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Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Di 25. Feb 2014, 17:34
von octopussy
Hallo zusammen,
geht es nur mir so oder gibt es Anzeichen dafür, dass die große Aufbruchstimmung im deutschen Weinbau erst einmal vorbei ist?
Nach der Welle der großen Erneuerer (Wittmann, Keller, Fröhlich, Christmann, Spanier, Löwenstein, Kollmann, usw.) tauchen zwar gefühlt täglich neue junge Winzer auf, die auch - jedenfalls kurzfristig - gut Presse bekommen. Von denen haben sich aber nach meinem Empfinden außerhalb einer bestimmten Szene kaum welche wirklich nachhaltig national und international etablieren können. Ausnahmen gibt es natürlich, z.B. die Weingüter Vollenweider, Weiser-Künstler, Ziereisen, Enderle & Moll, von Racknitz, von Winning (revived) oder Wagner-Stempel.
Anstatt kompromisslos daraufhin zu arbeiten, bei den "Kernrebsorten" (Riesling, Spätburgunder, Weiß- und Grauburgunder, Silvaner, Lemberger) die Weltspitze zu erobern, wird nach meinem Empfinden lieber ein bisschen rumgefrickelt. Internationale Rebsorten, Dornfelder mit 4 Jahren Barriquelager oder "Orange" Weine mit Maischestandzeit sind nur ein paar Beispiele dafür.
Ich habe für dieses "Rumfrickeln" durchaus Verständnis. Wenn die Kunden alle Sauvignon Blanc haben wollen und er der Wein ist, der als erstes ausverkauft wird, warum sollte man ihn nicht anbieten? Wenn die Kunden deutschen Merlot nachfragen, warum sollte man ihn nicht anbieten? Wenn es mit Orange Wine ein paar Blog- und Zeitungsberichte und damit Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gibt, warum nicht Orange Wine (in kleiner Auflage) erzeugen?
Das sind alles legitime Fragen. M.E. darf man sich dann aber auch nicht wundern, wenn es - abseits der edelsüßen Klassiker und vielleicht noch des G-Max von Keller - im Ausland keinen Kult um die besten deutschen Weine gibt, der zu entsprechend hohen Ab-Hof-, Händler- und Auktionspreisen führt.
Aus meiner Sicht laufen viele Entwicklungen beim "jungen deutschen Wein" aktuell nicht in die richtige Richtung (die Konsumentensicht blende ich dabei mal aus). Alles mögliche scheint wichtig zu sein: das Eröffnen neuer Kundenschichten, Marketing, neue Etiketten, das Quasi-Abschaffen der Prädikate. Aber wo ist das Bekenntnis zur kompromisslos besten Qualität, zu einer so exzellenten Qualität, dass ausländische Importeure sich darum reißen, Newcomer importieren zu dürfen? Dass es Wartelisten und Zuteilungen gibt?
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Di 25. Feb 2014, 19:30
von Alas
octopussy hat geschrieben:Aber wo ist das Bekenntnis zur kompromisslos besten Qualität, zu einer so exzellenten Qualität, dass ausländische Importeure sich darum reißen, Newcomer importieren zu dürfen? Dass es Wartelisten und Zuteilungen gibt?
Aus Theorie und Praxis: Die deutsche Winzerschaft hat kein Interesse daran, und sieht wohl auch keine Notwendigkeit.
Gruß
Alas
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Di 25. Feb 2014, 19:59
von octopussy
Alas hat geschrieben:
Aus Theorie und Praxis: Die deutsche Winzerschaft hat kein Interesse daran, und sieht wohl auch keine Notwendigkeit.
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Mi 26. Feb 2014, 09:44
von MichaelWagner
Hallo Stephan,
ich würde das mal in 2 Themen Aufteilen:
1. das Streben nach besten Qualitäten.
2. Expansion/Internationalisierung
zu 1: findet statt - aber doch eher im Kleinen, da gebe ich Dir recht.
zu 2: findet nicht statt weil der nationale und internationale Weinhandel sich vor allem über die letzten 10 Jahre so stark zum negativen gewandelt hat, dass schlicht und ergreifend die monetären Anreize fehlen. Der internationale Siegeszug der Discounter und die damit verbundene Konzentration im Einzelhandel haben einen Großteil des Weinhandels, der auf Qualität setzte und langfristig orientiert war schlicht und ergreifend vernichtet. Die Formel: ich mache herausragende Weine und rede darüber und dann werden enthusiastische, qualitätsorientierte Weinhändler aufspringen und wir wachsen zusammen funktioniert nicht mehr. (Wir hatten das Thema hier im Forum ja auch schon oft in abgewandelter Form, sprich Fachhandel in D etcpp)
Tagesaktuelles Beispiel von gestern um das Ganze etwas zu verdeutlichen:
ein bekannter Sommelier sucht so um die 6.000 Flaschen hochwertigen deutschen Weinguts-Riesling für einen sehr bekannten, großen Weinhändler in einem unserer direkt angrenzenden Nachbarländer. Erste Einschränkung: maximaler ab-Hof-Preis: 3,- Euro pro Flasche.
Das ist kein Ausreißer nach unten sondern ganz normal. Regalpreis soll dann so um die 8 Euro. Da lege ich dann einfach ganz entspannt ohne Kommentar den Hörer auf und widme mich neben den "Standards" lieber kleinen Side-Projekten, an denen ich Spaß habe, denn in diesem Umfeld ist schlicht und ergreifend nicht an Expansion zu denken.
Will sagen: man konzentriert sich darauf das Bestehende hinsichtlich Qualität zu optimieren (sowohl in der Flasche als auch das "Drumherum" wie Etiketten, Kommunikation etcpp). Mit dem Effekt, dass es etwas leiser wird, aber deswegen nicht schlechter.
Du hast in sofern Recht: es gibt Probleme, aber nicht unbedingt auf Weingutsseite.
Und die Prädikate bleiben - zumindest bei mir
Gruß, Michael
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Mi 26. Feb 2014, 10:07
von Charlie
Ich finde es passiert einiges in Sachen Qualität und auch Entwicklungen (oder Weiterentwicklungen) von Stilen. Und zwar gibt es immer mehr, vor allem junge Winzer die Richtung trocken, herb, unfruchtig gehen. Es sind meist Rieslinge um die 10 €.
Ich glaube aber auch nicht, dass hier Export oder internationaler Kult generiert wird.
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Mi 26. Feb 2014, 12:28
von VillaGemma
octopussy hat geschrieben:
Anstatt kompromisslos daraufhin zu arbeiten, bei den "Kernrebsorten" (Riesling, Spätburgunder, Weiß- und Grauburgunder, Silvaner, Lemberger) die Weltspitze zu erobern,
Also hier muss ich ein wenig korrigieren, denn ich kann mir echt nicht vorstellen, wie man mit "Lemberger" die Weltspitze erobern möchte. Das ist die Sicht eines Weinliebhabers der südlichen Rhone+Priorat...ein bißchen Italien ist auch dabei. Nein, wenn dann müssen die Deutschen sich auf Weißwein spezialisieren, um in die Weltspitze zu kommen oder zu bleiben. Ich meine mich zu erinnern, dass einige Riesling durchaus angesehen sind. Und vielleicht auch die Spätburgunder von Becker und Co (ich kann die auch nicht richtig einschätzen, dass das nicht meinem Geschmack entspricht).
octopussy hat geschrieben:
wird nach meinem Empfinden lieber ein bisschen rumgefrickelt. Internationale Rebsorten, Dornfelder mit 4 Jahren Barriquelager oder "Orange" Weine mit Maischestandzeit sind nur ein paar Beispiele dafür.
Nun ja, man muss eben auch mal was ausprobieren. Und apropos Orange. Torsten hat je den durchaus leckeren Halb-Orange-Wein Lo Coster Blanc in seinem Angebot. Ein Weißwein, der zunächst wie Rotwein mit Maische hergestellt wird. Das fand der deutsche Winzer Hanke, die bei der Verkostung im November dabei war, höchst interessant. Und der Wein ist auch klasse; der gefällt sogar mir als Rotweintrinker
...also auch mal was neues ausprobieren ist durchaus ok.
octopussy hat geschrieben:
Das sind alles legitime Fragen. M.E. darf man sich dann aber auch nicht wundern, wenn es - abseits der edelsüßen Klassiker und vielleicht noch des G-Max von Keller - im Ausland keinen Kult um die besten deutschen Weine gibt, der zu entsprechend hohen Ab-Hof-, Händler- und Auktionspreisen führt.
Ich denke mal, dass es einfach sehr schwer ist, in diesen Markt reinzukommen (wie Michael schon geschrieben hat). Die große Masse ist halt <= 5 Euro VK. Vollkommen uninteressant für uns, aber die Masse der Deutschen mögen dieses Zeugs. Dann zu sagen: Momentemo...isch mach jetzt Qualität...grüne Leese, nur noch 1/8 der Etragsmenge, Premium, BIO, Handlese, usw usw.Zudem kündige ich all meine aktuellen Verträge=Einnahmen ab. Das dürfte genausoschwer sein, wie von der Massentierhaltung auf Demeter umzusteigen. Das sind vollkommen andere Welten mit ganz anderen Absatzwegen.
Einige Winzer gehen den Weg, aber ich kann mir vorstellen, dazu gehört schon eine Menge Mut und Willen (und Reserven).
Ich mache dieses Jahr auf einem Weingut Urlaub (freu), welches vor 8 Jahren in Südfrankreich auf BIO umgestellt hat. Bin gespannt, was die so sagen, wie "einfach" das war. Und das war wahrscheinlich nur ein kleiner Schritt. Bin allgemein gespannt, was wir dort alles über Weinanbau lernen...
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Mi 26. Feb 2014, 13:07
von MichaelWagner
@VillaGemma: falsch verstanden. Die deutsche Winzerschaft macht Topqualitäten. Mehrheitlich deutlich über 5,- Euro. Der eine Bio, der andere konventionell. Sei jedem selbst überlassen.
Die Ausgangslage/Problematik ist idR eine ganz andere:
die bestehende Menge wird zu gesunden Preisen vermarktet. Sagen wir mal so im Schnitt 70% im Inland und 30% im Export (an die wenigen Händler die noch Qualität haben wollen und bereit sind dafür einen entsprechenden Preis zu zahlen).
Und dann sage ich mir: ich stelle mich jetzt im Export breit auf und brauche dann auch zusätzlichen Wein. Also kaufe ich mir ein paar Hektar dazu, investiere nochmal kräftig in Keller (Tanks undhastenichgesehen) und produziere diesen Wein. Dann kommt der Einkäufer XY mit seinem Sommelier XZ und sagt: gebe ich Dir ab Hof 3,50 für - egal wie Du heisst, egal wie gut Dein Wein ist und ob da jetzt ein Adler auf der Kapsel ist oder nicht und mir auch egal wie Bio Du bist.
Das ist die Realität. Resultierend aus der o.g. Entwicklung im Handel.
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Do 27. Feb 2014, 16:42
von octopussy
Michael,
bezüglich der Basis- bis gehobenen Qualitäten kann ich deine Aussagen nicht überprüfen, sie klingen aber realistisch und plausibel.
Ich bezog mich mehr auf die Spitze. M.E. sind im Ausland nur sehr wenige deutsche Weingüter richtig bekannt, gefragt, begehrt und gesucht. Und viele davon erzeugen überwiegend restsüße Rieslinge: Egon Müller, J.J. Prüm, Willi Schaefer, von Schubert, Lauer (USA), evtl. Robert Weil, Leitz, dazu Dönnhoff, Emrich-Schönleber, Keller, evtl. noch Wittmann. Einige weitere haben m.E. das Zeug zum Durchbruch, aber dabei handelt es sich am Ende doch meist um Weingüter, die es schon eine Weile gibt bzw. die schon eine Weile lang bekannt sind.
Ich muss wirklich lange nachdenken, um junge Weingüter zu nennen, die es im letzten Jahrzehnt nachhaltig geschafft haben, durch Spitzenqualitäten die Weltspitze aufzumischen in einer Art und Weise, wie es z.B. Keller in den Jahren davor geschafft hat. Man mag über den gleich mit hohen Preisen startenden Julian Haart an der Mosel schimpfen, aber der hat es (wohl auch durch etwas Promo seines "Mentors") in relativ kurzer Zeit geschafft, auch internationale Nachfrage zu generieren. Dasselbe gilt für die Pinots von Enderle & Moll. Klar, das sind jeweils absolute Mini-Mengen. Die sind natürlich schnell weg, was die Weine begehrt macht (weil selten).
Ich denke darüber nach, wie viele Weine es in Frankreich gibt, bei denen man sich glücklich schätzt, ein paar Flaschen zugeteilt zu bekommen, die man in Restaurants trinken muss, die schon länger eine Allokation haben: Coche-Dury, Roulot, Lafon, Raveneau, Roumier, Fourrier, Mortet und weitere im Burgund, Clos Rougeard an der Loire, Houillon/Overnoy und Ganevat im Jura, Yvon Mêtras und Jean-Louis Dutraive im Beaujolais, zahlreiche Syrahs der nördlichen Rhône. Außer Keller, Prüm, Willi Schaefer und Egon Müller, Koehler-Ruprecht "R", evtl. noch Wittmann fallen mir aus Deutschland kaum Winzer ein, deren Weine so rar sind, dass man in Restaurants fährt, um sie trinken zu können. Und es ist ja nicht so, dass die vorgenannten mittelmäßige Qualitäten in Mini-Mengen zu hohen Preisen erzeugen. Es gibt schon einen Grund, warum die Weine so gesucht sind.
Irgendwie fehlt mir in Deutschland aktuell abseites der arrivierten Weingüter etwas die Aufbruchstimmung, die Vision, Qualitäten erzeugen zu wollen, die zu den größten Weißweinen der Welt zählen. Oder übersehe ich da einfach nur etwas?
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Do 27. Feb 2014, 17:57
von Weinbertl
hallo Stephan,
mein Eindruck ist, dass sich die Etablierung von hochwertigem Weißwein schwieriger gestaltet als dies bei Rotwein der Fall ist. Es fehlt oftmals die Bereitschaft für Weißwein hohe Preise zu zahlen, Frankreich nimmt hier mit Burgund gewissermaßen eine Monopolstellung ein. Und bei dt. Weißweinen besteht (von edelsüßen Rieslingen mal abgesehen) genauso wenig die Azeptanz von hohen Endverbraucherpreisen.
Sind wir uns doch mal ehrlich, die meisten Weinliebhaber sind eher bereit 50+ EUR für eine Flasche roten Bdx, Burgunder, Barolo, Napa Valley usw. hinzulegen als für einen trockenen Riesling.
Re: Der deutsche Wein 2014 a.k.a. auf der Stelle treten
Verfasst: Do 27. Feb 2014, 19:52
von MichaelWagner
Du meinst Weingüter deren Weine von GM, Parker und Co als größte Weißweine der Welt getitelt werden. Dann müsstest du diese Frage an den VdP richten warum da nicht mal ein anderer ne Chance bekommt. Keine Ahnung . Der Markt ist wohl zu klein und die Platzhirsche verteidigen ihr Revier. Bspw. Stichwort Koehler Ruprecht ->> Familie Sauvage (Konzern). Denen gehören auch so einige Importgesellschaften in USA. Macht's herrlich einfach in den US-Markt zu kommen...bei einigen anderen Namen gibts ähnliche Konstrukte. VV ->> Bitburger. Distribution ist quasi schon da...etcpppp. Ist für normalsterbliche eben nicht so einfach in USA Wein zu verkaufen (3-Tier System, resultierend aus der Prohibition). Da ist Vitamin B gefragt.
Außerhalb des Vereins bewegt sich ne Menge in eine sehr positive Richtung. Bei mir und einigen jüngeren Kollegen herrscht Aufbruchsstimmung pur. Komm halt mal vorbei. Dann müssen wir nicht extra nach USA.
PS: und Roberts Argument kommt noch hinzu...
Gruß,
Michael