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Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Do 4. Feb 2016, 13:29
von toff
duhart09 hat geschrieben:Irgendwelche Erfahrungen mit den Landgeflechten der Vorjahre?
Hallo Uli,
vor etwa einem Dreivierteljahr hatte ich den 08er. Aus der Erinnerung: recht dunkle Farbe, in der Nase Aromen von (Wal)Nüssen und Äpfeln, leicht oxidativer Eindruck. Im Mund ebenfalls Nüsse und Äpfel, gewisse phenolische Adstringenz, ziemlich langer Abgang. Brauchte viel Luft (war am zweiten Tag zugänglicher als am ersten).
Interessanter, aber auch etwas anstrengender Wein. Wenn ich aber Martin Kössler richtig verstanden habe, hat Kühn zu der Zeit generell den Most sehr lange auf der Maische stehen lassen, was er inzwischen verkürzt haben soll. Demzufolge könnten die Phenoltöne bei den aktuellen Jahrgängen weniger ausgeprägt sein (ist aber reine Theorie, von den jüngeren Jahrgängen habe ich bei Kühn nur die Basisweine probiert).
Grüße
Christopher
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Do 4. Feb 2016, 15:49
von octopussy
toff hat geschrieben:
Interessanter, aber auch etwas anstrengender Wein. Wenn ich aber Martin Kössler richtig verstanden habe, hat Kühn zu der Zeit generell den Most sehr lange auf der Maische stehen lassen, was er inzwischen verkürzt haben soll. Demzufolge könnten die Phenoltöne bei den aktuellen Jahrgängen weniger ausgeprägt sein (ist aber reine Theorie, von den jüngeren Jahrgängen habe ich bei Kühn nur die Basisweine probiert).
Ich glaube, diese Phase mit längeren Maischestandzeiten ging bis einschließlich 2008 oder 2009. Die jüngeren Peter Jakob Kühn Weine, die ich getrunken habe, waren teils deutlich weniger phenolisch als so einige 2004er, 2005er, 2006er oder 2008er. St. Nikolaus und Doosberg 2012 fand ich fast schon schmeichlerisch (relativ gesehen). Am Ende sind für mich die Kühn Rieslinge aber immer fordernd und auch ein bisschen eine Wundertüte. Die können mal so und mal so schmecken, je nachdem, in welcher Phase man sie erwischt. Früher fand ich das etwas fragwürdig, mittlerweile nicht mehr und werde immer mehr zum Fan der Kühn Weine. Dass einzelne Weine wie der Landgeflecht jetzt in der super teuren Liga spielen, finde ich allerdings etwas überambitioniert
.
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Do 4. Feb 2016, 18:32
von Ollie
toff hat geschrieben:Wenn ich aber Martin Kössler richtig verstanden habe, hat Kühn zu der Zeit generell den Most sehr lange auf der Maische stehen lassen, was er inzwischen verkürzt haben soll.
Nicht die Maischestandzeit war der entscheidende Knopf, an dem PJK gedreht hatte, sondern der Klaergrad des Mosts. 2008 war in dieser Hinsicht der Tiefpunkt (auch wortwoertlich); Frau Kuehn sagte mir bei der Vorstellung der (ganz anderen) 2009er, die Kunden seien den Weg nicht mehr mitgegangen, deshalb haette der Stil von PJK "verharmlost" werden muessen.
Cheers,
Ollie
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Di 9. Feb 2016, 13:38
von toff
Ollie hat geschrieben:Nicht die Maischestandzeit war der entscheidende Knopf, an dem PJK gedreht hatte, sondern der Klaergrad des Mosts.
Hi Ollie,
könntest Du das ein wenig erläutern? Ich war bislang der Meinung, dass die Phenole primär in den Stengeln (und Häuten?) enthalten sind und dass sie mit längerer Standzeit eben zunehmend extrahiert werden. Wo kommt da die Mostklärung ins Spiel?
Danke & Gruß
Christopher
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Di 9. Feb 2016, 15:01
von UlliB
Ich bin zwar nicht Ollie, aber....
toff hat geschrieben:
Ich war bislang der Meinung, dass die Phenole primär in den Stengeln (und Häuten?) enthalten sind und dass sie mit längerer Standzeit eben zunehmend extrahiert werden.
Das ist richtig.
Wo kommt da die Mostklärung ins Spiel?
Die "Phenole" (ich mag diesen Begriff nicht, aber bitte, ganz falsch ist er nicht) liegen im Most nach dem Abpressen zu großen Teilen nicht in freier Lösung vor, sondern sorbiert an Trübstoffe. Wenn der Most scharf geklärt wird (egal, mit welchem Verfahren - Filtration, Zentrifugation,
débourbage à froid...), wird dabei ein Großteil der Phenole mit dem Trub entfernt. Gelangt ein Teil des Trubs jedoch mit in die Vergärung, werden die Phenole bei den dann ablaufenden Prozessen aus der Sorption freigesetzt und gehen in den Wein über. Inwieweit bei der Gärung zusätzlich auch noch Depolymerisationsreaktionen von Gerbstoff-Präkursoren in den Trübstoffen ablaufen, weiß ich nicht, vielleicht kann Ollie dazu noch etwas sagen.
Übrigens galt unzureichende Mostklärung bei der Weißweinerzeugung noch vor 20 Jahren als gravierender handwerklicher Fehler. Aber damals wollte man auch fruchtbetonte Weine und keine "mineralischen" Gerbstoffbrühen.
Gestern ein Fehler, heute Avantgarde
Gruß
Ulli
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Di 9. Feb 2016, 17:25
von Ollie
UlliB hat geschrieben:Depolymerisationsreaktionen von Gerbstoff-Präkursoren (...) vielleicht kann Ollie dazu noch etwas sagen.
Nein, kann er nicht (aber er fuehlt sich geehrt, in die naehere Auwahl gekommen zu sein).
Von mir noch ergaenzend:
Man kann "Phenole" mit den Truebstoffen besonders gut dann aus dem Most entfernen, je oxidativer der Most gehandhabt wird: schon beim Pressen "phenolreduzierend" arbeiten, also langsame, sanfte Pressung mit viel Luftkontakt des Mosts (vgl. die Vergoetterung der Korbpresse) nach moeglichst keiner Maischestandzeit (vgl. Direktpressung bei Sektgrundwein).
Allerdings muessen die Trubstoffe auch tatsaechlich aus dem Most entfernt werden. Daher weisen mit Sauerstoff flotierte Moste besonders geringe Phenolgehalte auf; kombiniert mit reduktiver Weinbehandlung und speziell dem langen Verbleiben auf der Hefe ("Hefeschoenung") koennen so sehr phenolarme und daher langlebige* Wein erzeugt werden. Der lange Ausbau auf der Vollhefe ist nicht umsonst traditionell eine burgundische, keine moselanische Geschichte (vom erleichterten BSA und dem Einfangen der Holz"tannine" mal ganz abgesehen) (und soviel zum "Terroir", das PJK natuerlich
immer herausgearbeitet hat, na klar...).
Verbleiben die Trubstoffe ganz oder teilweise im Most, sorgen die reduktiven Zustaende waehrend der Gaerung (besonders bei Mostschwefelung) dafuer, dass die Phenole in den Wein uebergehen, wie Ulli das beschrieben hat. Daher geht bei harsch behandelten oder ungeklaerten Mosten nur bedingt: Bis in die fruehen 90er wurden in Chablis manche Moste ungeklaert vergoren, weil die spaete Lese und die geringen Erntemengen kleine Gebinde bei kuehlen Temperaturen bedingten. Folglich steht Chablis traditionell nicht fuer Frucht, sondern fuer eine kraeuterige Mineralik - genauso wie z.B. die alten (2005 bis 2008) Kuehns. Soviel zur von Ulli auch angesprochenen Wahrnehmung von "Fehlern".
Cheers,
Ollie
*Nicht jede Sorte "Phenol" hat die selbe Wirkung. Flavanoide sind offenbar die grossen Boesewichte, die die Oxidation von Weisswein stark beschleunigen (daher waren sie mal im Gespraech als Ausloeser fuer PreMox); bei Rotweinen sorgen sie fuer unangenehme Bitterkeit. Sie kommen hauptsaechlich in den Kernen vor, und es bestehen wohl starke Unterschiede zwischen einzelnen Rebsorten: Riesling wenig, Grauburgunder viel. Das erklaert auch, warum klassische Moselrieslinge, die traditionell (d.h., phenolarm) bereitet werden, extrem langlebig sind (die Sterilfiltration samt Schwefelung der Weine hilft natuerlich auch), neumodisch-agressiv vinifizierte GGs aber manchmal recht schnell zusammenklappen. Moderne Rotaryfermenter (in denen ein Ruehrwerk die Maische umwaelzt) haben schon seit Jahren die Vorrichtung, auf den Boden gesunkene Kerne zu entfernen.
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Fr 12. Feb 2016, 10:29
von toff
Hallo Ulli & Ollie,
erstmal danke für die Erklärungen. Noch eine Frage zu Folgendem:
Ollie hat geschrieben:Allerdings muessen die Trubstoffe auch tatsaechlich aus dem Most entfernt werden. Daher weisen mit Sauerstoff flotierte Moste besonders geringe Phenolgehalte auf
Wieso reduziert Sauerstoffkontakt den Trub im Most?
UlliB hat geschrieben:Übrigens galt unzureichende Mostklärung bei der Weißweinerzeugung noch vor 20 Jahren als gravierender handwerklicher Fehler. Aber damals wollte man auch fruchtbetonte Weine und keine "mineralischen" Gerbstoffbrühen.
Genau solche fruchtbetonten Weine hat Kühn in den 90ern gemacht und ich habe das geliebt (Das ist jetzt vermutlich so, als würde ich zugeben, dass ich Helene Fischer mag). Und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Kühn vom Saulus zum Paulus wurde oder umgekehrt.
UlliB hat geschrieben:Das erklaert auch, warum klassische Moselrieslinge, die traditionell (d.h., phenolarm) bereitet werden, extrem langlebig sind (die Sterilfiltration samt Schwefelung der Weine hilft natuerlich auch), neumodisch-agressiv vinifizierte GGs aber manchmal recht schnell zusammenklappen.
Zumindest was die Kühn´schen Weine der Nullerjahre betrifft, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie schnell abbauen.
Grüße
Christopher
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Fr 12. Feb 2016, 12:21
von Ollie
toff,
der Sauerstoffkontakt wirkt wie oben beschrieben auf die "Phenole"; es ist die Flotation, die den Trub (dramatisch) reduziert. Dazu wird der Most mit Gas unter Druck gesetzt, so dass es sich im Most loest, vgl. CO2 bei Mineralwasser. Beim Entspannen ("Oeffnen der Flasche") gast es dann aus und legt sich an die Trubteilchen, wodurch sie aufschwimmen ("flotieren"). Dann laesst man den extrrem klaren Most unter der "Dreckschicht" ablaufen.
Je nach Ziel nimmt man O2 (Mostoxidation), ansonsten Luft oder gar inerten Stickstoff (dann ohne besagte Wirkung auf den Phenolgehalt).
HTH & Cheers,
Ollie
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Fr 12. Feb 2016, 12:54
von amateur des vins
Darf ich mal kurz meinen Dank @Ulli & @Ollie dazwischenrufen?
Ich werde in kürzester Kürze alles wieder vergessen haben, aber für den Moment bin ich ebenso beeindruckt von Eurem Wissen um wie fasziniert von den Einblicken in die Wein-Chemie.
Merci!
Re: Peter Jakob Kühn
Verfasst: Fr 12. Feb 2016, 14:52
von UlliB
amateur des vins hat geschrieben:Darf ich mal kurz meinen Dank @Ulli & @Ollie dazwischenrufen?
Ich werde in kürzester Kürze alles wieder vergessen haben, aber für den Moment bin ich ebenso beeindruckt von Eurem Wissen um wie fasziniert von den Einblicken in die Wein-Chemie.
Gern geschehen, und Danke für die Blumen - ich selber bin aber immer wieder darüber ernüchtert, was man alles wissen könnte und was ich alles nicht weiß. Ansonsten: ich habe einen sehr Chemie-betonten Beruf (und dafür ein sehr chemielastiges Studium absolviert), da kommen Profession und Hobby mal zusammen.
toff hat geschrieben:Genau solche fruchtbetonten Weine hat Kühn in den 90ern gemacht und ich habe das geliebt (Das ist jetzt vermutlich so, als würde ich zugeben, dass ich Helene Fischer mag). Und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Kühn vom Saulus zum Paulus wurde oder umgekehrt.
Oh je, erneut eine Analogie von Weinpräferenzen und Musikgeschmack. Man sieht doch in einem Nachbarthread, wohin das führt... und wehe, wenn Dich die Helene-Fischer-Fans erwischen
Ansonsten: Weingeschmack unterliegt Moden, und wie das mit Moden eben so ist - was gestern noch angesagt war, ist heute bäh (und kommt vielleicht trotzdem irgendwann mal wieder). Als ich anfing, mich mit Wein zu beschäftigen, war die Süßwelle in Deutschland noch in vollem Schwang, dann kam die saure Trockenwelle, dann die milde Trockenwelle, dann die fruchtige Trockenwelle, jetzt halt die mineralische Trockenwelle, vielleicht mit einem kleinen Touch von "Orange Wine" dazu (wobei "trocken" in Deutschland über alle Wellen hinweg durchaus auch ein bisschen süß sein durfte und darf). Man darf schon gespannt sein, was als nächstes kommt. Und im übrigen darf man die Leute, die die jeweils gerade mal aktuelle Modewelle als der Weisheit letzten Schluss ansehen und alle anders gearteten Produkte als unauthentisch oder antiquiert oder als "Helene-Fischer-Weine" (aua...) ansehen, getrost ignorieren.
Gruß
Ulli