Bordeaux 2017

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stollinger
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von stollinger »

Hi Ollie,

das finde ich sehr interessant.
Ollie hat geschrieben: Deine Annahme koennte tatsaechlich falsch sein, zur Arrivage koennten die Bewertungen nach oben korrigiert werden. Ich glaube, der 2017er wird zur Arrivage durch die Decke gehen, weil er der beste klassische Jahrgang seit, uff, 20+ Jahren wird.
Ich möchte das gar nicht in Frage stellen, aber was sind für dich die Indizien für die Einschätzung?

Grüße, Josef
Matthias Hilse
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Matthias Hilse »

Ollie hat geschrieben: Deine Annahme koennte tatsaechlich falsch sein, zur Arrivage koennten die Bewertungen nach oben korrigiert werden. Ich glaube, der 2017er wird zur Arrivage durch die Decke gehen, weil er der beste klassische Jahrgang seit, uff, 20+ Jahren wird.

Die Frage bei diesem Termingeschaeft ist also: Kaufe ich jetzt 2014 oder erst 2020, nach Vergleich mit dem 2017er, wenn voellige Information hergestellt ist? Zu diesem Stichtag gilt die Preisvergleich zwischen den Jahrgaengen; diese Preisdifferenz preisen die Erzeuger jetzt ein, und sie ist der potentielle Spekulationsgewinn. (Der Gewinn kann auch negativ sein.)

Was kostet denn die jetzt in die Trinkreife kommende 2001er Comtesse? Die 1996er?

Cheers,
Ollie
Ich finde es immer amüsant, dass die Kritik derer, die die Entwicklung des Weins vor der Abfüllung nur sehr marginal, zu bestimmten Terminen, also auch: sehr punktuell, zu Gesicht bekommen, so viel schwerer wiegt als die in der aktuellen Preisfindung explizierte Übersicht der Erzeuger über die Intrinsik der Preisgenese - sprich die Güte der einzelnen Jahrgänge untereinander. Zumindest die Abstufung der Preise in den einzelnen Appellationen (ohne solche Ausnahmen wie Haut Batailley) hat eine hohe Korrellation mit meinen eigenen Verkostungserfahrungen.

Während der Proben hat man es tunlichst vermieden, den Begriff "klassisch" auf den Jahrgang anzuwenden - denn klassisch hat in Bezug auf Bordeaux ja nicht selten die Konnotation "mittelmäßig" (Dilthey wäre hier extrem irritiert); stattdessen ist der Jahrgang als "academical" gesehen worden.

Ollie's Analyse ist brillant, denn es kommt zu dem von ihm Apostrophierten noch hinzu, dass der Jahrgang dort, wo klassisch auch als "hausbacken o.ä." gesehen wird, nicht gekauft wird. Möglicherweise gibt es auf der liv-ex sogar short-Positionen. Auf jeden Fall werden weder die Nachfrage der Kunden noch die Einkäufe der Händler ein besonders ausgeprägtes Vorratsvolumen zustandekommen lassen, so dass relativ schnell die "lender of last resort", und das sind in diesem Fall die Erzeuger, nach Briefseiten gefragt werden müssen, sobald so etwas wie eine Arrivagephantasie entstehen sollte.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
Ollie
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Ollie »

stollinger,

gute Frage, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie nicht befriedigend beantworten kann. Aber irgendwie habe ich so ein Gefuehl, das im Wesentlichen von folgenden Aspekten ruehrt:

1. Die VKN der einschlaegigen Verkoster. Es ist erstaunlich, wie oft "besser als" oder "mindestens genausogut wie 2014" geschrieben wird; gefuehlt oefter wird sogar explizit darauf hingewiesen, dass der 2017er nicht soooo weit hinter dem 15er oder 16er ist; aber irgendwie verhuscht, als ob die Kritiker sind selbst nicht ganz trauten.

2. Denn Kritiker sind genauso voreingenommen wie Konsumenten. Viele haben "Frostjahr" und "doofer Sommer" gehoert und den Jahrgang abgeschrieben. Deswegen die eben genannte Zurueckhaltung, wenn eine Wein ziemlich gut ist, weil die Kritiker glauben, ihre Eindruecke gegen eine (ihre oder des Lesers) Erwartungshaltung abwiegen (und abwiegeln) zu muessen, um Glaubwuerdigkeit herzustellen. Nach den Jubelarien von 2015 (dit Allerschürfste!) und dann - Schockschwerenot - 2016 (noch allerschürfigsta, aber total!) koennte eine psychologische Hemmschwelle erreicht sein. Der Kritikermarkt ist ja ziemlich eng, und in letzter Zeit gab's durchaus tektonische Verwerfungen, die einen vorsichtig werden lassen koennten als Weinschreiber.

3. Ich habe es schon oft geschrieben, und mir haben es auch viele Erzeuger bestaetigt: Das qualitative Niveau sowohl der Weinbergs- als auch der Kellerwirtschaft ist auch in High-End-Regionen wie Bordeaux in den letzten 10 Jahren extrem sprunghaft gestiegen. Das ist einerseits dem sehr viel groesseren Wissen geschuldet, andererseits aber auch den beiden Jahren 2009/10, die halt doch sehr, sehr viel Investitionen ermoeglicht haben. Und 2015/16 haben nochmal deutlich geholfen.

4. Es gibt ja auch im Bordelais die Bewegung "hin zu Finesse", also im Wesentlichen "weg von Parker"; das ist die unausweichliche Konsequenz aus dem Ende der pax robertis - nachdem der Todesstern explodiert ist und der Imperator tot, bricht sich die neue Republik Bahn. Alles ist erlaubt, jeder hat Recht und keiner die Wahrheit gepachtet. Es gibt ja sogar Leute, die natural orange wine gut finden - oder doch zumindest Gleichgesichte in den Resonanzraeumen der sozialen Medien. Wie bei William Goldings Lord of the Flies zerblaettert alles in relativierendem Tribalismus, eine Sau nach der anderen wird durch ein Dorf nach dem anderen getrieben, aber bitteschoen mit der richtigen Gesichtsbemalung, sonst gehoerst du nicht dazu! (Deswegen ja auch die Kritikerschwemme, und deswegen wiederum Troplong-Mondot mit allem zwischen "BÄM!" und "ganz ok".) Und die roaring twenties haben noch nicht mal angefangen.

4. Mein wichtigster Referenzpunkt ist aber der Jahrgang 2014. Ich persoenlich habe den Jahrgang erst zur Arrivage gekauft, nach Verkostung der Weine. Zwar habe ich viele Weine nicht gekauft, aber andere haben, und die Preise sind schon nicht schlecht gestiegen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Verkostungen, bei denen die 2014er verdammt gut abschneiden, und zwar immer mit dem Hinweis auf einen "klassischen" Jahrgang. Es reicht ja, auf cellartracker zu kucken und Quervergleiche mit 2001er und 2004ern, die ich jung nicht im Top-Segment kenne, anzustellen, und man kann 2014 schon unter "Schatz, wir brauchen doch noch etwas Wein" eingruppieren. Wie gesagt, sehr selektiv zwar, aber so ist das halt mit den Geschmaeckern.

5. Falten wir das mit dem allgemeinen Distinktionsmerkmal, bevorzugt Weine mit sehr frischem Profil zu trinken (Burgund! Champagne extra brut! Roter Riesling!), so passt sich Bordeaux an und 2017 - als qualitativ hoechstwertiger Vertreter seit 2001? 1996? - genau ins Beuteschema der Millennials. Das heisst, wenn die erstmal auf den Geschmack gekommen sind, momentan trinken sie ja prozyklisch anything but Bordeaux und posten liebe selfies mit Jura oder Muscadet oder <hier ein obskurer kroatischer Silvanerklon>. Bordeaux ist die Alma Mater, zu der man zurueckkehrt, wenn man der Super-Zweigelts ueberdruessig geworden ist.

6. Wenn nun also 2017 besser ist als 2014, und wenn die Erwartungshaltung nun auf die Bewertungen drueckt, und wenn - wie Matthias Hilse eben schrub - die Erzeuger den allerbesten Ueberblick ueber die relative Rangfolge haben (und fairerweise auch das groesste finanzielle Interesse daran, diese Rangfolge bloss nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen), und wenn ich mir die bisherige Preisgestaltung anschaue (Wiederbeschaffungswerte 2014 modulo Wechselkurse zu den ueblichen Exportmaerkten), ich also das Hilsesche Blogpost mit "Ja, nicht mehr der Kritiker erkennt, sondern der Erzeuger garantiert die Qualitaet!" beantworte - dann, glaube ich, werden wir zur Arrivage eine Ueberraschung erleben. Und dass die Preise deutlich Luft nach oben haben, hat ja sogar die teilweise beeindruckende Preisentwicklung einiger 2015er und 16er gezeigt. Dazu kommt: Die 2017er Kampagne geht ja so schleppend, das hatte niemand fuer moeglich gehalten, wie schleppend eine Kampagne laufen kann. Es gibt ja gefuehlt mehr Beitraege zur Schlappheit der Kampagne als zu Weinen. Der Knoten wird zur Arrivage platzen: FOMO.

Wie eingangs gesagt, ist das alles nicht sehr konkret und ziemlich "g'fuehlig", und vielleicht habe ich ja unrecht. Waere nicht das erste Mal.

Cheers,
Ollie
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Segla
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Segla »

Ollie hat geschrieben:
Segla hat geschrieben:Unter der Annahme 2014 und 2017 sind ähnlich gut, bin ich sicher nicht bereit für den 17er 30% mehr zu bezahlen...
Deine Annahme koennte tatsaechlich falsch sein, zur Arrivage koennten die Bewertungen nach oben korrigiert werden. Ich glaube, der 2017er wird zur Arrivage durch die Decke gehen, weil er der beste klassische Jahrgang seit, uff, 20+ Jahren wird.

Die Frage bei diesem Termingeschaeft ist also: Kaufe ich jetzt 2014 oder erst 2020, nach Vergleich mit dem 2017er, wenn voellige Information hergestellt ist? Zu diesem Stichtag gilt die Preisvergleich zwischen den Jahrgaengen; diese Preisdifferenz preisen die Erzeuger jetzt ein, und sie ist der potentielle Spekulationsgewinn. (Der Gewinn kann auch negativ sein.)

Was kostet denn die jetzt in die Trinkreife kommende 2001er Comtesse? Die 1996er?

Cheers,
Ollie
Klar kann ich falsch liegen. Ich muß mir aber, falls ich jetzt kaufen will eine Taktik und eine Meinung zurecht legen...
Und speziell im Falle der Comtesse um die es mir ja ging, müssen die Bewertungen bei der Arrivage schon deutlich steigen, schon fast Richtung 15/16, da der 14er schon verdammt hoch liegt. Und mein Argument war ja, bei 17 habe ich keinen Druck, da der Keller ja voll mit 2014er ist.
Und nur Nuancen besser reicht mir nicht um 30% mehr zu bezahlen, dafür gab's ja ganz nebenbei 15 und16. Da ich den Wein trinken möchte, interessiert mich momentan der Marktpreise nicht sehr, sondern sehr wohl der Subspreis, den ich bezahlt habe!
Gerne erkenne ich aber an, dass hier einige größeres Insiderwissen haben als ich, und daher das Ganze aus einem völlig anderen Blickwinkel sehen. Daher schätze ich solche Beiträge durchaus!
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maha
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von maha »

Ich habs nicht mehr auf dem Schirm, darf ich fragen was für die Comtesse 2014 und 2015 als Subs Preis aufgerufen wurde?
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Jochen R.
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Jochen R. »

Segla hat geschrieben:...Klar kann ich falsch liegen. Ich muß mir aber, falls ich jetzt kaufen will eine Taktik und eine Meinung zurecht legen...
Und speziell im Falle der Comtesse um die es mir ja ging, ...
Hallo Segla,
darf ich fragen, wie alt du bist? Ich habe die Comtesse auch jahrelang/
regelmäßig gekauft, 2014 für mich aber das letzte Mal, denn weitere
Jahrgänge werde ich (bald 47) in der Genussphase möglicherweise nicht
mehr so richtig erleben - und selbst wenn, muss man auch nicht jede
Preiseskapade mitmachen!

Viele Grüße,
Jochen
"Viele haben eine Meinung, aber keine Ahnung." (Franz Müntefering)
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Jochen R. »

maha hat geschrieben:Ich habs nicht mehr auf dem Schirm, darf ich fragen was für die Comtesse 2014 und 2015 als Subs Preis aufgerufen wurde?
Eintel bei Unger:
2014 ca. 90 EUR vs. ca. 135 EUR in 2015
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maha
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von maha »

Jochen R. hat geschrieben:
maha hat geschrieben:Ich habs nicht mehr auf dem Schirm, darf ich fragen was für die Comtesse 2014 und 2015 als Subs Preis aufgerufen wurde?
Eintel bei Unger:
2014 ca. 90 EUR vs. ca. 135 EUR in 2015

Danke Jochen. D.h. Punkt 3 und 4 scheidet als Subs Grund für die Comtesse dann in 14 und 15 schon mal aus. Denn für den Preis (ungefähr) bekomm ich die Weine auch noch heute. (Zugegeben keine deutsche Quelle, aber für mich zu dem Preis erwerbbar)
Und wenn die Qualität zumindest ungefähr auf dem 15er Niveau liegt, sollte 17 dann ein "no brainer" sein :lol:
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Segla »

Jochen R. hat geschrieben:
Segla hat geschrieben:...Klar kann ich falsch liegen. Ich muß mir aber, falls ich jetzt kaufen will eine Taktik und eine Meinung zurecht legen...
Und speziell im Falle der Comtesse um die es mir ja ging, ...
Hallo Segla,
darf ich fragen, wie alt du bist? Ich habe die Comtesse auch jahrelang/
regelmäßig gekauft, 2014 für mich aber das letzte Mal, denn weitere
Jahrgänge werde ich (bald 47) in der Genussphase möglicherweise nicht
mehr so richtig erleben - und selbst wenn, muss man auch nicht jede
Preiseskapade mitmachen!

Viele Grüße,
Jochen
Hallo Jochen,
jetzt hast du mich erwischt! Ich bin 51! Wie Recht du hast... Ich hatte mir 2014 fest vorgenommen, mein letzter Jahrgang. Dann kam 15, Jahrhundertjahrgang! Den kannst du nicht auslassen, OK, der Letzte! Und dann kam 16, Jahrtausendjahrgang! Der Allerletzte... :D
Ich bin wohl der klassische Lemming der "Bordeauxindustrie", zeigt aber auch, wie das Spiel funktioniert.
Und jetzt kommt 17 der klassischste Jahrgang seit Menschengedenken :shock:
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Jochen R.
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Re: Bordeaux 2017

Beitrag von Jochen R. »

maha hat geschrieben:... D.h. Punkt 3 und 4 scheidet als Subs Grund für die Comtesse dann in 14 und 15 schon mal aus. Denn für den Preis (ungefähr) bekomm ich die Weine auch noch heute. (Zugegeben keine deutsche Quelle, aber für mich zu dem Preis erwerbbar)
Und wenn die Qualität zumindest ungefähr auf dem 15er Niveau liegt, sollte 17 dann ein "no brainer" sein :lol:
Ach Herrje, Wolf erklärt das Bordeaux ...
Jetzt bitte noch eine literarische Abhandlung dazu von Herrn H. ...
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