Aktuelle Zeit: So 28. Apr 2024, 20:06


Genossenschaftsweine

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
  • Autor
  • Nachricht
Offline

Kle

  • Beiträge: 955
  • Registriert: Fr 10. Dez 2010, 18:18
  • Wohnort: Hamburg

Re: Genossenschaftsweine

BeitragSo 24. Jan 2021, 21:19

Baden, Bereich Ortenau
1991er Sasbachwaldener Spätburgunder Rotwein
Qualitätswein
Winzergenossenschaft Sasbachwalden/Baden
1 Liter Flasche
Der eher kurze Korken tadellos. Rötlich angefärbt, trocken, sich beim Herausdrehen nur geringfügig spaltend. Farblich bemerkenswert klassisch, leicht durchscheinend, aber eher kräftiges Granat mit bräunlichen Reflexen und dünnem orange-bräunlichem Rand. In der Nase verhaltene klassische Erdbeerfurcht, untergründig auch zweifelhafte vegetative Aromen. Auf alles gefasst, nehme ich den ersten Schluck. Schockierend , weil nicht sein kann, was nicht sein darf, die beerige, an einen jungen Bourgogne erinnernde, Frische. Das Rätsel wird schnell aufgelöst: Es gibt ordentlich Zucker im 11.5 Vol -Wein, der zu popigen, kurzlebigen Effekten am Gaumen führt. Jedoch hält sich der Wein ganz gut. Die Süße verkleistert eine nachhaltige Frucht, macht sie furchtbar dicklich. Unter ihr tummeln sich zumutbar modderige Aromen. Keine Ahnung, wie ich den Wein finden soll, also mache ich den Trinktest und der fällt positiv aus: Etwas bringt mich dazu, immer wieder zu probieren, obwohl es nicht viel gibt. Man sucht und hofft eben auf etwas neben der von Süße aufgepumpten Frucht
Einen Tag später erneut zurückhaltender Geruch im Glas- zarte Frucht, Dunkles. Wieder ein erster Schluck und wieder vielversprechend. Der Badener hat überhaupt nicht abgebaut, ist eher stabiler geworden. Er steht auf seiner Frucht und seiner Säure mit einigen Kraut-und Rüben-Aromen im Hintergrund, die derartig degeneriert sind, dass sie oft nur als feiner Unterton und eher selten dumpf-gammelig auffallen. Immer, wenn sich die Frucht vom Zucker befreien kann, wird sie interessant: So als schlanke, von Säure unterlegte Anmutung von Blaubeere und deutlich als roter Traubensaft. Beim intensiveren Nachschmecken geht es auch ins Laktische. Deutlich Kirschjoghurt. Auch pelzig.
Es gibt vereinzelte Momente einer einer ganz feinen, wunderbar schwebenden Erdbeere. Einige Male dachte ich, jetzt ist er wirklich durch, nur noch alte Klamotten in einer feuchten Kellerecke. Daraus erwächst mehrfach eine aromatische Blüte, besser gesagt, ein kraftstrotzendes Aroma eingelegter Pflaumen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich empfehle diesen Wein nicht, ich habe mich bloß vertrunken. Aber es gibt ihn wohl auch nicht mehr.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
Offline

Bernd Schulz

  • Beiträge: 6574
  • Registriert: So 12. Dez 2010, 00:55

Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 25. Jan 2021, 00:17

Kle, deinen zwischen positiver und negativer Wahrnehmung wunderbar changierenden Beitrag habe ich einmal mehr mit viel Vergnügen gelesen!

Kle hat geschrieben: Auf alles gefasst, nehme ich den ersten Schluck. Schockierend , weil nicht sein kann, was nicht sein darf, die beerige, an einen jungen Bourgogne erinnernde, Frische. Das Rätsel wird schnell aufgelöst: Es gibt ordentlich Zucker im 11.5 Vol -Wein, der zu popigen, kurzlebigen Effekten am Gaumen führt. Jedoch hält sich der Wein ganz gut. Die Süße verkleistert eine nachhaltige Frucht, macht sie furchtbar dicklich. Unter ihr tummeln sich zumutbar modderige Aromen. Keine Ahnung, wie ich den Wein finden soll, also mache ich den Trinktest und der fällt positiv aus: Etwas bringt mich dazu, immer wieder zu probieren, obwohl es nicht viel gibt. Man sucht und hofft eben auf etwas neben der von Süße aufgepumpten Frucht...


Nach meinen Erfahrungen verhält es sich beim Spätburgunder nicht anders als beim Riesling: Einiger Restzucker wirkt sich gerade bei kleinen, aber trotzdem sauber gemachten Weinen sehr positiv auf das Reifeverhalten aus.

Und dazu sei noch einmal gesagt, dass sich die Sasbachwaldener Genossen seinerzeit auf einem durchaus respektablen Niveau bewegt haben. Unter den Weinpräsenten, die mein Vater als in der Materialbeschaffung tätiger Bergwerksingenieur früher in Massen erhalten hat, waren über Jahre auch Sixpacks von der Sasbachwaldener WG. Mir als Jungspund ohne wirkliche Ahnung sind diese Weine im Vergleich zu vielen anderen deutschen Erzeugnissen aus Trauben immer wieder positiv aufgefallen, denn sie wirkten stets klar und technisch gekonnt vinifiziert; in den 1980er Jahren und auch noch zu Beginn der 1990er war das weit, weit weniger selbstverständlich als heutzutage....

Herzliche Grüße

Bernd
Zuletzt geändert von Bernd Schulz am Mo 25. Jan 2021, 01:14, insgesamt 1-mal geändert.
Offline

Kle

  • Beiträge: 955
  • Registriert: Fr 10. Dez 2010, 18:18
  • Wohnort: Hamburg

Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 25. Jan 2021, 00:38

Hallo Bernd,

Bernd Schulz hat geschrieben:Mir als Jungspund ohne wirkliche Ahnung sind diese Weine im Vergleich zu vielen anderen deutschen Erzeugnissen aus Trauben immer wieder positiv aufgefallen, denn sie wirkten stets klar und technisch gekonnt vinifiziert; in den 1980er Jahren und auch noch zu Beginn der 1990er war das weit, weit weniger selbstverständlich als heutzutage....


das vergaß ich zu erwähnen: Den Eindruck von ehrbarer Handwerkskunst und eines Weins, der aus wenigen, klaren Elementen besteht. Der Gaumen suchte nach den vielen Aromastoffen, die in heutigen Weinen so herumschwirren, und stieß auf angenehme Leere.
Die Flasche stammt aus dem Keller einer Verwandten, die einst vor Ort einkaufen ging.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
Offline
Benutzeravatar

OsCor

  • Beiträge: 852
  • Registriert: Do 4. Okt 2012, 18:36
  • Wohnort: Oberrhein

Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 25. Jan 2021, 09:29

Schon interessant. Seit ein paar Jahren kaufe ich kaum noch Ortenauer Weine, egal ob WG oder Weingüter: Immer war mir zu viel spürbarer Restzucker drin. Wenn meine Frau oder ich von Kunden zum Dank Wein aus diesem Bereich bekommen, ist das bei trockenen Weinen eigentlich immer der Fall. Vielleicht liegt es auch daran, dass junge Leute (das sind die Kunden: 25 -35) tatsächlich so etwas lieber trinken.

Gruß
Oswald
Offline
Benutzeravatar

EThC

  • Beiträge: 8233
  • Bilder: 28
  • Registriert: Fr 27. Feb 2015, 17:17
  • Wohnort: ...mal hier, mal dort...

Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 25. Jan 2021, 10:51

OsCor hat geschrieben:Seit ein paar Jahren kaufe ich kaum noch Ortenauer Weine, egal ob WG oder Weingüter: Immer war mir zu viel spürbarer Restzucker drin.

...so viel aus der Ortenau kenn ich auch nicht, aber z.B. das Weingut Danner macht da ganz nette Sachen, die restzuckermäßig eher unverdächtig sind. Zumindest meine Probanden vor ein paar Jahren waren das...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

https://ec1962.wordpress.com/
Offline

Thwip

  • Beiträge: 56
  • Registriert: Di 21. Mai 2013, 20:18

Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 25. Jan 2021, 20:11

Ich möchte mal die WG Mayschoss Altenahr von der Ahr in die Runde werfen, haben sehr anständige Weine im Programm (natürlich auch andere), z.B. die Frühburgunder machen schon richtig Spaß.
Offline

Lurchus

  • Beiträge: 70
  • Registriert: Di 13. Mai 2014, 18:15

Re: Genossenschaftsweine

BeitragSa 30. Jan 2021, 12:41

Ostbelgier hat geschrieben:Als ich noch überwiegend deutschen Wein trank, mochte ich zum Beispiel sehr die Weine der WG Kasel an der Ruwer, die leider nicht mehr existiert.


Markus

Ja doch?Als Weinmanufaktur Kasel, nach wie vor ne Genossenschaft. Mag die Weine sehr. Oder ist das mittlerweile was völlig anderes?

Ansonsten: Als Fan von M-S-R Weinen und auch in dem Gebiet lebend, hab ich mit Genossenschaften nich so viel zu tun- Moselland fand ich das,was ich probiert hab, nicht so gut.
Aber die Kaseler sind echt super, gehören im Ruwertal mit zu meinen Favoriten- sehr oldschool, sehr zart...
Ansonsten sind mir in der Region gar keine Genossenschaften bekannt.
Offline
Benutzeravatar

OsCor

  • Beiträge: 852
  • Registriert: Do 4. Okt 2012, 18:36
  • Wohnort: Oberrhein

Re: Genossenschaftsweine

BeitragSa 30. Jan 2021, 13:01

Als neugieriger Mensch habe ich gleich mal die Weinpreisliste aufgerufen. Da sind tatsächlich auch RZ und Säure angegeben. Aber es hat mich umgehauen: Bei den trockenen Weinen nicht unter 7,8 g RZ und bis 9. Ja du liebe Zeit!

Brauchen die Weine das?

Gruß
Oswald
Offline

Lurchus

  • Beiträge: 70
  • Registriert: Di 13. Mai 2014, 18:15

Re: Genossenschaftsweine

BeitragSa 30. Jan 2021, 16:40

OsCor hat geschrieben:Als neugieriger Mensch habe ich gleich mal die Weinpreisliste aufgerufen. Da sind tatsächlich auch RZ und Säure angegeben. Aber es hat mich umgehauen: Bei den trockenen Weinen nicht unter 7,8 g RZ und bis 9. Ja du liebe Zeit!

Brauchen die Weine das?

Gruß
Oswald

Was heißt brauchen in dem Kontext...
Weiss ja nicht wie viel Erfahrung du mit Moselweinen hast. Aber das is auch mikroklimabedingt, gerade auch bei den Ruwerweinen, einfach sehr anders zu betrachten als bei vielen anderen deutschen Weinregionen.
Dir wird sicher auch aufgefallen, dass die Säure bei den trockenen auch nie <7g/l ist. Das ergibt dann natürlich Weine, die sensorisch oft eben nicht nach "Zuckerschwanz" schmecken, sondern eben sehr straffe Teile....
Du findest an Mosel,Saar und Ruwer traditionell wenige, die unter 4g RZ/l machen...klar gibts mittlerweile auch mehr, aber immer noch deutlich weniger als woanders.
Da sind halt die Spezialität auch eher die restsüßen Sachen.

Das gilt auch für die Kaseler Genossenschaft: die süßen Kabinette und Spätlesen finde ich da absolute Spitze und habe die sehr oft daheim.
Aber,ist halt wie alles im Leben Geschmackssache. Nur finde, gerade bei dier Region ist es sehr hilfreich, sich nicht an Analysewerte zu klammern sondern einfach zu probieren, zu trinken und sich zu erfreuen.

Grüße zurück!
Offline
Benutzeravatar

OsCor

  • Beiträge: 852
  • Registriert: Do 4. Okt 2012, 18:36
  • Wohnort: Oberrhein

Re: Genossenschaftsweine

BeitragSa 30. Jan 2021, 20:41

Alles eine Frage des Blickwinkels und natürlich der Gewohnheit. Ich habe die Säurewerte schon auch gesehen, aber ich bin es halt (inzwischen) eher gewohnt, Weine mit ca. 6 g Säure und RZ möglichst unter 2 g zu trinken.
Aber du hast natürlich völlig recht: Das muss man getrunken haben, um sich ein Urteil bilden zu können.

Gruß
Oswald
VorherigeNächste

Zurück zu Aktuelle Themen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: SemrushBot und 35 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen