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“Die Inflation der Kritiker”…

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C9dP

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragSa 23. Jul 2011, 16:52

Hallo Susa,

ich kann dir nur zustimmen, dass es schade ist, dass sich solche Formate in Deutschland nicht finden. Auch den Ansatz, dass Wein in Deutschland eben nicht so zum Kulturgut gehört, wie in Frankreich oder Italien ist vollkommen plausibel und eine andere Einstellung zu dem Thema wäre häufig wünschenswert. Vielleicht liegt es aber zum Teil daran, dass der Wein sich mit anderen Gütern, wie z.B. Bier den Markt teilen muss. Und wenn Wein in den ursprünglichen Herkunftsländern am Mittelmeer den Status als Kulturgut erlangt hat, so sieht es in Deutschland doch etwas anders aus. In Frankreich und Italien ist es doch so, dass es in Paris, Marseille, Rom oder Mailand als große Metropolen mit einem großen und finanzstarkem Absatzmarkt keine regionalen Spezialitäten abseits des Weins gibt, die den Markt streitig machen. In Deutschland sieht es allerdings so aus, dass es in München, Köln, Düsseldorf regionale Spezialitäten wie Weißbier, Kölsch und Alt gibt, welche eine lange Tradition haben und eben auch als Substitut zum Wein stehen. Daher ist der Absatzmarkt in den großen Metropolen und auch vielen Peripherien stark eingeschränkt. Zudem würde ich die Situation in den eher ländlich geprägten Weinbaugebieten so einschätzen, dass durch die enge Berührung zum Wein und den Produzenten ein sehr aufgeklärtes Publikum vorhanden ist, welches sich eher keiner journalistischen Publikation bedient, sondern die Informationen direkt vom Winzer bekommt. Ich sehe in den genannten Gründen jedenfalls ein großes Problem für ein Weinjournal, welches eine breite Masse erfolgreich gewinnen will. Mich würde interessieren, wie andere von euch die Aspekte sehen, da ich natürlich kein Marketingcontrolling und keine Marktstudie als Verifikation meiner Gedanken habe.
Viele Grüße

Aloys
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weinfidél

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragSa 23. Jul 2011, 17:09

Ich denke, dass wesentliche Punkte bereits genannt wurden. Was mir aber defintiv noch zusätzlich auffällt, ist die Tatsache, dass "Essen und Trinken" hierzulande eher eine untergeordnete Rolle spielen. Auch wenn es X-Formate in den einzelnen TV-Sender gibt, ändert es trotzdem bis jetzt kaum etwas daran, dass die Menschen offensichtlich wenig Lust verspüren, sich auch wirklich persönlich mit der Thematik auseinander zu setzen. Und mit dem Thema "Wein" noch viel weniger. "Auto" und "Ferien" haben doch einen viel höheren Stellenwert. Dafür wird jederzeit Geld ausgegeben, egal wie. Das ist doch in den mediterranen Ländern ganz anders. Auch in Österreich und der Schweiz ist "Essen und Trinken" sehr viel wichtiger, auch, wenn gutes "Wohnen", "Auto", etc., nicht unwichtig sind, wird die Gewichtung in % (also die Bereitschaft, für diese Dinge Geld auszugeben) anders gehandhabt. Nun, wenn also in Deutschland das Thema ganz am Schluss angesiedelt sein sollte, dann ist es naheliegend, dass man kaum davon ausgehen kann, im entsprechenden Journalismus wirkliche Qualität zu finden, weil weder gefordert noch gewünscht...

fidélst
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Markus Vahlefeld

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragSo 24. Jul 2011, 16:59

Moin Rico,

das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass der Weinjournalismus in Ö besser und tiefgründiger ist als in D. Ist das wirklich so? Ich weiss nicht...

Ich habe eher den Eindruck, dass in D alle Schreiberlinge gerne Weinjournalisten wären, aber das Thema der Weinkritik nicht ernst nehmen. Zumindest kenne ich keinen deutschsprachigen Schreiber, dessen Punkte irgendeine Relevanz hätten (den früheren R. Gabriel mal ausgenommen). Journalist ist irgendwie etwas Ehrenhaftes, da gibt es einen Codex und alles... Weinkritiker ist so schnöde. Da kann man sich nicht selbst verwirklichen.

Und ich persönlich glaube nicht daran, dass es wirklichen Weinjournalismus gibt oder geben sollte. Weinschreiberei ist ein Service und mündet in eine Kaufempfehlung. Weinjournalismus hätte sich vom Käuflichen völlig fern zu halten, was bei Wein IMHO ein Widerspruch ist.
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weinfidél

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragSo 24. Jul 2011, 18:12

Hi Markus,

doch, um ehrlich zu sein, glaube ich tatsächlich, dass es in AT besser ist. Und zwar wohlwissend, dass immer wieder einzelne Artikel auch von deutschen Journalisten geschrieben werden. Aber, mit "Vinaria", "Falstaff", "A la carte" und sicher noch das eine oder andere mehr, ist einfach mehr(...) als genug Konkurrenz vorhanden, als dass sich das Thema bagatelliseren ließe.
Dann würde ich schon behaupten, dass es ein Peter Moser auch international geschafft hat, wirklich(!) zur Kenntnis genommen zu werden. Auch in der Schweiz ist ein Andreas Keller (Weinakademiker) bereits ziemlich hoch angesehen. Von Schwander (MW) ganz zu schweigen.
Ob es den "wirklichen" Weinjournalismus gibt, oder geben sollte, na ja, ich weiß es nicht. Da dürftes Du zwar mit "Service" schon Recht haben (siehe auch, wo sich das Thema Wein bei den Online-Ausgaben befindet... ;-)), aber mit
...mündet in eine Kaufempfehlung. Weinjournalismus hätte sich vom Käuflichen völlig fern zu halten, was bei Wein IMHO ein Widerspruch ist.
muss/müsste ich Dir dann widersprechen, wenn Du Journalismus rein nur auf genaueste Berichterstattung reduzieren würdest.
Und das Obige im Kontext zu dem
Journalist ist irgendwie etwas Ehrenhaftes, da gibt es einen Codex und alles...
hat sich spätestens mit dem heutigen "Presseclub" http://www.wdr.de/tv/presseclub/ als zumindest überdenkenswert offenbart.

fidélst
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Gerald

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragMo 25. Jul 2011, 09:00

Hallo,

mag ja sein, dass der Weinjournalismus in Ö noch einen besseren Stand als in D hat, insgesamt habe ich aber schon den Eindruck, dass es damit auch hierzulande rapide bergab geht. Daran sind sicherlich die Angebote im Web (insb. Web 2.0 mit Foren, Blogs & Co) nicht unbeteiligt daran.

Beim führenden Medium hierzulande habe ich jedenfalls den Eindruck (als Abonnent über fast 17 Jahre), dass sich die Art der Berichterstattung vor allem in den letzten Jahren stark verändert hat. Die Zielgruppe scheinen nicht mehr die "high-interest"-Weinfreunde zu sein, sondern eher Menschen, die das Heft gerne so nebenbei durchblättern, ohne inhaltlich in die Tiefe zu gehen. Als Indiz dafür sehe ich die Fokussierung auf attraktive Fotos und - bei den Berichten über Weingüter - dass mehr über die Menschen als über ihre Weine, die Weingärten oder gar kontroversielle Themen geschrieben wird. Eigentlich ähnlich wie in vielen "Lifestyle"-Magazinen.

Nachdem dahinter ja absolute Medienprofis stehen, nehme ich an, dass diese Richtung nicht einfach "passiert" ist, sondern ausdrücklich so angestrebt wurde, wahrscheinlich da sich in dieser Weise die Auflagenzahlen am besten halten oder sogar ausbauen lassen. Die "richtigen" Weinfreaks hat man wahrscheinlich schon seit längerem als Zielgruppe aufgegeben ...

Grüße,
Gerald
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weinfidél

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragMo 25. Jul 2011, 10:03

Hi Gerald,
Die "richtigen" Weinfreaks hat man wahrscheinlich schon seit längerem als Zielgruppe aufgegeben ...

danke für die Vorlage... :P : von denen alleine kann leider auch niemand überleben :oops:

Ansonsten bin ich bei Dir, auch wenn wir mal wieder "leicht" OT geworden sind...

fidélst
Rico
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Gerald

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragMo 25. Jul 2011, 10:33

von denen alleine kann leider auch niemand überleben :oops:


keine Frage, daher war die Umorientierung bestimmt schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen sinnvoll. Im übrigen finde ich, dass die Berichterstattung zu anderen Lebensmitteln (z.B. die Artikel über Trüffel) wirklich gut geworden ist, nur eben das seinerzeitige Hauptthema Wein wird inzwischen eher aus "lifestyle" Sicht behandelt. Egal, die Mannschaft dort weiß bestimmt was sie tut.

Und um zum Thema des Threads zurückzukommen: andere als die erwähnten Medienprofis sind anscheinend nicht in der Lage (oder nicht gewillt) sich entsprechend umzuorientieren, woher wohl auch die Klage mit der "Inflation der Kritiker" kommt. Das erinnert doch deutlich an die Klagen über den "Untergang der guten alten Zeit" ...

Grüße,
Gerald
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olifant

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragMo 25. Jul 2011, 11:58

Gerald hat geschrieben:.... Im übrigen finde ich, dass die Berichterstattung zu anderen Lebensmitteln (z.B. die Artikel über Trüffel) wirklich gut geworden ist, nur eben das seinerzeitige Hauptthema Wein wird inzwischen eher aus "lifestyle" Sicht behandelt. Egal, die Mannschaft dort weiß bestimmt was sie tut....


Hallo Gerald,

vielleicht wissen Sie was Sie tun, jedoch ist mir der eher Lifestyte-orientierte Auftritt seit der explizit 'deutschen' Ausgabe schluss endlich auch etwas zu beliebig / mainstreamig.
Ich werde daher mein Abo wohl auslaufen lassen, da ich feststellen muss, mich mit der damalig 'rein östereichischen Ausgabe' mehr beschäftigt, bzw. intensiver gelesen zu haben ...
Grüsse

Ralf

Die Zukunft war früher auch besser.
Karl Valentin
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Gerald

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragMo 25. Jul 2011, 12:08

Hallo Ralf,

ich habe auch mein Abo (wie erwähnt nach 17 Jahren) gekündigt, hat mich einfach nicht mehr angesprochen. Die deutsche Ausgabe kenne ich nicht direkt (nur vom Webauftritt), sie dürfte aber in etwa mit der aktuellen Ö-Ausgabe vergleichbar sein.

Grüße,
Gerald
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octopussy

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Re: “Die Inflation der Kritiker”…

BeitragMo 25. Jul 2011, 17:42

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Ich habe eher den Eindruck, dass in D alle Schreiberlinge gerne Weinjournalisten wären, aber das Thema der Weinkritik nicht ernst nehmen. Zumindest kenne ich keinen deutschsprachigen Schreiber, dessen Punkte irgendeine Relevanz hätten (den früheren R. Gabriel mal ausgenommen). Journalist ist irgendwie etwas Ehrenhaftes, da gibt es einen Codex und alles... Weinkritiker ist so schnöde. Da kann man sich nicht selbst verwirklichen.

Und ich persönlich glaube nicht daran, dass es wirklichen Weinjournalismus gibt oder geben sollte. Weinschreiberei ist ein Service und mündet in eine Kaufempfehlung. Weinjournalismus hätte sich vom Käuflichen völlig fern zu halten, was bei Wein IMHO ein Widerspruch ist.

Hallo Markus,

kannst du das noch etwas näher erläutern?

Zum letzten Punkt: Ich halte es für wirklich notwendig, dass in den Weinmedien (Zeitschriften, Online-Publikationen) mehr Essays über aktuelle Entwicklungen, Stilfragen, etc. veröffentlicht werden. Es gibt so viele Themen, die m.E. einmal betrachtet werden könnten/sollten. Einige Blogger wie D. Würtz machen sich übergreifende Gedanken hier und da. Warum nicht auch die Journalisten, die in Zeitschriften veröffentlichen?

Ich sehe Weinschreiberei nicht nur als Service, der in eine Kaufempfehlung mündet. Das ist ein Ausschnitt. Wein ist aus meiner Sicht genauso diskutierenswert wie Theaterstücke, Musik und Bücher. Und im Feuilleton der Zeitung finden sich neben Theater-, Musik- und Buchkritiken diesbezüglich auch oft Artikel über allgemeine Beobachtungen, Trends, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, usw. In der Weinjournaille kommen solche übergreifenden Themen m.E. oft zu kurz.

Den Aspket mit dem Käuflichen sehe ich auch. Ein Mittelweg ist aber m.E. möglich. Das hat v.a. etwas mit Ethos, mit Professionalität und mit Transparenz zu tun. Das Problem beim Thema Wein ist natürlich, dass wohl - im Gegensatz z.B. zu Sportjournalisten - nur ganz, ganz wenige Weinjournalisten allein vom Schreiben leben können. Zusätzliche Tätigkeiten im Handel, in der Gastronomie, in der Beratung, usw. scheinen mehr der Regelfall als die Ausnahme zu sein. Ich glaube, die völlige Unabhängigkeit ist ein nicht erfüllbarer Wunsch beim Schreiben über Wein. Da ist es mir lieber, wenn ein Journalist offen auf mögliche Interessenkonflikte hinweist und trotzdem einen Artikel veröffentlicht, als wenn ein Thema nicht zur Sprache kommt.
Beste Grüße, Stephan
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