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Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

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octopussy

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDi 12. Jul 2011, 22:34

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Vor allem stimme ich ganz und gar nicht mit der Aussage über "German Riesling" überein.

Ein Riesling von der Mosel hat IMHO gefälligst anders zu schmecken als ein Riesling aus Baden. Und wenn wir die Gebiete zwischendrin nehmen - Nahe, Rheingau, Rheinhessen, Franken, Pfalz - dann gilt das für sie genauso.

What de f*** is German Riesling?

Markus, ich habe Zweifel, ob man von ausländischen Weinjournalisten eine so starke Differenzierung erwarten kann. Rieslinge aus Franken, aus der Ortenau, aus dem Kraichgau, aus Württemberg oder gar von der Hessischen Bergstraße haben im Ausland eben null Bedeutung. Mal ehrlich, wir hier im Forum diskutieren doch die Rieslinge aus diesen Regionen auch so gut wie nie (eigentlich schade).

Mosel-, Rheingau, Nahe-, Rheinhessen-, Pfalz- und vielleicht auch noch Mittelrhein-Rieslinge haben eben eine ganz andere Bedeutung, bei uns wie im Ausland. Und in kurzen Beiträgen wie der Rede von Tom Scott kann man eben nicht so stark auf die Unterschiede eingehen. Das sagt Tom Scott ja auch selber in der letzten Fußnote seiner Rede.

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Die Stärke der "Mittelregionen" - Nahe, Rheingau, Rheinhessen, Franken, Pfalz - liegt definitiv im trockenen Bereich. Nur ganz selten kommen fruchtige Weine allerhöchster Güte aus diesen Regionen, wobei ich die Nahe und den Rheingau so als Zwitteranbaugebiete betrachte und sich meine Behauptung auch schon wieder relativiert.


Zu Rheinhessen (mit Einschränkung vielleicht für die Rheinfront), Franken und der Pfalz möchte ich dir zustimmen. An der Nahe und im Rheingau werden aus meiner Sicht auch wirklich viele schöne Kabinette und Spätlesen erzeugt - aber das sagst du ja letztlich auch.

Auch ich bin übrigens von der potenziell und oft tatsächlich grandiosen Qualität des echt trockenen Rieslings mit unfruchtigen Aromen überzeugt - als eine Stilrichtung von mehreren. Ich glaube, die Existenzberechtigung und Größe dieser Stilrichtung bemängeln auch die englischen und amerikanischen Journalisten nicht.

Durch die in der Breite der Bevölkerung nicht nur von mir, sondern auch von ganz vielen anderen hier, festgestellten generellen Skepsis vieler Leute gegenüber restsüßen Rieslingen sinkt aber m.E. die Flexibilität der Winzer. Wenn restsüße Weine wie Blei in den Regalen von Händlern und vielleicht auch im Weingut liegen bleiben, hat der Winzer/die Winzerin ja nur drei Möglichkeiten: er/sie versucht, verstärkt in den Export zu gehen, er/sie leistet Überzeugungsarbeit im Inland (wahrscheinlich ein sehr mühsames Unterfangen) oder - und das dürfte der am wenigsten aufwändige Weg sein - er/sie baut die Weine zunehmend trocken bzw. gesetzlich trocken aus.

Der letztgenannte Weg kann, muss aber nicht, der beste Weg sein, um den Boden, das Klima und den Jahrgang überzeugend in die Flasche zu transportieren. Mir ist z.B. durchaus positiv aufgefallen, dass ich in einigen Jahrgangsbriefen in 2010 deutlich weniger trockene Weine gesehen habe als im letzten Jahr. Wenn ein Jahrgang (wie in 2010 wegen der hohen Säure) Restsüße gut gebrauchen kann, finde ich es nicht nur legitim, sondern auch unterstützenswert, wenn die Winzer die Flexibilität haben, mehr restsüße oder halbtrockene Weine anzubieten, ohne dass die Kunden gleich streiken. Wenn man hingegen wegen einer Trocken-Manie restsüße und halbtrockene Weine nicht los würde, müsste der Winzer/die Winzerin seine/ihre Weine in ein Korsett pressen, dass ihnen lagen- oder jahrgangsbedingt vielleicht manchmal zu eng ist und deshalb zwickt.

Ich persönlich trinke übrigens auch mehr trockene als restsüße Rieslinge (vielleicht 2/3 zu 1/3 oder sogar 3/4 zu 1/4). Aber wenn ich z.B. auf Kabinette und Spätlesen von der Nahe oder aus dem Rheingau verzichten müsste oder nicht die Auswahl hätte, die ich heute habe (ich finde die Auswahl sehr gut), wäre ich schon etwas betrübt.
Beste Grüße, Stephan
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Bernd Schulz

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDi 12. Jul 2011, 23:14

Zu Rheinhessen (mit Einschränkung vielleicht für die Rheinfront), Franken und der Pfalz möchte ich dir zustimmen.


Die Einschränkung bezüglich der Rheinfront ist auf jeden Fall berechtigt. Und es weiß zwar heute kaum noch jemand, aber in der Pfalz kann man durchaus hochinteressante restsüße Rieslinge erzeugen! Wer die Gelegenheit hat, eine entsprechende Müller-Catoir-Spätlese aus der Schwarz-Ära zu probieren, wird sehr schnell verstehen, was ich meine; überdies gibt es auch bei Mosbacher immer noch hervorragende Vertreter des süßen Rieslingstils unterhalb der Auslese. Ein paar dieser Weine habe ich im Keller liegen; sie sind jetzt noch zu jung, aber bei Gelegenheit werde ich noch ausführlicher darüber schreiben.

Aachener, ist ja fast Landvolk ;) , scheinen aber auch ganz speziell engstirnig zu sein. Bei Divinum hat man mir auch schon erzählt, dass die Kundschaft bei restsüßen die Nase rümpft.


Anderswo sieht es ähnlich aus. Mein guter Freund Laurenz Ott von der "Weintafel" in Elmshorn erzählt mir über die Verkäuflichkeit restsüßer Rieslinge genau das Gleiche wie Fritz Köhne vom "Divinum": Nüscht zu machen, tote Hose, die Kunden wollen es nicht.

Beste Grüße

Bernd
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DerFranki

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 06:50

Ich habe keine belastbaren Zahlen zur Hand, kann mir aber vorstellen, dass süße Riesling sehr wohl in großen Mengen bei uns verkauft werden.
Nur nicht die von renommierten Winzern über den Fachhandel.

Als „nichtsaure Weine“ dürften die in großen Stückzahlen über die Kassenbänder der Discounter laufen.
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Gerald

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 08:05

Ich denke, wie viel Restzucker als "harmonisch" empfunden wird, ist nicht naturgegeben, sondern hängt mit der weinbezogenen "Sozialisation" (mir fällt kein sinnvollerer Ausdruck ein :oops: ) zusammen. Als jemand, der mit trockenen Weinen (insb. auch Riesling) aufgewachsen ist, finde ich leichte Restsüße bei ausreichender Säure primär nicht unangenehm, aber mit meiner Vorstellung eines Weins nicht kompatibel - so etwas erinnert mich mehr an Fruchtbowle, Alkopops, Weincocktails oder Ähnliches. Ich kann mir aber genauso vorstellen, dass es anderen Menschen mit wirklich trockenem Riesling ähnlich (mit umgekehrtem Vorzeichen) geht.

Wenn man also glaubt, dass es auch einen Platz für restsüße Rieslinge unterhalb des Prädikatsbereichs gibt, muss man (bzw. die entsprechenden Interessensverbände) wohl erst ein positives Image dafür in der Öffentlichkeit schaffen, damit sich die Konsumenten damit identifizieren können. Andernfalls werden die Weine - wie hier ja schon vielfach erwähnt - trotz hervorragender Qualität und oft günstigeren Preisen als die trockenen Pendants - weiterhin wie Blei im Regal liegen und früher oder später gar nicht mehr in größerer Menge produziert werden. Die Winzer müssen schließlich Geld mit ihren Weinen verdienen ...

Grüße,
Gerald
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Bernd Schulz

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 09:05

Gerald, ich fürchte, mit der "Sozialisation" lässt sich nicht alles erklären. Ich bin zwar kein Österreicher, aber durchaus auch mit trockenen Weinen aufgewachsen (noch heute lehnt mein Vater restsüße Weine kategorisch als "Zuckerwasser" ab); über lange Jahre habe ich mich nahezu ausschließlich im trockenen Bereich bewegt. Aber trotzdem käme ich heutzutage nicht auf die Idee, einen restsüßen Kabi von KaJo Christoffel mit Begriffen "Fruchtbowle" oder "Alkopop" zu assoziieren :mrgreen: .

Ich kann mir aber genauso vorstellen, dass es anderen Menschen mit wirklich trockenem Riesling ähnlich (mit umgekehrtem Vorzeichen) geht.


Auch das ist bei mir nicht der Fall. Vom erzfränkisch trockenen Kabi bis hin zur fetten TBA mag ich alles, solange das Niveau stimmt. Überhaupt scheint mir die Auschließlichkeitsmanie beim Demonstrieren des eigenen Geschmack ein Hauptproblem darzustellen. Das geht auf der gröbsten Ebene mit "Ich mag nur Rotwein/nur Weißwein" schon los....

Wenn man also glaubt, dass es auch einen Platz für restsüße Rieslinge unterhalb des Prädikatsbereichs gibt...


Unterhalb des deutschen Prädikatsbereichs eher nicht (obwohl ich auch schon sehr gute restsüße QbAs - z.b. von Grünhaus - getrunken habe).

...oder später gar nicht mehr in größerer Menge produziert werden.


Sie werden schon noch produziert, da das gute Image im Ausland vorhanden ist. Im Inland hingegen wurde es als übertriebene Gegenreaktion auf die süße Nachkriegswelle gründlich zerstört - und genau deswegen schüttelt der eine oder andere ausländische Weinschreiber immer wieder gerne den Kopf...

Beste Grüße

Bernd
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drmamue

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 10:15

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Naja, der Bart, dass die Deutsche Trocken-Bezeichnung nicht wirklich trocken entspricht, ist schon einer der längsten der Welt ;)

Wobei es richtig ist, dass 9g RZ für einen trockenen Wein einfach zuviel sind. Da beisst die Maus keinen Faden ab.


Hallo zusammen,

so einfach ist es in meinen Augen aber nicht. Neulich befand sich Jörg Thanischs trockener Kabinett 2010 im Glas. Um die 8 g RZ, aber sensorisch knochentrocken und ein herrlicher Wein. Auch bei anderen Weinen, z.B. denen des Karthäuserhofs, findet sich bei über 8 g RZ keinerlei Zuckerschwänzchen.



Was dennoch richtig ist: die innere Balance eines Weins muss stimmen. Nur hat das IMHO viel weniger mit dem RZ zu tun, als mit der Balance zwischen Extrakt, Körper und Säure. Da gehen auch 0g RZ und die Weine sind genial.


8 g aber eben auch; insofern ist es in meinen Augen etwas einseitig, die ganze Debatte am RZ aufzuhängen.

Viele Grüße
Markus
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harti

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 10:23

Hallo zusammen,

nur ein kurzer Einwurf: Wir diskutieren hier über die Produktion im High-End-Segment von Spitzenwinzern. Diese Winzer orientieren sich am Weingeschmack des fortgeschrittenen Weintrinkers, der überwiegend auf trockene Weine ausgerichtet ist. Für den Gesamtmarkt (in R-P) sehen die Verhältnisse ganz anders aus, hier wird immer noch sehr viel halbtrockener und lieblicher Wein erzeugt (>60 %):

http://www.lwk-rlp.de/bilder/mediafile_ ... chmack.pdf

Grüße

Hartmut
Zuletzt geändert von harti am Mi 13. Jul 2011, 10:29, insgesamt 1-mal geändert.
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Birte

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 10:26

8 g aber eben auch.


Natürlich geht das, und der Wein kann als trocken empfunden werden, zumal der Mensch sowieso nur schwer zwischen Zucker und Frucht unterscheiden kann, da der menschliche Gaumen Frucht mit süß assoziiert. Ich bin trotzdem dafür das anzugeben. Zum Beispiel für einen Diabetiker ist das wesentlich und davon gibt es heute nicht wenige. Affig finde ich es, wenn ein Geheimnis aus dem RZ gemacht wird.
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DerFranki

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 10:38

Danke Hartmut!

Diese Jahresstatistik bestätigt mich in meinen Vermutungen, dass die Mehrzahl süße Weine trinkt.

Und wenn man dazu noch die VKs sehen könnte, so würden die wohl unter 3,-€/Flasche liegen.
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Gerald

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragMi 13. Jul 2011, 10:40

Zum Beispiel für einen Diabetiker ist das wesentlich und davon gibt es heute nicht wenige.


na ja, für den Diabetiker wäre es dann aber auch noch wichtig zu wissen, wie sich der RZ in Glucose und Fructose aufteilt - und das gibt meines Wissens überhaupt niemand an (ist auch analytisch-chemisch wesentlich aufwändiger zu bestimmen als der RZ als Summenparameter). Dazu sind Mengen von 8 g/l - also z.B. 4 g bei 0,5 l Wein auch für einen Diabetiker eine relativ geringe Menge (entsprechend 0,33 Broteinheiten).

Grüße,
Gerald
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