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Erstaunliche Kellerleichen: 82, 89, 90

Berichte von Verkostungen mit Weinen aus mehreren Ländern/Regionen (sonst bitte im Länderforum einstellen)
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port_ellen

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Erstaunliche Kellerleichen: 82, 89, 90

BeitragSo 31. Mai 2020, 22:32

am freitag gab es im rahmen der (wein-)familie ein paar restflaschen aus den ersten jahren der wein-sozialisation - von jaques wein-depot und weinland keiler (dortmund).

anfang der 80 ging es bei mir los mit JWD; da gab es ein paar dauerbrenner, die über die jahre immer gelungen, in guten jahren (85, 90, 92) sogar sehr gelungen und dabei günstig waren:

1. fitou, von den vigneros de septimanie, schmales lila-schwarzes etikett mit goldener schrift, wer's noch kennt.
hier der 1990, als experimentelle nostalgie-flasche (12%!!!):
rostrot
leicht süße sauerkirsche mit etwas rosinen und tabak/nelke, nicht oxdiert, kork 3/4 feucht, ging aber raus.
sehr leicht, geschmack wie duft, noch etwas sauerkirsch-fruchtsäure, minimal tannine. schwebt so dahin und weg...
> 30 jahre alt, wirklich gut.

2. faugeres, dom. de fraisse, schwarzes etikett, ebenfalls mit goldener schrift.
hier auch der 90er (12,.5%):
sensationell erhalten, erdbeer-konfitüre im duft und geschmack, aromatisch präsenter als der fitou, aber auch wegschwebend.
der 90er und der 92 waren damals schon wirklich toll, preis so knapp 6 DM.
> in den 90ern zu vielen gelegenheiten getrunken mit sehr charakteristischer aromatik (ich glaube carignan...)

dann 2x weinland keiler, damals in dortmund. inzwischen schon länger von mövenpick vereinnahmt.
dort gab es mal eine 82er bordeaux arrivage probe mit allen namen, dazu wurde ein pirat serviert namens:
1. 1982 st.jean de villecroze, cabernet sauvignon aus der provence, ich meine 16 DM.
der hat damals eine gute figur gemacht und schmeckte gestern nach fast 40 jahren immer noch sehr gut - keine notizen, aber der wäre auch heute noch als bordeaux durchgegangen (graves), keinerlei altersschwäche. hat die erinnerung an die vielen weinland proben wiedergebracht (mit meinem bruder von münster aus getrampt...).

2. 1989 guigal, cote rotie brune et blonde
rostbraune farbe, tolle komplexe nase nach rauchspeck und schwarzen oliven.
dichter, süßer körper, sehr offene syrah aromatik, noch etwas saft und säure mit tannin, daher gute struktur.
etwas kurz, ausgereift, leicht (13%).
> auch ein wein zum sinnieren, nix kompliziertes, einfach schöner weicher nordrhone syrah.

und zu guter letzt die vorletzte buddel:

1989 tronquoy lalande, st estephe aus der subskription.
was für ein wein (und was für ein korken - ganze 5 mm rot) !
süße und reife frucht (rote und v.a. süße schw. johannisbeeren) mit minimal schokoladen-noten. fein, elegant.
vorne wie im duft: reife cassis mit etwas schoko, etwas gewürze (nelken).
dann weich und tief bei präsenter aromatik. sehr samtig, sehr sinnlich, ziemlich lang.
mein schwager meinte: übersee/kalifornisch; da ist was dran wegen der fülle und - trotz der reife - präsenten cassis-frucht.
> deutlich besser, weil fülliger und substanzreicher als der kürzlich probierte 89er meyney. der hält auch noch bis 2029...

fazit: schöne weine und schöne erinnerungen.
JWD war damals eine echte bereicherung, noch bis ende der 90er.
die weine waren preiswert, man konnte probieren und seinen geschmack entwickeln, und es gab immer wieder kulinarische sonderaktionen (käse, pates etc...).

gruss, matthias
Zuletzt geändert von port_ellen am Mo 1. Jun 2020, 10:59, insgesamt 1-mal geändert.
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Sauternes

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Re: Erstaunliche Kellerleichen: 82, 89, 90

BeitragMo 1. Jun 2020, 09:52

Danke für die schönen Impressionen deiner Zeitreise :) .
Das zeigt auch das die Jahresangaben der Genussreife nur als Leitwert dienen können, tatsächlich halten viele Weine deutlich länger durch.

Grüße Heiko
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port_ellen

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Re: Erstaunliche Kellerleichen: 82, 89, 90

BeitragMo 1. Jun 2020, 11:30

genau !
und es erlaubt zumindest die empirische aussage, dass ein (ehemaliger kohlen-) keller, der in der jahresschwankung bei 5 grad im winter und 18 grad im sommer (in heissen sommern auch mal 20) liegt, kein problem ist.

eine andere leiche hat allerdings nicht überlebt: 89er riesling spätlese trocken, birkweiler kastaninenbusch von wehrheim - das war sherry. der stammte aber vermutlich auch noch aus einer zeit, in der wehrheim eher reduktiv ausgebaut hat mit dem ziel von viel frucht in der jugend. er hat das mal auf einer forum vini in münchen (1995 ?) erläutert, dass der beeindruckende jugendliche pfirsich duft v.a. bei reduktiver kaltvergärung entsteht. hält sich aber nicht lange...

gruss, m
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Sauternes

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Re: Erstaunliche Kellerleichen: 82, 89, 90

BeitragMo 1. Jun 2020, 12:38

port_ellen hat geschrieben:und es erlaubt zumindest die empirische aussage, dass ein (ehemaliger kohlen-) keller, der in der jahresschwankung bei 5 grad im winter und 18 grad im sommer (in heissen sommern auch mal 20) liegt, kein problem ist.

Hast du gerade bei mir im Keller nachgesehen :o , genau so ist es bei mir :lol: .

PS: natürlich gibt es auch die nicht so schönen Weine, die nicht so lange halten, normal. Die guten Weine bleiben einem aber lieber im Gedächnis.
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UlliB

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Re: Erstaunliche Kellerleichen: 82, 89, 90

BeitragMo 1. Jun 2020, 16:35

Auch von mir vielen Dank für diese kleine Zeitreise. Ja, vermeintliche Kellerleichen können manchmal erstaunlich lebendig sein, auch wenn sie das von der Papierform betrachtet gar nicht sein dürften. Ich kippe nichts weg, ohne es vorher nicht wenigstens probiert zu haben - da gibt es mitunter wahre Wunder. Vor ein paar Jahren war's mal so mit einem Chiaretto vom Gardasee, ein Urlaubsmitbringsel, das dann versehentlich in einer Mischkiste verschwand und nach 12 Jahren (!) wiedergefunden wurde. Die Farbe war dann zwar nicht mehr rosé, sondern Zwiebelschale, aber der Geschmack war eine hochkomplexe Kombination aus ganz zarter Oxidation mit völlig erhaltener Frucht, eine ziemlich geniale Sache. Leider geht es aber meistens nicht so aus.

Und ja, JWD und Weinland Keiler haben auch für mich eine ganz wesentliche Rolle gespielt. Aus heutiger Sicht ist ja kaum noch nachzuempfinden, wie schwierig es mal war, an wenigstens halbwegs interessante Weine zu kommen, wenn man in Norddeutschland eine Tagesreise entfernt vom nächsten Weinbaugebiet wohnte. JWD kam 1981 an meinen damaligen Wohnort, vorher war man auf den lokalen, eher schlecht sortierten Fachhandel angewiesen und auf das, was im Supermarkt oder Kaufhaus im Regal stand (Karstadt war da allerdings gar nicht so schlecht).

Und Weinland Keiler gebührt ewiger Dank dafür, den Versandhandel mit hochwertigem Wein in Deutschland etabliert zu haben. Das war damals eine echte Pionierleistung.

Gruß
Ulli

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