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Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

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Gerald

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 11:12

Ich kennen keinen Weinliebhaber im gehobenem Segment, der fruchtige Rieslinge partout ablehnt.


Muss mal hinterfragen, ob ich wirklich zum "gehobenen Segment" gehöre ;) Ich habe mich jedenfalls schon mehrfach bemüht, mich mit restsüßen Rieslingen anzufreunden, gelungen ist es leider aber noch nicht. Bei mir erwecken solche Weine immer einen etwas "gekünstelten" Eindruck, vielleicht da sie sich in einer "Zwischenwelt" zwischen zwei (auch mikrobiologisch) stabilen Weintypen befinden, nämlich trockene Weine sowie Prädikatsweine. Am auffälligsten ist das für mich bei restsüßen Leichtweinen à la Moselkabinett. Bei den alkohol- und körperreichen (wie z.B. viele Wachauer Smaragde, die auch knapp an den erlaubten 9 g/l kratzen) stört es mich etwas weniger.

Bin ich da allein auf weiter Flur oder kann jemand meine Schwierigkeiten mit dem Stil nachvollziehen?

Grüße,
Gerald
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Birte

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 11:30

Ich kennen keinen Weinliebhaber im gehobenem Segment, der fruchtige Rieslinge partout ablehnt.


Ich zähle mich zwar jetzt nicht zum gehobenen Segment, aber ich fühle mich auch nicht wie ein Weinbarbar. Auf Proben teste ich restsüße Rieslinge und finde auch einige ausgezeichnet. Zu Hause greife ich fast nur zu trocken, steinig, salzig. Was soll ich tun, Diktat meiner Geschmacksnerven. Ich lasse ja auch für ein blutiges Steak jede Torte links liegen, oder doch Barbar?
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octopussy

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 12:46

ChezMatze hat geschrieben:Schaut man sich einmal an, wie groß die Welt ist und wie klein dagegen diese deutschen Anbaugebiete, kann ich es nachvollziehen, dass man sich als Brite (und auch als "Weltbürger") erhofft, dass es von dieser einmaligen Spezialität noch möglichst lange genug geben wird. Eine konkrete Angst, dass dem nicht so sein wird, habe ich nicht. Auch sollen die "Trockenwinzer" ihre Rieslinge weiter so ausbauen wie seit ein paar Jahren, denn bessere hatten wir vermutlich noch nie.

Aber gerade bei der Globalisierung wird es auf unverwechselbaren Charakter zunehmend stärker ankommen als auf Kompatibilität. Da braucht man kein Prophet zu sein, um so etwas zu vermuten.

Der Letztgenannte ist übrigens ein wichtiger Punkt. Nur in Deutschland (und da - wie bereits gesagt - auch eigentlich nur an Mosel, Saar und Ruwer, im Rheingau, an der Nahe, am Mittelrhein und an der rheinhessischen Rheinfront) gibt es diese Spezialität der leichten, fruchtigen Rieslinge. Vielleicht würde man sie auch noch woanders hinbekommen und vielleicht kriegt man sie zukünftig auch noch woanders hin. Aber derzeit sehe ich keine echte Alternative.

Vor diesem Hintergrund kann man sich als Winzer, als Winzerverband, als Marketing-Gemeinschaft, usw. natürlich die Frage stellen, ob man (i) für den Weltmarkt produzieren will (heißt wahrscheinlich v.a. restsüß) oder (ii) für die inländische Nachfrage (heißt etwas mehr trocken) oder (iii) am liebsten den Wein, den man als Winzer für den besten hält - die Nachfrage folgt dann der Qualität (heißt, das kann alles sein). Punkt (iii) wäre mir eigentlich am liebsten. Aber mir ist schon klar, dass es so einfach nicht geht.

Gerald hat geschrieben:Ich habe mich jedenfalls schon mehrfach bemüht, mich mit restsüßen Rieslingen anzufreunden, gelungen ist es leider aber noch nicht. Bei mir erwecken solche Weine immer einen etwas "gekünstelten" Eindruck.

Gerald, ich kann das schon nachvollziehen. Ich muss ehrlich sagen, dass mir auch nur sehr wenige restsüße Kabinette und Spätlesen schmecken. Ich brauche immer dringend Säure oder Mineralik oder am besten beides, um die Süße auszugleichen. Mit Kabinetten und Spätlesen aus Oechsle-reichen und eher säurearmen Jahren wie 2003 oder 2005 habe ich daher große Schwierigkeiten. Aber ein Kabinett oder eine Spätlese mit präziser und klarer Frucht (und Fruchtsüße) mit ausgleichender tänzelnder Säure und Mineralik gehört für mich eindeutig zu den schönsten und faszinierendsten Weinen dieser Welt.
Beste Grüße, Stephan
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Markus Vahlefeld

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 12:53

octopussy hat geschrieben:ein Kabinett oder eine Spätlese mit präziser und klarer Frucht (und Fruchtsüße) mit ausgleichender tänzelnder Säure und Mineralik gehört für mich eindeutig zu den schönsten und faszinierendsten Weinen dieser Welt.


Absolut d'accord
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Markus Vahlefeld

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 13:11

Gerald hat geschrieben:Muss mal hinterfragen, ob ich wirklich zum "gehobenen Segment" gehöre


Birte hat geschrieben:Ich zähle mich zwar jetzt nicht zum gehobenen Segment, aber ich fühle mich auch nicht wie ein Weinbarbar.


Hach, Ihr macht es einem auch schwer ;)

Mit gehobenem Segment meine ich einen Weinliebhaber, der seinen Wein auch mal solo trinkt, sich darum kümmert, auch mal Unbekanntes in Glas zu bekommen und vor allem, der mehr vom jeweiligen Hintergrund eines Weins wissen will. Also, Ihr Möchtegern-Barbaren, Ihr gehört, so leid es mir tut, schon zum gehobenen Segment :lol:

@Gerald
Ich kann Deine Inkompatibilität mit einem fruchtigen Riesling durchaus nachvollziehen. Wenn ich jedoch genau so einen Wein will, dann bin ich auch nicht irritiert. Was Du als viel weniger störend beschreibst - mächtige Rieslinge mit an die Grenze gehendem RZ -, das ist für mich das wirklich Inkompatible. Ein Wein, der allein schon durch seinen hohen Alkohol (ab 13%) einen gewissen Süßeeindruck vermittelt, darf für mich nicht noch spürbaren Restzucker beinhalten. Und einige der fetten Wachauer, die dann noch mit Botrytistönen und RZ kommen, finde ich ziemlich unschön. Auch viele deutsche GGs aus 2005 oder 2006 haben diese Stilistik. I moags net!

Ein großer trockener Riesling muss salzig, würzig, herb, vibrierend, fokussiert und prägnant sein. Wenn dann noch tabakige Aromen dazukommen, bin ich im Himmel. DAS ist für mich der genaue Gegenentwurf zum verspielt-leichten Moselkabinett. Alles dazwischen - die Spätlese ohne Säure oder das GG/Smaragd mit Restzucker - empfinde ich als schauerlich.

Just my 2cents
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Bernd Schulz

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 13:25

Gerald, ich kann deine Schwierigkeiten bestens nachvollziehen, da es mir selber über lange Jahre nicht anders ging als dir. Aber irgendwann hat es dann eben doch *klick" gemacht.

Dass es unter den süßen Kabinetten und Spätlesen ebenso viele eher banale Exemplare geben dürfte wie unter ihren trockenen oder pseudotrockenen Kollegen, liegt auf der Hand. Im Kreise der Weinverrückten kenne ich auch niemanden, der eine Spätlese nur wegen ihrer platten Süße liebt. Und die Schwierigkeiten, die Stephan mit 03er und 05er Kabinetten/Spätlesen hat, habe ich aus den nämlichen Gründen ganz genauso!

Allerdings bin ich mir bei wenigen 03ern und etlichen 05ern ziemlich sicher, dass sie in 10 bis 15 Jahren ganz andere Geschmacksdimensionen als hier und jetzt offenbaren werden. Und damit wären wir bei einer besonders faszinierenden Version in restsüß, nämlich dem deutlich gereiften Exemplar. Ich gestehe aber gerne, dass der Vorhang zu dieser Welt für mich erst nach einer vieljährigen Karriere als Trockentrinker aufgegangen ist. Früher habe ich mich auch schon viel mit Riesling beschäftigt, aber ich mochte weder süße noch alte Weißweine. Ein "Banause" :mrgreen: war ich deswegen sicher nicht, aber die Tür war halt verschlossen, ich konnte dieses eine Zimmer nicht betreten. Die Welt des Weins ist aber eh so groß, dass man sich nicht gleichermaßen überall tummeln kann. Ich kaufe mir z.b. keinen Sauvignon blanc oder grünen Veltliner - und verpasse damit sicherlich genug spannende Weine. Das ganze Leben besteht aus dem Verpassen eigentlich hochinteressanter Angelegenheiten.... :mrgreen:

Beste Grüße

Bernd
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Gerald

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 13:31

Hallo Markus, hallo Bernd,

na gut, dann werde ich warten, ob ich irgendwann doch noch einmal die verborgene Pforte zu den restsüßen Rieslingen finde ;) Ist halt als Österreicher nicht so einfach, da es deutsche Rieslinge bei uns kaum zu kaufen gibt und bei den Österreichern restsüße Rieslinge meist körper- und alkoholreich sind (entweder bewusst wegen den Weinguides knapp unter der 9 g/l - Grenze gehalten oder aber halbtrocken, da die Gärung für den Winzer unerwartet gestoppt hat).

Wie auch immer, besonders bei den paar restsüßen Moselkabinetten, die ich bisher probiert habe, ist mir trotz hoher Säure der Zucker ganz besonders "aufgesetzt" vorgekommen. Warum gerade bei diesen, kann ich leider auch nicht erklären ...

Grüße,
Gerald
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Markus Vahlefeld

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 13:55

Gerald hat geschrieben:besonders bei den paar restsüßen Moselkabinetten, die ich bisher probiert habe, ist mir trotz hoher Säure der Zucker ganz besonders "aufgesetzt" vorgekommen. Warum gerade bei diesen, kann ich leider auch nicht erklären ...


Ich erklär's Dir :mrgreen:

Wenn Du ein junges Exemplar der Gattung knackiger Moselkabinett trinkst, dann hast Du zwei widerstreitende Mundeindrücke: Süße und Säure. Da sie anders als bei einem körperreichen Wein nicht miteinander harmonieren, aneinander gebunden, miteinander unzertrennlich verzahnt oder wie auch immer man es beschreiben will sind, hast Du den Eindruck des Aufgesetzten. Da hilft dann wirklich nur noch das Betreten der verstaubten Schatzkammer, wo die Kabinette mindestens ihre 15 Jahre auf dem Buckel haben. Da hat sich dann alles ins andere gefügt. Wirklich aufs Wunderbarste.
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Gerald

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 14:01

Danke für die Aufklärung ;)

Wenn ich das also richtig verstanden habe, sollte man von restsüßen Rieslingen mindestens 15 Jahre ab Abfüllung die Finger lassen, korrekt? In etwa so wie bei besseren Bordeaux?

Unter diesen Umständen kann ich aber gut verstehen, dass der Stil immer mehr an Bedeutung verliert. Der Konsument muss also jetzt die Weine kaufen, die er in 15 Jahren trinken will, einen Sekundärmarkt in größerem Ausmaß (wie bei Bdx) gibt es ja nicht. Da werden wohl nur sehr wenige Freaks mitmachen ...

Grüße,
Gerald
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octopussy

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Re: Riesling trocken vs. restüß - die Sicht von außen

BeitragDo 14. Jul 2011, 14:30

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Wenn Du ein junges Exemplar der Gattung knackiger Moselkabinett trinkst, dann hast Du zwei widerstreitende Mundeindrücke: Süße und Säure. Da sie anders als bei einem körperreichen Wein nicht miteinander harmonieren, aneinander gebunden, miteinander unzertrennlich verzahnt oder wie auch immer man es beschreiben will sind, hast Du den Eindruck des Aufgesetzten. Da hilft dann wirklich nur noch das Betreten der verstaubten Schatzkammer, wo die Kabinette mindestens ihre 15 Jahre auf dem Buckel haben. Da hat sich dann alles ins andere gefügt. Wirklich aufs Wunderbarste.

Hmm, da ist mein persönlicher Geschmack ein anderer. Ich finde persönlich, Kabinette und vor allem Spätlesen gewinnen in den allermeisten Fällen mit Flaschenreife, sind aber häufig auch recht schnell nach der Abfüllung gut zu trinken und bleiben dies dann auch tendenziell durchgängig. Markus, ich glaube, ich weiß, was du meinst mit Unverbundenheit und fehlender Verzahnung. Aber für mich persönlich macht dieses manchmal eher kontrastreiche Süße-Säure-Spiel (um mal einen etwas abgenutzten, aber passenden Begriff zu benutzen) häufig gerade den Reiz dieses Weinstils aus. Ich kann mir aber vorstellen, dass andere das als aufgesetzt empfinden.
Beste Grüße, Stephan
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