Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilung

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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OsCor
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Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilung

Beitrag von OsCor »

Bei nahezu jeder VKN oder sonstigen Weinbeschreibung wird als erstes die Farbe angegeben. Sie spielt offensichtlich eine nicht geringe Rolle. Bei mir weckt sie, wenn sie sehr kräftig daher kommt, eine gewissen Erwartungshaltung - auch in der Richtung, dass ich bei dunklere Weißweinen vor dem Trinken Geschmacksdichte und, ja, Schwere (intuitiv) erwarte.
Das zum einen; zum anderen habe ich eine Situation, die mich spontan zu der Frage veranlasst hat: Der Schwiegervater meines Sohnes ist blind, trinkt aber gerne „guten” Wein, was sich darin ausdrückt, dass ich gelegentlich ein GG als Geschenk bekomme. Da habe ich mich gefragt, was einem fehlt, wenn man die Farbe nicht sieht.

Gruß
Oswald
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UlliB
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von UlliB »

Wenn man mal bei Weißwein bleibt, gibt es vier Faktoren, die die Farbe beeinflussen:

- die Rebsorte
- der Reifezustand der Trauben
- das Vinifikationsverfahren
- das Alter des Weins

Das ist insgesamt schon eine ziemlich komplexe Gemengelage, und man kann eigentlich nur mit etwas Erfahrung beurteilen, ob sich ein bestimmter Wein in der üblichen Bandbreite (für Rebsorte und Alter) bewegt. Wenn ein Grauburgunder wasserhell daher kommt, ist das zunächst einmal genauso auffällig wie ein zwei Jahre alter Silvaner, der Altgold mit einer Tendenz ins Rotgoldene zeigt. Beides kann etwas bedeuten, muss es aber nicht zwangsläufig.

Der wichtigste Faktor von den oben genannten ist übrigens das Alter: Weißwein wird mit zunehmendem Alter immer dunkler und bewegt sich am Ende seines Lebens ins Bräunliche. Bei Rotwein ist es genau umgekehrt, der wird immer heller, aber auch hier geht es in Richtung braun.

Farbe ist eine Zusatzinformation, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Gruß
Ulli
Judo
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von Judo »

Würde ich auch so unterschreiben. Die Farbe ist nun mal der erste „Kontakt“ mit dem Wein und da werden dann gleich die ersten Erwartungen geweckt (je nachdem ob sorten-/Alters-/genretypisch) oder enttäuscht.

Die Farbe an sich macht in meinen Augen nicht den Genuss, gehört aber zum Gesamtpaket. Ein bisschen ist man da über die Jahre „erzogen“, wer würde schon gerne einen braunen zweijährigen Riesling trinken? Wenn die Auslese golden im Glas schimmert und dann auch Nase und Gaumen dazu passen, ist das ein Erlebnis.
Georg R.
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von Georg R. »

Die Farbe zu beschreiben ist ja gewöhnlich so ne Art Pflichtlektüre bei der Weinbeschreibung... und man denkt nicht weiter darüber nach. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass da im Hinterstübchen doch einige Dinge passieren, die wir so gar nicht wahrnehmen.

Blindverkostungen machen ja bekanntlich demütig, und ich kann mich an einen professionellen Weinverkoster(Namen entfallen) erinnern, der blind einen Weisswein für einen Rotwein gehalten hat.
Ich meine es war der Grauburgunder Jaspis von Ziereisen.
Hätte er den Wein im Glas gesehen, dann hätte er bestimmt keine Sekunde an einen Rotwein gedacht.

Gruss
Georg
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Kle
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von Kle »

Wirklich schön solche frischen Erhellungen aus der Gelegenheit heraus. Ein (Das) Weinforum ist unersetzlich.
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EThC
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von EThC »

Kle hat geschrieben:(Das) Weinforum ist unersetzlich.
Sowieso :!: :D
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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OsCor
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von OsCor »

Mir geht es ja meist um Weißweine. Meine Zusatzfrage: Erweckt eine bestimmte Farbe eine bestimmte Erwartungshaltung?

Gruß
Oswald
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UlliB
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von UlliB »

OsCor hat geschrieben: Erweckt eine bestimmte Farbe eine bestimmte Erwartungshaltung?
Ja, selbstverständlich - aber immer nur im jeweiligen, spezifischen Kontext.

Sieht der Wein so aus, wie er aussehen soll (und da gibt es eben abhängig von den Rahmenbedingungen eine große Bandbreite), erwarte ich, dass er auch so schmeckt.

Wenn da aber irgendetwas nicht stimmt (siehe oben das Beispiel mit dem zweijährigen braunen Riesling) erwarte ich (oder befürchte vielmehr) einen Wein, der Probleme hat. Die Farbe ist dann ein Alarmsignal. Oder zumindest ein Hinweis auf ein bevorstehendes unerwartetes Erlebnis, das auch mal (etwas seltener) positiv sein kann.

Wie Georg völlig richtig geschrieben hat:
Ich kann mir aber gut vorstellen, dass da im Hinterstübchen doch einige Dinge passieren, die wir so gar nicht wahrnehmen.
Das geht blitzschnell, aber prägt ganz klar die Erwartung für das Kommende.

Gruß
Ulli
amateur des vins
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von amateur des vins »

UlliB hat geschrieben:Sieht der Wein so aus, wie er aussehen soll (und da gibt es eben abhängig von den Rahmenbedingungen eine große Bandbreite), erwarte ich, dass er auch so schmeckt.

Wenn da aber irgendetwas nicht stimmt (siehe oben das Beispiel mit dem zweijährigen braunen Riesling) erwarte ich (oder befürchte vielmehr) einen Wein, der Probleme hat. Die Farbe ist dann ein Alarmsignal. Oder zumindest ein Hinweis auf ein bevorstehendes unerwartetes Erlebnis, das auch mal (etwas seltener) positiv sein kann.
Oder anders gesagt: Im wesentlich ein Indiz in puncto Weinfehler, vorrangig Alterung.

Allerdings: Wenn ich den Wein im Glas sehe, muß ich nichts erwarten - die Flasche ist dann ja eh offen, und ich kann probieren und erhalte dadurch deutlich mehr Informationen als aus der Farbe alleine.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB
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Re: Farbe beim (Weiß-)Wein und ihre Rolle bei der Beurteilun

Beitrag von UlliB »

amateur des vins hat geschrieben:Oder anders gesagt: Im wesentlich ein Indiz in puncto Weinfehler, vorrangig Alterung.
Nein, das geht ja auch mal anders herum: der Wein sieht jünger aus, als er seinem Alter gemäß normalerweise sein sollte (das hatte ich gerade am Mittwoch mit einem fünf Jahre alten trockenen Muskateller, der dann auch ganz unerwartet primär daherkam).
Wenn ich den Wein im Glas sehe, muß ich nichts erwarten
Nein, musst Du nicht - aber Du tust es trotzdem, da wette ich.

Hat Dir schonmal jemand einen Dir unbekannten Wein in einem dieser schwarzen Gläser angeboten, die viele Hersteller im Angebot haben, und dann grinsend zugesehen, wie Du verzweifelt versuchst, den Inhalt irgendwie einzuordnen? Hättest Du die Farbe gesehen, wäre die Sache auch bei ansonsten "blinder" Probe ganz wesentlich einfacher...

Gruß
Ulli
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