Gerald hat geschrieben:Damit man den Lagencharakter überhaupt erkennen kann, muss man den - eindeutig dominierenden - Stil des Weinguts zuerst einmal abstrahieren.
Nicht nur vom Stil des Weinguts, sondern tatsaechlich von der Herstellung, die ja auch betriebsintern von Lage zu Lage unterschiedlich ausfallen
kann. Wenn bei der einen Toplage eine laengere Maischestandzeit moeglich ist, die ihrerseits durch ein verlaengertes Vollhefelager aufgefangen wird, dann ist "weich & cremig" halt genau
nicht eine Lageneingenschaft. Sondern, die Eigenschaft der Lage ist es, solche Dinge ueberhaupt erst zu ermoeglichen.
Gerald hat geschrieben:Oder gibt es dem Produkt Wein nur einen fast metaphysischen "Mehrwert", den man nicht wirklich schmecken kann, aber man trotzdem bereit ist, einiges dafür an Mehrpreis zu bezahlen?
Ja, so ist das wohl. Daher schrieb ich ja von einem "fast theologischen Problem", das der Konsument damit bekommt, wenn der Lagencharakter nicht mehr den Weincharakter, sondern "lediglich" die Wein
qualitaet dominiert. Gerade Konsumenten des philosophisch ja sowieso aufgeladenen Produkts Wein haben, als modern-urban gepraegte Menschen, Sehnsucht nach einem
bukolisch pastoral* anmutenden "von der Natur dominiert", also nach dem krassen Gegensatz zum "von der Kultur dominiert". Daher werden (oftmals?) Weineigenschaften direkt der Lage ("unberuehrte Natur") zugeschrieben und nicht der (menschgemachten) Kellerwirtschaft. Dass dabei vernachlaessigt wird, dass auch die Wachstumsbedingungen im Weinberg (menschgemachte) Kultur sind, ist der feine Denkfehler dabei. Keiner Logik verpflichtete Denker fluechten sich dann in die Sprechblase, der Winzer koenne ja schlechterdings "gegen das Terroir anwirtschaften". (Wobei das Terroir immer nur ex-post definiert ist [axiomatisch, nota bene] und jede "Ableitung" daraus daher notwendigerweise zirkulaer ist.)
Das Perfide an der ganzen Chose ist ja genau, dass die Lage ueberhaupt erst einmal gut genug sein muss, um den resultierenden Wein gut genug werden zu lassen, damit er die Lageneigenschaften (ganz bestimmt jedoch die Lagenqualitaet; s.a. weiter unten) widerspiegeln
kann.
Stellt sich die Frage, wieso Winzer (ich glaube, "Michael an der Mosel" ist keine Ausnahme; das gilt auch fuer "Paul an der Jagst") imstanden sind, Lagen zu erkennen. Ob sich die Wahrnehmung einer Lage aendert, wenn man die Weinbergswirtschaft umstellt, z.B. von Einzelpfahl nach Spalier? Wenn mit anderer Traubenreife gelesen wird (z.B. durch Ertragsveraenderung)? Glaubt man den Gurus von den DLRs, sollte sich ja zumindest die Wein
qualitaet aendern. Und damit, was ich oben schrieb. Und selbst dann waeren nur Vollprofis imstande, die feinen Lagenunterschiede herauszusieben. Oder nicht?
Vor diesem Hintergrund: Falls es tatsaechlich die vornehmste Eigenschaft einer guten Lage ist, qualitativ hohchwertige Weine zu ermoeglichen (d.h. diese Lageneingenschaft muss im Keller erhalten werden, damit ein guter Wein entsteht, der das Potential ausschoepft), dann waere das eine Erklaerung, wieso letztes Jahr einige (Wuertz & Co.) dachten, eine gute Lage sei immer eine gute Lage,
unabhaengig von der Rebsorte.
Cheers,
Ollie
*pastoral, weil ich durchaus eine seelsorgerisch-religioese Komponente darin wahrzunehmen glaube.
PS: Sollte jemand deplaziert wirkende Arroganz in meinem Text entdeckt haben, so bitte ich um Entschuldigung. Mir kam sie sehr wohlplaziert vor.
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard, copropriétaire de Château Smith Haut Lafitte)