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Interessant: Spontanvergärung

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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Gerald

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 17:26

Hallo Bernd,

danke für den interessanten Link.

Bei - zumindest - einer Aussage darin hoffe ich aber sehr für deine Gesundheit, dass der gute Herr etwas verwechselt hat, nämlich:

Der Wert des zuckerfreien Extraktes liegt bei gleichen Voraussetzungen um 2 bis 3 g/l bei Spontangärung höher. Es sind höhere Alkohole, die zu mehr Mundigkeit und Aromaempfinden beitragen und beim zuckerfreien Extrakt mit gemessen werden.


Höhere Alkohole in Wein (landläufig als "Fuselöle" bezeichnet :shock:, wissenschaftlicher: "Begleitalkohole") sind in höherer Konzentration ziemlich giftig und können Schäden am Herz/Kreislaufsystem sowie - natürlich - der Leber verursachen. Im Normalfall ist deren Konzentration in Wein zu gering, um die Gesundheit ernsthaft zu gefährden, ich hoffe das gilt auch für die Spontis ;)

Bei 2-3 g/l würde ich mir aber wirklich Sorgen machen ...

Grüße,
Gerald

P.S. Vielleicht meint er statt "höhere Alkohole" "mehrwertige Alkohole" wie z.B. Glycerin, das wäre gesundheitlich harmlos und würde den Wein tatsächlich vollmundiger erscheinen lassen.
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Markus Vahlefeld

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 17:37

Die längere Haltbarkeit ist ja erstmal ein Mythos. Wein wird ja nicht schlecht im Sinne von schimmelig. Ich würde es eher "besseres Reifeverhalten" nennen. Die Weine entwickeln sich anders und die Primäraromen treten in der Hintergrund und machen den Sekundäraromen Platz. Dazu müssen aber erstmal Sekundäraromen im Wein sein. Und bei einer schnellen ruck*zuck RZH-Vergärung bleibt gar keine Zeit, um das Potential der Sekundäraromen auszubilden. Jetzt mag Gerald kommen und von Terpentin und Ester sprechen, aber nicht umsonst ist die Aromenbildung bei gereiftem Wein wissenschaftlich noch nicht ergründet worden. Das jetzt mal so bildhaft gesprochen.

In Wahrheit ist es aber so, dass die spontan vergorenen Weine oftmals bei höheren Temperaturen vor sich hin blubbern. Da wärmt sich das Fass schon mal auf knapp unter 30° auf, was für jeden Sicherheitsfanatiker die schiere Hölle ist. Was als Stahltank über 20° geht, wird gnadenlos runtergekühlt. Ist halt gut für die Fruchtaromen und RZH arbeitet bei niedrigen Temperaturen halt auch ordentlich. Nur diese blöden eigenen Hefen, die fahren halt auch mal die Temperatur hoch.

Und jeder derart "langsam" arbeitende Winzer lässt seinen Wein dann noch lange auf der Hefe ruhen. Das gibt auch Aromen an den Wein ab, die nicht unbedingt auf der Fruchtseite liegen.

Und wieviele Winzer kenne ich, die ihre Weine schnell von der Hefe nehmen, richtig kalt stellen, um sie dann vor der Füllung auf fast 0° runterzukühlen, damit sie keinen Aromenverlust haben. Nur: wie reifefähig sind derartige Aromen, die nur durch totale Kalttemperaturen konserviert werden können?

Kurzum: neben Sponti gibt es noch das Hefelager und die Gärtemperaturen, die ebenfalls recht aromenprägend sind.
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Gerald

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 17:58

Hallo Markus,

Und bei einer schnellen ruck*zuck RZH-Vergärung bleibt gar keine Zeit, um das Potential der Sekundäraromen auszubilden. Jetzt mag Gerald kommen und von Terpentin und Ester sprechen, aber nicht umsonst ist die Aromenbildung bei gereiftem Wein wissenschaftlich noch nicht ergründet worden.


hmm, damit habe ich leichte Verständnisschwierigkeiten :oops: Sekundäraromen bilden sich ja erst lange nach Abschluss der Gärung - warum sie sich bei schnellerer Gärung weniger ausbilden sollen, das kann ich nicht nachvollziehen.

In Wahrheit ist es aber so, dass die spontan vergorenen Weine oftmals bei höheren Temperaturen vor sich hin blubbern.


ja, aber die Temperaturführung hat doch nichts per se mit Spontan oder RZ zu tun, oder? Man könnte doch genauso spontan leicht gekühlt vergären und bei RZ-Hefe - wenn man es darauf anlegt - bei höherer Temperatur. Das ist bildhaft gesprochen eine andere Stellschraube, oder?

Allgemein ist der von Bernd verlinkte Artikel schon recht aufschlussreich - mal von dem beunruhigenden Satz mit den Fuselölen abgesehen. Wenn durch "unreine" Hefen schwefelhaltige, stark riechende Substanzen (die anfangs an Böckser erinnern) gebildet werden, die sich im Lauf der Zeit zu anderen Substanzen umwandeln, dann ist das schon eine sehr schöne Erklärung.

Gerade schwefelhaltige Substanzen sind ja für viele ganz charakteristische Aromen im Wein (Cassis und Paprika z.B. in Cabernet, Maracuja, aber auch die klassische Feuerstein-Note) verantwortlich.

Grüße,
Gerald
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UlliB

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 18:44

Gerald hat geschrieben:P.S. Vielleicht meint er statt "höhere Alkohole" "mehrwertige Alkohole" wie z.B. Glycerin, das wäre gesundheitlich harmlos und würde den Wein tatsächlich vollmundiger erscheinen lassen.


Hallo Gerald,

ja - der Löwenanteil des zusätzlichen zuckerfreien Extraktes ist tatsächlich Glyzerin. Das passiert halt, wenn Önologen sich in den Untiefen der organischen Chemie verirren...

Allerdings ist in spontanvergorenen Weinen tatsächlich auch der Anteil an Fuselölen erhöht (innerhalb gesundheitlich noch tolerabler Grenzen); außerdem liegt der Gehalt an niederen Aldehyden deutlich höher (das sind die im Artikel erwähnten "Schwefelbindungspartner"), und auch ansonsten ist da einiges zu finden, was unter dem Gesichtspunkt der Reintönigkeit im Wein eigentlich nichts zu suchen hat. Im Rahmen einer Önologie, die auf Fehlervermeidung fokussiert, ist Spontangärung deshalb ganz klar Teufelszeug. Und als Jungwein sind manche Spontis sogar objektiv fehlerbehaftet: sie stinken schlicht und ergreifend (nicht umsonst ist der "Prüm-Furz" berühmt-berüchtigt), wobei Sponti-Liebhaber eine bewundernswerte Fähigkeit entwickeln, am typische Gestank "vorbeizuverkosten" (nicht wahr, Bernd? 8-) ) und die ablehnende Haltung anderer Verkoster kaum verstehen können.

Die langjährige Erfahrung lehrt jedoch, dass aus dem müffelnden Jungwein in vielen Fällen (leider bei weitem nicht in allen) ganz wunderbar gereifte Exemplare werden. Das kann gelegentlich ganz erhebliche Zeit dauern; bei Prüm-Spätlesen schon mal 10 Jahre und mehr...

Gruß
Ulli
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Gerald

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 18:56

Hallo Ulli,

wobei Sponti-Liebhaber eine bewundernswerte Fähigkeit entwickeln, am typische Gestank "vorbeizuverkosten" (nicht wahr, Bernd? 8-) ) und die ablehnende Haltung anderer Verkoster kaum verstehen können.


also eigentlich so wie bei anderen Lebensmitteln (z.B. gereifter Camenbert, der "normale" Käsefreunde eher an eine monatelang nicht gereinigte Toilette erinnern kann :) ). Oder - um bei Wein zu bleiben - Petrolnoten, Brettanomyces etc. Also per se unangenehme Gerüche, die nach einiger Gewöhnung aber als aromatische Bereicherung empfunden werden?

Gerade unter diesen Gesichtspunkten - wo man die Grenze zu Weinfehlern nur schwer ziehen kann - ist eine Bewertung im Sinn von "besserer Wein" aber wohl kaum möglich, oder?

So gesehen ist der letzte Absatz im verlinkten Artikel auch nachvollziehbar:

Aus den dargestellten Gründen sind Spontangärungsweine Spezialitäten und so sollten sie auch gepflegt und eingeordnet werden.
Die Weine, die die Umsatzträger repräsentieren, werden auch in Zukunft mit einer gezielten Vergärung durch Reinzuchthefe gewonnen.


Solche Weine werden also immer nur eine Sache für "Freaks" sein, anders als z.B. die Wachauer Top-Smaragde, die meines Wissens auch (oder gerade?) Weinanfängern zusagen. Wie sieht es eigentlich mit der Bewertung solcher Weine in Weinguides aus? Erhalten sie hohe Punktezahlen, obwohl man weiß, dass die Mehrzahl der Weintrinker sie ablehnen würden?

Grüße,
Gerald
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Bernd Schulz

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 19:24

Wie sieht es eigentlich mit der Bewertung solcher Weine in Weinguides aus? Erhalten sie hohe Punktezahlen, obwohl man weiß, dass die Mehrzahl der Weintrinker sie ablehnen würden?


"Dass die Mehrzahl der Weintrinker sie ablehnen würde", ist eine viel zu pauschale Formulierung. Erstens gibt es bei den Spontis (auch bei jungen) ganz unterschiedliche Ausprägungen der entsprechenden Noten. Und zweitens habe ich bei verschiedenen Weintrinkern auch immer ganz verschiedene, von der Erfahrung mit solchen Weinen erstaunlich unabhängige Reaktionen erlebt.

Generell kann man sagen, dass Spontis in den Weinguides oft sehr hohe Punktzahlen erhalten. Schau dir ruhig mal die Bewertungen von J.J.-Prüm-Rieslingen im GM oder Müllen-Rieslingen im Eichelmann oder P.J.-Kühn-Rieslingen bei Hofschuster an! Diese Wertschätzung kommt auch nicht von ungefähr -sie hängt schlichtweg mit der Komplexität und Vielschichtigkeit der Kandidaten zusammen.

Solche Weine werden also immer nur eine Sache für "Freaks" sein


Nein, falsche Schlussfolgerung, siehe oben!

Beste Grüße

Bernd
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UlliB

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 19:37

Gerald hat geschrieben:Gerade unter diesen Gesichtspunkten - wo man die Grenze zu Weinfehlern nur schwer ziehen kann - ist eine Bewertung im Sinn von "besserer Wein" aber wohl kaum möglich, oder?


Hallo Gerald,

was besser und was schlechter ist, hängt neben der individuellen Verkostungserfahrung und dem persönlichen Geschmack auch von Konventionen ab, und die können sich durchaus ändern. Auch Weingeschmack unterliegt durchaus Moden, die sich über die Zeit wandeln und darüberhinaus auch noch gebietsabhängig sind. Was Sponti-Böckser betrifft, ist z.B. die Qualitätsweinprüfung an der Mosel sehr tolerant; in Baden hingegen fallen Weine auch mit verhältnismäßig leisen Spontitönen häufiger gnadenlos durch, wie mir einige dortige "Spontanisten" erzählt haben. Wenn man sich schon nicht darüber einigen kann, was ein Fehler ist und was nicht: wie soll man sich dann darüber einigen können, was gut und was besser ist?

Wie sieht es eigentlich mit der Bewertung solcher Weine in Weinguides aus? Erhalten sie hohe Punktezahlen, obwohl man weiß, dass die Mehrzahl der Weintrinker sie ablehnen würden?


Das ist abhängig von der Sichtweise des jeweiligen Verkosters. Die meisten werten aber hoch, ja.

Was die Mehrzahl der Weintrinker meint, ist übrigens eine interessante Frage. Ich habe gerade mit Anfängern und Laien schon echte Überraschungen erlebt - da dachte ich bei manchen Weinen "oh je, der qualmt jetzt aber wirklich übel", und die Leute waren begeistert....

Gruß
Ulli
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Allegro

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 19:44

Bernd Schulz hat geschrieben:Ich weiß offengestanden nicht, warum. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Reinzuchthefen die Weine schneller vergären als ihre wilden Kollegen, daran, dass sie die Fruchtaromen früher aufschließen.


Dazu fällt mir spontan ein Vergleich ein: beim Brotbacken ist es genau das selbe !
Backe ich ein Brot mit Industriehefe, ist es in den meisten Fällen schon am nächsten Tag lange nicht mehr so gut wie frisch. Und spätestens am 3. Tag entweder steinhart oder Gummi.
Backe ich ein Brot dagegen mit lebendem Sauerteig und ganz ohne zusätzliche Industriehefe, so braucht es zwar tatsächlich eine längere Gehzeit als mit der auf Turbo gezüchteten Bäckerhefe; dafür bleibt es dann aber auch über Tage frisch und lecker. Und der Geschmack ist sowieso ein ganz anderer.

Viele Grüße - Allegro
Viele Grüße - Allegro
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Birte

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 20:03

Backe ich ein Brot dagegen mit lebendem Sauerteig und ganz ohne zusätzliche Industriehefe, so braucht es zwar tatsächlich eine längere Gehzeit als mit der auf Turbo gezüchteten Bäckerhefe; dafür bleibt es dann aber auch über Tage frisch und lecker. Und der Geschmack ist sowieso ein ganz anderer.


Hey, für mich der interessanteste Diskussionsbeitrag. Eigene Rückschlüsse und Vergleiche ziehen. Obwohl ich selber kein Brot backe, kann ich das anhand meiner Bio Brot Einkäufe nachvollziehen und würde noch ergänzen "ein Bio Brot altert in Würde". Hart kommen nussige Aromen zu Stande, die angenehm sind, so ein aufgeblasenes Ding kannst Du nicht mehr essen. Falls sich jetzt irgendwer wundert, ich bin kein Reinzuchthefenverfechter. Ich habe mehrfach betont, dass ich spontan vergorene Rieslinge über alles schätze. Aber wie das jetzt schon mehrfach erwähnt wurde, eine Zuchthefe ist nichts zwingend Künstliches und wenn es gut eingesetzt wird, warum nicht. Aber dieser Brot Vergleich fasziniert mich! Danke Allegro!
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Gerald

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Re: Interessant: Spontanvergärung

BeitragDo 18. Aug 2011, 20:21

Ich habe ja nur ein paar Male Brot backen versucht. Soweit ich mich erinnere, verwendet man da aber doch ganz andere Zutaten für Sauerteigbrote, oder? Meines war gröber geschrotet und überwiegend aus Roggen, was ja eine ganz andere Struktur ergibt.

Ein "normales" Baguette aus Weizenmehl, Salz, Hefe und etwas Öl habe ich nicht zusammengebracht, der Teig ist einfach nicht so locker wie das gekaufte geworden. Ich nehme an, dass es an den fehlenden Emulgatoren, Feuchthaltemittel und was sonst noch in ein kommerzielles Brot kommt, liegt :shock:

Grüße,
Gerald
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