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Bordeaux ist nicht gleich Bordeaux
Oft werde ich gefragt: „Welches ist Dein Lieblings-Château?“ Bei dieser Frage zucke ich zusammen: Ist das Weingut gemeint oder der Wein? Zielt die Frage gar auf Ansehen oder Ruhm oder steht der Punkte-Segen im Vordergrund? Denkt man an das Verhältnis Preis-Leistung oder möchte man einen Tipp für eine anstehende Subskription?
Da geht es ganz selten um den Geschmack, viel häufiger um einen Hinweis oder Rat in den Wirrnissen der Bordeauxlogie. Ich kenne kein anderes Weingebiet, über das so heftig diskutiert wird wie das Bordelais. Hände weg - viel zu teuer - kann oder will ich mir nicht leisten, sagen kategorisch die einen. Andere möchten nicht Jahrzehnte warten, bis sie altershalber „den Wein aus einem Schnabel-Gabriel-Glas“ trinken müssen. Und überhaupt: Bordeaux ist überbewertet. Punkt. Es gibt aber auch die andern, die beim Bordeaux ihre höchsten Weingefühle (und –lieben) entwickeln: „Kein Wein der Welt kann einen Bordeaux ersetzten!“
Tatsächlich ist Bordeaux mehr als „nur“ Wein. Bordeaux ist auch Kapital, Geschäft, Gewinn, Spekulation, Prestige, Luxus… aber trotzdem eben doch auch Wein. Und so gebe ich dann ganz ehrlich Antwort: Meine beiden Lieblingsweine sind Beychevelle und Tertre Rôtebeuf; ausgerechnet die Weine von zwei so ganz unterschiedlichen Weingütern. Meist werde ich dann fassungslos angestarrt. Tertre Rôteboeuf, weitgehend ein akzeptierter Spitzen-Wein der „oberen Preisklasse“, der fast immer mehr als 90 Parker-Punkte einstreicht und längst mehr als 100 Franken kostet.
Beychevelle hingegen, ein altes, stolzes Weingut in St-Julien, das Jahr für Jahr so unterschiedliche Weine produziert, dass sie „nie so richtig in die vordere Elite der besten St. Juliens“ vordringen können, aber etwa halb so viel kosten wie der Tertre Rôteboeuf. Wie kommt es, dass ausgerechnet die Weine dieser beiden Châteaux meine Bordeauxlieblinge sind?
Das hat – ich gebe es zu - mit Geschmack wenig zu tun, auch nicht mit der Vorliebe für eine bestimmte Stilistik oder Appellation. Dahinter steckt das Erleben! Beide Châteaux haben mir – zwar unterschiedliche, aber - einmalige Erlebnisse verschafft.
Beychevelle war das allererste Weingut im Bordelais, das ich – damals als Tourist – zufällig auf dem Weg an die Atlantikküste besucht habe. Es war das einzige Châteaux (es gehörte in den 80er Jahren einem japanischen Konzern), das im Haut-Médoc offene Führungen (ohne Voranmeldung, eben für Passanten) angeboten hat. Ich verstand von Weinen noch sehr wenig, von Bordeaux gar nichts. Doch ich war so beeindruckt, dass ich auf dem Château spontan eine Flasche gekauft habe, den Jahrgang 1986, viel zu teuer (etwa das Dreifache des damaligen Ladenpreises). Wie sollte ich auch wissen, dass man auf den Château nur (zu)teure „Souvenirweine“ kaufen kann; in diesem Fall war es zwar ein guter Jahrgang, aber weit und breit der einzige Beychevelle, der die 90 Parker-Punkte erreichte.
Dieser Wein wurde zum Startpunkt meiner Weinleidenschaft, meiner Liebe zum Bordeaux und der Grundstein meines Weinkellers. Schicksalswein, sagt meine Frau, und sie hat recht. Der Wein ist bis heute – jegliches Geschmacksempfinden, jegliche Sensorik ignorierend – mein „Lieblingswein“ geblieben.
Tetre Rôteboeuf hingegen– es war gut 20 Jahre später – besuchte ich mit einer Gruppe von Weinfreaks. Eigentlich ebenso zufällig, denn ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt den eher „exklusiven“ Wein noch nie getrunken. Zwar war mir der eigenwilligen François Mitjaville in der Weinliteratur schon begegnet und ich hatte so manches Kabinettstück von ihm gehört. Persönlich begegnet war ich ihm aber noch nie, auch nicht seinem Wein. Dann das Erlebnis: ich hatte das Gefühl - zum ersten Mal in mehr als 20 intensiven Bordeaux-Erkundungsjahren – trotz unzähliger Besuche - hier einem Winzer zu begegnen, dessen Beziehung zum Wein, dessen Einstellung und Philosophie mich restlos überzeugten. In vielem war er und sein Weingut das pure Gegenteil von all dem, was ich auf den grossen Renommiergütern angetroffen und erlebt habe.
Eigentlich gehe ich sonst den Power-Bordeaux à la Tertre Rôtebeuf aus dem Weg. „Ein meist dicker, reicher Wein mit einer ausufernden Erotik“, bezeichnet ihn René Gabriel. Für mich (geschmacklich) Grund genug, dass ich ihn eigentlich meiden würde. Doch der Wein hat mich unglaublich rasch eingeholt, besser gesagt das Weingut hat mich überzeugt, in seiner Einfachheit, Ehrlichkeit und Einmaligkeit: „Der Tertre-Rôteboeuf lässt sich nur mit sich selbst vergleichen“, meint Gabriel. All meine Grundsätze (Preis, Stilistik, Verfügbarkeit) wurden fortan ignoriert. Nicht einmal der gut gefüllte Bordeaux-Keller konnte mich davon abhalten, Tertre Rôtebeuf zu meinem Lieblingswein zu machen. Dass ich ihn mir nur an besonderen Tagen (Festtagen etc.) leisten kann, leisten will, macht ihn nur noch besser, liebenswerter, überzeugender, einmaliger - Preis, Stilistik und Geschmack zum Trotz.
Herzlich
Sammlerfreak
NB. Ausnahmsweise habe ich zum schönen Thema "Geschmack ist nicht alles" zwei Beiträge geschrieben. Einen auf meiner eigenen Homepage sammlerfreak.ch (Thema: Sehnsuchtsorte) und diesen Beitrag zum Thema Bordeaux, weil ich mich auch an der Diskussion im Weinforum um die Preise von Bordeaux 2015 beteiligt habe.
Oft werde ich gefragt: „Welches ist Dein Lieblings-Château?“ Bei dieser Frage zucke ich zusammen: Ist das Weingut gemeint oder der Wein? Zielt die Frage gar auf Ansehen oder Ruhm oder steht der Punkte-Segen im Vordergrund? Denkt man an das Verhältnis Preis-Leistung oder möchte man einen Tipp für eine anstehende Subskription?
Da geht es ganz selten um den Geschmack, viel häufiger um einen Hinweis oder Rat in den Wirrnissen der Bordeauxlogie. Ich kenne kein anderes Weingebiet, über das so heftig diskutiert wird wie das Bordelais. Hände weg - viel zu teuer - kann oder will ich mir nicht leisten, sagen kategorisch die einen. Andere möchten nicht Jahrzehnte warten, bis sie altershalber „den Wein aus einem Schnabel-Gabriel-Glas“ trinken müssen. Und überhaupt: Bordeaux ist überbewertet. Punkt. Es gibt aber auch die andern, die beim Bordeaux ihre höchsten Weingefühle (und –lieben) entwickeln: „Kein Wein der Welt kann einen Bordeaux ersetzten!“
Tatsächlich ist Bordeaux mehr als „nur“ Wein. Bordeaux ist auch Kapital, Geschäft, Gewinn, Spekulation, Prestige, Luxus… aber trotzdem eben doch auch Wein. Und so gebe ich dann ganz ehrlich Antwort: Meine beiden Lieblingsweine sind Beychevelle und Tertre Rôtebeuf; ausgerechnet die Weine von zwei so ganz unterschiedlichen Weingütern. Meist werde ich dann fassungslos angestarrt. Tertre Rôteboeuf, weitgehend ein akzeptierter Spitzen-Wein der „oberen Preisklasse“, der fast immer mehr als 90 Parker-Punkte einstreicht und längst mehr als 100 Franken kostet.
Beychevelle hingegen, ein altes, stolzes Weingut in St-Julien, das Jahr für Jahr so unterschiedliche Weine produziert, dass sie „nie so richtig in die vordere Elite der besten St. Juliens“ vordringen können, aber etwa halb so viel kosten wie der Tertre Rôteboeuf. Wie kommt es, dass ausgerechnet die Weine dieser beiden Châteaux meine Bordeauxlieblinge sind?
Das hat – ich gebe es zu - mit Geschmack wenig zu tun, auch nicht mit der Vorliebe für eine bestimmte Stilistik oder Appellation. Dahinter steckt das Erleben! Beide Châteaux haben mir – zwar unterschiedliche, aber - einmalige Erlebnisse verschafft.
Beychevelle war das allererste Weingut im Bordelais, das ich – damals als Tourist – zufällig auf dem Weg an die Atlantikküste besucht habe. Es war das einzige Châteaux (es gehörte in den 80er Jahren einem japanischen Konzern), das im Haut-Médoc offene Führungen (ohne Voranmeldung, eben für Passanten) angeboten hat. Ich verstand von Weinen noch sehr wenig, von Bordeaux gar nichts. Doch ich war so beeindruckt, dass ich auf dem Château spontan eine Flasche gekauft habe, den Jahrgang 1986, viel zu teuer (etwa das Dreifache des damaligen Ladenpreises). Wie sollte ich auch wissen, dass man auf den Château nur (zu)teure „Souvenirweine“ kaufen kann; in diesem Fall war es zwar ein guter Jahrgang, aber weit und breit der einzige Beychevelle, der die 90 Parker-Punkte erreichte.
Dieser Wein wurde zum Startpunkt meiner Weinleidenschaft, meiner Liebe zum Bordeaux und der Grundstein meines Weinkellers. Schicksalswein, sagt meine Frau, und sie hat recht. Der Wein ist bis heute – jegliches Geschmacksempfinden, jegliche Sensorik ignorierend – mein „Lieblingswein“ geblieben.
Tetre Rôteboeuf hingegen– es war gut 20 Jahre später – besuchte ich mit einer Gruppe von Weinfreaks. Eigentlich ebenso zufällig, denn ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt den eher „exklusiven“ Wein noch nie getrunken. Zwar war mir der eigenwilligen François Mitjaville in der Weinliteratur schon begegnet und ich hatte so manches Kabinettstück von ihm gehört. Persönlich begegnet war ich ihm aber noch nie, auch nicht seinem Wein. Dann das Erlebnis: ich hatte das Gefühl - zum ersten Mal in mehr als 20 intensiven Bordeaux-Erkundungsjahren – trotz unzähliger Besuche - hier einem Winzer zu begegnen, dessen Beziehung zum Wein, dessen Einstellung und Philosophie mich restlos überzeugten. In vielem war er und sein Weingut das pure Gegenteil von all dem, was ich auf den grossen Renommiergütern angetroffen und erlebt habe.
Eigentlich gehe ich sonst den Power-Bordeaux à la Tertre Rôtebeuf aus dem Weg. „Ein meist dicker, reicher Wein mit einer ausufernden Erotik“, bezeichnet ihn René Gabriel. Für mich (geschmacklich) Grund genug, dass ich ihn eigentlich meiden würde. Doch der Wein hat mich unglaublich rasch eingeholt, besser gesagt das Weingut hat mich überzeugt, in seiner Einfachheit, Ehrlichkeit und Einmaligkeit: „Der Tertre-Rôteboeuf lässt sich nur mit sich selbst vergleichen“, meint Gabriel. All meine Grundsätze (Preis, Stilistik, Verfügbarkeit) wurden fortan ignoriert. Nicht einmal der gut gefüllte Bordeaux-Keller konnte mich davon abhalten, Tertre Rôtebeuf zu meinem Lieblingswein zu machen. Dass ich ihn mir nur an besonderen Tagen (Festtagen etc.) leisten kann, leisten will, macht ihn nur noch besser, liebenswerter, überzeugender, einmaliger - Preis, Stilistik und Geschmack zum Trotz.
Herzlich
Sammlerfreak
NB. Ausnahmsweise habe ich zum schönen Thema "Geschmack ist nicht alles" zwei Beiträge geschrieben. Einen auf meiner eigenen Homepage sammlerfreak.ch (Thema: Sehnsuchtsorte) und diesen Beitrag zum Thema Bordeaux, weil ich mich auch an der Diskussion im Weinforum um die Preise von Bordeaux 2015 beteiligt habe.