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Weinfehler oder rieslingtypische Note?

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Bernd Schulz

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 19:44

Gerald hat geschrieben:Bisher habe ich jedenfalls immer angenommen, dass das vor allem mit der Vinifizierung zu tun hat...


Im Falle des Schloss-Lieser-Rieslings hat der "Böckser" höchstwahrscheinlich mit der Vinifizierung zu tun, da er wohl auf die Spontangärung zurückzuführen ist.

Weingold hat geschrieben:Was ist denn unter dem Begriff "Moselstinker" zu verstehen.


An der Mosel gab/gibt es diverse Spitzenerzeuger (J.J. Prüm, Thomas Haag, Martin Müllen, Andreas Adam, weiland KaJo Christoffel etc. usf.), die grundsätzlich mit Spontanvergärung, welche die von dir wahrgenommenen Geruchsnoten mal mehr, mal minder stark hervorbringt, arbeiten. Ob der "Böckser" bei ihren Weinen als Fehler oder als besonderes Stilmittel wahrgenommen wird, liegt ganz im Auge des Betrachters. Ich bin die entsprechenden Noten mittlerweile so gewohnt, dass sie auf mich meistens einen positiven Reiz ausüben. Sie tragen zur Komplexität des Geruchsbildes bei und sind mir (wie diversen anderen Freunden des Moselrieslings auch) lieber als der flache Nivea-Creme-Duft, den viele (nicht alle) mit Reinzuchthefen vergorene Rieslinge an sich haben.

Es verhält sich hier so ähnlich wie mit Brettanomyces: Die Grenze zwischen Fehler und Vorzug ist fließend.

Herzliche Grüße

Bernd
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Gerald

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 19:58

Apropos Spontangärung: in diesem Fachbeitrag wird genau das Gegenteil behauptet, also dass ein Böckser häufiger bei Reinzuchthefe in Kombination mit zu wenig Vorklärung auftritt - falls ich das jetzt richtig verstanden habe.

Es verhält sich hier so ähnlich wie mit Brettanomyces: Die Grenze zwischen Fehler und Vorzug ist fließend.


Es wird auch daran liegen, dass Menschen viele an sich unangenehme Gerüche in niedriger Konzentration als spannend und das Gesamtbild bereichernd empfinden. Gar nicht wenige in Parfums verwendete Komponenten sollen in höherer Konzentration grauenvoll fäkalartig riechen.

Aber vermutlich ist individuell unterschiedlich (und auch von der Gewöhnung abhängig), ab welcher Schwelle der Geruch von angenehm-spannend in ekelhaft umschlägt. ;)

Grüße
Gerald
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Bernd Schulz

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 20:15

Gerald hat geschrieben:Apropos Spontangärung: in diesem Fachbeitrag wird genau das Gegenteil behauptet, also dass ein Böckser häufiger bei Reinzuchthefe in Kombination mit zu wenig Vorklärung auftritt...


In dem Fachbeitrag des (nach allem, was ich von Winzern über ihn gehört habe) hervorragenden Önologen Volker Schneider heißt es dagegen:

"....Die spontan vergorenen Varianten wiesen signifikant höhere Intensitätswerte
für die Aromakomponenten Apfel, Birne, Melone, würzig, aber auch Böckser auf...."

Hier findet sich der ganze für meine Begriffe sehr lesenswerte Artikel:

https://weinverkostung.com/wp-content/u ... hthefe.pdf


Herzliche Grüße

Bernd
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amateur des vins

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 20:34

Bis zum Beweis des Gegenteils, halte ich den "Spontistinker" weitgehend für eine urban legend. Es ist die Reduktion gemeint, spontan hin oder her, und insofern eng verwandt mit dem (Schwefel-)Böckser früherer Tage, ist Schwefel doch heftig reduktiv. Aber "Böckser" klingt nicht so hip wie "Spontistinker", und auch irgendwie mehr nach Fehler.

Daß der Boden ("Rotliegendes") signifikanter Auslöser von Reduktion sein soll, scheint mir weit hergeholt. Der Eisenanteil macht sich allerdings schon bemerkbar, aber nicht als Reduktion.
Besten Gruß, Karsten
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Bernd Schulz

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 21:00

amateur des vins hat geschrieben:Bis zum Beweis des Gegenteils, halte ich den "Spontistinker" weitgehend für eine urban legend.


Beweisen in einem auch nur einigermaßen wissenschaftlichen Sinn kann ich nichts, aber meine langjährigen Säufererfahrungen :mrgreen: sprechen ganz stark dafür, dass spontan vergorene Weine in der überwiegenden Anzahl der Fälle (Randerscheinungen einmal ausgenommen) ganz anders riechen als Reinzuchtis. Ob man die Andersartigkeit als "Stinker" bezeichnen möchte, ist eine persönliche Entscheidung, aber die Aromen gehen beim Sponti - Reduktion hin oder her :twisted: - grundsätzlich weit mehr in Richtung Schwefel oder ganz böse gesagt Gulli als beim Reinzuchti. Rein empirisch gesehen verhält es sich für mich so. Und in der überwiegenden Anzahl der Fälle kann ich, wie ich mir einbilde, Spontis und Reinzuchtis zumindest beim Riesling (beim Rotwein sieht es anders aus!) alleine mit der Nase unterscheiden.

Herzliche Grüße

Bernd
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Lars Dragl

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 21:02

Hallo,

zum Schwefelböckser finde ich diese Internetseite sehr aufschlussreich:

https://lvwo.landwirtschaft-bw.de/pb/,L ... AGE=671130

Ich arbeite ja auch schon an meinen GG's und bin schon gespannt, was bei mir alles daneben geht. Ich werde berichten.

Herzliche Grüße
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amateur des vins

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 21:20

Bernd Schulz hat geschrieben:die Aromen gehen beim Sponti - Reduktion hin oder her :twisted: - grundsätzlich weit mehr in Richtung Schwefel oder ganz böse gesagt Gulli als beim Reinzuchti.
Aber wenn die Aromen Richtung Schwefel gehen - warum schreibst Du sie dann den Spontihefen und nicht dem Schwefel zu? Wäre das nicht die viel näherliegende Erklärung?
Besten Gruß, Karsten
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Bernd Schulz

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 21:51

amateur des vins hat geschrieben:Aber wenn die Aromen Richtung Schwefel gehen - warum schreibst Du sie dann den Spontihefen und nicht dem Schwefel zu?


Weil ich diese Aromen bei spontan vergorenen Rieslingen (Weine aus anderen Sorten jetzt erst einmal außen vor gelassen) immer wieder wahrnehme, bei mit Reinzuchthefen vergorenen Weinen jedoch so gut wie nie, liegt es für mich am nächsten, sie der Spontanvergärung zuzuschreiben. Wenn sie ihren Grund im Schwefel hätten, müsste ich sie ja auch immer wieder in den (ebenfalls geschwefelten) Reinzuchtis feststellen.

"Schwefel" ist in diesem Fall auch nur als begriffliche Krücke zu verstehen! Tatsächlich riechen die Spontis nicht genau wie Schwefel. Ganz bewusst habe ich die Formulierung "in Richtung Schwefel gehend" gewählt.

Wir reden hier über Wahrnehmungsfragen, die nun mal nicht in eine ganz scharfe Sprache zu fassen sind. Alleine der Begriff "Böckser" scheint mir ein überaus schillerndes Wort zu sein. Und was genau ist eigentlich ein "Weinfehler"? Offenkundig ist es nicht naturgesetzlich festgelegt, ab wann ein Wein fehlerhaft oder fehlerfrei ist...

Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Verkostungsabend, der anno 2005 bei dem mit mir befreundeten Weinhändler Laurenz Ott in HH stattgefunden hat. Damals hatte ich eine junge, von mir als sehr schön empfundene Spät- oder Auslese (sooo genau weiß ich das nicht mehr) von Martin Müllen im Gepäck, der Wein gelangte in die Gläser - und kein Geringerer als ein gewisser Michael Quentel rief nach dem ersten Schnuppern triumphierend "Böckser!", womit dieser Riesling für ihn erledigt war. Für mich war es aber nach wie vor ein richtig schönes Getränk..... ;)

Herzliche Grüße

Bernd
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Kle

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragMo 12. Dez 2022, 23:22

:lol: :lol: :lol: :lol: :lol: :lol:
Ich wusste damals garnicht, was ein Böckser ist und der Aufschrei klang für mich wie „Grapefruit!“ Aber ich habe irgendwann verstanden, was Sponti-Aroma bedeutet, nämlich etwas „Stalliges“, was nicht wirklich unangenehm ist und auch bald verfliegt. Hingegen probierte ich vor einiger Zeit einen Wein von „von Othegraven“, der über Tage unausstehlich nach faulen Eiern roch und schmeckte. Beim Weingut, wo ich direkt gekauft hatte, fragte ich nach, ob von einem solchen „Böckser“ viele Flaschen betroffen seien. Nein, nein hieß es, kein Fehler, sondern die beliebte Spontanvergärung, auf die nur manche Menschen überempfindlich reagieren würden.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
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Bernd Schulz

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Re: Weinfehler oder rieslingtypische Note?

BeitragDi 13. Dez 2022, 21:50

Kle hat geschrieben:Ich wusste damals garnicht, was ein Böckser ist....


Klar, du warst damals auch mit von der Partie (und hast mir die Erstbegegnung mit einem Chateau Mouton-Rothschild ermöglicht!). Ich erinnere mich sehr gut daran, aber ich weiß nicht mehr, was wir sonst noch getrunken haben.....

So oder so bin ich mit ziemlich sicher, dass ein Michael Quentel angesichts seiner in mehr als 15 weiteren Jahren gesammelten Erfahrungen jetzt ganz anders reagieren würde. Beim Verkosten von Weinen, die sich auf einem gewissen Niveau befinden, verhält es sich nun mal nicht so wie bei einem Rechtschreibdiktat, bei dem man jeden Fehler bedenkenlos rot anstreichen kann.

Ein gewisser Ludwig van Beethoven war zu seiner frühen Wiener Zeit Schüler von Johann Georg Albrechtsberger, der damals einen herausragenden Ruf als Musiktheoretiker genoss. Angesichts der vielen "Fehler" in Beethovens Kompositionen hat Albrechtsberger über seinen anscheinend minderbegabten Eleven das Urteil "Er wird nie was Ordentliches machen!" gefällt. Tja....wer hört heute noch Musik von Albrechtsberger....oder kennt auch nur seinen Namen... :?: :mrgreen:

Herzliche Grüße

Bernd
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