Peter Lauer

[Ollie]

Die Rappen sorgen für Hohlräume und erlauben einen schnelleren Ablauf des Mosts, wodurch sie die Kontaktzeit mit Schalen und Kernen reduziert. Bei der Ganztraubenpressung* bleiben die Beeren auch intakt(er), was die Menge an "feinen Trümmerteilchen" reduziert, die dann im solange Most verbleiben, bis sie sedimentiert sind. Je länger das Absetzen dauert, desto mehr Phenole werden extrahiert. Deswegen ist trubarme Trauben- und Mostverarbeitung (Gravitation statt Pumpen usw.) ja der heiffe Scheiff**.

Angeblich erzeugen viele Winzer die "Maischestandzeit" gar nicht durch Einmaischen der Beeren und tatsächlichem Stehenlassen, sondern durch extrem langsame Abpressprogramme ihrer hochmodernen, pneumatischen, horizontalen Keltern. Die Mode zurück zu vertikalen Spindelpressen (die an der Mosel begann?) ist der Tatsache geschuldet, daß moderne Spindelpressen noch sanfter (d.h. trubärmer) arbeiten. Wer also wirklich betont schlanke*** und transparente Weine produzieren möchte, macht GTP mit Spindelpresse. Champagne, etwa. (Und ich wäre nicht überrascht, wenn die Großerzeuger nicht auch noch mit Luft flotieren würden, um den letzten Rest an Phenol aus dem Most zu entfernen.)

*natürlich abhängig von Pressdruck, Scheitern, usw.
**deswegen Lese in kleinen Kisten, um die reifen und deshalb weichen Beeren möglichst intakt zu lassen
*** Böse Zungen behaupten, daß dieser Ansatz zu betont "feinen" trockenen Rieslingen führt, die für GG-Trinker nicht stoffig genug sind

Cheers,
Ollie

[amateur des vins]

Danke, Ollie. Darüber läßt sich nachdenken. Von wievielen Sekunden schnelleren Ablaufens reden wir da? Ich kann glauben, daß die Phenolextraktion bei Schalen schneller als bei Rappen verlaufen könnte, aber das wäre zu prüfen.

Allerdings mag ich nicht so recht daran glauben, daß Rappen inert und ihre Wirkung in der Maische rein physikalisch seien. Es ist ja hinlänglich bekannt, daß sie reichlich Phenole und insbesondere auch Tannine enthalten. Und dieser Umstand wird ja auch, wie gesagt, gezielt eingesetzt, um die Menge an Phenolen zu erhöhen.

Das vorsichtige In-kleine-Kisten-Streicheln der Trauben bei der Lese um die Beeren nicht zu verletzen dient m.W. primär dem Zweck, Oxidation zu vermeiden.

[Ollie]

Doch, doch, der Ablauf verläuft signifikant schneller und ermöglicht deshalb signifikant niedrige Abpressdrücke, was wiederum Trubarmut verbessert.

Ja, Rappen enthalten auch Phenole, aber wir reden hier von reifen Trauben, also gut verholztem Stielgerüst, und die innere Oberfläche von trübem Most ist viel, vie größer als die paar Rappen. Deshalb ist der Nettogewinn signifikant. Sonst würden sie's nicht tun (und hätten's früher schon nicht gemacht).

Tannine sind ja phenolische Verbindungen, also ja. Aber bei Rotwein verschiebt sich damit das Gleichgewicht zwischen den einzelnen Gruppen, insbesondere bzgl. des Aromas (und das ist ja nun Ziel). Zumal hier ja erstens alkoholisch extrahiert wird und zweitens auch beim Abpressen des Tresters die selben Effekte greifen wie oben beschrieben.

Cheers,
Ollie

[amateur des vins]

Wenn das alles so eindeutig ist, wie schaffen es dann manche Winzer, den Phenolgehalt zu erhöhen, obwohl sie die Rappen drinlassen?

[Ollie]

Originalzitat:

(Lauer: durch die relativ windige Lage und die Sonneneinstrahlung gäbe es etwas Trockenstress, dadurch bilde sich eine dickere Beerenschale, die obwohl vorsichtige Ganztraubenpressung zu etwas Phenolik führe)

Die dickere Schale war das Problem, so daß trotz vorsichtiger GTP Phenole in den Most eingebracht wurden. Der Gehalt wurde also nicht erhöht, sondern nur nicht so effektiv gesenkt, weil multidimensionaler Problemraum blablabla.

Aber vielleicht hat mich auch mein Deutsch verlassen.

Cheers,
Ollie

PS: Zanda is in da house. (Ja, offenbar hat mich mein Deutsch verlassen.)

[amateur des vins]

Originalzitat:

(Lauer: durch die relativ windige Lage und die Sonneneinstrahlung gäbe es etwas Trockenstress, dadurch bilde sich eine dickere Beerenschale, die obwohl vorsichtige Ganztraubenpressung zu etwas Phenolik führe)

Die dickere Schale war das Problem, so daß trotz vorsichtiger GTP Phenole in den Most eingebracht wurden. Der Gehalt wurde also nicht erhöht, sondern nur nicht so effektiv gesenkt, weil multidimensionaler Problemraum blablabla.

Aber vielleicht hat mich auch mein Deutsch verlassen.

Ja, so lese ich das auch. Es wird insinuiert, Ganztraubenpressung (zumindest in vorsichtiger Ausführung) wäre ganz toll gegen Phenolik, oder jedenfalls neutral, aber Alas! der böse Trockenstreß und die deswegen bösen dickeren Beerenschalen hätten dann trotzdem doch leider zu etwas Phenolik geführt.

Und das raffe ich eben nicht, weil ich meine, an anderer Stelle (nicht von Lauer) mehrfach gelesen zu haben, Ganztraubenpressung mache man, um mehr Phenolik zu bekommen, nicht weniger.

Für mich liest sich das wie ein Widerspruch, auf dessen Auflösung ich immernoch hoffe.
Oder ich habe es mir falsch gemerkt und keiner hat das so gesagt oder geschrieben. Wäre ja auch eine Auflösung.

[Ollie]

Ganztraubenpressung mache man, um mehr Phenolik zu bekommen, nicht weniger.

Für mich liest sich das wie ein Widerspruch, auf dessen Auflösung ich immernoch hoffe.
Oder ich habe es mir falsch gemerkt und keiner hat das so gesagt oder geschrieben. Wäre ja auch eine Auflösung.

Oha, deine Version habe ich noch nie gehört. Ich würde also auf deinen Auflösungsvorschlag eingehen.

Cheers,
Ollie

[Nora]

Karsten, meiner Ansicht nach meinst du die Maischevergärung bei Rotweinen. Manchmal wird dabei ein Teil der Trauben nicht entrappt und mit den Stielen in die Maische gegeben und dort mitvergärt. Dabei ist das Ziel, die Tanninstruktur zu stärken.

Bei der Ganztraubenpressung, die ja vor der Vergärung passiert, wird dagegen die Gefahr, dass Stiele ausgequetscht werden, gerade verringert.

VG Nora

[UlliB]

Und das raffe ich eben nicht, weil ich meine, an anderer Stelle (nicht von Lauer) mehrfach gelesen zu haben, Ganztraubenpressung mache man, um mehr Phenolik zu bekommen, nicht weniger.

Karsten,

wie schon von Ollie und Nora vermutet: du verwechselst hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte, Ganztraubenpressung einerseits und vinification entière andererseits. Beide unterscheiden sich ganz grundsätzlich im Vorgehen, und die Effekte sind direkt gegensätzlich.

Aber du bist da in bester Gesellschaft: im Mosel-Thread hat ein Winzer auch beide Begriffe verwechselt. Der ist allerdings ein Quereinsteiger und kennt dementsprechend die Fachterminologie nicht.

Gruß
Ulli

[amateur des vins]

Sodele, hab nochmal ein bißchen rumgelesen und reflektiert. Sieht sehr danach aus, als hätte ich wieder mal was durcheinandergebracht.

Fakt ist und bestätigt fand ich, daß auch bei Weißwein und jenseits von Orangewein gelegentlich Maischstand mit dem Ziel eingesetzt wird, Phenol- und ggf. Trubgehalt zu erhöhen. Das hat mit Ganztraubenpressung natürlich gerade nichts zu tun, sondern hat ziemlich genau konträre Ziele. Irgendwann gab's das Thema hier auch schon mal. Keine Ahnung, was genau ich mir da gemerkt zu haben glaubte.

Danke für eure Geduld!

@Ulli: X-post