eines Terroirs durch den Menschen hinweg, erkenne ich im Rheingau bei so einigen Winzern von früher (Eltz, Groenesteyn, Langwerth von Simmern und andere), aber nicht bei Kühn. Der Kühn'sche Doosberg oder St. Nikolaus könnte auch von der Nahe oder aus Rheinhessen kommen, die Aromen von Tee, Kräutern und Erde täuschen m.E. Herkunft eher vor als dass sie das Versprechen der geografischen Erkennbarkeit einlösen. Ich finde die Weine trotzdem großartig, aber mehr so wie Markus V. sie in der Überschrift bezeichnet (Solitär), weniger als die non-plus-ultra Terroirweine.
Noch etwas zur Langlebigkeit der Großen Gewächse: bei Abenden mit älteren Flaschen ist eines immer wieder erkennbar. Diejenigen, die halbwegs verlässlich trockene Rieslinge erzeugen, die sich über 10-15 Jahre verbessern und dann nochmal 10-15 Jahre auf Top-Niveau verweilen, sind eigentlich immer die Gleichen: Emrich-Schönleber, Dönnhoff, Koehler-Ruprecht, Dr. Bürklin-Wolf, Robert Weil, Breuer, Künstler (obwohl ich die Weine nicht besonders mag), auch Knipser (im durchaus speziellen Stil), Keller und Wittmann. Interessanterweise sind das alles solche Winzer, die nicht unbedingt für Schlagzeilen gut sind (Maischestandzeit, Super-Reserve, Amphoren, etc.), sondern einfach verlässlich Top-Qualität abliefern.