EThC hat geschrieben:Bei unseren Weinrunden sind in der Regel recht viele unterschiedliche Gläser am Tisch, weil einige Leute ihre eigenen Gläser mitbringen. Bei auffälligen Abweichungen in den Weinbeschreibungen gehen dann schon auch mal die Gläser rum und sehr häufig kommen wir zu eindeutigen Ergebnissen, was die Abweichungen über die Gläser angeht.
Dann oute ich mich mal.
Deutlich wahrnehmbare Unterschiede zwischen Gläsern unterschiedlicher Mittrinker erlebe ich sehr oft (immer?), selbst wenn die Gläser die gleichen sind. - Die gängige Erklärung für Unterschiede zwischen Verkostereindrücken ist die Wechselwirkung des Weins mit dem Speichel der jeweiligen Menschen. Felix Bodmann (Schnutentunker) hat mal von einer gaschromatischen Untersuchung berichtet, bei der mehrere Verkoster Orangensaft getrunken hatten und ihr jeweiliger Atem dann teils dramatische Unterschiede aufwies, was Art und Konzentration von Aromastoffen anging.
Ich bilde mir ein, daß bei mir diese Unterschiede sogar systematisch sind insofern, als sie immer in die selbe Richtung gehen. Zumindest gefühlt neigt die Aromatik eines Weins in meinem Glas immer ins "Dunkle" und weniger Florale als bei anderen Mittrinkern. Daß Unterschiede mal deutlicher und mal weniger deutlich ausgeprägt sind, kann Tonnen an Gründen haben, die nichts mit dem Glas zu tun haben. (Das, wie gesagt, immer das gleiche zwischen den Verkostern, aber nicht immer das gleiche zwischen den Verkostungen ist.) Kann aber auch
confirmation bias sein (und ist es wohl auch, aber ich bin zu uninteressiert am Thema, um der Sache auf den Grund gehen zu wollen).
Falls nun die Speichelgeschichte wirklich systematisch und hinreichend reproduzierbar wäre und weiterhin das Glas einen Einfluss hätte, könnte man hypothetisieren, daß die "Wechselwirkung aus Glas und Speichel" auf rein individueller Basis reproduzierbar zu Verschiebungen der wahrgenommenen Aromatik führt. Daß also ein bestimmtes Glas meinen "dunkelmachenden Speichel" kompensiert und (einen bestimmten? jeden?) Wein "blumiger" macht. Aber selbst wenn dem so wäre (und hier ist sehr viel zu zeigen!), wäre eine so hochindividuelle Kombination faktisch "Rauschen" - die Verteilung (das Spektrum) der wahrgenommenen (und in VKN niedergeschriebenen) Aromen würde lediglich breiter, bliebe aber in der Tendenz erhalten, und im Mittel wäre nichts gewonnen.
Interessanterweise wir das Thema "Tagesform" immer ausgeklammert; dabei ist es wahrscheinlich der größte Einflussfaktor überhaupt - neben dem Wein natürlich, denn am Ende der Verkostung ist der Unterschied zwischen Wittmann und Künstler größer als der zwischen Riedel und Schott. Ergo: In der relativen Wichtigkeit der Einflussgrößen rangiert das Glas mit ziemlicher Sicherheit ganz, ganz, ganz hinten. Jeder Aufwand ist dort also am schlechtesten investiert. Nicht umsonst sagt ein norwegisches Sprichwort: "Wenn das Bier schlecht schmeckt, nimm ein anderes Bier."
(Strukturelle Ähnlichkeiten der Diskussion zu der um den berüchtigten Kabelklang der Hifi-Jünger sind
kein Zufall.)
Cheers,
Ollie