Ein für meine Begriffe erfreulich kritischer und überdies informativer Bericht von Stephan Reinhardt (Robert Parker) findet sich in der FAZ (
https://www.faz.net/aktuell/stil/essen- ... 44060.html:
Nicht nur hier, sondern auch an Nahe und Mosel schmecken die 2022er aus jenen Weingärten am überzeugendsten, in denen sich die Winzer seit Jahren um den Aufbau einer Humusschicht bemühen, die gleichzeitig auch Erosionsschutz ist.
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Wer seine Reben letzten Sommer nicht entlastet hat, wo es nötig war, erntete vor allem an der Mosel gesund aussehende, aber unreife Trauben mit Mostgewichten, die selbst für einen Kabinett nicht ausgereicht hätten. Statt Säure hatte man dann stressbedingte Bitternoten im Most, die kein Mittel der Welt mehr wegschönen konnte. Sie finden sich daher in zahlreichen GGs des Jahrgangs 2022.
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Wie überhaupt mostschwache Jahrgänge wie 2021 (kalt, nass, sehr spät) und 2022 (das Gegenteil von 2021) die Kategorie „Großes Gewächs“ vor ein Dilemma stellen: Bei der auch über den Preis ausgedrückten Reputation dieser Weine trauen sich nur noch wenige Betriebe, schlanke Lagenweine mit moderaten Alkoholgehalten abzufüllen, die man nicht mit „großartig“ bezeichnen kann, weil eben nicht jeder Jahrgang große Weine hervorbringt, zumindest nicht in jeder Lage und jedem Betrieb.
Wer für Wein viel Geld ausgibt, möchte eben auch PS im Glas, heißt es. Als wäre mehr „Wumms“ ein Ausdruck von Güte. Im Gegensatz zum Prädikatswein darf der Qualitätswein, zu dem auch das „Große Gewächs“ der Prädikatsweingüter zählt, angereichert werden. Dazu fügt man dem Most genau so viel Zucker hinzu, dass sich der von Natur aus nicht erreichte potentielle Alkoholgehalt von beispielsweise elf auf die gewünschten 13 Volumenprozent erhöht. Und schon steht es da, das „Große Gewächs“, das eigentlich keines ist, sondern ein aufgemotztes kleineres aus „Großer Lage“.
Schon bald droht uns eine Schwemme von „Großen Gewächsen“, die nicht mehr nur von VDP-lern, sondern potentiell allen Winzern des Landes in den schon jetzt umkämpften Markt drängen, sofern sie sich an Auflagen halten, um die gerade noch gestritten wird. Will der VDP die Elite sein, muss er sein Konzept überdenken und auch seine Kommunikation.
Denn wer sich Klasse oder auch nur Mächtigkeit mit Zucker anstatt Ausdruck erkauft und bei einer kleinen Ernte jede Traube, egal ob überreif oder unterreif, mit auf die Kelter nehmen will, um das prestigeträchtige GG liefern zu können, wird sich nicht absetzen können von denen, die – zu einem viel niedrigeren Preis – einen weniger nachhaltigen Weinbau betreiben und im Keller ansonsten dasselbe tun. Die Erfüllung eines Markenversprechens („groß“) verträgt sich eben nicht immer mit den Launen der Natur.