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Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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amateur des vins

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragDo 6. Apr 2023, 13:14

EThC hat geschrieben:
Kleiner_Pirat hat geschrieben:Ich gehe davon aus, dass 90% der deutschen Weintrinker noch nie einen echten Kabinett getrunken haben
...wer hat denn die Hoheit zu definieren, was ein "echter" Kabinett ist :?: :?
Bzw. wer nimmt sie sich...
Falsche Frage.
Was Der Kleine Pirat damit meint, ist doch aus dem Kontext vollkommen offensichtlich:
einen Wein aus der Menge {juristische Kabinette} \ {technisch potentiell höhere Prädikate}
Besten Gruß, Karsten
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Udo2009

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragDo 6. Apr 2023, 16:27

Kleiner_Pirat hat geschrieben:.... Ich gehe davon aus, dass 90% der deutschen Weintrinker noch nie einen echten Kabinett getrunken haben, ....



Zählt Schloß Johannisberg 1942 Riesling Kabinett zu den echten? ;)
Den habe ich nämlich letztes Jahr getrunken (Raritätenweinprobe Schloß Johannisberg).
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UlliB

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragDo 6. Apr 2023, 17:12

Udo2009 hat geschrieben:
Kleiner_Pirat hat geschrieben:.... Ich gehe davon aus, dass 90% der deutschen Weintrinker noch nie einen echten Kabinett getrunken haben, ....



Zählt Schloß Johannisberg 1942 Riesling Kabinett zu den echten? ;)

Nein, mit Sicherheit nicht (jedenfalls nicht im Sinne der Definition, die der user Kleiner Pirat in seinem Beitrag im Kopf hatte).

Der weinrechtliche Begriff "Kabinett" ist nämlich erst mit dem Weingesetz von 1971 eingeführt worden. Vorher wurde die Bezeichnung "Kabinett" insbesondere im Rheingau gelegentlich für besonders hochwertige Weine verwendet, typischerweise Auslesen, die man ursprünglich zur exklusiven Verwendung durch den (meist adligen) Besitzer des Weinguts oder für hochrangige Gäste separat in einem kleinen Raum, eben einem Kabinett, gelagert hatte. Eine rechtliche Definition für diese Weine gab es aber nicht, der Begriff wurde wie gesagt erst 1971 ins Weinrecht übernommen, und da lustigerweise für die unterste Kategorie der Prädikatsweine, das heißt, die Bezeichnung wurde deutlich abgewertet.

Dein 42er Kabinett wird nach heutigen Vorstellungen eine hochwertige Auslese gewesen sein.

Gruß
Ulli
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Ollie

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragDo 6. Apr 2023, 19:28

Ich glaube nicht, daß dem Prädikatssystem stilistische Aussagekraft zusprechen sollte oder könnte. Das Weingesetz von 1971 war Vieles, aber fein differenzierend war es bestimmt nicht, und schon gar nicht wollte man den Winzern stilistische Vorgaben machen, ganz im Gegenteil.

Vielmehr hatte man die traditionelle Vorstellung, in einem Land, das zu kalt war, um für die Masse der produzierten Trauben eine anständige Reife zu gewährleisten, seien unangereicherte Moste etwas besonders Hervorhebenswertes, ins damals novellierte Weingesetz übernehmen wollen - wohlgemerkt absichtlich im Gegensatz zur französischen Weinkultur, wo alle Spitzenweine angereichert wurden. Es war also schon eine ganz deutlich deutsche Weinkultur, die hier Niederschlag fand. Es gab sogar eine Lobby-Organisation, die sich für diesen unterscheidenden Aspekt stark einsetzte... :roll:

Um nicht allzuvielen Winzern vor den Kopf zu stoßen, erfand man den Kabinett als wirklich unterste, aber gerade noch erreichbare Kategorie, mit einem hübschen Namen, der nach höggschder Gwalidääd klang, irgendwie nach (s.o.). Sonst hätten nur noch die in den allerbesten Lagen begüterten Winzer überhaupt Prädikatsweine erzeugen können. Man bedenke, daß an der Mosel noch bis 1983 die Gallisierung erlaubt war, also das Verschneiden des Mosts mit Zuckerwasser, um die Säurewerte zu drücken. (Der deutsche Teil des Weinskandals von 1985 kam ja nicht gerade von Ungefähr.) Man macht sich 40 Jahre später kaum eine Vorstellung davon, wie schlecht die Jahrgänge früher (vor Mitte der 90er) waren.

Natürlich blieben die Spitzengüter typischerweise deutlich über diesen Mindestmostgewichten, schon weil sie es mit ihren Lagen schlicht konnten. Stilsitisch waren die Prädikate aber überhaupt nicht auf die regionalen Weinkulturen abgestellt, wenn man von den regional unterschiedlichen Mindestmostgewichten für die einzelnen Stufen absieht. Die Geschichte des deutsche Weinkultur, insbesondere die der Mosel, wurde ganz bestimmt nicht von Kabinetten geschrieben, sondern von Spät- und Auslesen, ohne das irgendjemandem einfiele zu seufzen, die Spätlesen seien "ja schon ganz gut, keine Frage, aber so fett".

Der heutige Kabinett-Kult ist ursprünglich eine Reaktion auf die (in den letzten 20 Jahren aus verschiedenen Gründen) gestiegenen Mostgewichte. Es ist beileibe kein Zufall, daß die Kabinett-Alkolythen auch immer diejenigen sind, die gegen den vermeintlichen Mostgewichtkult wettern, der die gesamte Weinwelt erfasst habe ("Die gesamte Weinwelt? Nein, ein kleines Dorf..."), meist flankiert von starken Meinungen zum VDP im Allgemeinen und dem Großen Gewächs im Besonderen. Daß aber gerade an der Mosel die heutigen als "klassisch" gefeierten Kabinette fast alles Spätlesen im Sinne des ursprünglichen 1971er Weingesetzes sind (mindestens 76°Oe, erst später auf 83°Oe erhöht), zeigt, wie wenig das Prädikat "Kabinett" sogar an der Mosel echte Traktion entwickeln konnte. Es ist die Nostalgie einer angeblich bedrohten Kultur, die es nie gab, und eine seltsame Verbrämung der Moselspätlese alter Zeiten. Keine Frage: Ein wahnsinnig spannender Weinstil, den ich selbst nur ungerne missen möchte, aber nun mal nichts, dessen Schutz vom Weingesetz intendiert ist - weder in seiner Fassung von 1971, noch in der von 2022. Es ist hochgradig undeutsch, Weinstile gesetzlich vorzuschreiben, so etwas tut nur der Welsche!

... und die Wachau, die schlauerweise ihren Qualitätsstufen Mostgewichtsbänder vorgegeben hat. Hier war aber ganz aktiv gewollt, Weinstile zu etablieren, weil man innerhalb sehr kurzer Zeit eine Identität am Markt aufbauen wollte (musste), weil sonst die ganze Industrie endgültig gegen den Baum gefahren wäre. Für ein solches drängende Gefühl zur Eile aber hatte die deutsche Weinindustrie keine Zeit, denn der Markt war (und ist immer noch) ganz anders strukturiert. Also gab (gibt) es auch hier gute Gründe, es nicht so zu machen wie die Österreicher. (Übrigens waren die Vinea-Wachau-Regeln anfangs nur verbandsintern geltend, bevor sie Jahre später Eingangs ins Weingesetz fanden.)

Viel interessanter als die Debatte um das Prädikat "Kabinett" finde ich aber die Diskussion um besternte Auslesen und zunehmend auch Spätlesen und teilweise sogar (kreisch!) Kabinette, auch und gerade bei trockenen Weinen, auch und gerade an der Mosel, z.B. bei Martin Müllen, der ja auch sonst immer für alles herhalten muss. Oder gerne auch Holger Koch. Oder Luckert. Uvam.

Cheers,
Ollie
Zuletzt geändert von Ollie am Sa 8. Apr 2023, 13:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Udo2009

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragDo 6. Apr 2023, 21:14

Hm... Weinqualitäten an einem bestimmten Grad Öchsle festzumachen... dann noch von Anbaugebiet zu Anbaugebiet unterschiedliche Vorgaben... so wirklich eindeutig ist das nicht.

Da finde ich die Klassifizierung des VDP mit Gutswein, Ortswein, Erste Lage, Große Lage schon irgendwie aussagekräftiger.

Nicht umsonst nehmen sich immer mehr Winzer die VDP Klassifikation zum Vorbild. Da gibt es auch von Nicht-VDP-Winzern Gutsweine, Ortsweine, und eine Top-Klassifizierung. (Ggf. irgendwie anders genannt, um "Patente" des VDP nicht zu verletzen.) Gerade in letzter Zeit bekomme ich von Nicht-VDP-Winzern Post mit der Qualitätspyramide ihrer Weine...
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EThC

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragDo 6. Apr 2023, 21:41

Udo2009 hat geschrieben:dann noch von Anbaugebiet zu Anbaugebiet unterschiedliche Vorgaben
Udo2009 hat geschrieben:Da finde ich die Klassifizierung des VDP mit Gutswein, Ortswein, Erste Lage, Große Lage schon irgendwie aussagekräftiger.
...wenn man genau hinschaut, ist das beim VDP keinen Deut besser und auch von Region zu Region anders geregelt...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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Kleiner_Pirat

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragSa 8. Apr 2023, 12:42

So, ich hatte wenig Zeit die letzten Tage, daher erst jetzt meine Antworten zur angezettelten Diskussion:

EThC hat geschrieben: ...wer hat denn die Hoheit zu definieren, was ein "echter" Kabinett ist :?: :?
Bzw. wer nimmt sie sich...


Absolut richtig: Mehr als "das ist ein nicht angereicherter Wein, der in den meisten Jahren reif geworden ist, vielleicht aber auch überreif war und Auslese hätte sein können", sagt Kabinett nicht aus, insofern kannst Du vorn aufs Etikett auch irgendwas draufschreiben und hinten vielleicht „nicht angereichert“, wenn das für Dich besonders wichtig ist.
Daher frage ich mich auch, was das soll, das als wesentliches Qualitätselement im deutschen Weingesetz stehen zu haben und im Kontext der letzten Gesetzesnovellierung sich auch noch damit zu feiern. Kabinett sagt null über Qualität und Stilistik aus und ist reiner winzerindividueller Marketingsprech, so wie */**/***-Weine, Filetstück oder Teschkes Qualitätsär***e.

Ollie hat geschrieben:Ich glaube nicht, daß dem Prädikatssystem stilistische Aussagekraft zusprechen sollte oder könnte. Das Weingesetz von 1971 war Vieles, aber fein differenzierend war es bestimmt nicht, und schon gar nicht wollte man den Winzern stilistische Vorgaben machen, ganz im Gegenteil.


Danke für die lange Stellungnahme, die ich größtenteils teile.
Im Hinblick auf 1971 ging es darum, den größten Wildwuchs einzudämmen, eine Mindestqualität sicherzustellen und jedem Marktteilnehmer zu ermöglichen, blumig benamte Weine herzustellen (auch für kleines Geld, Deutschland war durstig zu der Zeit).

Auch Deine Aussagen zum Kabi im allgemeinen teile ich, ich kann mich aber dem auch dem Punkt nicht verschließen, dass Kabinette (restsüß) im Rahmen der allgemeinen Klimaveränderung halt in der Premiumszene wirklich ein USP sein könnten, allerdings nur, wenn man die Oechsle nach oben begrenzen würde (wegen mir ja auch bis zur halben Spätlese oder so), was dann aber ein vorgeschriebener Weinstil wäre.

Auch richtig ist, dass zumindest im jetzigen Stadium ohne konkrete Beschlüsse von Schutzgemeinschaften auch das neue Weingesetz null mit Qualitätspyramide oder Stilistikvorgaben zu tun hat und damit in bester Tradition von 1971 steht. Nur: Überall wird das anders verkauft. Eigentlich müssten die Weinbaulobbyisten offen sagen, dass sie ein Herkunftsbezogenes Qualitätssystem überhaupt nicht interessiert, ein anderes (mal abgesehen von ein bisschen Mostgewicht=Qualität) ebenso nicht, dass es das in Deutschland nicht braucht, weil wir nur herausragenden Wein machen und nicht so wie die Franzosen oder Italiener oder Österreicher viel schlechten Wein.

- Ich entschuldige mich schonmal vorab bei jeder Schutzgemeinschaft, die künftig anständige Stil- und oder Qualitätsvorgaben macht. –

Ich glaube aber schon, dass Deutschlands Weinkultur ein Qualitätssystem braucht, genau auch wie die österreichische, wo Du Wachau angesprochen hast, wozu aber auch die DAC-Produktspezifikationen zählen. Österreich ist da deutlich weiter, obwohl der Markt dort insgesamt für mich solider aufgestellt ist als in Deutschland. Und die Einführung war auch in Österreich heiß diskutiert und hat bekanntermaßen nicht nur Fans gehabt.

Wir Freaks beziehen uns ja meist auf die Top-Güter und die sogenannten Geheimtipps. Aber der meiste Wein wird durch Genossenschaften, Kellereien und jede Menge uns allen vollkommen unbekannte Winzer erzeugt. Das ist die Basis der Weinkultur. Und die bröckelt gewaltig. Die negativen Schlagzeilen der Genossenschaften im Süden wie Remstal, Badischer Winzerkeller, Felsengarten Kellerei zum Beispiel, oder grottenschlechte Preise für Traubenvermarkter insgesamt. Dazu kommen gerade aktuell gestiegene Materialpreise und Personalkosten, mehr Umweltvorgaben und ein abnehmender Weinmarkt. Von günstig importiertem Wein als Konkurrenz mal gar nicht zu reden. Deutschland braucht daher in der Basis definitiv mehr Transparenz über Qualität, mehr Qualität und für den Gelegenheitsweintrinker auch eine verständlichere Etikettierung, da bin ich mir sicher, ansonsten haben wir in 10 Jahren in den Weinbauregionen mehr Kartoffeläcker und Streuobstwiesen statt Weingärten.

Udo2009 hat geschrieben:Hm... Weinqualitäten an einem bestimmten Grad Öchsle festzumachen... dann noch von Anbaugebiet zu Anbaugebiet unterschiedliche Vorgaben... so wirklich eindeutig ist das nicht.

Da finde ich die Klassifizierung des VDP mit Gutswein, Ortswein, Erste Lage, Große Lage schon irgendwie aussagekräftiger.

Nicht umsonst nehmen sich immer mehr Winzer die VDP Klassifikation zum Vorbild. Da gibt es auch von Nicht-VDP-Winzern Gutsweine, Ortsweine, und eine Top-Klassifizierung. (Ggf. irgendwie anders genannt, um "Patente" des VDP nicht zu verletzen.) Gerade in letzter Zeit bekomme ich von Nicht-VDP-Winzern Post mit der Qualitätspyramide ihrer Weine...


Beim VDP ist auch nicht alles gold was glänzt(da hat auch EThC recht) und in meinem Blog habe ich diesbezüglich ja auch diverse Kritik geübt (Lagen, GG etc.), aber es ist aktuell das einzige System in D, das relativ einfach und Verständlich eine Pyramide darstellt und eine gewisse Mindestqualität sicherstellt und sich in der Spitze durch Rebsorten- und Lageneinschränkungen auch tatsächlich verengt. Insofern ist das schon wegweisend und gut für die deutsche Weinkultur.

Und ja, unter den „Qualitätswinzern“ auch außerhalb des VDP spricht sich herum, dass das VDP-System nicht ganz so blöd ist, auch weil es leicht verständlich ist. Ich begrüße das sehr, es bleibt aber außerhalb des VDP ein jeweils ganz winzerindividuelles System in trocken, halbtrocken und lieblich. Mit Gefühlt 100 Rebsorten.

Solange man den Winzer kennt ist alles super, vorm Regal ist die Auswahl dann zwar ggf. einfacher geworden, aber die Überraschung beim Öffnen vielleicht nicht viel kleiner als heute. Beim Großen Gewächs von Qualitätswinzer Schulze bekommst Du das was dieser als Großes Gewächs versteht. Vielleicht ist es übergroß, vielleicht ist es aber auch nur ein großes Zwergengewächs, vielleicht ist es Spätburgunder, vielleicht Dornfelder. Hauptsache es kommt durch die Qualitätsweinprüfung, bei der es keine besonderen Vorgaben außer „Fehlerfreiheit“ und eine ominöse „Gebietstypizität“ gibt. (Plus die paar bundesdeutschen gesetzlichen Basics zu Qualitätswein und Großem Gewächs)

Stehst Du vor dem Weinregal und greifst Du einen Pouilly-Fumé zum Beispiel, dann bekommst Du u.a. das:
- Rebsorte: ausschließlich Sauvignon Blanc
- Angabe der zugelassenen Parzellen
- Pflanzdichte: Mind 6.000 Rebstöcke/ha mit Reihenabstand von max. 1,3m
- Konkrete Angaben zum Rebschnitt/Reberziehung (Guyot/Cordon)
- Konkrete Angaben zum Wuchshöhe
- Maximal 20% fehlende Rebstöcke
- Max. 10.500kg/ha Höchstertrag
- Pflicht zur Bepflanzung der Böschungen, Gräben, Ränder
- Verbot der Bewässerung
- Minimales vorhandendes Alkoholpotential 10,5%
- Max. 65 Hektoliter/ha
- Max. 4g/l Restzucker im Wein
- Keine Wärmebehandlung des Mosts
- Keine Verwendung von Holzchips
- Max. 13% Alkohol nach Anreicherung
- „guter“ Zustand und Hygiene des Kellers
- Klare Regeln, was die Kontrollstelle für die Einhaltung der Regeln wie kontrolliert (Dokumentation, Ortsbesichtigung, Analytische und organoleptische Untersuchung)

Das muss dann immer noch kein Top Wein sein, aber Du wirst nah daran kommen, was Du erwartest.
Nicht unerwähnt zu lassen ist dann natürlich, dass im Gebiet Pouilly-Fumé ein Rieslingwinzer, auch wenn er der Beste des Landes sein sollte, schlechte Karten hätte. Der kann dann Vin de France auf seine Flaschen schreiben (Das ist übrigens auch der Grund für die sogenannten Super Tuscans wie Sassicaia in Italien, denen die Vermarktung als Tafelwein über Jahrzehnte auch nicht wirklich geschadet hat).

@all:

Zusammenfassend ist das Prädikatsthema ja nur ein kleines im gesamten Deutschen Weinsumpf. Und ich mache keinem Winzer/keiner Genossenschaft/keiner Großkellerei einen Vorwurf, der die die zulässigen Begriffe nutzt und für seine Zwecke auslegt, der Wein muss schließlich unter die Leute!
Ich verstehe insbesondere auch die kritische Situation in den Genossenschaften und Kellereien, die sowieso knappste Margen haben und die Unmengen an Wein irgendwie im LEH unterbringen müssen. Es gibt weiterhin viel zu viel Wein im deutschen Markt und zwar insbesondere im einfachen Segment. Und natürlich ist es da sehr problematisch, Eingeführtes zu verändern und das Risiko einzugehen, Kunden oder gar ganze LEH-Absatzverträge zu verlieren, gerade wenn man aus strukturellen und traditionellen Gründen auch grade bei den Genossenschaften im Land vielfach auch nicht in der Lage ist, bessere Qualitäten zu liefern und sich so gegen Konkurrenten durchzusetzen. Nachhaltig ist diese Denke aber eben nicht. Der Markt wird sich hier in den nächsten Jahren aus meiner Sicht sowieso dramatisch verändern, ob nun mit oder gegen die Unternehmen (siehe auch meine Einschätzung weiter oben in diesem Post bei der Antwort zu Ollie).
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UlliB

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragSa 8. Apr 2023, 13:48

Kleiner_Pirat hat geschrieben:So, ich hatte wenig Zeit die letzten Tage, daher erst jetzt meine Antworten zur angezettelten Diskussion:

Danke für die wirklich umfangreiche Stellungnahme. Ein paar Anmerkungen dazu:

Die gesamte Weinerzeugung in Deutschland hat über die letzten Jahre gemittelt einen Umsatz von etwas mehr als 3 Milliarden Euro generiert, das ist weniger als 1 Promille (!) des deutschen BIPs. Damit ist das Thema für die Bundespolitik völlig irrelevant und interessiert bestenfalls Landespolitiker (ganz sicher in Rheinland-Pfalz, und schon mit erheblichen Einschränkungen in Baden-Württemberg), und ansonsten Lokalpolitiker. Es ist illusorisch, von der Politik irgendwelche relevante Unterstützung per Gesetzgebung oder Verordnungen zu erwarten. Wo es Probleme gibt - und die gibt es zweifellos - müssen es die Erzeuger selber richten. Und wenn es denen nicht gelingt, dann ist das halt so. Wenn in zehn oder zwanzig Jahren ein Drittel der deutschen Rebfläche verschwindet und da wieder Kartoffeln, Getreide oder gar nichts angebaut wird, dann kann man angesichts einer konstanten Überproduktion von Wein im globalen Maßstab nur sagen: so be it.

Ich glaube aber schon, dass Deutschlands Weinkultur ein Qualitätssystem braucht, genau auch wie die österreichische, wo Du Wachau angesprochen hast, wozu aber auch die DAC-Produktspezifikationen zählen. Österreich ist da deutlich weiter, obwohl der Markt dort insgesamt für mich solider aufgestellt ist als in Deutschland.

Ein DAC-System, das in der Wachau für Gebietsweine 17 (siebzehn!) Rebsorten zulässt und für Ortsweine immerhin noch neun, kannst du im Hinblick auf Herkunftscharakter gleich mal flott in die Tonne treten. Und für Qualtät sorgt das System schon gar nicht, wie ich letztes Jahr mal wieder feststellen konnte, als sich in einem Heurigen gleich mehrere Weine (sowohl Vinea Wachau als auch DAC) ganz schlicht grob fehlerhaft präsentierten.

Gleichermaßen in dem von dir so sehr gelobten Frankreich: ich hatte wiederholt 1er cru aus dem Burgund im Glas, die weder gebietstypisch noch gut waren, obwohl sie sicher nach den Regeln der cahiers des charges produziert wurden. Ich denke, dass man sich gedanklich davon verabschieden muss, dass auch sehr eng gefasste Spezifikationen für die Produktion von Wein für eine gesicherte Qualität sorgen.

Im Falle von Wein plädiere ich inzwischen dafür: schafft alle Regeln ab, außer denen, die für den Gesundheitsschutz relevant sind - den Rest regelt der Markt.

Gruß
Ulli
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EThC

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragSa 8. Apr 2023, 14:37

UlliB hat geschrieben:Ich denke, dass man sich gedanklich davon verabschieden muss, dass auch sehr eng gefasste Spezifikationen für die Produktion von Wein für eine gesicherte Qualität sorgen.

Im Falle von Wein plädiere ich inzwischen dafür: schafft alle Regeln ab, außer denen, die für den Gesundheitsschutz relevant sind - den Rest regelt der Markt.
...Du sprichst mir aus der (Wein-) Seele :!:
Viele Grüße
Erich

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Kleiner_Pirat

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Re: Den Wein der Bergsträßer gibt es nicht mehr

BeitragSa 8. Apr 2023, 15:22

@UlliB
Die Weinbaupolitik ist aus meiner Sicht schon bedeutungsvoll und würde sie nicht funktionieren, hätte der Weinbau hierzulande noch mehr Herausforderungen.
Das meiste ja eher Europarecht, wo deutsche Interessen gegenüber den großen Mengenweinbaunationen (Fr, It, Sp) eingebracht und verteidigt werden müssen, was so schlecht nicht gelingt.
In dem Zusammenhang geht es auch um Fördergelder etc. Auch da besteht definitiv ein politisches Interesse.
Insgesamt ist das halt ein Gesetzesbereich, in dem man es der Branche irgendwie recht machen möchte. Insofern wird das umgesetzt, was "die Branche" will. Vor den Austritten war der Deutsche Weinbauverband der Lieferant für die Wünsche. Das ist ja auch soweit richtig, da das ganze ja nur den Sinn hat, den Markt bei Überproduktion zu gunsten der Erzeuger zu regulieren.

Mal davon abgesehen könnte man in einem direkteren Ansatz die meisten der gut gemeinten Regeln aus den Gesetzen und Verordnungen streichen. Das EU Recht hat mit Oechsle, Prädikaten oder Rebsortenangabenverbote für Landweine zum Beispiel nichts am Hut.

Und wenn ich mit EU seitig geschützten Ursprungsbezeichnungen mitspielen möchte, was schon allein Sinn macht, weil es auch da Fördergelder für die Bewerbung dieser gibt, zum Beispiel für Fachverkostungen, bei denen es dann immer zusätzlich zu den Weinen der jeweiligen gUs einen Fachvortrag zum System gibt und strenge Beschränkungen zur Ausschankmenge (trink verantwortungsvoll)), dann ist das EU Recht da klar auf die Schutzgemeinschaften ausgerichtet, die die meisten Details eigenverantwortlich regeln sollen. Auch da braucht es nur einen klugen, schmalen gesetzgeberischen Rahmen und eine gewisse Unterstützung bei der Umsetzung.

Weinpolitik und Weingesetze vollkommen aufgeben und zum Beispiel auf Leitsätze zurückgehen (wie hier beim Fruchtwein https://www.deutsche-lebensmittelbuch-k ... raenke.pdf ) wird nicht funktionieren, ohne auch die EU zu verlassen.

Der Artikel hier liefert ganz spannende Einblicke in die Politik finde ich:

https://magazin.wein.plus/die-genossens ... we%20Kauss

Deine Kritik an den Appellation kann ich natürlich nachvollziehen, es gibt besser und schlechter beschriebene und kontrollierte. Um auf den Ausgangswein zurück zu kommen, kann sich ja auch für den ggf Genossenschaftsdominierten Stemmler eine Schutzgemeinschaft gründen, die weiterhin alles ermöglicht, jede Rebsorte in allen Ausprägungen (sofern die Schutzgemeinschaft für die übergeordnete Bergstraße das nicht einschränkt). Dann bliebe der Stemmler halt außer vor Ort und vielleicht in Teilen des Basis LEH weiter unbekannt. Und wie gesagt, schon allein eine stilistische Einschränkung wäre ein Riesen Fortschritt. Am Supermarktregal: "Ahh ein Morstein, hatte ich schonmal, hat trocken geschmeckt und war glaub ich Riesling." Zu Hause dann: "oh, Grauburgunder halbtrocken." Doof irgendwie. Mal ganz abgesehen, dass diese Weine so nie von den Großen in der Lage mitgezogen würden.

Eine Problematik bei der Formulierung der Kriterien wird auch in D die Rebsortenvielfalt sein, genau wie in der Wachau (wobei da die Burgenland DAC ja deutlich konsequenter sind) . Aber es wäre ja schon ein Schritt sich bei Lagen auf Einschränkungen einzulassen. Aber das ist schon nur hypothetisch.
Aktuell muss man bei Ö in Gegensatz zu F oder I aber einwenden, dass die DAC ja keine echten gU im europäischen Sinne sind, sondern weingesetzliche Verordnungen. Wie die Zustande kamen und wie die vielleicht mal in gU übersetzt werden sollen weiß ich nicht - wer weiß da mehr?
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