Gerade erst war im Spiegel wieder ein Artikel über Alkoholsucht. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass man nicht erst bei großen Mengen (Rauschtrinken) suchtgefährdet ist, sondern auch bei allzu regelmäßigem Konsum. Der Typus des "Spiegeltrinkers" fällt einem da natürlich ein, der aber wiederum insofern ein Extremfall ist, als er zwar nie über einen gewissen Pegel, aber quasi permanent trinkt.
Wenn den Freunden des Alkohols ins Gewissen geredet wird, kommt nie der Typus zur Sprache, den ich mir jenseits der Alternative von Sucht und Verzicht als unabhängigen "Genusstrinker" idealtypisch so vorstelle: Er trinkt Wein (es könnte auch z. B. Whisky sein, aber bleiben wir mal beim Wein) allein aufgrund seines Genusswerts, der Alkohol ist nur Mittel zum Zweck. Gleich einem Musikliebhaber, der immer möglichst viele neue Stücke kennenlernen möchte, um neue ästhetische Eindrücke zu gewinnen und seinen Horizont zu erweitern, führt die unablässige Neugierde des Genusstrinkers zu einem sehr regelmäßigen Weinkonsum, was ihn in die Nähe des "Spiegeltrinkers" rückt und suchtgefährdet erscheinen lässt. Allerdings trinkt er in der Regel erst am Abend, oder zum Mittagessen, falls passend, allenfalls ein kleines Glas, das er am liebsten gar nicht spürt. Auch ist er körperlich unabhängig und kann problemlos einige Tage pausieren (längere Pausen widerstreben aber seiner hedonistischen Lebenseinstellung). Er liebt den Facettenreichtum des Weins und vergleicht ihn darin anderen Genussmitteln wie etwa Olivenöl, die keine Suchtstoffe enthalten (womöglich hat er in der Tat zu beidem ein ähnliches Verhältnis).
Kurzum: Wein bestimmt seinen Alltag wie Käse oder Schokolade, denn Genuss ist für ihn sinnstiftend. Der Alkohol interessiert ihn nur als Geschmacksträger und nicht an sich. Deshalb greift er auch nicht zum Bier oder Obstler, wenn kein Wein da ist, und trinkt lieber keinen als schlechten Wein.
Kann das überhaupt sein? Oder ist es nur eine trügerische Idealisierung, um einem Dilemma zu entgehen, dem sich nicht entgehen lässt?
Wie würdet ihr euch selbst einordnen? Versucht ihr bewusst, der Suchtgefahr des Alkohols gegenzusteuern?
Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
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Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
Hallo jessesmaria,
so könnte man se gut formulieren.
Der Text könnte eine Beschreibung auf mich sein. Ich bin Weinliebhaber und würde Wein fast jeden Tag trinken wenn kein Alkohol drin wäre.
Es ist spannend jedes Mal eine Flasche auszuwählen und öffnen, es ist Schade dass Wein nicht Alkoholfrei ist, das Alkohol ist leider ein Nachteil des Weines.
Man muss also damit aufpassen, in meinem Fall kann ich vom Alkohol nie süchtig werden, aber doch vom Wein.
Ich habe so gemacht dass ich zu Hause „nie“ Bier, Schnaps, Longdrinks oder Cocktails trinke. Ausnahme ist bei einigen besonderen Feiertagen in Schweden wie Midsommar und Weihnachten, wo Bier und Schnaps (Aquavit) zum typischen Essen gehört.
So dann trinke ich Wein normalerweise drei Mal pro Woche und dann ca. eine 1/2 bis 2/3 Flasche wenn die Flasche auf den Tisch kommt.
so könnte man se gut formulieren.
Der Text könnte eine Beschreibung auf mich sein. Ich bin Weinliebhaber und würde Wein fast jeden Tag trinken wenn kein Alkohol drin wäre.
Es ist spannend jedes Mal eine Flasche auszuwählen und öffnen, es ist Schade dass Wein nicht Alkoholfrei ist, das Alkohol ist leider ein Nachteil des Weines.
Man muss also damit aufpassen, in meinem Fall kann ich vom Alkohol nie süchtig werden, aber doch vom Wein.
Ich habe so gemacht dass ich zu Hause „nie“ Bier, Schnaps, Longdrinks oder Cocktails trinke. Ausnahme ist bei einigen besonderen Feiertagen in Schweden wie Midsommar und Weihnachten, wo Bier und Schnaps (Aquavit) zum typischen Essen gehört.
So dann trinke ich Wein normalerweise drei Mal pro Woche und dann ca. eine 1/2 bis 2/3 Flasche wenn die Flasche auf den Tisch kommt.
Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
vor vielen vielen Jahren bat jemand im Mario-Scheuermann-Forum „talk-about wine“ um Rat: Er habe den Weingenuss als neues Hobby entdeckt und frage sich, wie er seine geschmackliche Bildung verbessern könne. Ein erfahrener Weinkenner gab ihm als wichtigsten Rat diesen: „Lass die Sauferei.“ Damit meinte er nicht eine bestehende Sucht, sondern ein spezifisches Verhalten Glas oder Flasche gegenüber. Der Rat ist mir immer wieder als besonders richtig in den Sinn gekommen.
Es fällt mir eine zweite, nicht weniger tiefsinnige Position ein, die am selben Ort und etwa zur selben Zeit von Markus Vahlefeld formuliert wurde. Er wunderte sich sinngemäß darüber, wie verklemmt und ängstlich Weinfreaks den Rausch betrachteten, der doch zum Wesen des Weins gehöre.
Gruß, Kle
Es fällt mir eine zweite, nicht weniger tiefsinnige Position ein, die am selben Ort und etwa zur selben Zeit von Markus Vahlefeld formuliert wurde. Er wunderte sich sinngemäß darüber, wie verklemmt und ängstlich Weinfreaks den Rausch betrachteten, der doch zum Wesen des Weins gehöre.
Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
Tristram Shandy
Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
Hall,
auch ich trinke Wein ausschließlich um des Geschmacks / Genusses Willen.
Ich wünschte mir schon oft alkoholfreien Wein, der aber wirklich genau so gut schmeckt wie "richtiger" Wein eben.
Und ja: lieber keinen Wein als schlechten Wein.
Andere Alkoholika trinke ich sehr selten und nur dann, wenn ich wirklich Appetit darauf habe.
Und tatsächlich trinke ich Wein in der Regel nur abends; außer es gibt mal ein besonders gutes Mittagessen, dessen Köstlichkeit durch den passenden Wein noch gesteigert wird - dann gibt es auch mal ein Glas Wein dazu - allerdings nur, wenn ich ansonsten an diesem Tag nichts mehr vorhabe, wobei ich einen klaren Kopf brauche oder möchte.
auch ich trinke Wein ausschließlich um des Geschmacks / Genusses Willen.
Ich wünschte mir schon oft alkoholfreien Wein, der aber wirklich genau so gut schmeckt wie "richtiger" Wein eben.
Und ja: lieber keinen Wein als schlechten Wein.
Andere Alkoholika trinke ich sehr selten und nur dann, wenn ich wirklich Appetit darauf habe.
Und tatsächlich trinke ich Wein in der Regel nur abends; außer es gibt mal ein besonders gutes Mittagessen, dessen Köstlichkeit durch den passenden Wein noch gesteigert wird - dann gibt es auch mal ein Glas Wein dazu - allerdings nur, wenn ich ansonsten an diesem Tag nichts mehr vorhabe, wobei ich einen klaren Kopf brauche oder möchte.
Viele Grüße - Allegro
- Lorne Malvo
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Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
Ich trinke meist 4-5x pro Woche. Meist am Abend. Eigentlich nie mehr als 1-2 Gläschen, im Alltag nie mehr als 0,2-0,3L.
Es sei denn, es gibt ein mehrgängiges Menü am Wochenende, Gastro oder gesellige Runden.
Dann kann es ausnahmsweise mal mehr werden.
Diese 2 Gläser stimulieren mich in erster Linie durch die Aromen und Strukturwelt des Weingenusses.
Kann auch ohne Probelem mal 3 Wochen nicht trinken, aber all zu schnell vermisse ich das Erlebnis und den Genuss.
Ich bin aktiver, halbwegs regelmässiger Sportler, aber spüre durch die Dosis meines Konsums keinerlei Leistungsprobleme oder gesundheitliche Einschränkungen.
Es sei denn, es gibt ein mehrgängiges Menü am Wochenende, Gastro oder gesellige Runden.
Dann kann es ausnahmsweise mal mehr werden.
Diese 2 Gläser stimulieren mich in erster Linie durch die Aromen und Strukturwelt des Weingenusses.
Kann auch ohne Probelem mal 3 Wochen nicht trinken, aber all zu schnell vermisse ich das Erlebnis und den Genuss.
Ich bin aktiver, halbwegs regelmässiger Sportler, aber spüre durch die Dosis meines Konsums keinerlei Leistungsprobleme oder gesundheitliche Einschränkungen.
„Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es schön war.“
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Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
So, dann oute ich mich mal:
Ich trinke nicht an allen, aber an sehr vielen Abenden Wein (allerdings außerhalb des Urlaubs nicht tagsüber, sondern nur an den Abenden - und wenn ich alleine trinke, was die Regel darstellt, erst ab 20:00).
Mir geht es dabei fraglos um das sensorische Erlebnis (ansonsten würde ich nicht immer wieder VKNs verfassen), aber mir geht es, wenn ich ehrlich bin, daneben auch um die Wirkung des Alkohols, der die Fantasie anregt und eine gewisse Form des Eskapismus ermöglicht.
Wie heißt es in August Wilhelm Schlegels "Abendlied für die Entfernte", welches Schubert so wunderbar vertont hat:
"Ach, dürften wir mit Träumen nicht
Die Wirklichkeit verweben,
Wie arm an Farbe, Glanz und Licht
Wärst du, oh Menschenleben!"
Herzliche Grüße
Bernd
Ich trinke nicht an allen, aber an sehr vielen Abenden Wein (allerdings außerhalb des Urlaubs nicht tagsüber, sondern nur an den Abenden - und wenn ich alleine trinke, was die Regel darstellt, erst ab 20:00).
Mir geht es dabei fraglos um das sensorische Erlebnis (ansonsten würde ich nicht immer wieder VKNs verfassen), aber mir geht es, wenn ich ehrlich bin, daneben auch um die Wirkung des Alkohols, der die Fantasie anregt und eine gewisse Form des Eskapismus ermöglicht.
Wie heißt es in August Wilhelm Schlegels "Abendlied für die Entfernte", welches Schubert so wunderbar vertont hat:
"Ach, dürften wir mit Träumen nicht
Die Wirklichkeit verweben,
Wie arm an Farbe, Glanz und Licht
Wärst du, oh Menschenleben!"
Ich hatte ja immer wieder größere Probleme mit Markus Vahlefeld, aber in diesem Fall bin ich ganz bei ihm, indem ich das Phänomen Wein nicht völlig auf die Aspekte, welche nur die Optik, den Geruch und den Geschmack betreffen, reduziert sehen kann. Der "dionysische", auf vergleichsweise sanfte Art rauschvermittelnde Aspekt, den Wein besitzt, spielt für mich durchaus auch eine Rolle.Kle hat geschrieben:Es fällt mir eine zweite, nicht weniger tiefsinnige Position ein, die am selben Ort und etwa zur selben Zeit von Markus Vahlefeld formuliert wurde. Er wunderte sich sinngemäß darüber, wie verklemmt und ängstlich Weinfreaks den Rausch betrachteten, der doch zum Wesen des Weins gehöre.
Herzliche Grüße
Bernd
Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
Wunderbar!Bernd Schulz hat geschrieben:
Wie heißt es in August Wilhelm Schlegels "Abendlied für die Entfernte", welches Schubert so wunderbar vertont hat:
"Ach, dürften wir mit Träumen nicht
Die Wirklichkeit verweben,
Wie arm an Farbe, Glanz und Licht
Wärst du, oh Menschenleben!"
Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
Der von mir sehr geschätzte Wolfram Siebeck hat vor längerer Zeit mal gesagt, dass niemand über Wein reden oder gar schreiben würde, wenn der kein Alkohol enthielte.
Das ist sicherlich sehr pointiert formuliert, aber der Übergang zwischen Genuss und Rausch ist fließend und sehr schwer zu bestimmen. Ich habe schon an Verkostungsrunden mit hoch- und höchstwertigen Weinen teilgenommen, die in quasi mönchischer Atmosphäre begonnen hatten (alles schweigt und verkostet konzentriert), nach einer Weile dann eher den Charakter eines mittelalterlichen Gelages annahmen und schließlich in einem regelrechten Besäufnis endeten, bei dem Wein im Preis eines Kleinwagens innerhalb von Minuten weggegurgelt wurde. Alle jeweils Anwesenden waren ältere und sehr erfahrenen Weinkenner...
Seine Funktion als dustlöschendes Getränk, die Wein durchaus mal hatte, ist heute weitgehend verschwunden, Wein ist ein reines Genussmittel geworden. Und die meisten Genussmittel enthalten psychoaktive Stoffe, das gilt für Tabak, Kaffee, Tee, und auch für die oben erwähnte Schokolade, die Stoffe enthält, die direkt auf das Belohnungszentrum wirken. Und eben auch für Wein. Vermutlich würde ohne die psychogenen Effekte nichts von dem allen konsumiert, bitterer Geschmack und auch Alkohol ist etwas, was evolutionär bedingt zunächst einmal abgelehnt wird (an kleinen Kindern mit unverbildetem Geschmack ist das leicht zu beobachten).
Gruß
Ulli
Das ist sicherlich sehr pointiert formuliert, aber der Übergang zwischen Genuss und Rausch ist fließend und sehr schwer zu bestimmen. Ich habe schon an Verkostungsrunden mit hoch- und höchstwertigen Weinen teilgenommen, die in quasi mönchischer Atmosphäre begonnen hatten (alles schweigt und verkostet konzentriert), nach einer Weile dann eher den Charakter eines mittelalterlichen Gelages annahmen und schließlich in einem regelrechten Besäufnis endeten, bei dem Wein im Preis eines Kleinwagens innerhalb von Minuten weggegurgelt wurde. Alle jeweils Anwesenden waren ältere und sehr erfahrenen Weinkenner...
Seine Funktion als dustlöschendes Getränk, die Wein durchaus mal hatte, ist heute weitgehend verschwunden, Wein ist ein reines Genussmittel geworden. Und die meisten Genussmittel enthalten psychoaktive Stoffe, das gilt für Tabak, Kaffee, Tee, und auch für die oben erwähnte Schokolade, die Stoffe enthält, die direkt auf das Belohnungszentrum wirken. Und eben auch für Wein. Vermutlich würde ohne die psychogenen Effekte nichts von dem allen konsumiert, bitterer Geschmack und auch Alkohol ist etwas, was evolutionär bedingt zunächst einmal abgelehnt wird (an kleinen Kindern mit unverbildetem Geschmack ist das leicht zu beobachten).
Gruß
Ulli
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Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
Sicher? https://youtu.be/RkuX1sjsyVcUlliB hat geschrieben:Alkohol ist etwas, was evolutionär bedingt zunächst einmal abgelehnt wird
(Ja, ich weiß, daß sie eigentlich hinter dem Zucker her sind. SCNR)
Besten Gruß, Karsten
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Re: Der unabhängige Genusstrinker – gibt es ihn überhaupt?
...man kann und muß sich das wahrscheinlich auch ein Stück weit schönreden, schließlich spielt da jeder von uns mit dem Feuer. Ich rede mir auch ein, daß meine Sucht in erster Linie darin besteht, ständig neue Aromenkombis zu finden und diese dann genüßlich zu analysieren. Und: ein Rausch ist -zumindest ab einem gewissen Level- für mich in erster Linie unangenehm. Sowohl währenddessen als auch danach. Deshalb sind mir Weine mit 11 Umdrehungen grundsätzlich sympathischer als solche mit 15, auch wenn man letztere im Einzelfall nicht schmecken sollte. Und ich kann ohne Entzugserscheinungen auch über mehrere Tage nur Saft (allerdings g'scheiten) und Wasser trinken. Insofern bilde ich mir ein, daß aktuell noch alles im einigermaßen grünen Bereich ist, auch wenn ich wohl hinsichtlich der konsumierten Alk-Menge über den WHO-Empfehlungen liege (was auch immer die wert sein mögen...)
Viele Grüße
Erich
Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.
https://ec1962.wordpress.com/
Erich
Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.
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