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Rioja 1970er Jahre

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octopussy

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Rioja 1970er Jahre

BeitragMi 17. Apr 2013, 21:47

Hallo zusammen,

Anfang der Woche hatten wir eine schöne Probe mit Rioja Reservas und Gran Reservas (sowie einer Crianza) aus den 1970er Jahren. Die Dekade gilt als nicht die allerbeste in der Rioja, wobei es mit 1970, 1973, 1975 und 1978 sowie mit Abstrichen 1976 einige passable bis gute bis sehr gute Jahrgänge gab. Und die 70er Jahre waren die Dekade des Wandels. Ende der 1960er Jahre gründete Enrique Forner zusammen mit dem Michel Rolland der 70er Jahre, Emile Peynaud, die Bodega Marques de Caceres, die mit als erste mit den Traditionen brachen und französische statt amerikanische Eiche für ihre Barriques verwendeten. 1970 war der erste Jahrgang. Das ist die Geburtsstunde des heute von so vielen verhassten "modernen" Rioja. 1975 starb dann Franco und Spanien ging durch die "Transicion", die 1986 dann im EG-Beitritt mündete.

Wir haben alle Weine blind probiert, wobei nach jedem Wein bzw. Paar von Weinen aufgedeckt wurde. Zu essen gab es eine wirklich hervorragende Chorizo (Chorizo Campaña Ciurana Iberico Bellota von ausschließlich mit Eicheln gefütterten Pata Negra Schweinen) und fünf verschiedene Schinken, die sehr unterschiedlich schmeckten, die Jabugo Huelvas etwas "wilder" als die übrigen (z.B. aus der Extremadura). Die Schinken waren:

Paletilla Ibericos Frexnense Bellota
D.O. Huelva Jabugo Sellecion Cebo
D.O. Extremadura Bellota
Jamon de Jabugo 5 Jotas Bellota
D.O. Huelva Jabugo Summum Bellota

Die Weine hatte ich allesamt dekantiert, um das Depot zu trennen. Da so ziemlich jeder einzelne Korken durchgesifft war und bröselte, war das Dekantieren ohnehin erforderlich. Die Dekantierzeit hatte ich aber - bis auf bei einzelnen Weinen - auf wenige Minuten begrenzt.

Los ging es mit dem 1970 Bodegas Bilbaianas Vina Pomal, der extrem trübe war, aber deutlich lebendiger war als die Farbe erahnen ließ. Ein recht schöner Wein.

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Das galt auch für den 1973 Senorio de Prayla Gran Reserva von einer Bodega, die wir alle nicht kannten. Ich konnte über die Bodega und den Wein auch leider überhaupt nichts im Netz oder in der Literatur herausfinden. Der Wein war noch etwas lebendiger als der 1970 Pomal, insgesamt eine recht positive Erfahrung. Beim darauffolgenden 1976 Bodegas Rioja Santiago Vicenza de Ayala Crianza war eigentlich das einzige positive, dass er weder oxidiert noch sonstwie kaputt war. Aber der Wein ist natürlich nicht zur Lagerung geeignet und sowieso eher für den einfachen Genuss gedacht (wurde bzw. wird bei Aldi verkauft). Anschließend kam in der ersten Runde ein Wein ins Glas, von dem ich mir einiges erhofft hatte und der auch überzeugen konnte: 1973 Martinez Lacuesta Gran Reserva. Martinez Lacuesta soll früher wirklich gut gewesen sein und dieser Wein ließ das auch erahnen. Gut strukturiert, Rioja pur, viel Holzwürze nicht sonderlich elegant, aber ein schöner und in Würde gereifter Wein.

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Dann kamen die drei Weine des Abends, zunächst der 1973 López de Heredia Vina Tondonia Gran Reserva, ein wirklich schöner Rioja, der lange genug im Fass lag und sich recht ausgewogen, wenn auch eher durch Sekundär- und Tertiäraromen geprägt, präsentierte. Ein schöner Wein, aber nichts gegen den wirklich großartigen 1978 López de Heredia Vina Tondonia Gran Reserva, der dem 1973er noch mal mehr Ausgewogenheit, Eleganz, Kraft und Expressivität hinzufügte. Für fast alle war das der Wein des Abends.

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Für mich war allerdings der 1975 Marques de Murietta Castillo Ygay Gran Reserva Especial noch einen Tick besser. Ein Monument, monolithisch ohne Ende, veränderte sich auch nach Stunden im Dekanter kaum. Aber was für ein Wein: die Castillo Ygay Art mit seidiger Struktur, dezenter Holzwürze, eher dunklen Beeren, aber auch schönen hellen Obertönen kam hier sehr schön heraus. Einigen in der Runde war der Wein zu monolithisch, zu wenig sinnlich, aber ich mochte den Wein wirklich sehr gerne. Wie beim 1978er Tondonia machte der Wein wirklich Lust auf ein zweites Glas.

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Das Level konnten wir leider nicht halten. Vom 1973 C.V.N.E. Imperial Reserva hatte ich mir deutlich mehr erwartet. Der war aber weitgehend tot, nicht völlig hinüber, aber irgendwie ereignislos und müde. Auch der 1978 Marques de Caceres Gran Reserva konnte nicht überzeugen, obwohl er eine schön satte Farbe hatte und beim Dekantieren zunächst sehr schön roch. Der fiel aber im Glas regelrecht auseinander. Auch der anschließende 2er Flight mit zwei Jahrgängen La Rioja Alta Vina Ardanza Reserva (1976 und 1978) konnte nicht wirklich begeistern. Der 1978er war schön, der 1976er weniger, aber beide Weine wirkten auch schon etwas müde und hatten ein etwas sehr herbes Finish. Wir kamen letztlich alle zu dem Ergebnis, dass man die Ardanza Reservas am besten innerhalb von sechs bis acht Jahren nach Release trinkt. Längere Lagerung lohnt sich eher nicht, was neulich auch die 1995er Ardanza Reserva zeigte.

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Der letzte Rote sollte dann eigentlich wieder ein Highlight werden, die hohen Erwartungen konnte der 1978 Bodegas Riojanas Vina Albina aber leider nicht erfüllen. Den Cellartracker Notizen zufolge müsste der Wein aus guten Flaschen eigentlich sensationell sein. Unsere Flasche war leider auch schon recht müde, ziemlich kurz im Abgang und insgesamt ausgezehert.

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Um uns wieder aufzufrischen musste es daher noch ein Weißer zum Abschied sein. Und was für einer. 1993 war für die López de Heredia Vina Tondonia Blanco Reserva eigentlich kein ganz großes Jahr. Aber der Wein war derart fantastisch, so frisch, so expressiv in der Aromatik, gleichzeitig aber elegant, zurückhaltend und einfach Klasse. Ich habe gleich mal gesucht, ob ich den noch kriege. Aber der Jahrgang scheint vom Markt schon aufgesogen worden zu sein.

Tja, das war es dann. Wir hatten einen schönen Abend mit ein paar Enttäuschungen, ein paar positiven Überraschungen und ein paar Weine, die abgeliefert haben, was sie sollten. Als Fazit nehme ich mit, dass man die Reservas nicht so lange aufbewahren sollte, die Gran Reservas der guten Bodegas aber bei guter Lagerung locker ihre 30-50 oder mehr Jahre aushalten. Und Tondonia ist einfach eine Bank, das muss man sagen.
Zuletzt geändert von octopussy am Mi 17. Apr 2013, 22:12, insgesamt 1-mal geändert.
Beste Grüße, Stephan
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Weinzelmännchen

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Re: Rioja 1970er Jahre

BeitragMi 17. Apr 2013, 22:06

Und Tondonia ist einfach eine Bank, das muss man sagen.


Zunächst Danke für deine kurzweiligen Bericht. Aber deine obige Aussage kann ich nur voll und ganz unterschreiben!
MvG
(Mit vinophilen Grüssen)

Daniel
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Dick

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Re: Rioja 1970er Jahre

BeitragMi 17. Apr 2013, 23:49

Hallo Stephan

Vielen Dank für Ihren Beitrag, eine schöne und lehrreiche Weinprobe, tolll


Ps
Bemerkte Ihren Beitrag zuerst auf Winebersekers
Mit freundlichen Grüßen aus Holland,
Dick

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