während ich neulich den Artikel von Jens Priewe zum Gault Millau 2012 nicht so prickelnd fand, gefällt mir sein Jahresrückblick 2011 sehr gut. Bemerkenswert fand ich vor allem diese Aussage hier:
Jens Priewe hat geschrieben:Was mich geärgert hat…
…dass die Sozialisation vieler junger Sommeliers und Sommelières fast ausschliesslich über deutsche Weine läuft. Weißweine, etwa mit biologischem Säureabbau und im Holzfass auf der Feinhefe ausgebaut, haben in ihrem Koordinatensystem keinen Platz. Damit fehlt ihnen der Zugang zu vielen weißen Burgundern, zu den neuen Weißweinen des Roussillon, zu einigen der Top-Weinen Portugals, von den großen kalifornischen Chardonnays ganz zu schweigen.
Nun gibt es natürlich auch in Deutschland einige Weine, die BSA durchlaufen und im Holzfass auf der Feinhefe ausgebaut werden, viele sind es aber nicht. Und auch mir fällt auf, dass in vielen Restaurants (mit kleiner oder großer Weinkarte) die Weinkarten in der Kategorie weiß nach dem gleichen Muster aufgebaut sind - mit einem Schwerpunkt auf knackig, frisch und jung:
1. viel Riesling aus Deutschland, dazu hier und da noch ein Weißburgunder
2. Grüner Veltliner aus Österreich
3. Sauvignon Blanc aus Neuseeland, Südafrika, Deutschland, Pouilly/Sancerre
4. Wenn Chardonnay, dann eher ein knackiger, z.B. Stahltank-Chablis
Mir scheint manchmal, dass die Weinkarten den Extrempolen entsprechen sollen: knackig und frisch in weiß - gehaltvoll und schwer in rot. Mir fehlt - wie auch scheinbar Herrn Priewe - das Segment in der Mitte, belegt v.a. von gehaltvollen Weißweinen. Selbige würden sich nämlich oft auch ein ganzes Menu lang durchtrinken lassen: weiße Châteauneuf-du Papes zum Beispiel, Chardonnays aus dem Burgund, die von Priewe genannten holzfassgereiften Weißen aus dem Roussillon (völlig unterschätzt), trockene Chenin Blancs von der Loire, weiße Riojas, all diese Weine.
Das "Problem" mit diesen Weinen ist natürlich, dass sie meist etwas gereift einfach besser schmecken, und wohl kein Restaurant besonders scharf darauf ist, Weine lange lagern zu müssen. Insofern ist der Schwerpunkt auf knackig-frische Weißweine aus dem Stahltank manchmal evtl. gar nicht der begrenzten Weitsicht der Sommeliers und -èren geschuldet, sondern vielmehr ökonomischen Zwängen des Restaurants. Trotzdem wird aus meiner Sicht durch diese Lücke viel Potenzial bei der harmonischen Eintracht zwischen Essen und Wein verschenkt, gerade weil gereifte Rotweine ja oft angeboten werden.
Wer hat Erfahrungen mit der Sommelierausbildung? Liegt das von Herrn Priewe angesprochene Fehlen holzfassgereifter Weißweine mit BSA auf Weinkarten an der von Herrn Priewe angesprochenen Sozialisation überwiegend mit deutschen (lies: im Stahltank ausgebauten) Weißweinen? Oder bedienen die Sommeliers nur die Vorlieben der Kundschaft, die es gern knackig und frisch mag?