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Erwartete Mindestlebensdauer

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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amateur des vins

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Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 09:27

Olifant war im Etna-Thread weniger begeistert von einem 2014er Passobianco. In meiner Erwiderung schrieb auch ich zunächst, es sei "ernüchternd", wenn der Wein in diesem Alter bereits über den Zenit wäre; ich hatte ähnliche Erfahrungen gemacht.

Inzwischen habe ich nochmal darüber nachgedacht und frage mich: warum eigentlich? Warum erklären wir es zum Wert an sich, ob ein Wein möglichst lange größtmöglichen Genuß liefert, oder jedenfalls länger als eine gewisse vieljährige Minimaldauer? Anderes Obst und Gemüse heben wir doch auch nicht "ewig" auf, selbst wenn es prozessiert und in Gläser abgefüllt wird, von toten Tieren ganz zu schweigen. Und selbst wenn wir uns auf sogenannte "Genußmittel" beschränken: Wer käme auf die Idee, daß es problematisch sei, wenn Kaffee oder Tee nach 6 Jahren ein wenig abgebaut haben?

Warum also bei Wein?

Ich spekuliere mal: Es gibt eine Untermenge unter den höherwertigen Weinen, die das mitmachen, deren Veränderung über die Zeit häufig sogar als Verbesserung empfunden wird. Und dann extrapolieren wir deren Entwicklungszeit auf alle höherwertigen Weine. Nur haben alle unterschiedliche Lebensspannen. Sicherlich gibt es eine Untergrenze, und sei sie einen Tag lang. Wo setzen wir sie also willkürlich an, und warum?
Besten Gruß, Karsten
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EThC

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 11:30

...zumindest für mich ist die Lebensdauer eines Weines kein originäres Qualitätsmerkmal, allerdings finde ich es spannend, den Reifeverlauf eines Weines in zwei oder drei, manchmal auch mehr Stadien beobachten zu können (sofern's denn einen gibt... :mrgreen: ). Da ist es für mich dann allerdings eher von untergeordneter Bedeutung, ob der Zenit nun nach einem, drei, fünf oder zehn Jahren erreicht wird. Drüber wird's schon schwierig, da ich bei Weinen, die vsl. erst in zwanzig Jahren ihren Höhepunkt erreichen, zu diesem Zeitpunkt mit einer bereits erhöhten Wahrscheinlichkeit die Radieschen schon von unten anschaue.

Es wäre allerdings schön zu wissen, wie die jeweiligen Zeithorizonte der Weine tatsächlich sind, denn es ist nicht gerade spaßig, wenn man sich auf ein Fläschchen freut, das sich dann als schon im Sturzflug befindlich oder gar bereits am Boden zerschellt herausstellt.

Wenn man also einen Wein an sich schon kennt (z.B. aus anderen Jahrgängen) bzw. man entsprechende Trinkfenster von den Weinauguren und / oder Händlern genannt bekommt, der Wein zum Zeitpunkt der Öffnung aber bereits vorzeitig verschieden ist, dann ist das natürlich doof. :cry:

Wenn ich aber zumindest einigermaßen genau weiß, daß ein Wein nur für 3, 5 oder 10 Jahre gemacht ist, dann kann ich mich drauf einstellen und gut is. Auch so ein 3-Jähriger kann dann bei entsprechender Leistung dennoch eine hohe oder höchste Bewertung von mir bekommen, kein Problem.

Aber Langlebigkeit als Selbstzweck? Nö, das muß (für mich) nicht sein...
Viele Grüße
Erich

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amateur des vins

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 11:39

Ich bin da bei Dir, Erich, und es fällt mir umso leichter, da ich eh kein ausgeprägter Altweintrinker bin. Während des Aufbaus eines Kellers hilft eine längere Haltbarkeit natürlich, die guten Phasen nicht zu verpassen. Aber spätestens wenn der Bestand einen quasistationären Zustand angenommen hat - und das dürfte bei vielen von uns hier der Fall sein, spekuliere ich mal - löst sich dieser temporäre Vorteil wieder in Wohlgefallen auf.

Aber denkst Du, daß diese Position von der Mehrheit hier resp. aller Weinnerds geteilt wird?
Besten Gruß, Karsten
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Weinschlürfer

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 11:57

Langlebigkeit ist für vor allem deswegenein Punkt, weil ich einen riesigen Keller habe und manchmal für 2-3 Jahre gar nicht dazu komme einen Wein zu trinken :P Ich habe selten den Impuls einen Wein den ich kaufe bald zu trinken.

Und wenn ein Wein sehr vergriffen ist und ich ihn noch zu einem humanen Preis kaufen will lager ich ihn ein...
Dann wäre es schade, wenn er nach 4,5 Jahren platt wäre...

Am liebsten wäre mir die Weine entwickeln sich seeeeeehr langsam.
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EThC

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 12:06

amateur des vins hat geschrieben:Aber denkst Du, daß diese Position von der Mehrheit hier resp. aller Weinnerds geteilt wird?
...ob Mehrheit oder nicht, vermag ich nicht zu sagen, aber ich denke schon, daß es unter den Nerds auch viele gibt, die zumindest unterschwellig so ein "je länger desto besser" Kriterium in sich herumtragen. Zumindest bei meinen näheren Weinbekannten aus unseren Blindtasting-Runden findet sich diesbezüglich jedoch sicher keine Mehrheit.

Kommt auch ein bißchen drauf an, welche persönlichen Vorlieben man hat, als reiner (Primär-) Fruchtliebhaber sollte man über über die Alterung von Weinen nicht so wahnsinnig viel nachdenken.

Darüber hinaus ergeben sich ja auch grundsätzliche Unterschiede je nach Rebsorte und Art der Vinifizierung, Bordeaux und Trockenbeerenauslese etc. gehen systembedingt halt von Haus aus mit mehr Alterungspotential ins Rennen...
Viele Grüße
Erich

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amateur des vins

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 12:39

Weinschlürfer hat geschrieben:Langlebigkeit ist für vor allem deswegen ein Punkt, weil ich einen riesigen Keller habe und manchmal für 2-3 Jahre gar nicht dazu komme einen Wein zu trinken :P Ich habe selten den Impuls einen Wein den ich kaufe bald zu trinken.

Und wenn ein Wein sehr vergriffen ist und ich ihn noch zu einem humanen Preis kaufen will lager ich ihn ein...
Dann wäre es schade, wenn er nach 4,5 Jahren platt wäre...

Am liebsten wäre mir die Weine entwickeln sich seeeeeehr langsam.
Kann ich verstehen, hat aber mit inhärenter Qualität nichts zu tun. Aber vielleicht hast Du recht und es ist genau das: Die Keller werden zu groß, man kommt mit dem Trinken nicht hinterher, und es wird dem Wein angelastet.

Darüberhinaus gibt es eine physiologische Obergrenze für die Menge Wein, die man im Jahr trinken kann (oder möchte). Wenn Du stets mehr kaufst, als Du trinkst, der Keller also wächst, steigt natürlich auch die Wahrscheinlichkeit dafür, Flaschen zu spät zu öffnen.

Oder anders gesagt: Wenn N die Anzahl der Flaschen in Deinem Keller ist, und Du n Flaschen pro Jahr trinkst (und ersetzt = "quasistationär"), sollte die Flasche N/n Jahre halten. Klar wächst die Erwartung bzw. der Bedarf dann in erster Näherung linear mit der Kellergröße. Aber bei 300 Flaschen/Jahr und nur 6 Jahren Haltbarkeit (Beispiel Passobianco) darf Dein Keller dann immernoch 1800 Flaschen beinhalten.

Und nochmal dazu:
Weinschlürfer hat geschrieben:Ich habe selten den Impuls einen Wein den ich kaufe bald zu trinken.
Hat ein bißchen was von self-fulfilling prophecy in Bezug auf die Fragestellung, oder? Was, wenn der Wein kurz nach der Abfüllung, sagen wir: 1-2 Jahre, am besten und (dennoch) von herausragender Qualität wäre?
Besten Gruß, Karsten
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Taunus Südhang

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 13:02

Ich finde, dieses Thema hat sehr viele Facetten:
- Wertigkeit des Weines und Anlaß (Sommerterrasse vs. Sternemenü)
- Rot oder Weiß ( ja ich weiß, es gibt auch alterungsfähige Weißweine)
- Lagermöglichkeiten
- „Sammelaspekt“
- „Restlaufzeit“ des Besitzers
- evtl. Investitionsaspekte
- Vorlieben für Traubensorten die lange liegen müssen (z.B. Tannat)
- u.v.a.

Wenn ich Wein kaufe, freue ich mich drauf, diesen bald zu trinken und meine Erwartung beim Kauf abgleichen zu können.
Ja, ich habe hochwertige BDX aus den End80ern, aber so viel Zeit bleibt mir nicht mehr um dies weiterzuführen. Deshalb hasse ich auch Verschlussphasen.
Ich gehöre also zu denen, für die 10 Jahre Genußhaltbarkeit okay sind (und bei Weißweinen auch weniger).
Viele Grüße

Thomas
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Weinschlürfer

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 13:08

amateur des vins hat geschrieben:
Und nochmal dazu:
Weinschlürfer hat geschrieben:Ich habe selten den Impuls einen Wein den ich kaufe bald zu trinken.
Hat ein bißchen was von self-fulfilling prophecy in Bezug auf die Fragestellung, oder? Was, wenn der Wein kurz nach der Abfüllung, sagen wir: 1-2 Jahre, am besten und (dennoch) von herausragender Qualität wäre?


Dann würde ich wahrscheinlich nur 1 Flasche kaufen. Niemals 6 Stück.
Denn mich langweilt zu häufiges Trinken des Gleichen.

Daher habe ich auch extrem viele Einzelflaschen im Keller.

-----
Aber der Mensch hat die Intention Hochgenuss oder was Wertvolles zu erhalten.
Oder für spätere Anlässe aufzuheben.

Eine tolle Kirsche, Kastanien ... kann ich jedes Jahr zur Saison neu Kaufen. Ein Auto auch. Tolle Möbel auch.
Einen raren Oltimer schon eher nicht mehr. Den Lieblignswein aus dem besten Jahr ever auch nicht.
Vielleicht kann ich den auch bald nicht mehr bezahlbar bekommen.

Also möchte man sich einen Vorrat anlegen und den möglichst Haltbar machen.Daher auch Magnums :)
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jessesmaria

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 13:20

Ich denke, da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Um mal nur drei zu nennen:

1. Viele der von Kennern besonders geschätzten Weintypen gewinnen tatsächlich enorm durch Lagerung. Beispiel: eine Riesling-Auslese von der Mosel.

2. Da jeder Wein jedes Jahrgangs einzigartig ist, muss man einigermaßen viel von einem Wein kaufen, der einem so gut gefällt, dass man ihn noch öfter im Leben trinken möchte. Beispiel: ein Barbaresco der Produttori von 2016. Die unmittelbar darauffolgenden Jahrgänge sind wohl schlechter, was die Zukunft bringt, ist ungewiss. Ich bin also gut beraten, mir mindestens einen Karton zu gönnen, den ich aber natürlich nicht in kürzester Zeit trinken möchte. Wenn man das regelmäßig macht, sammelt sich automatisch viel Wein an.

3. Würde ich den Wein, den ich kaufe, immer sofort trinken, würde ich ja gar keinen besitzen.
Besitz hat aber durchaus einen Eigenwert, auch wenn sich das ein eher progressiv/linksliberal eingestellter Mensch vielleicht nicht immer eingestehen mag. Ich empfehle dazu folgendes Buch:

https://www.suhrkamp.de/buch/lambert-wi ... 3518586273

Er [Lambert Wiesing] zeigt, dass Luxus keine Eigenschaft von Dingen oder Handlungen sein kann, sondern durch eine private ästhetische Erfahrung entsteht: die Erfahrung des Besitzens von etwas, das zwar einen Zweck erfüllt, sich darin aber nicht erschöpft. Wird das Besitzen einer übertriebenen, überflüssigen oder irrational aufwendigen Sache von einem autonomen Subjekt als die eigensinnige Befreiung aus einer vereinnahmenden Herrschaft des Zweckrationalismus und Effizienzdenkens erlebt, so ist das – Luxus.


Passt das nicht wunderbar auf Wein, der (wie Bernd neulich schrieb) Eskapismus aus unserem effizienzorientierten Alltag erlaubt und durchaus eines der überflüssigsten Dinge ist?
Die Vorstellung, dass sich etwas durch bloßen Besitz auch noch verbessert, ist verführerisch.
Zuletzt geändert von jessesmaria am Di 12. Okt 2021, 14:02, insgesamt 1-mal geändert.
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amateur des vins

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Re: Erwartete Mindestlebensdauer

BeitragDi 12. Okt 2021, 13:30

Daß Wein A von einer Lagerung profitiert, oder Wein B warten muß, weil die Sammelwut wieder mit einem durchgegangen ist, erklärt aber immernoch nicht, warum dann von Wein C bis Z erwartet wird, mindestens x Jahre lang höchstens besser zu werden.
Besten Gruß, Karsten
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