Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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octopussy
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von octopussy »

weingeist hat geschrieben: Es bringt also meines erachtens nichts, wenn ich die Trauben früher lese (womöglich vor der physiologischen Reife), nur um eine geringere Gradation im Lesegut zu haben.
Ich bin mir da nicht so sicher. Die physiologische Reife wird ja mittlerweile allgemein als Grundvoraussetzung für gute Weine angesehen. Es mag auch sein, dass es in vielen Fällen von Vorteil ist, wenn die Trauben so ausgereift sind, dass sie in ihrer ursprünglichen Form gut schmecken. Andererseits gibt es so viele verschiedene Traubensorten mit unterschiedlichem Alkoholpotenzial, natürlicher Süße, natürlicher Säure. Und es gibt viele verschiedene Arten und Stilistiken von Wein. Deshalb mag ich an das "One size fits all" Prinzip einer physiologischen Reife der Trauben als conditio sine qua non für guten Wein einfach nicht glauben.
Beste Grüße, Stephan
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UlliB
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von UlliB »

octopussy hat geschrieben:
weingeist hat geschrieben: Es bringt also meines erachtens nichts, wenn ich die Trauben früher lese (womöglich vor der physiologischen Reife), nur um eine geringere Gradation im Lesegut zu haben.
Ich bin mir da nicht so sicher. Die physiologische Reife wird ja mittlerweile allgemein als Grundvoraussetzung für gute Weine angesehen. Es mag auch sein, dass es in vielen Fällen von Vorteil ist, wenn die Trauben so ausgereift sind, dass sie in ihrer ursprünglichen Form gut schmecken. Andererseits gibt es so viele verschiedene Traubensorten mit unterschiedlichem Alkoholpotenzial, natürlicher Süße, natürlicher Säure. Und es gibt viele verschiedene Arten und Stilistiken von Wein. Deshalb mag ich an das "One size fits all" Prinzip einer physiologischen Reife der Trauben als conditio sine qua non für guten Wein einfach nicht glauben.
Offensichtlich ist es unvermeidlich, dass praktisch jeder Thread irgendwann einmal OT wird; manchmal gelingt es ja auch, ihn später wieder auf die Spur zurückzuziehen. Und einen neuen Thread für das aufgekommene Thema aufzumachen, bringt erfahrungsgemäß gar nichts: dann verstummt die Diskussion sofort, die ansonsten im falschen Thread munter weitergelaufen wäre... :D

Also jetzt: physiologische Reife im VDP-Lagenklassifikationsthread.

Was ich bislang zu diesem Thema gelesen habe, hinterlässt bei mir den Eindruck, dass es sich bei "physiologischer Reife" um etwas weitgehend Undefiniertes und vor allem streng Subjektives handelt. Einige probieren ihre Trauben, um zu beurteilen, ob sie nun reif sind oder nicht - wobei es wohl ganz erhebliche individuelle Unterschiede in der Einschätzung geben dürfte, was noch nicht reif oder eben schon reif ist oder gar an der Grenze zur Überreife angekommen ist. Andere ziehen weitere Parameter heran oder benutzen diese ausschließlich, z.B. die Farbe der Traubenkerne oder die Frage, ob und wie sich das Fruchtfleisch von den Kernen löst. Rotweinwinzer, die mit Teilentrappung bzw. ohne Entrappung arbeiten - eine sich rapide ausbreitende Mode - beurteilen zusätzlich die Reife des Stielgerüstes. Und Hightecbetriebe schmeißen ihre Analysenapparate an, um den Polymerisationsgrad einzelner Tanninkomponenten zu bestimmen; dabei gibt es wohl auch da keine allgemein anerkannten Grenzwerte, ab denen man eine Traube als "physiologisch reif" ansieht. Was nun "physiologisch reif" ist oder was nicht, liegt weitgehend in der persönlichen Einschätzung des Winzers.

Davon abgesehen, würde ich mich der Argumentation von Stephan anschließen: was für A richtig ist, muss es noch lange nicht für B sein. Bis in die zweite Hälfte der 80er wurden an der Mosel in den meisten Jahren Rieslingtrauben geerntet, die nach heutigen Kriterien völlig unreif waren: da fehlte es nicht nur Zuckerreife, sondern mit Sicherheit auch an aromatischer bzw. physiologischer Reife, selbst wenn man den Begriff auf Grund seiner Subjektivität sehr weit fasst. Dennoch: viele der aus diesen Trauben hergestellten Weine schmeckten sehr gut, und manche tun das auch heute noch - mehr als 25 Jahre später; und das trifft durchaus auch für einige Weine aus kleineren Jahren zu, die damals so "klein" waren, wie man es sich heute kaum noch vorstellen mag.

Wie ich an anderer Stelle schon hinsichtlich der Mengenreduktion gesagt habe: was für Cabernet oder Merlot richtig ist, kann für Riesling falsch sein. Und möglicherweise kann sogar das, was für Riesling an der Mosel richtig ist, für Riesling in der Wachau falsch sein. One size does not fit all.

Gruß
Ulli
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weingeist
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von weingeist »

Hallo Stephan, Hallo Ulli,
UlliB hat geschrieben: Offensichtlich ist es unvermeidlich, dass praktisch jeder Thread irgendwann einmal OT wird; manchmal gelingt es ja auch, ihn später wieder auf die Spur zurückzuziehen. Und einen neuen Thread für das aufgekommene Thema aufzumachen, bringt erfahrungsgemäß gar nichts: dann verstummt die Diskussion sofort, die ansonsten im falschen Thread munter weitergelaufen wäre... :D
ich werde jetzt mal wieder versuchen, auf den Ursprung des Thread zurückzukommen. ;) Nur, ist es nicht auch oft in dienstlichen Besprechungen so, dass man allzu oft, durch den Einwand eines Besprechungsteilnehmers "OT" wird? Wenn man danach, das Thema wieder findet, ist das meiner Ansicht nach ganz in Ordnung, manchmal sogar positiv.

Daher aus meiner Sicht nur noch eine kurze Anmerkung. Ich fand Eure Statements dazu hoch interessant und habe auch nie geschrieben, dass für mich alleine die physiologische Reife der Trauben ein Kriterium darstellt (lediglich die Aussage "früherer Lesezeitpunkt, um weniger Alkohol zu erreichen" hat mich irritiert).

Zur Lagenklassifikation des VDP - als Österreicher, der Eure Diskussion dazu nur am Rande mitverfolgt, ist diese für mich sowieso nicht mehr nachvollziehbar. Wie auch, wenn schon Ihr als "Einheimische" damit Probleme habt bzw. darin Probleme seht. Nur, diese Problematik gibt es leider in allen Bereichen, wenn man glaubt, alte Strukturen vereinfachen zu müssen (immer für den Konsumenten natürlich). Beispiele dazu gibt es auch bei uns genug. Man schafft ein neues Regulativ, was an und für sich gut wäre, nur werden schon zu Beginn Ausnahmebestimmungen geschaffen (und etwas später dann Ausnahmen, von den bereits bestehenden Ausnahmen), da man ja versuchen muss viele Mitglieder, viele Weinstile, viele Lagen , usw. unter einen Hut zu bringen.
Liebe Grüße
weingeist
MichaelWagner
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von MichaelWagner »

Guten Morgen,

na hier ist fleissig diskutiert worden wie ich sehe:)

versuche mal die Fragen in meine Richtung zu beantworten:

VDP: zunächst mal werde ich hier bestimmt keine Namen von Negativ-Beispielen nennen. Macht man einfach nicht. Die Betroffenen wissen ja (hoffentlich) selbst was in Ihren Kellern liegt. Ersatzweise nenne ich einfach 2 Beispiele, die mir über Jahre konstant positiv aufgefallen und somit auch in Erinnerung gebleiben sind: Eymael und Wagner-Stempel - nein, keine Verwandtschaft;)

physiologische Reife: nunja, eine etwas schwammiger Begriff. Ich kenne erhlich gesagt auch keinen Kollegen, der sich ausschliesslich an den Oechsle-Graden orientiert. Selbstverständlich misst man die Säure und probiert die Trauben, schaut sich die Färbung an etcpp.
Aber zum Thema hohe Alkoholgehalte (nur für die, die es stört, alle anderen haben ja kein Problem) Ich denke wenn wir mal ein Mindestmostgewicht für eine Auslese über die Jahre zwischen 90 und 95 Oechsle annehme komme ich beim Alkohol auf Werte zwischen 12,5 und 13% bei trockenen Weinen. Ich denke wir müssen bei diesem Mostgewicht auch nicht groß diskutieren ob die physiologische Reife bei diesen Oechslegraden erreicht ist. Somit ist es durchaus möglich trockene Auslesen mit moderaten Alkoholwerten zu produzieren und man muss tatsächlich nur früher ernten (und ständig kontrollieren, da man bei 1-2 Sonnentagen mehr auch gleich "drüber" ist). Was ich eigentlich sagen wollte, ist: als Winzer hat man die Möglichkeit über den Erntezeitpunkt den Alkoholgehalt zu beeinflussen. Klar, wenn man die Oechsle-WM gewinnen will, dann muss man gerade im trockenen Bereich eben auch entsprechend hohe Alkoholwerte in Kauf nehmen. Der eine mags, der andere nicht.

Lagenklassifikation:
Wenn man so etwas vernünftig machen will, dann kann man nicht mit den Maßstäben der derzeitigen Klassifikation arbeiten, bei denen hektargroße Lagen über einen Kamm geschoren werden. Denn man kann davon ausgehen, dass innerhalb dieser Lagen vielleicht gerade mal 10-20% Top sind und der Rest einfach wie der Zufall es so wollte mal mit hineinklassifiziert wurde.

Daher: Mostgewicht in Verbindung mit zuckerfreiem Extrakt - übrigens ist der freie Extrakt kein schlechter Indikator für die physiologosche Reife und sogar im fertigen Wein messbar.
wenns läuft, dann läufts. Aber bis es läuft, dauerts...
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Gerald
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von Gerald »

Zur Lagenklassifikation des VDP - als Österreicher, der Eure Diskussion dazu nur am Rande mitverfolgt, ist diese für mich sowieso nicht mehr nachvollziehbar.
na ja, bei uns gibt es auch so ein merkwürdiges Modell, nämlich von den "Traditionsweingütern" im Krems- bzw. Kamptal.

http://www.traditionsweingueter.at/lage ... g2010.html

Die öffentliche Wahrnehmung hält sich aber - wenn ich das richtig mitbekommen habe - eher in Grenzen. Und es scheint auch keine Nachahmer gefunden zu haben.

Meiner Meinung nach haben sich die einzelnen Weingüter dabei so geeinigt, dass jeder einen "fairen" Anteil erster und klassifizierter Lagen hat. :D Das kann ja wohl auch nicht Sinn einer Lagenklassifikation sein, ist aber aber - so wie ich die Diskussion über den VDP mitbekommen habe - anscheinend gängige Praxis :o

Grüße,
Gerald
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UlliB
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von UlliB »

Gerald hat geschrieben:Meiner Meinung nach haben sich die einzelnen Weingüter dabei so geeinigt, dass jeder einen "fairen" Anteil erster und klassifizierter Lagen hat. :D Das kann ja wohl auch nicht Sinn einer Lagenklassifikation sein, ist aber aber - so wie ich die Diskussion über den VDP mitbekommen habe - anscheinend gängige Praxis :o
Ja, genau so ist der VDP vorgegangen - jedes Mitglied hat wenigstens eine "Große Lage". Das dient zwar der Befriedung im Verband, aber nicht unbedingt der Glaubwürdigkeit der Klassifikation.

Auch in öffentlich-rechtlichen Klassifikationen gibt es einen ähnlich gelagerten Vorläufer, nämlich die grand crus im Elsass. Jede Weinbaugemeinde dort hat mindestens einen GC. Anders wäre die Klassifikation auch nicht durchsetzbar gewesen.

Dass die Natur bei der Verteilung ihrer Güter weder demokratisch noch gerecht vorgegangen ist, wird dabei ausgeblendet. Und das ist einer der vielen Gründe, warum ich jeden Klassifikationsversuch in den letzten 40 Jahren für ziemlich wertlos halte.

Gruß
Ulli
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von MichaelWagner »

"Dass die Natur bei der Verteilung ihrer Güter weder demokratisch noch gerecht vorgegangen ist, wird dabei ausgeblendet"

danke Ulli - besser kann man es nicht auf den Punkt bringen:)
wenns läuft, dann läufts. Aber bis es läuft, dauerts...
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UlliB
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von UlliB »

Um diesen Thread nach längerer Zeit mal wieder aus der Versenkung zu holen:

Bei einem Urlaub in Baden habe ich erfahren, dass es dort zumindest von einigen VDP-Winzern auch aus dem Jahrgang 2012 noch "trockene Prädikate", d.h. trockene Kabinette und Spätlesen mit Angabe der (z.T. nicht klassifizierten) Lagen geben wird; konkret z.B. von Bercher. Das ganze VDP-typisch mal wieder per Ausnahmegenehmigung. Hintergrund scheint zu sein, dass über die Klassifizierung einer ganzen Reihe von Lagen in die neue Kategorie "Erste Lage" nicht kurzfristig entschieden werden konnte und man wohl vermeiden möchte, den Kunden erst die gewohnte Lagenbezeichnung wegzunehmen, um sie im Folgejahr dann doch wieder auf dem Etikett erscheinen zu lassen. Soweit nachvollziehbar, wobei man sich schon fragt, ob nicht im Vorfeld eigentlich genug Zeit war...

Andere VDP-Regionalverbände waren da schneller. Auf der neuen Preisliste von Wehrheim tauchen die mir bislang unbekannten Birkweiler Lagen "Rosenberg" und "Taschberg" als Erste-Lage-Weine auf, der eine als Chardonnay (!), der andere als Riesling. Preislich sind die Weine mit 23 bzw. 21 Euro pro Flasche ziemlich genau zwischen den Ortsweinen (mit Angabe der Bodenformation) und den GGs des Betriebes positioniert.

Entgegen der Prognose von einigen Kommentatoren weiter oben scheinen doch eine ganze Reihe VDP-Winzer gewillt zu sein, die neue Klassifikationskategorie "Erste Lage" (aka premier cru 8-) ) zu nutzen.

Gruß
Ulli
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Charlie
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von Charlie »

Taschberg ist ein Teil des Kastanienbuschs. Wie passt das zusammen?
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UlliB
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Re: Neue Lagenklassifikation im VDP ?!

Beitrag von UlliB »

Charlie hat geschrieben:Taschberg ist ein Teil des Kastanienbuschs. Wie passt das zusammen?
Hallo Charlie,

ich vermute mal, dass hier der ominöse Fall einer "parzellengenauen Abgrenzung" vorliegt - d.h. nicht der gesamte Kastanienbusch ist Große Lage und damit "GG-fähig", und ein Teil davon ist eben nur Erste Lage. Wehrheim war ja auch einer der ersten, der aus einer einzelnen Lage - eben dem Kastanienbusch - zwei GGs erzeugt hat, nämlich den normalen Kastanienbusch plus den Kastanienbusch "Köppel".

Das ist aber wirklich nur eine Vermutung. Sollte ich irgendwann mal wieder bei Wehrheim vorbeikommen, frage ich nach. Insgesamt sehe ich allerdings meine Vermutung hinsichtlich anarchistischer Tendenzen im VDP bestätigt :D

Gruß
Ulli
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