Lakrisi hat geschrieben:amateur des vins hat geschrieben:Verstehe ich Dich richtig - Du gehst davon aus, daß jeder Wein mit > 9 % Alkohol chaptalisiert und somit "künstlich" ist?
Wie kommt man zu so einer Aussage - oder anders gefragt, warum die Polemik?
Na ja, ehrlich gesagt drängt sich einem -auch mir- die Frage schon auf, wenn man deine vorangegangenen Statements so liest, das mag aber auch mit Mißverständnissen zu tun haben. Hier sind halt hauptsächlich "Weinnerds" unterwegs, und die verstehen halt z.B. Ausdrücke wie "Tafelwein", "Vino da Tavola" etc. erst mal so, wie sie auch weinrechtlich definiert sind. Wenn das anderweitig umgangssprachlich anders gehandhabt wird, sind die Mißverständnisse bereits vorprogrammiert.
Vielleicht noch ein paar Erläuterungen zum Thema:
Alkoholgehalt: der ist zum einen davon abhängig, wieviel Zuckergehalt in der Traube bei der Lese vorhanden ist und zum anderen davon, wie weit man den Wein gären läßt. Auf der Seite
https://de.wikipedia.org/wiki/Grad_Oechslefindet man eine Tabelle, die zeigt, welcher Alkoholgehalt erreichbar ist, wenn man den Wein vollständig durchgären läßt, z.B. 13 % Alkohol bei 95 Grad Oechsle Mostgewicht (was dann z.B. eine "Spätlese" ist). Ein Wein, der durchgegoren nur 9 % Alkohol hat, hat demnach bei der Lese gerade mal knapp 70 °Oe, das ist in Zeiten des Klimawandels mit immer höheren Temperaturen nix, in Italien zweimal nix. Um so was zu schaffen, muß man die Trauben entweder sehr früh -quasi grün- ernten oder den Wein nicht komplett durchgären lassen, was dann zu höheren Restzuckergehalten führt und je nach Weinstilistik ja durchaus gewollt ist. Aufgezuckert wird heute bei ordentlichen Qualitäten eigentlich nur noch selten, da die Trauben aufgrund der sich ändernden Wachstumsbedingungen in der Regel genügend hohe Mostgewichte erreichen. Wenn man aber beim Weinbau auf Höchstertrag setzt, bilden die Trauben auch vergleichsweise weniger Zucker aus und dann wird auch schon mal mit Fremdzucker nachgeholfen. Das war übrigens in Deutschland früher fast durchgehend die Regel, weil es in den Weinbergen damals einfach zu kalt war, als daß man die Trauben durchgehend anständig reif bekommen hat. Wenn in D auf der Flasche übrigens "Prädikatswein" d'rauf steht, darf der Wein nicht aufgezuckert sein, beim "Qualitätswein" ist es zwar rechtlich möglich, wird heutzutage aber wohl eher selten gemacht, wenn, dann aus oben erwähnten Gründen. Heute ist es eher verbreitet, die Moste zur Stabilisierung aufzusäuern, weil es nunmehr vielen Reben schlicht zu warm ist...
Schwefel: je nach Terroir und Rebsorte ist im Most von Haus aus mehr oder weniger Schwefel enthalten. Um die Weine zu stabilisieren, wird allermeistens noch Schwefel dazugegeben, was aus meiner Sicht erst mal nix Schlimmes ist, wenn man's nicht übertreibt. Weine ganz ohne Schwefel gibt es praktisch nicht, Weine ohne Schwefelzusatz dagegen schon. Allerdings sind viele dieser "Zero-S-Weine" schlicht und ergreifend nicht trinkbar. Zur Herstellung solcher Weine gehört viel Erfahrung und vor allem Sorgfalt, dann können das ganz großartige Sachen sein. Aber das hat dann auch seinen Preis. Und es funktioniert auch nur bei ganz trockenen Weinen und penibler Sauberkeit im Keller (laut Winzeraussage).
Ansonsten beziehe ich mich auf die Aussage eines der Blogger-Urgesteine in D, der (wenn ich mich recht erinnere) mal sinngemäß geschrieben hat, daß ein "ehrlicher Wein" in D ab ca. 8 EUR/l möglich ist. D'runter muß man dann das "Tricksen" anfangen und das, was man durch entsprechende Arbeit im Weinberg aus Kostengründen nicht mehr machen kann, im Keller durch günstigere Ersatzmaßnahmen aufholen. Das ist dann das, was Du vermutlich als "Kunstwein" deklarierst. Wenn der Kunde aber unbedingt Wein für 1,99 Euronen / Flasche haben will, führt am Kunstwein kein Weg vorbei.
Wenn Du was suchst, was in reiner Handarbeit und möglichst wenig bis gar keinen Eingriffen im Keller hergestellt wird, dann bist Du preislich einfach bei 15 Euronen plus unterwegs. Und da kommen dann auch je nach Jahrgang, Rebsorte und beabsichtigter Stilistik auch gerne mal über 13 Umdrehungen 'raus, ohne daß da aufgezuckert oder sonstwie nachgeholfen wurde.
Supermarkt & Co.: schon aus logistischen Gründen wird ein Supermarkt in der Regel nur Weine von großen Herstellern bzw. Abfüllern im Sortiment haben. Was nützt dem ein Winzer, der nur ein paar 1.000 Flaschen im Jahr herstellt? Wenn man nicht im sechsstelligen Bereich liefern kann, ist das für die Handelsketten nicht machbar mit ihren vielen Filialen, auf klein-klein sind die nicht eingestellt. Nur wenn Supermarkteigner im Franchise-System arbeiten, können diese neben dem Regelsortiment auch noch was "Eigenes" anbieten, bei manchen inhabergeführten Edekas z.B. passiert das, ist aber dann vom Interesse des Inhabers abhängig, was der da ggf. zusätzlich ins Regal stellt. Aber auch die haben in den allerseltensten Fällen Sachen, die auch für passionierte Weinliebhaber interessant sind.
Deshalb sehe ich nach wie vor keine "ins Auge springende" Lösung für Deine Nachfrage...