Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

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Weinzelmännchen
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Weinzelmännchen »

Ich weiß, dass dieses Thema polarisiert! Weine, die in Amphoren vergoren werden, als Experimentalweine zu bezeichnen, zeigt, dass wir alle an die modernen Kellertechniken gewöhnt sind. Für den "modernen Weintrinker" bilden diese Weine schon eine Herausforderung. Wenn sie gut gemacht sind, haben solche Weine für mich persönlich einen ganz besonderen Reiz. Kurz gesagt: die Primäraromen weichen, der langfristige Gesamteindruck des Geschmackes wächst.

Zugegeben, solche Weine sind nichts für ein unkompliziertes Gläschen in fröhlicher Runde. Nach meiner Erfahrung erfordern gerade solche Weine passende Speisen. Dann aber können sie ihre Stärken optimal ausspielen.

Ich mag lieber Amphorenweine aus weissen Rebsorten, weil diese durch die lange Maischestandzeit und den Ausbau in der Amphore vom Geschmacksgefüge wesentlich interessanter sind als rote Amphorenweine. Nachfolgend 2 Tipps, wobei ich bewußt nicht Josko Gravner's Weine nenne, weil sie doch schon sehr bekannt sind.

Vodopivec, Vitovska Amphora, Venezia Giulia IGT, aus Sgonico (Triestiner Karst) - dazu passend zB einen St. Petersfisch aus dem Rohr (am besten auf gradeser Art)

Kabola, Malvazija Amfora, Kvalitetno Vino, aus Momjan (Istrien) - dazu unbedingt Fuzi (Nudeln) mit weissen Trüffeln (aus dem eigenen Restaurant in Kremenje)
http://www.kabola.hr

Solche Weine gehören für mich zum interessantesten, was Wein überhaupt zu bieten hat. Mein Rat: einfach - mit passendem Essen - probieren!! :D

P.S.: Bernhard Ott experimentiert mit einem Grünen Veltliner Amphorenwein (habe ich leider noch nicht verkosten können).

P.P.S.: Vodopivec ist slowenisch und heißt zu deutsch "Wassertrinker" (auch nicht schlecht für einen Weinmacher :lol: )
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Daniel
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Markus Vahlefeld
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Weinzelmännchen hat geschrieben:Weine, die in Amphoren vergoren werden, als Experimentalweine zu bezeichnen, zeigt, dass wir alle an die modernen Kellertechniken gewöhnt sind. Für den "modernen Weintrinker" bilden diese Weine schon eine Herausforderung.
Hi Daniel,

da ich den Begriff Experimentalwein geprägt habe, eine kurze Erklärung. Natürlich haben wir uns an die moderne Kellertechnik gewöhnt. So wie wir uns ans Autofahren gewöhnt haben. Wenn jetzt einer, wie Mozart anno dazumal, mit der Kutsche von Salzburg nach München reisen will, halte ich das für ein EXPERIMENT. Ein netter Versuch, sich mal aus der Gegenwart zu verabschieden und das Empfinden vergangener Zeiten nachzuerleben. Ähnlich sehe ich Weine, die unter Verzicht jeder Kontrollmöglichkeit entstehen.

Und ja, alles ereignet sich in einem Kontext. Die moderne Technik ist unser Gegenwartskontext. Ich sage weder, dass das gut, noch dass das schlecht ist. Mein Bedürfnis, jetzt nur noch mit der Kutsche zu reisen, hält sich aber sehr in Grenzen.

Und noch etwas zum Begriff Herausforderung. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Herausforderung in dem Kontext meint, dass Weine unter Anwendung moderner Kellertechnik KEINE Herausforderung seien. Dem wage ich zu widersprechen. Ist jedoch Herausforderung so ganz leicht masochistisch geprägt - also dass man sich anstrengen muss, um das auszuhalten -, dann, finde ich, passt er schon auf Experimentalweine. Ja, sie eröffnen eine unbekannte Dimension. Aber nein, Sie bringen selten Spass. Sie sind weniger eine Herausforderung als eine Zumutung. Aber bitte nicht missverstehen: manchmal finde ich schon auch gut, den Menschen (oder mir) etwas zuzumuten. Zeugt von Mut und Wille. Ein bisschen Masochist sein, ist ja nicht falsch :oops:

Ungeschwefelte Amphorenweine erinnern mich an vegane Ernährung. Man muss einen verdammt idealistischen Überbau haben, um das "auszuhalten". Sinnliche Freude steht meist nicht im Vordergrund. Damit meine ich: von den ein, zwei veganen Gerichten, die gut schmecken, will ich mich nicht nur ernähren müssen. So auch nicht nur von ungeschwefelten Amphorenweinen.

Die beiden Tipps, die Du gegeben hast, nehme ich wirklich dankbar zur Kenntnis. Keine Ahnung, ob es diese Weine in Deutschland gibt (weisst Du das?). Aber wenn sie mir unterkommen, werde ich Deine Worte beherzigen und sie unvoreingenommen probieren. Danke!
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pivu
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von pivu »

Die Vodopivec' sind tatsächlich großartig, leider nicht ganz billig (40,- aufwärts). Gehört zum jährlichen Pflichtbesuch, wenn ich in der Gegend bin. Die Ott'schen Veltliner aus der Amphore haben mich nicht besonders bewegt, irgendwie zu brav, ganz im Gegenteil zu Sepp Musters 'Erde' aus dem Jahr 2007. Da ist dem Sepp sein wahrscheinlich bester Wein bis dato gelungen, sagt er selbst. 2008 ging's daneben btw ...

Ciao
Peter
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Weinzelmännchen
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Weinzelmännchen »

Hi Markus!

Danke für deine durchaus nachvollziehbaren Erklärungen. Das mit der veganen Ernährung hat mich schon als bekennender Carniphore schon - erschreckend - beeindruckt :lol: .

Ob die beiden Weintipps in Deutschland erhältlich sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Als Freund des Experiments versuche ich - sooft es geht - vor Ort einzukaufen. Generell ist die Gegend um Triest (Umkreis 40 km) vinolgisch äußerst interessant. Für Vor-Ort-Tipps bin ich gerne zu haben!

Wer es nicht ganz so experimentell mag, dem empfehle ich aus dieser Gegend Weine, die im Verfahren der "macerazione lunga" (lange Maischestandzeit) hergestellt werden. Danach kommen sie meist ins kleine Holzfass (ca 1 Jahr) und anschließend in den Stahltank (ca 1 weiteres Jahr). Am besten eignen sich dafür Malvasia und Vitovska. Die Maischestandzeit beträgt hier häufig ca 14 Tage. Die (guten) Weine geben ein sehr komplexes Geschmacksbild ab und haben durchgehend einen sehr langen Abgang. Weil sie eher wie rote hergestellt werden, sollte man sie auch wie jüngere Rotweine temperieren.
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Daniel
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Markus Vahlefeld
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Hi Daniel,

weisst Du, warum die Gegend um Triest und der Karst so viele derartige Weinerzeuger beheimatet? Tradition oder "ich bin Städter und will zurück zur Natur"-Kult?
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pivu
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von pivu »

Hi Markus,
Markus Vahlefeld hat geschrieben:weisst Du, warum die Gegend um Triest und der Karst so viele derartige Weinerzeuger beheimatet? Tradition oder "ich bin Städter und will zurück zur Natur"-Kult?
Das ist ein Nest dort, angefangen hat es mit Edi Kante (heute ist der schon wieder "konservativ") vor vielleicht 20 Jahren, dazu gesellten sich im gleichen Ort (Prepotto / San Pelagio) 3 Gleichgesinnte (Skerk, Lupinc, Zidarich), mit der Grenzöffnung stießen weitere Talente aus Slowenien hinzu (besonders Marko Fon, hinter der Grenze rechts rein). Ich glaub' einfach, dass es sich so ergeben hat, die Triestiner sind sehr weinaffin (neben Kaffee) und stolz auf ihre eigenen "nichtitalienischen" Gewächse. Sie hatten schon immer mit dem Terrano einen anderschmeckenden autochthonen Rotwein, vielleicht suchte man einen ähnlichen USP in weiß, Malvasia oder Glera (= Prosecco) litten unter ihrem Image, und waren vielleicht nicht hochwertig genug, also entdeckte man kurzerhand den Vitovska neu. Neben den Genannten gibt es in der Gegend weitere Kleinstbeteibe, die ähnlich arbeiten. Mit Amphoren aber nur die Vodopivec'.

Ciao
Peter
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Weinzelmännchen
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Weinzelmännchen »

Hi Markus,
Hi Peter!

Eigentlich schon ein Thema für einen neuen Thread :idea: !

Die wirklich guten Winzer der Region sind alles keine Städter mit einem Zurück-zur-Natur-Wahn. Ich glaube, dass ein Edi Kante vor 20 Jahren eine Initialzündung gelegt hat, die von interessierten jungen Winzern aufgegriffen wurde. Nach meiner Meinung ist auch der Focus auf einige wenige Sorten Terrano, Malvasi, Vitvska, Glera) mit ein Grund bzw Ansporn zum Experimentieren um sich von den anderen abzuheben. Dazu kommen noch die sehr schwierigen Anbaubedingungen (Kleinstparzellen) und die spezielle rote Karsterde.

Der von Peter genannte Marko Fon aus Komen (SLO) macht für mich den allerbesten Terran, der so intensiv und terroir-bezogen ist, wie kein zweiter. Er beweist, dass ein großer Rotwein nicht vom Tannin leben muss.
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Daniel
ChezMatze
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von ChezMatze »

Hallo zusammen!

Ja, die Karstweine und wo man sie bekommen kann, das würde mich auch interessieren!

Jetzt aber zurück zum Thread-Thema: Ich war vor einiger Zeit beim WineLab in Berlin dabei, als es um das Thema "Weißwein extrem" ging (oder so ähnlich). Dabei auch ausgesprochene Kenner der Materie wie Holger Schwarz von Viniculture. Vor allem ein Wein, der damals dabei war, hatte mich von seiner prinzipiellen Eignung für "Normal-Weintrinker" überzeugt (also geschmacklich eleganter als Cornelissen, wobei das ja nicht allzu viel heißt):

2006er Vinoterra Kisi von Georg Dakaschwili aus Georgien, zu beziehen seinerzeit über Schuchmann in Dortmund für 22,50 €:

Ein Amphorenwein, vier Monate (!) auf der Maische gelegen, dann ins Holzfass, unfiltriert, ungeschwefelt, aus der autochthonen weißen Rebsorte Kisi, die mir persönlich noch nirgends untergekommen war. Die Nase war wahnsinnig fruchtig, so ungeheuer nach Aprikose, dass ich an die ganzen Zubereitungsgeschichten kaum glauben konnte; geht Amphore, vier Monate Maische und keine Schwefelung so easy? Am Gaumen präsentierte sich der Wein dann wesentlich strenger, leicht tanninig, wen wundert's, deutliche Noten nach Traubenkernen. Ich habe festgestellt, dass man den Wein lange im Mund behalten muss, damit er sich findet, vielleicht langt anständiges Dekantieren auch.

Natürlich weiß man nie genau, ob auch das drin ist, was behauptet wird. Aber für mich war es total verblüffend zu sehen, wie aromatisch sauber und offenbar stabil ein ungeschwefelter Amphorenwein sein kann.

Und das sage ich vor allem deshalb, weil ich jetzt für einen Monat in Paris bin, wo es vor "Vins Naturels"-Bars nur so wimmelt. Meist interessant, teils angenehm, teils völlig verkorkst, teils gemogelt, aber das wäre ja schon wieder ein anderes Thema ;)

Mein erster Post in Eurem Forum, ich hab mich gerade angemeldet und schon unheimlich viel Interessantes gefunden! Da verspricht das neue Jahr ja nicht langweilig zu werden.

Grüße, Matze
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Weinzelmännchen
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Weinzelmännchen »

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Und noch etwas zum Begriff Herausforderung. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Herausforderung in dem Kontext meint, dass Weine unter Anwendung moderner Kellertechnik KEINE Herausforderung seien. Dem wage ich zu widersprechen. Ist jedoch Herausforderung so ganz leicht masochistisch geprägt - also dass man sich anstrengen muss, um das auszuhalten -, dann, finde ich, passt er schon auf Experimentalweine.
Hallo Markus!

Ich habe mich in den letzten Tagen einer solchen Herausforderung gestellt. Wieder ein Wein aus der "Experimentalgegend":

Ribolla Gialla 2004 IGT Venezia Giulia von Damijan Podversic aus Görz

Über 60 Tage Maischestandzeit, vier Jahre ausgebaut im großen Holzfass, kaum Schwefelzugabe. 13% VOL.

Farbe kräftiges Bernstein, recht klar. Nase sehr oxidativ mit einem kleinen Essigstich. Am Gaumen wieder der bereits von der Nase angekündigte Eindruck, bitterlich, salzig, Erinnerung an den Trinkessig von Gegenbauer ("Edelsauer PX").

An den nächsten Tagen mehrfache, aber gescheiterte Versuche einer Nachverkostung. Durch verkostungsbedingten Würgreiz, musste ich immer wieder abbrechen. Einfach ein Wein, der KEINEN Spass macht :evil: . Vielleicht bin ich ein Banause, daher o.W..

Für mich ganz klar ein Experiment, das richtig in die Hose gegangen ist.

P.S.: Der Jahrgang 2001 hatte bei Parker 93 Punkte.

P.P.S.: Vielleicht war der Wein auch nur einfach kaputt und nur ich habe es nicht bemerkt? Die Farbe war aber klar und beinahe brilliant, auch hat er sich über die Tage nur kaum verändert, sodass ich nicht davon ausgehe.
MvG
(Mit vinophilen Grüssen)

Daniel
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Markus Vahlefeld
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Re: Experimentalweine: aus Amphoren, ungeschwefelt etc.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Moin Daniel,

klingt ja fürchterlich :shock:

Das mit der schlechten Flasche ist ja auch bei "Experimentalwinzern" nicht ausgeschlossen (nicht dass hier gedacht wird, ich würde Experimente unisono ablehnen und mich über jeden Würgeeindruck freuen...). Kannst Du denn was zu dem Winzer/Weingut sagen? 93 ParkerPunkte (ich gehe davon aus, dass sie von Schildknecht kamen?) sind ja schon eine Hausnummer, und ich kenne keinen echten Experimentalwein, der im WA herausragend bewertet wurde. Oder irre ich mich da?
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