stollinger hat geschrieben:Wenn ich davon ausgehe, dass eine Lage deshalb außerordentlich ist, weil die Reben einen gut balancierten, moderaten Stress erfahren, dann hätte ich gesagt, dass nun durch die Klimaveränderung immer wieder aus moderatem Stress Überstress wird. Wenn es zu mehr Wetter- und Klimaextrema kommt, wird es weniger Lagen geben, die diese Extrema noch natürlich ausbalancieren können.
Also, dass sich nicht die Lagengüte verschiebt, sondern die Jahre, in denen aus bestimmten Lagen außerordentliche Weine gemacht werden, seltener werden. Das kann ein Winzer durch nachhaltige Weinbaumethoden auffangen, manche Lagen sind mit Sicherheit auch stabiler gegen die Veränderungen. Das würde aber nach meinem Verständnis auch nicht zu einer Verschiebung führen, sondern zu einer Verkleinerung, Eingrenzung der Bereiche aus Top-Lagen, die noch immer für eine optimale Balance sorgen können.
Das mag schon sein, als gesichert oder auch überwiegend wahrscheinlich würde ich diese Entwicklung nicht unbedingt ansehen. Die in einzelnen Regionen als beste Lagen qualifizierten Lagen wurden aus unterschiedlichen Gründen als solche qualifiziert, aber in vielen Fällen hatte es damit zu tun, dass diese Lagen auch in schlechten Jahrgängen (früher eher geprägt durch viel Regen und/oder zu wenig Sonne) halbwegs verlässlich performten. Heute sind die Herausforderungen eher zu wenig Regen und/oder zu viel Sonne.
Daraus abzuleiten, dass heute, morgen oder in 10 Jahren andere Lagen nachhaltig besser sind als die bisher als beste Lagen angesehenen Lagen, greift m.E. gleichwohl zu kurz (diese Schlussfolgerung ziehst du auch nicht, sondern beziehst dich eher auf Verkostungsergebnisse (mit einer begrenzten Auswahl) und bestimmte geologische Eigenschaften von Granitböden). Spezifisch auf das Elsass bezogen spielen m.E. zu viele Faktoren in die Weinqualität mit rein. So sind die großen Grand Cru Lagen ja auch gar nicht geologisch einheitlich. Der Sommerberg beispielsweise hat neben "Turckheimer Granit" im unteren Hangteil auch Kalkmergel im Boden, ist insgesamt aber recht homogen. Der Weinberg ist auch recht "krumm" und wellig, anders als z.B. der Schlossberg, d.h. die Exposition ist weniger einheitlich. Wie alt (und vor allem gesund) die Reben sind, ist zusätzlich entscheidend, daneben die Frage, wie der Oberboden behandelt wird, ob und wie stark entlaubt wird, usw.
Winzer mit größeren Parzellen können in Jahren mit schwierigen Wetterbedingungen einfach besser selektieren. So hat Zind-Humbrecht in 2016 und 2017 (vielleicht auch 2018) zum Beispiel den Riesling Grand Cru Brand nur aus den alten Reben erzeugt, weil die jungen Reben unter Trockenstress litten. Das führte zu einer um mehr als die Hälfte reduzierten Flaschenanzahl. Wer nur eine kleine Parzelle oder nur junge Reben hat, kann nicht entsprechend selektieren, sondern nur komplett auf den Grand Cru verzichten und nicht so tollen Wein nur als AOP Alsace Riesling verkaufen. Das ist für viele Winzer keine attraktive Option, weil sich die Kunden fragen, warum es den Grand Cru in einem Jahr gar nicht gibt.
Was ich sagen will, ist: so spannend ich die geologischen Ausführungen finde, so schwierig sind Schlussfolgerungen daraus, die über längere Zeit hinweg Bestand haben. Es spielen in die Weinqualität einfach so viele Faktoren mit rein, von denen sehr viele ihre Ursache in menschlichem Verhalten haben (Bodenbewirtschaftung, Rebmaterial, Laubmanagement, Erntezeitpunkt, Selektion der Trauben, Eingriffe im Keller, usw.), dass allgemeine Aussagen schwierig sind. Ich will es gar nicht kategorisch abstreiten, dass u.U. bestimmte Lagen mit bestimmten Böden zukünftig unter bestimmten Wetterkonditionen größere Schwierigkeiten haben werden. Aber halbwegs
gesichert erscheint mir das aktuell nicht.
2017er oder 2018er Elsässer Rieslinge habe ich übrigens noch keine getrunken und bislang auch keine gekauft. Tendenziell bin ich bei wärmeren Jahrgängen im Elsass eher zurückhaltend (nicht nur von Granitböden, sondern generell) und mag die Weine eher mit etwas mehr Flaschenreife (wie z.B. einen wunderbaren Josmeyer 2008 Riesling Grand Cru Hengst am vergangenen Wochenende).