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Re: Hochwasserkatastrophe an der Ahr

BeitragVerfasst: Fr 1. Okt 2021, 17:39
von UlliB
VillaGemma hat geschrieben:Meinst Du das:
https://www.spiegel.de/panorama/gesells ... 8ea3a94910

Nein, was ich meine, ist ein längerer Podcast... der war irgendwo hier im Forum verlinkt.
VillaGemma hat geschrieben:...und diesen Satz kann ich sehr gut verstehen:

"Viele unserer Nachbarn hier haben ihre Häuser wohl für immer verlassen. Die kommen nie wieder."

Zwischen dem, was man unter dem unmittelbaren Eindruck einer Katastrophe sagt (das verlinkte Interview ist vom 24.07.), und dem, was man mit etwas Abstand dann tatsächlich macht, bestehen vermutlich Unterschiede. Es ist sehr schwer, seine Heimat aufzugeben. Wieviele Leute da tatsächlich ganz weggehen, wird man abwarten müssen.
...aber selbst in dem Artikel steht drin, dass es 2016 schon einmal ein Jahrhunderthochwasser gab [...]

Das 2016er-Hochwasser war vom Ausmaß und den Folgen absolut nicht mit dem zu vergleichen, was dieses Jahr passiert ist. Tatsächlich muss man da sehr weit zurückblicken, um etwas Vergleichbares zu finden. Klar ist aber: die Frequenz solcher Ereignisse nimmt tendenziell zu.
...ggf. ist es eine Ecke, wo man nicht mehr vernünftig leben kann.

Ganz so weit würde ich nicht gehen. Klar, dort wo das Wasser bis in den dritten Stock gestanden hat und Gebäude von der Flut komplett weggerissen wurden oder so schwer beschädigt worden sind, dass man sie abreißen muss, sollte man sich besser drei mal überlegen, ob man an der gleichen Stelle wieder aufbaut. Aber es gibt ja auch die Randbereiche - weiter weg vom Fluss und am Fuß der Hänge - wo "nur" der Keller abgesoffen ist oder das Wasser vielleicht einen halben Meter im Erdgeschoss stand. Gegen so etwas kann man sich mit noch halbwegs vertretbarem baulichen Aufwand schützen (ich weiß durchaus, wovon ich rede - ich lebe in einem Flusstal). Pauschale Lösungen wird es nicht geben.

Gruß
Ulli

Re: Hochwasserkatastrophe an der Ahr

BeitragVerfasst: Fr 1. Okt 2021, 18:24
von EThC
UlliB hat geschrieben:Abgesehen davon würde eine Verlagerung auf eine Fülle praktischer Probleme stoßen. So gut wie der gesamte mit Wohn- und Betriebgebäuden bebaute Talgrund oberhalb von Ahrweiler war Überschwemmungsfläche. Wenn man das alles "nach oben" verlagern wollte, wäre das eine Jahrhundertaufgabe. Und wohin nach oben? In die Hänge hinein wäre extrem teuer und würde dort außerdem den Weinbau verdrängen. Realistisch wäre nur eine Verlagerung auf die flussnahe Eifel-Hochfläche möglich, da gibt es aber momentan keine Infrastruktur.

Es ist alles wirklich sehr vertrackt...
...in der Tat, auch wenn's ein paar Meter höher meist schon täten. Allerdings gehört ja jeglicher Grund irgendwem, und den, den man selber hat, kann man in vielen Fällen nicht oder nicht so schnell nutzen, weil aktuelle Bebauungspläne etc. dagegen sprechen und und und...

Da besteht die Gefahr natürlich, daß in absehbarer Zeit sich strukturell kaum was ändert, weil auf die Schnelle die Alternativen fehlen. Die Leute müssen aber jetzt wieder was aufbauen, was in vielen Fällen mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit innerhalb einer Generation wieder weggeschwemmt wird...

Pfahlbauten vielleicht? Ich hab bei einer Papierfabrik an der Zwickauer Mulde ein Gasturbinenkraftwerk "auf Stelzen" errichtet. Da schwappt beim nächsten Hochwasser die Mulde einfach drunter durch... :lol:

Re: Hochwasserkatastrophe an der Ahr

BeitragVerfasst: Di 5. Jul 2022, 14:38
von UlliB
Das Hochwassser an der Ahr ist jetzt bald ein Jahr her.

Manche werden sich noch an die SolidAHRität-Aktion erinnern, die u.a. von Dirk Würtz vom Weingut St. Antony sehr schnell initiiert wurde. Winzer nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern haben Wein gespendet, der von freiwilligen Helfern auf dem Weingut nach dem Zufallsprinzip verpackt wurde und an Käufer, die die Aktion unterstützen wollten, zu 65 Euro für sechs Flaschen verschickt wurde. Einige hier im Forum haben eines oder mehrere Pakete gekauft und die Aktion dadurch unterstützt. Insgesamt kamen dabei in kurzer Zeit beeindruckende 2,5 Millionen Euro zusammen, die den betroffenen Winzern im Ahrtal schnell helfen sollten.

Genauer gesagt: hätten schnell helfen sollen. Gerade im aktuellen Vinum gelesen: das Geld befindet sich nach wie vor auf den Konten der Initiatoren. Denn nach geltendem deutschen Recht sind steuerfreie Spenden an Privatpersonen nicht möglich, sondern nur an als gemeinnützig anerkannte Organisationen, und die Finanzverwaltung ist der Auffassung, dass somit der gesamte eingeworbene Betrag der Steuer unterliegt - und darüber gibt es jetzt seit Monaten Streit. Zwar hieß es von Seiten der Behörden mal, dass die Hilfe unbürokratisch und schnell erfolgen soll, aber bei Finanzämtern ist das Wort "unbürokratisch" unbekannt, und "Ermessensspielraum" gleich sowieso :evil:

Was man aus der Gegend hört, klemmt es mit den zugesagten staatlichen Hilfen auch sonst an vielen Ecken, und sehr viel Hilfe beruht immer noch auf Privatinitiative. Aber auch bei diesem Thema gilt halt, dass die Öffentlichkeit ein kurzes Gedächtnis hat und ihre Aufmerksamkeit zügig anderen Themen zuwendet, und die Politik daraufhin das Interesse verliert und die gesamte Abwicklung den unteren Verwaltungsbehörden überlässt, die in Ermangelung klarer Richtlinien verständlicherweise sehr vorsichtig und konservativ vorgehen - nur nichts falsch machen.

Gruß
Ulli

Re: Hochwasserkatastrophe an der Ahr

BeitragVerfasst: Di 5. Jul 2022, 19:53
von tomwine
Es ist ein Trauerspiel in diesem Land. Politiker und Verwaltung zeigen sich leider häufig als wenig pragmatisch und reformunfähig. Man schaue sich auch nur das Versagen bei der Datenerhebung im Zuge der Corona-Pandemie an.

Re: Hochwasserkatastrophe an der Ahr

BeitragVerfasst: Di 5. Jul 2022, 20:22
von Gerald
Ist zwar kein Trost, aber anderswo ist es noch schlimmer - nach dem Erdbeben von 2009 wartet die Gegend von L'Aquila (wenn man den Medienberichten glauben darf) noch immer auf die schnell zugesagten Wiederaufbauhilfen ...

Grüße
Gerald