Pigott und Theise zu trockenem Riesling

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Gaston
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von Gaston »

Gerald hat geschrieben:mit dieser Erklärung kann ich mich eigentlich nicht ganz anfreunden. Denn sonst würden ja die Leute in Italien, Frankreich, Spanien etc. an der Bar (also nicht zu einem Essen) einen halbtrockenen Wein bestellen. Ist aber meines Wissens völlig ungebräuchlich.



Ich hatte ja explizit von Riesling gesprochen. Von daher vielleicht eher "Riesling-Phänomen" statt deutsches Phänomen, wobei sich das ja auch überschneidet. Dass die eh tendenziell säurearmen südeuropäischen Weißweine nicht auch noch restsüß ausgebaut werden, leuchtet ein.
Beste Grüße
Gaston
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octopussy
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von octopussy »

Gerald hat geschrieben:
Gute halbtrockene Weine wirken mit ihrer Süße-Säure-Balance auf viele Leute besonders harmonisch und geschmeidig.


mit dieser Erklärung kann ich mich eigentlich nicht ganz anfreunden. Denn sonst würden ja die Leute in Italien, Frankreich, Spanien etc. an der Bar (also nicht zu einem Essen) einen halbtrockenen Wein bestellen. Ist aber meines Wissens völlig ungebräuchlich.

Ich denke, dass halbtrockene Weine (also weder "richtige" Dessertweine noch trocken) ein relativ isoliertes deutsches Phänomen sind. Denn auch in allen anderen Weinbaugebieten hat man inzwischen die technischen Möglichkeiten, mikrobiologisch stabile restsüße Weine zu produzieren. Trotzdem ist es im Großen und Ganzen unüblich ...

Hallo Gerald,

das liegt aber letztlich auch daran, dass ein halbtrockener (oder französisch: demi-sec) Stil nur in ganz wenigen Regionen mit ganz wenigen Rebsorten zu balancierten Weinen führt. Bei Riesling aus kühleren Regionen wie Mosel, Saar, Ruwer, Nahe, Mittelrhein und - begrenzt - Rheingau funktioniert es, bei Elsässer Rieslingen, Grauburgundern, Muskatellern und Gewürztraminern funktioniert es m.E. auch hin und wieder, aber das ist eher eine Mindermeinung (für den deutschen Gaumen sind diese Weine sehr gewöhnungsbedürftig). Bei Chenin Blanc von der Loire funktioniert es auch noch, sogar mit etwas höheren Alkoholgradationen. Bei einigen Schaumweinen wie Champagnern und vor allem Moscato d'Asti bzw. Braquetto d'Acqui in rot funktioniert es m.E. ebenfalls. Evtl. würde es auch bei Jurancon gut funktionieren. Aber gerade säurearme Rebsorten oder Weine aus heißen Regionen schmecken nach meinem Empfinden restsüß einfach nur pappig. Probier mal restsüßen Chardonnay: Grausam!

Insofern ist die Tradition der nicht ganz trockenen Rieslinge in Deutschland jedenfalls nicht allein eine kulturelle Tradition, sondern jedenfalls auch eine Tradition, die mit lokalen klimatischen Gegebenheiten und der säurestarken Rieslingtraube zu tun hat.
Beste Grüße, Stephan
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Gerald
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von Gerald »

Hallo Stephan,

Bei Riesling aus kühleren Regionen wie Mosel, Saar, Ruwer, Nahe, Mittelrhein und - begrenzt - Rheingau funktioniert es,


wann etwas als "balanciert" wahrgenommen wird, ist aber auch eine kulturelle Frage bzw. eine des persönlichen Geschmacks. Ich beispielsweise habe auch säurereiche Moselkabinette nie als balanciert empfunden, die Süße war für mich immer irgendwie "aufgesetzt".

Wenn restsüße Moselrieslinge überall auf der Welt als harmonisch wahrgenommen würden, warum wird dann nicht 95% der Produktion exportiert? Da hätte Deutschland ja einen enormen Standortvorteil, in Italien beispielsweise kann man solche Weine so gut wie nicht produzieren.

Grüße,
Gerald
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Gaston
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von Gaston »

Gerald hat geschrieben:
Wenn restsüße Moselrieslinge überall auf der Welt als harmonisch wahrgenommen würden, warum wird dann nicht 95% der Produktion exportiert?


Naja, 95% sind es nicht, aber meines Wissens geht immerhin rund 35% der Gesamtproduktion ins Ausland, und damit ist die Mosel diesbezüglich die Nummer 1 unter den deutschen Anbaugebieten. Ich finde diese Zahl durchaus beachtlich. So schlecht scheint dieser Stil in der Welt dann doch nicht anzukommen ;)
Beste Grüße
Gaston
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octopussy
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von octopussy »

Gerald,

du wirst das doch wissen, aber restsüßer deutscher Riesling ist weltberühmt und wird überall auf der Welt geschätzt. Gerade daran entzündet sich doch auch die Debatte zwischen Stuart Pigott und Terry Theise. Es ist ja übrigens mittlerweile so, dass für restsüße Rieslinge in Deutschland gerade kein Markt mehr besteht, während diese Weine im Ausland passablen oder guten Absatz finden.

Zur Illustration hier ein paar Auszüge aus dem Gault Millau zu Erzeugern vornehmlich restsüßer Rieslinge an Mosel, Saar und Ruwer, die einen hohen Exportanteil haben:

Dr. Hermann:

Gault Millau hat geschrieben:Diese Weine finden vor allem im Ausland ihre Abnehmer: 85 Prozent der Erzeugung dieses Gutes geht in den Export, hauptsächlich nach USA, Kanada und England, auch nach Asien. Trockene und halbtrockene Rieslinge spielen hier nur eine Nebenrolle.


S.A. Prüm:

Gault Millau hat geschrieben:Fast die gesamte Produktion dieses Betriebs geht ins Ausland.


Stephan Ehlen:

Gault Millau hat geschrieben:Da 80 Prozent der Gesamtproduktion für das Ausland bestimmt sind, überrascht ein entsprechend hoher Anteil von Weinen aus dem fruchtig-süßen Segment nicht.


Andreas Schmitges:

Gault Millau hat geschrieben:Für seine fruchtigen und edelsüßen Rieslingen hat sich Andreas Schmitges einen Markt im Ausland erarbeitet.
Beste Grüße, Stephan
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Gerald
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von Gerald »

Gut, überzeugt. ;)

Trotzdem spricht die Nennung der typischen Exportländer USA, Kanada, GB, Asien dafür, dass sie vor allem dort getrunken werden, wo auch die landestypische Küche ganz gerne Hauptspeisen mit Zucker "verbessert". ;) Also dass restsüße Weine vor allem dort geschätzt werden, wo sie in das kulinarische Umfeld passen ...

Grüße,
Gerald
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von octopussy »

Gerald hat geschrieben:Trotzdem spricht die Nennung der typischen Exportländer USA, Kanada, GB, Asien dafür, dass sie vor allem dort getrunken werden, wo auch die landestypische Küche ganz gerne Hauptspeisen mit Zucker "verbessert". ;) Also dass restsüße Weine vor allem dort geschätzt werden, wo sie in das kulinarische Umfeld passen ...

Hallo Gerald,

auch dem würde ich nicht zustimmen ;). Zum einen werden Riesling Kabinette und Spätlesen im englischsprachigen Ausland eher nicht zum Essen getrunken, sondern als Apéritif oder einfach so, Auslesen, BAs, TBAs und Eisweine eher zum Dessert. Zum anderen sind weitere beliebte Exportländer für restsüße deutsche Rieslinge die skandinavischen Länder, in denen aber trockene Rieslinge nach meinem Empfinden ebenso gut ankommen. Deren Küche empfinde ich als dezidiert salzig.

In einem Punkt bin ich mir nicht sicher und möchte ihn deshalb eher als Frage formulieren: Hat restsüßer deutscher Riesling/Wein überhaupt eine große Tradition als Essensbegleiter?
Beste Grüße, Stephan
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Gerald
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von Gerald »

Hallo Stephan,

die skandinavischen Länder, in denen aber trockene Rieslinge nach meinem Empfinden ebenso gut ankommen. Deren Küche empfinde ich als dezidiert salzig.


gerade dem kann ich wieder nicht folgen, ich erinnere mich noch an das "dänische Heringsbuffet" im Scandic Crown Hotel Wien (gehört inzwischen einer anderen Kette). Da waren fast alle Varianten süß, am auffälligsten der Hering in Schokoladesauce. ;) Und auch in Schweden habe ich öfters für mich ungewohnte salzig-süß-Kombinationen gefunden.

Oder anders gefragt: wie werden restsüße Weine in den mediterranen Ländern aufgenommen? Außer dezidierten Dessertweinen ist mir so etwas dort praktisch nie aufgefallen.

Grüße,
Gerald
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Gaston
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von Gaston »

Gerald hat geschrieben:
Oder anders gefragt: wie werden restsüße Weine in den mediterranen Ländern aufgenommen? Außer dezidierten Dessertweinen ist mir so etwas dort praktisch nie aufgefallen.



Gerade gefunden. Absolute Zahlen standen leider nicht dabei:

"Auch in klassischen Weinländern wie Spanien, Griechenland und Österreich treffen die Moselweine den Geschmack vieler Konsumenten. Die Exporte nach Spanien verdoppelten sich 2012, nach Griechenland verzeichnete der VDW ein Plus von fast 42 Prozent und nach Österreich gingen 55 Prozent mehr Mosel-Riesling als 2011. Die Lieferungen von der Mosel nach Frankreich gingen rasant nach oben: um 828 Prozent. Der größte Teil dieser Ware dürfte aber in Supermärkten der Kanalhäfen und schließlich im Kofferraum britischer Touristen landen. "

Quelle: http://www.weinland-mosel.de/index.php? ... &ID_KAT=22
Beste Grüße
Gaston
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Re: Pigott und Theise zu trockenem Riesling

Beitrag von octopussy »

Gerald hat geschrieben:Oder anders gefragt: wie werden restsüße Weine in den mediterranen Ländern aufgenommen? Außer dezidierten Dessertweinen ist mir so etwas dort praktisch nie aufgefallen.

Da wird nach meinem Empfinden so gut wie gar kein deutscher Wein getrunken. Ich habe auch in Restaurants in Südfrankreich so gut wie nie Elsässer Rieslinge oder Pinot Gris mit Restsüße auf der Karte gesehen. Hier aber ein paar Beispiele für restsüße (teils aufgespritete) Weine, die in Südfrankreich und Italien getrunken werden:

- Moscato d'Asti und Braquetto d'Acqui
- Recioto della Valpolicella und Amarone (letzterer hat auch ein bisschen, jedenfalls gefühlte Restsüße)
- aufgespritete Muscats aus Südfrankreich (Rhône und Midi). Nach meiner Erfahrung werden die häufig als Apéritif oder zu leicht süßen Vorspeisen wie Melone getrunken.

Das sind aber, zugegeben, Ausnahmeerscheinungen.
Beste Grüße, Stephan
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