stollinger hat geschrieben:Für mich kann ich nur sagen, dass die Quantifizierung von Jeff Leve intuitiv alles andere als Normalverteilt auf mich wirkt.
Das ist auch richtig so, denn
Weinqualitaet ist nicht normalverteilt, sondern kann sehr gut durch ein Potenzgesetz mit negativem Exponenten angenaehert werden. (Eventuell ist die Verteilung log-normal, aber ich glaube nicht, dass die Datenqualitaet ausreicht, um die Unterschiede zu quantifizieren. Ich arbeite noch daran.

)
Weinqualitaet ist schwer zu definieren, aber legen wir die Anahme zugrunde, dass die Verteilung der Weinbewertungen (Punkte durch Verkoster) die tatsaechliche Weinqualitaet repliziert. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion fuer die Weinbewertung in Punkten x ist also (angenaehert) von der Form Phi(x) = x^alpha, mit alpha < 0 und abhaengig von Weinregion und -sorte. (Beispiel: Weissweine sind in Deutschland haeufiger gut als Rotweine, und es ist schwieriger, einen guten Rotwein zu machen als einen guten Weissein. Ergo is alpha(rot) groesser (der Exponent negativer) als alpha (weiss), d.h. logarithmisch aufgetragen eine abfallende Gerade ueber den Punkten.
Uebrigens sieht man daran, dass Punktewerte einer logarithmischen Skala folgen.

Was mich ueberhaupt nicht ueberrascht, das tun Sinneseindruecke oberhalb der Wahrnehmungsschwelle und unterhalb der Saturation fast immer. Zumindest soweit mir bekannt. Und so erklaert sich ganz zwanglos die "Drei-Punkte-Regel", wonach ein Wein erst dann deutlich "besser" als ein anderer Wein ist, wenn er drei Punkte mehr hat als jener. Niemand kann zuverlaessig genug 89 von 90 Punkten unterscheiden (allenfalls ist extrem engen Teilmengen an Testweinen), sogar 89-91 ist noch heikel; erst bei 92 Punkten wird die Rangfolge statistisch signifikant.
Weinbewertung ist ein schmutziges Geschaeft, das gegen statistische Realitaeten betrieben wird. Deshalb ist, wie Ulli schon schrieb, nicht der Punktewert, sondern die Verkostungsnotiz im Kontext des Jahrgangs das einzig hilfreiche Werkzeug fuer den Konsumenten, der aber leider selbst wissen muss, wie er die Notiz liest und was er selber an Wein mag. Deswegen kann ich auch 2018 getrost das subsen, was ich schon immer subse - jedenfalls solange die Erzeuger den Wein nicht verhauen haben i.S.v. Ueberreife usw.
Und die Erzeuger scheinen das zu wissen: Der Preis von GPL z.B. wird so gewaehlt werden, dass der Wein innerhalb seiner Ahnenlinie plausibel bleibt. Bei aller Liebe fuer das Weingut, so ist GPL ein sehr, ehm, solider Wein, gut fuer 95 Punkte, aber weit weg von der Bordelaiser Stratosphaere, in die etwa die Superseconds vordringen. Der Wein will auch gar nicht mehr sein, also wird der Preis auch 2018 wohl bei 85(-5+3) Euro liegen (es gibt ja Menge), um noch etwas Fantasie zum momentanen Wiederbeschaffungswert des 2010ers und des 2016ers zu haben.
Weingueter, die gerade einen Uebergang haben, die Ahnenlinie also keine gute Indikation erlaubt, ist die Volatilitaet hoeher. Calon-Ségur und Les Carmes HB scheinen noch Luft zu haben (erste Tranche aber garantiert noch zweistellig IMO, und sei es nur, um mit 99 Euro den Schein zu wahren), wohingegen Canon wohl langsam saturiert und (zumindest 2018) etwas gegen Belair-Monange verliert: Die Qualitaetsdifferenz zu den Vorjahren ist fuer grosse Preisaufschlaege nicht gross genug, wohingegen B-M offenbar nochmal zugelegt hat. Problematisch ist hier der hohe Wiederbschaffungswert etwa des 2016ers, aber B-M drueckt den Preis auf unter 150 Euro fuer den 2018er. Wenn Canon anfaengt zu spinnen, liegt die erste Tranche bei deutlich dreistellig, also 110-130 Euro, und dann beginnt das grosse Rennen. (Welches sowieso beginnt, die Frage ist, zu welchem Preis man den Zuschlag bekommt, genauso wie bei Calon und Carmes.) Klar ist Belair-Monange ohne Glam und Soul, aber am Ende der Lohnfortzahlung im Subskriptionsfall draeuen ja Figeac et al.
Noch ein Wort zu Dame de Montrose. Meyney. Kein Mensch braucht teure Zweitweine. Ist ja schoen, wenn der Wein auf manche Verkoster wirkt wie ein 1989er Montrose (srsly?!), aber wieviel Meyney bekomme ich fuer das Geld? Und wenn's eh nur ums Punktetrinken geht: Castillon, Fronsac. Was da Jeff Leve an Punkten raushaut, macht das ganze fuer mich, na, vielleicht nicht unserioes, aber laesst darauf schliessen, dass er (so wie James Molesworth vom Wine Spectator) Wert auf Aspekte legt, die mir nicht ganz so wichtig sind. Plueschige, schillernde Frucht ist ja ganz sexy, aber Laenge und Komplexitaet ist mir ein hoeheres Gut. Man darf nicht glauben, man bekaeme dort echte 94 Punkte ins Glas - fuer paarundzwanzig Euro. So funktioniert Bordeaux einfach nicht.
So, Mittagspause rum. Weitermachen.
Cheers,
Ollie
Yeah, well, you know, that’s just like, uh, your opinion, man.
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard)