Große Gewächse 2015

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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

Beitrag von Markus Vahlefeld »

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RHEINGAU

In den letzten Jahren hat der Rheingau vielfältige Anstrengungen unternommen, um qualitativ wieder an die anderen renommierten Weinanbaugebiete aufzuschließen. Und die Entwicklung war vielversprechend. Die Grossen Gewächse nahmen von der Zahl her etwas ab, was auf ein kritischeres Auswahlverfahren schließen ließ, und die Weine wurden eigenständiger, mutiger und weniger einem geschmacklichen Vorgabenbild an- und eingepasst. Nach Jahren des Dornröschenschlafs kam der schöne Rheingau langsam in Bewegung. Und einer der Protagonisten dieser Veränderungen war und ist zweifelsohne Dirk Würtz.

Dirk Würtz ist inzwischen Betriebsleiter beim prestigeträchtigen Weingut Balthasar Ress aus Hattenheim. Aber das ist nicht seine einzige Aufgabe, der er sich verschrieben hat. Er ist Blogger, Autor, Fernsehgesicht, Einpeitscher, Motivator, Stimmungsmacher und überhaupt ein HansDampf in allen Gassen, die zwischen Hochheim und Rüdesheim den Rheingau durchziehen. Und das ist ein Glück für diese Region. Dem Weingut Ress ist anzurechnen, diesen etwas überbordenden Menschen überhaupt in den Rheingau geholt und ihm eine Spielwiese zur Verfügung gestellt zu haben. Das war mutig. Und vielen anderen ist ebenfalls anzurechnen, die Anstrengungen, die Dirk Würtz verbreitet, auszuhalten und zu fördern. Da fällt einem sofort der VDP-Rheingau-Vorsitzende und Ausnahmewinzer Wilhelm Weil ein, der mit Würtz ein kongeniales Qualitätsteam bildet.

Mit dem Jahrgang 2015 sind die Rheingau-Winzer jedoch nicht so recht zu Rande gekommen. Die schwereren Böden, der Trockenstress und der anschließende Feuchtigkeits- und Fäulnisdruck hat mit dem Jahrgang 2015 nicht die stärksten Weine hervorgebracht. Viele wirken wieder so, wie der Rheingau ehedem war: zusammengefrickelt, hingeschönt, oftmals überreif und alkoholisch mit dann doch prägnanter Säure und auch grünen Aromen, was dann alles zusammen zu einem „Chinarestaurant süß-sauer"-Gesamteindruck führt. Selbst einige der führenden Rheingauwinzer scheinen den idealen Lesezeitpunkt verpasst zu haben. Das ist bedauerlich und diesem dann doch komplizierten Jahrgang geschuldet.

Im Umkehrschluss soll das keinesfalls bedeuten, dass alle Weine aus dem Rheingau nur Mittelmaß wären. Aber mit 60 angestellten Grossen Gewächsen waren die dem Anspruch genügenden Weine zu rar gesät. Dass aber auch in 2015 wirklich Großartiges hätte entstehen können, zeigen dann die Weine vom Weingut Balthasar Ress unter Leitung von eben diesem besagten Dirk Würtz. Zwei Grosse Gewächse nur, aus den Hattenheimer Lagen Nussbrunnen und Wisselbrunnen. Aber die hatten es in sich.

Um die Weine einzuordnen, eine Einschätzung vorweg: wer klassischen Riesling sucht, also eine feine Frucht gepaart mit steinigen und tabakigen Aromen, wird mit den Grossen Gewächsen von Ress nicht glücklich werden. Warum? Weil beide Weine überhaupt keine Lust haben, auch nur ein Quentchen Frucht zu zeigen. Der erste Naseneindruck ist extrem fordernd, es riecht ein wenig nach Brühe und Kanalisation. Das klingt nicht angenehm, fällt aber bei derartigen Proben im Zusammenspiel mit den vielen auf Frucht getrimmten Weinen dann auch besonders auf. Nun ist Auffallen noch kein Garant für Qualität. Was diese Weine so spannend und so besonders macht, ist ihre Lässigkeit, ohne dabei nachlässig zu wirken. Sie verschmähen zu gefallen. Das ist mutig. Aber auch Mut ist noch kein Garant für Qualität. Das Entscheidende ist schließlich, was sich im Mund ereignet. Denn würde hier das Ereignis ausbleiben, hätten die Weine verloren.

Aber es ereignet sich eben Ungeheuerliches. Vor allem das Weingut Balthasar Ress Riesling Grosses Gewächs 2015 Wisselbrunnen packt einen sofort im Mund mit einer Fülle und Reife, mit Präzision und Pikanz, die schlichtweg ein Erlebnis sind. Der ganze Mund beginnt zu vibrieren, kitzelt bis zu den Ohransätzen und der Geschmackseindruck verschwindet dann minutenlang nicht nach dem Herunterschlucken. Mit jedem Grad mehr Temperatur im Glas öffnet sich der Wein und lässt alles vergessen, was Rheingau, was Riesling, was 2015 ist. Denn ein großer Wein bildet nie das Typische ab, sondern immer das Herausragende. So kann eben gerade das Untypische ein verlässlicher Indikator für Größe sein.

Dieser Wein fordert, der Wein packt, er hat phenolische Noten, die gewöhnungsbedürftig sind und er verweigert sich dem Gefallen und dem Schmeicheln. Nach Dutzenden von Weinen, die ihre Berechtigung darin suchen, eben nichts anderes zu machen, als gefallen zu wollen, ist dieser Wein eine Erleichterung. Eine Freude. Eine Schmähung. Er nimmt sein Gegenüber ernst und offenbart sich ohne Schnörkel und ohne das falsche Schielen auf Applaus. Unweigerlich kommt eine der Elegien von Rilke in den Sinn, dass jeder Engel schrecklich ist, weil er gelassen verschmäht, uns zu gefallen (oder so ähnlich).
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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

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NAHE

Waren im Rheingau die Qualitäten noch sehr volatil, so zeigt das Anbaugebiet Nahe mal wieder, wozu geschlossene Winzerleistung in der Lage ist. Insgesamt 27 Grosse Gewächse vom Riesling wurden gezeigt, und jeder Wein war ein Genuss. Es ist mehr als bemerkenswert, dass dieses kleine Anbaugebiet jedes Jahr, wenn es um die flächendeckende Leistungsschau geht, die Nase vorn hat. Wer sich blind den Keller voll machen will, kann zu jedem der Nahe-Rieslinge greifen. Hier scheint der Jahrgang 2015 wirklich großartig geworden zu sein, dem engen und verwunschenen Seitental sei Dank.

Der Altmeister des Rieslings, das Weingut Dönnhoff, brilliert mit insgesamt vier Grossen Gewächsen. Hervorzuheben ist dabei vor allem die Parzelle „Felsentürmchen" aus dem Schlossböckelheimer Felsenberg. Auch dieser Wein legt eine Entspanntheit an den Tag, dass es eine Freude ist. Nicht die vibrierende Frucht steht im Vordergrund, sondern eine feine Kräutrigkeit nach Tabak und Kamille. Das ist schon großes Riesling-Kino.

Auch die Mitstreiter von Dönnhoff, die Emrich-Schönlebers und Schäfer-Fröhlichs und Gut Hermannsbergs präsentieren alle Weltklasseweine. Wie immer fallen die Weine von Tim Schäfer-Fröhlich durch eine sehr expressive Käse-Schwefel-Nase auf. Das muss man mögen, denn auf merkwürdige Weise riechen (von duften sollte man da nicht sprechen) seine Weine dadurch recht ähnlich, fast einheitlich. Woher das kommt? Darüber gibt es der Theorien viele. Die wohl gängigste lautet natürlich: das ist das Terroir. Dass man daran Zweifel haben darf, zeigt der Umstand, dass inzwischen auch die Weine von Gut Herrmannsberg nachgezogen haben und ähnlich riechen. Zufall? Plan? Wie gesagt: man muss es mögen.

Überwindet man den Naseneindruck, so zeigen die Weine im Mund jedoch Herausragendes: sie sind reif, sie haben Druck, sie sind voluminös, ohne zu mächtig zu wirken, sie haben Spiel, sie haben Finesse. All das zusammen lässt die Nase schnell vergessen. Und auch der Nasenstil ist natürlich stetigem Wandel unterworfen. So ist der Riesling aus der Lage Stromberg von den Schäfer-Fröhlich-Weinen der mit der am wenigsten expressiven Nase, was dem Gesamteindruck sehr entgegenkommt.

So ungerecht es ist, einen Einzelwein aus der Schar all der großartigen Weine herauszuheben, so notwendig erscheint es doch, auf die Entwicklung eines Weinguts hinzuweisen, das nun im dritten oder vierten Jahr zur absoluten Spitze aufgeschlossen hat. Natürlich würde ein Weinverkoster niemals zugeben, dass auch Sympathien beim Küren eines Siegerweins dazugehören. Das wäre ja schändlich. Aber die letzte Entscheidung, einen Wein aufs Treppchen zu heben, ist bei all den fast gleich herkulanisch wirkenden Winzerleistungen am Ende doch etwas Geheimnisvolles. Und ein Weingut, das bisher immer leer ausging, war das Schlossgut Diel.

Nun ist Armin Diel eine der bekanntesten und schillerndsten Persönlichkeiten der deutschen Weinszene. Mit seiner Mischung aus Winzer, Weinkritiker und Weinautor hat er oft Argwohn und Protest hervorgerufen. Zuviel Macht, zuviel Einfluss bündelten sich in seinen Händen. Wie gesagt: dass diese Scheu vor einer so prägenden Persönlichkeit, die dabei, das darf man nicht vergessen, so viel für den deutschen Spitzenwein getan hat, in ein Verkostungsresultat einfließt, wird wohl niemand zugeben wollen. Überbordende Sympathie führt dabei zu ähnlichen Verzerrungen wie strikte Ablehnung, also machte man einen Bogen um die Dielschen Weine.

Seit jedoch Caroline Diel das Gesicht des Weinguts geworden ist und auch für den Ausbau der Weine verantwortlich zeichnet, hat sich die Wahrnehmung der Weine rasant verändert. Spätestens mit dem Jahrgang 2012 war hier ein fulminanter Umschwung zu erkennen, der den Weinen erheblich mehr Ausdruck, Mut und Tiefe eingeimpft hat. Das hat sich mit dem Jahrgang 2015 fortgesetzt. Drei Weine mit einem deutlichen Sieger: Schlossgut Diel Riesling Grosses Gewächs 2015 aus dem Dorsheimer Pittermännchen. Schon die Nase erzeugt Spannung und Vorfreude und ist dezent untermalt mit zarten Steinaromen. Im Mund ist das Pittermännchen dann eine kleine Explosion aus Kraft und Finesse, aus Länge und gleichzeitig Zartheit. Frucht- und Steinaromen halten sich perfekt die Waage und entwickeln einen enormen Druck am Gaumen. Hier hat es einer verdient, auf dem Treppchen ganz oben zu stehen. Und das war 2015 an der Nahe nicht leicht, denn die Konkurrenz ist atemberaubend groß.
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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

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RHEINTERRASSE

Von Nord nach Süd, von leicht nach körperreich, von der Nahe nach Rheinhessen, dem größten Weinanbaugebiet Deutschlands. Was da mit den Weinen von der Rheinterrasse - also dem kleinen Hügelland zwischen Nackenheim und Oppenheim - in die Gläser kam, brachte richtig Freude. Vor allem den Winzern vom Roten Hang tat der Neuzugang des Weinguts Schätzel auffallend gut, auch wenn die Schätzelschen Weine noch nicht ganz zu überzeugen wussten. Konkurrenz scheint auf jeden Fall das Geschäft zu beleben und es ist eine deutliche Aufwärtsbewegung, was Eifer und Anspruch angeht, festzustellen.

Über die Rieslinge des Weinguts Kühling-Gillot soll hier nicht weiter geschrieben werden. Sie haben die letzten Jahre derart viele Preise eingeheimst, dass es fast langweilig werden könnte, nochmals darauf hinzuweisen, wie exorbitant ausdrucksstark der ultrarare Rothenberg „wurzelecht" ist oder wie grandios packend der Riesling aus dem Pettenthal sich zeigt. Lassen wir also den primus inter pares beiseite und widmen wir uns dem Weingut Gunderloch, das die letzten Jahre eine wirklich atemberaubende Performance hingelegt und sich zu einem würdigen Herausforderer gemausert hat.

Drei Grosse Gewächse, von denen zwei so herausragend sind, dass die Beschränkung auf einen Wein schwer fällt. Pettenthal oder Rothenberg? Nun ist der Riesling Pettenthal aus dem Hause Gunderloch bereits ein derart großartiger Wein, dass die Wahl locker auf ihn fallen könnte. Er hat alles im Überfluss und zeigt die große Stärke dieser Lage: dem Tonschiefer und der Steilheit abgetrotzte Klarheit. Aber die Wahl fällt trotzdem auf das Weingut Gunderloch Riesling Grosse Gewächs 2015 aus dem Nackenheimer Rothenberg, einfach aus dem Grund, weil die Nase dieses Weins noch einen Tacken animierender, Wasser-im-Mund-zusammenlaufender und druckvoller ausfällt.

Dass der Rote Hang warm ist, strahlen die Weine aus. Aber diesen Überfluss gezügelt zu bekommen, so dass Finesse und Transparenz entstehen, das ist die große Leistung des Rieslings aus dem Rothenberg. Unter dem schönen Schein der warmen Frucht lauert das dunkle Aromenspektrum des Schiefers: Mirabelle, Pfirsich, etwas Quitte im Vordergrund, dazu die Aromen getrockneter Südkräuter und Tabak tief unten als das Geheimnis des Weins. Zum Strahlenden und Klaren gesellt sich etwas Gewitterhaftes, das sich mit etwas mehr Reife zu einem Regenbogen-Erlebnis im Mund verwandeln dürfte. Die Vorfreude ist bereits riesig und das Weingut Gunderloch mit den 2015ern im Olymp der Besten angekommen.
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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

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WONNEGAU

Einige Kilometer weiter südlich im rheinhessischen Wonnegau ist das triumphale Dreigestirn aus Klaus Peter Keller, Philipp Wittmann und Hans-Oliver Spanier beheimatet. Dass das Weingut Keller von seinen fünf Grossen Gewächsen auf der Vorpremiere in Wiesbaden zumindest den aus dem Hubacker dem interessierten Fachpublikum präsentiert, darf man ja schon als Gnade ansehen. Natürlich sind dessen Weine gesucht und rar, aber der VDP sollte sein Premierenkonzept irgendwie dahingehend ausrichten, dass die Präsenz für Weine, die am 1. September in den Handel kommen, auch verpflichtend ist. Dass das Weingut Keller nach Jahren der Totalabstinenz sich diese Arroganz leisten kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Sei's drum. Der Kellersche Hubacker war ein beeindruckender Wein.

Ein ganz anderes Kaliber ist da das Weingut Wittmann. Vier Grosse Gewächse stellt es jedes Jahr an und die Weine sind durch die Bank weg fantastisch. Mit dem Kirchspiel und dem Morstein hätte Wittmann durch das Weingut Keller sogar einen direkten Herausforderer, wenn denn die Weine angestellt würden. Ein Vergleich der Lageninterpretationen scheint jedoch nicht von Interesse zu sein. So stehen die Wittmannschen Weine als Solitäre da und sie sind es mehr als wert, bewundert und angebetet zu werden. Vor allem die Rieslinge aus dem Morstein und dem Brunnenhäuschen zeigen eine so greifbare Dunkelheit und Tiefe, dass diese Kombination mit den hellen und strahlenden Fruchtaromen des Rieslings fast so etwas wie einen ganz eigenen, strahlend schönen Stil erschafft, den Philipp Wittmann jedes Jahr aufs Neue meisterlich umsetzt.

Mit dem Jahrgang 2015 steht jedoch im Wonnegau das Weingut BattenfeldSpanier ganz oben auf dem Treppchen. Sind die Weine von Wittmann durch diese unglaubliche Gegensätzlichkeit des Aromenspektrums geprägt, die fast zu einem geschmacklichen Eindruck von aufgehobener „nothingness" führt, so agieren die Weine von Hans-Oliver Spanier mehr aus einer Mitte heraus. Das Kompakte, das die Weine dadurch prägt, hatte mit dem Jahrgang 2015 ganz leicht die Nase vorn. Und von den drei exzeptionellen Spanierschen Weinen - dem Schwarzen Herrgott, Frauenberg und Kirchenstück - ist 2015 das Jahr des Schwarzen Herrgotts.

BattenfeldSpanier Riesling Grosses Gewächs 2015 Zellerweg am Schwarzen Herrgott - eine Lage, die sich Rheinhessen (Zellerweg) und die Pfalz (Schwarzer Herrgott) teilen, wobei das die Lage bezeichnende schwarze Kreuz aus dem 8. Jahrhundert auf dem heute pfälzischen Teil der Lage steht. Aber nach 1.300 Jahren Irrungen und Wirrungen lässt sich wohl nicht mehr genau abgrenzen, welcher Teil der „historischere" ist.

Wie fast alle großen Lagen im Wonnegau ist auch der Schwarze Herrgott eine Kalklage, d.h. unterhalb der dünnen Humusauflage liegen mächtige Kalkbänke, deren ständige Bewegung dazu führt, das durch die Reibung faustgroße Kalksteine an die Oberfläche gedrückt werden und förmlich aus dem Boden wachsen. Zwischen ihnen stehen die Rieslingreben und ächzen unter der Kargheit des Bodens. Da Kalk die Eigenschaft besitzt, Wasser speichern zu können, ist eine Kalkunterlage vor allem in Jahren mit Trockenstressperioden wie 2015 von enormem Vorteil. Die Wurzeln brechen den weichen Kalk auf und ziehen sich das Wasser aus dem Stein.

Jetzt wäre es natürlich wunderbar einfach zu behaupten, alle Weine vom Kalk schmecken nach Stein. Oder nach Kreide. Oder, um das so wenig aussagekräftige Modewörtchen zu benutzen, so mineralisch. Aber wie schmeckt eigentlich Kalk? Und was bedeutet ein „mineralischer Geschmack"? Verzichten wir auf diese allzu simplifizierenden 1:1 Übersetzungen aus dem Boden in den Wein und fangen wir anders an: der Wein hat eine unglaubliche Tiefe und einen Aromeneinschlag, der ganz zart an Jod und Trüffel erinnert. Gleichzeitig klettert der Wein von diesen eher dunklen Erdaromen über jede Sprosse der nur möglichen Aromenleiter: etwas Speck, etwas Toast, ein Hauch getrocknete Minze, bis er die hellen Aromentöne erreicht: Steinobst, reife Birne und schließlich ein leicht floraler Eintrag nach Jasmin. Dieses Aufgefächertsein und trotzdem in-der-Mitte-Stehen ist ein Erlebnis von Transzendenz, das nur sehr, sehr wenige Weine vermitteln können. Der BattenfeldSpanier Riesling aus dem Schwarzen Herrgott kann es und dafür ist er gar nicht genug zu loben und wertzuschätzen.
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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

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PFALZ

Nach dem Rheingau ist die Pfalz die zweite Region, die mit dem Jahrgang 2015 nicht so gut zurechtkam. Auch die Pfalz präsentiert insgesamt 60 Grosse Gewächse vom Riesling, deren Einheitlichkeit, fast Eintönigkeit überrascht. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass die feuchte Wärmeperiode zur Lesezeit bei den Pfälzer Weingütern zu Hektik geführt hat und viele Trauben in nicht voll durchgereiftem Zustand gelesen wurden. Eine kantige Säure, grüne Aromen, ein karger Körper und ein im ganzen eher hartes Geschmacksbild ließ keine wirkliche Freude aufkommen.

Nun sollte man aber auch nicht den Stab über den Pfälzer Weinen brechen. Zum einen besitzen sie eh die Tendenz, zu dem jetzigen Zeitpunkt verschlossen und unsinnlich zu wirken. Das kann sich im Laufe einer moderaten Reife durchaus noch ändern. Zum anderen fehlten die Weine des Pfälzer Renommierbetriebs Bürklin-Wolf, die, so war zu hören, sich noch in der Gärung befanden. Wenn auch diese Weine abgefüllt sind und mit etwas Flaschenruhe zu probieren sein werden, lässt sich erst ein abschließendes Urteil über die Pfalz 2015 fällen.

Natürlich gab es auch Rieslinge aus der Pfalz, die mit Genuss und Freude zu probieren waren. Die Weine des Weinguts Christmann sind da zu nennen und auch das Weingut Georg Mosbacher hatte mit dem Ungeheuer und dem Kieselberg zwei tolle Weine im Portfolio, die sich durch Reife und Zug auszeichneten. Für einen „Prix d'Excellence" hat es trotzdem nicht gereicht, denn dafür waren die Weine der anderen Regionen einfach zu stark.

BADEN

Ob die beiden Weinanbaugebiete Baden und Württemberg sich mit ihren Grossen Gewächsen vom Riesling wirklich einen Gefallen tun, darüber lässt sich trefflich streiten. Mit dem Jahrgang 2015 wird dies eher nicht der Fall gewesen sein. Lenken wir unseren Blick also weg vom Riesling auf eine Traubensorte, die neben Weiß- und Grauburgunder eher ein Schattendasein fristet: dem Chardonnay. Dazu ein Vergleich: insgesamt wurden in Wiesbaden 43 Grosse Gewächse aus Weiß- und Grauburgunder gezeigt, die allesamt im Vergleich zu den großartigen Rieslingen unambitioniert erschienen. Ihnen zur Seite gestellt waren noch acht Chardonnays, die ebenfalls keinen wirklichen Hang zur eigenen Identität aufwiesen. Mit Ausnahme von zwei Chardonnays und um die soll es gehen.

Als 2014 der „Godfather of Deutscher Burgunder", Bernhard Huber, viel zu früh verstarb, waren die Befürchtungen, die herausragende und völlig einzigartige Qualität der Huberschen Weine könnte jetzt leiden, nicht von der Hand zu weisen. Bernhard Huber war ein Riese und wer könnte schon in seine Fußstapfen treten. Mit dem Jahrgang 2014, der nun in Wiesbaden vorgestellt wurde, kommt der erste Jahrgang auf den Markt, den Bernhard Huber nicht mehr verantworten konnte. Und sowohl die Rotweine wie auch die Weißweine lassen nicht vermuten, dass dort ein erst 26jähriger Spross der Familie am Werk ist. Diese Art des Qualitätskontinuums allein verlangt schon höchsten Respekt.

Man sollte dennoch nicht meinen, allein ein Kontinuum sei bereits ein hinreichender Grund für große Weine. Da muss mehr im Spiel sein. Intuition, Mut, Glück und sicher auch sehr, sehr viel Wille zum Ausdruck, sonst verliert man den Anschluss an das bereits Erreichte. Dass der 26jährige Julian Huber all das und noch viel mehr mitzubringen scheint, beweisen die neuen Weine aus dem Jahrgang 2014.

Zwei Chardonnays präsentiert das Weingut, den einen aus dem Bienenberg und den anderen aus dem Schlossberg. Beide zeichnet eine atemberaubende Finesse und Schlankheit aus, die sich mit einem derart gekonnten Holzeinsatz verbindet, dass die Weine bereits jetzt, in viel zu jungem Stadium, mit Faszination zu probieren sind. Da ist kein Babyspeck, keine falsche Süße, nichts Aufgesetztes oder Plakatives. Kompromisslose Erhabenheit, die zwar im jetzigen Stadium noch etwas drängend und ungestüm wirkt, die aber mit etwas Reife genau zu dem abschmilzt, was große Burgunder auszeichnet: die Frucht verschwindet und dient nur noch als Träger des Bodens, der Erde und der Seele des Winzers.

Der Bienenberg wirkt etwas weicher, etwas geschmeidiger, etwas weniger radikal. Denn das, was der Schlossberg hat, das hält man ja gar nicht lange aus, ohne zu veratmen: dieser Wein ist ein Donnerhall, eine Macht am Gaumen, die einen niederzureißen droht. Alles an ihm ist extrem und prononciert, ohne dabei vorlaut, laut oder gar üppig zu sein. Ganz im Gegenteil: wenn es möglich wäre, die Macht des Nichts in seiner ganzen Fülle schmecken zu können, im Weingut Huber Chardonnay Grosses Gewächs 2014 Schlossberg könnte es sich ereignen.

Warum schafft es nur ein einziger einsamer Winzer in Deutschland, einen derartig grandiosen, anspruchtsvollen und strahlenden Chardonnay zu produzieren? Und der, der das schafft, ist erst 26 Jahre alt.
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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

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SPÄTBURGUNDER

Glücklicherweise sind schöne und anspruchsvolle Rotweine aus der Pinot-Traube in Deutschland reicher gesät als Chardonnays. Meyer-Näkel und der Deutzerhof von der Ahr, Gutzler aus Rheinhessen oder natürlich Rudolf Fürst aus Franken; sie alle präsentierten Spätburgunder (Pinot Noir) aus 2014, die wunderbar waren. Aber auch hier gilt: das Erhabene ist der Feind des Großen. Und viel eindeutiger als die letzten Jahre hatte wieder das Weingut Huber die Nase vorn. Drei Spätburgunder aus dem Bienenberg, dem Schlossberg und der Sommerhalde verwiesen die anderen Rotweine deutlich auf die Plätze.

Nun ist der Schlossberg ein Wein für die Ewigkeit und zu einem derartig frühen Zeitpunkt noch der unzugänglichste der drei. Der Bienenberg ist der Charmeur und die Sommerhalde ist der wildeste der Huberschen Spätburgunder. Drei famose Weine ohne Frage. Was jedoch am Weingut Huber Spätburgunder Grosses Gewächs 2014 Sommerhalde so beeindruckt, ist die Mischung aus Raffinesse und Wildheit.

Die Basisnote beginnt vibrierend und mit einem Eindruck nach Trüffel und Speck, die Mittel- oder Herznote offenbart einen dunklen und reifen Früchtekorb mit Brombeeren und einem Hauch Johannisbeeren, während sich die Kopfnote dann in etwas ätherischen Eukalyptus verabschiedet. Dabei ist der Wein nicht nur messerscharf fokussiert, sondern vor allem mit einer atemberaubenden Dichte und Länge. Das ist nicht nur großer Rotwein und noch größerer Burgunder, das ist vielleicht das Beste, was das Weingut Huber je auf die Flasche gebracht hat. Dieser Wein und die Metamorphose vom Vater auf den Sohn machen sprachlos.
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Markus Vahlefeld
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Re: Große Gewächse 2015

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DER SOLITÄR

Alle bisher vorgestellten Rieslinge kamen aus dem Jahrgang 2015. So soll es sein bei der Vorpremiere in Wiesbaden und das ist auch gut so. Dass einer aus der Reihe tanzte, soll nicht verschwiegen werden. Nun könnte man meinen, wenn in einer Reihe von 2015ern auf einmal ein 2014er auftaucht, hat der Wein einen Vorteil. Weit gefehlt. Die bereits fortgeschrittene Reife irritiert den Gaumen und die Nase. Man muss sich wieder neu justieren und auf das veränderte Aromenbild einlassen.

Dass dieser Wein, um den es jetzt geht, sofort irritierte, lag aber nicht nur an dem einen Jahr mehr, das er auf dem Buckel hatte. Denn das Irritierende war nicht der Reifezustand, sondern das völlig andere Aromenverhalten. In einer Probe ohne Rieslinge würde dieser Wein locker als großer weißer Chateauneufe du Pape oder Chenin Blanc von der Loire durchgehen. Völlig Riesling-untypisch ist dieser Wein, lenkt aber den Blick darauf, dass ein wahrhaft großer Wein nie nur die Eigenschaft der Traube abbildet. Vielleicht sogar im Gegenteil: je größer ein Wein ist, desto weniger steht die Traube im Fokus. Dass sich eine Traube in den Vordergrund spielt, ist ja eine Entscheidung des Winzers und wir in Deutschland haben uns an ein Geschmacksbild der Rieslingweine gewöhnt, bei dem die Frucht und die Klarheit und die Kräutrigkeit des Rieslings im Vordergrund stehen. Dass es auch anders geht, zeigt seit ein paar Jahren Peter Jakob Kühn aus dem Rheingau.

Sein Weinmachen ist mit dem, was man „extremes Weinmachen" nennt, nur unzulänglich beschrieben. Ob es überhaupt Wein-MACHEN ist, lässt sich auch ohne weiteres nicht eindeutig beantworten. Denn das Peter Jakob Kühn Weine macht, ist offenkundig. Aber ob die Weine nicht viel mehr ihn machen, also eine existentielle Symbiose zwischen hie Mensch und dort Natur stattfindet, ist noch lange nicht ausgemacht. Dass Peter Jakob Kühn streng nach demeter-Kriterien arbeitet, dass er mit Amphoren experimentierte, dass er ultralange Hefestandzeiten und minimalsten Schwefeleinsatz bevorzugt - all das hat ihm den Ruf eines Verrückten eingebracht. Oder eines Weisen. Ganz genau weiß man den Unterschied ja nicht.

Auf der Vorpremiere in Wiesbaden waren die Weine von Peter Jakob Kühn lange Jahre nicht mehr anwesend. Sie lagen Ende August meist noch im Fass und wenn sie dann auf der Flasche waren, war der Hype um die neuen Weine schon wieder vorbei. Dass er dieses Jahr seine beiden Grossen Gewächse aus dem St. Nikolaus und dem Doosberg anstellte, war überraschend, auch wenn die Weine wie gesagt aus dem Jahr 2014 waren. Vielleicht war Peter Jakob Kühn so stolz auf seine beiden Weinkinder, dass er sie unbedingt mal zeigen wollte. Denn erhältlich sind die Weine schon lange nicht mehr, Absatzprobleme dürften also nicht die Motivation gewesen zu sein.

Genug der Vorrede. Die Lage St. Nikolaus ist eine wenig spektakuläre Lage in der Nähe des Rheins. Das Geheimnis des Kühnschen Riesling aus dem St. Nikolaus ist das Alter der Rebstöcke. Sie sind alt. Sehr alt. Denn 60 Jahre und mehr sind ein methusalemisches Alter für Reben. Die Beeren sind extrem klein und ihr Wachstum durch die verholzte Nährstoffzufuhr auf natürliche Weise reduziert. Der Saft der Trauben ist konzentriert und das Verhältnis zwischen Beerenhaut und Fruchtfleisch neigt sich deutlich der Beerenhaut zu. Um es in ein Bild zu packen: auf der Beerenhaut spiegelt sich der Himmel, im Fruchtfleisch metamorphosiert sich die Erde. Ob damit das Geheimnis des Weingut Peter Jakob Kühn Riesling Grosses Gewächs 2015 St. Nikolaus vollumfänglich beschrieben ist, darf bezweifelt werden. Dass es aber ein Hinweis ist auf die Aromatik, auf die Ausprägung und auf die Berührung, die dieser Wein in der menschlichen Seele auszulösen vermag, kann mit Fug und Recht behauptet werden.

Dieser Wein berührt. Er ist zart und wild zugleich. Er ist tiefenentspannt und doch ein Monument. Da ist Frucht, aber keine apfelige Rieslingfrucht, sondern eine unbekannte Frucht, die nur in der Phantasie wächst. Da sind Kräuter, vielleicht etwas Kaffee, eine Dunkelheit. Aber über allem schwebt der Eindruck, dass dieser Wein nicht menschengemacht ist. Dass hier jemand seinen eigenen Willen, wie etwas sein und schmecken soll, geopfert hat, um einen Traum auf die Flasche zu bringen. Oder, um Nietzsche zu zitieren: „Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das Schwerste" - besser lässt sich die Essenz dieses Weins nicht zusammenfassen.

Wer noch an eine Flasche dieses Weins kommt, wird ein glücklicherer Mensch werden, ganz ohne Meditation, Gruppentherapie und Yoga. Gäbe es diesen Wein nicht, die Welt wäre ärmer.
m_arcon
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Registriert: Mo 24. Sep 2012, 21:52

Re: Große Gewächse 2015

Beitrag von m_arcon »

Hallo Markus,

danke für den ausführlichen Eindruck. Habe den Bericht in der HP heute morgen bereits verschlungen. Was ich noch fragen wollte: Wie war denn dein Eindruck von den "von Buhl" Weinen? Die kommen in deinem Artikel ja nicht vor oder habe ich was überlesen? Ich hab gestern nach dem Pechstein gesucht, hatte gerade noch Glück was zu finden, bei den großen Händlern ist schon alles weg. Parker sei Dank :) Da würde mich dein Eindruck einfach interessieren.

Grüße
Marc
Michl
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Registriert: Di 22. Okt 2013, 19:04

Re: Große Gewächse 2015

Beitrag von Michl »

Lieber Markus,

herzlichen Dank auch von mir für diesen Bericht. Deine sprachliche Präzision, Differenziertheit und gedankliche Tiefe sind eindrucksvoll und suchen ihresgleichen. Ich habe bisher nichts Besseres zu den GG aus 2015 gelesen.
Viele Grüße

Michl
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Herr S.
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Wohnort: Bockenheim a.d. Weinstrasse

Re: Große Gewächse 2015

Beitrag von Herr S. »

Hallo Markus,

vielen Dank für die ausführliche Beschreibung, die ich mit Freude gelesen habe! Den 2014er St. Nikolaus von Kühn gibt es ab Weingut noch im Shop (ich habe mich bereits Anfang September eingedeckt). Das Weingut Mosbacher besuche ich am kommenden Samstag, dann bekomme ich vor Ort einen Eindruck.

Viele Grüße aus der Nordpfalz,
Björn
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"Not that we needed all that for the trip, but once you get locked into a serious drug-collection, the tendency is to push it as far as you can." (Hunter S. Thompson, Fear and Loathing in Las Vegas)
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