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Sinn und Unsinn der Punkte

Sterne, Punkte, Trauben - oder Obstkörbe
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octopussy

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Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 10:25

Dieses Thema hängt zwar mit einigen anderen Themen hier zusammen, ist aber m.E. eine Diskussion für sich wert. Dass Punkte/Gläser/Trauben/Sterne, usw., die von professionellen Weinjournalisten und Amateuren (letzteres im französischen Sinne gemeint) vergeben werden, heute eine große Bedeutung haben, braucht hier nicht näher festgestellt werden.

Welchen Stellenwert und welche Bedeutung haben diese an einer Skala orientierten Bewertungen für Euch?

Ich würde nicht fragen, wenn ich nicht selbst eine Meinung dazu loszuwerden hätte. Diese ist aber für mich nicht in Stein gemeißelt.

- Nur Punkte ohne eine textliche Beschreibung haben für mich nahe null Aussagekraft.

- Punkte helfen mir als grober Anhaltspunkt, wie dem Trinkenden der Wein gefallen hat. Grobe Schritte sind dabei aber ausreichend aussagekräftig. Wenn ich selbst eine Zahl neben den Wein schreibe, dann ist diese wirklich sehr wild aus der Hüfte geschossen und soll mir nur als grober Anhaltspunkt für "schlecht", "mittelmäßig", "passabel", "grandios" usw. dienen.

- Besonders ernst nehme ich Punkte nicht. An mir selbst merke ich, wie stark das allgemeine Wohlbefinden, die Tagesform, der spezielle Moment, etc. den Eindruck eines Weines beeinflussen. Auf dem Weingut in netter Atmosphäre mit ein bisschen Hintergrundinformation schmecken Weine fast immer besser als z.B. auf einer Messe. Das ist wie der Besuch einer Ausstellung. Kunst ist oft erheblich interessanter, wenn einem der Künstler, ein Galerist oder ein Museumsdirektor erklärt, was hinter dem Kunstwerk für eine Idee, ein Konzept, etc. steht. Auch in netter Umgebung und in netter Gesellschaft schmecken Weine einfach erheblich besser als z.B. auf einem langweiligen Empfang.

- Als Anhaltspunkt für den Weinkauf dienen mir Punkte immer weniger (zu der Bordeaux-Subskriptions-Mania habe ich mich leider aber auch schon hinreißen lassen). Hin und wieder kaufe ich mal eine Flasche Wein nur wegen der Punkte, allerdings nur, wenn es sich um einen eher preisgünstigen Wein handelt (jedenfalls < 10 Euro), bei dem ein Fehlkauf nicht allzu weh tut.

- Ansonsten sind für mich unter anderem die folgenden in wilder Reihenfolge aufgelisteten Kriterien wichtig, die nur eine Textbeschreibung des Weingutes, seiner aktuellen Verfassung über das Gros des Sortiments hinweg und der einzelnen Weine bieten kann:

* Größe des Weinguts: Das ist natürlich nicht immer aussagekräftig, aber echte :ugeek:-Weine erwarte ich ab einer bestimmten Flaschenanzahl nicht (nur um mich manchmal eines besseren belehren zu lassen)
* Böden/Lagen eines Weinguts und bestimmter Weine des Guts
* Art des Anbaus und des Ausbaus: Was wird im Weinberg gemacht, was wird im Keller gemacht (oder auch nicht)? Je mehr ich hierüber bei einem Weingut/einem einzelnen Wein weiß, desto leichter fällt mir eine grobe Einschätzung, was zu erwarten ist. Wichtig sind mir im Weinberg u.a. die Kriterien Art der Bewirtschaftung, Einsatz von Chemikalien, Art der Lese, Umgang mit Ertrag. Im Keller finde ich u.a. interessant, welchen Stil ein Gut generell verfolgt (ultra-traditionell, tendenziell traditionell, tendenziell modern, ultra-modern), die Gärmethode, die "Ausbau-Behälter" (Holzfass (sowie welche Art von Holzfass), Stahltank, Beton, Amphore, usw.) und sonstige Techniken.
* Generelles Qualitätsniveau: Ist das Gut bestrebt, über das Sortiment hinweg eine hohe Qualität in der jeweiligen Klasse zu liefern oder konzentriert man sich auf einige Spitzenweine als "Punktebringer" und viel Mittelmaß, das von dem Renommée der Spitzenweine profitiert?
* Typizität: Ist ein Weingut bestrebt, seine Weine sorten- und boden-/lagentypisch auszubauen? Ich brauche die Typizität nicht immer zwingend, aber mich interessiert, ob ich bei einem bestimmten Gut/bestimmten Weinen eines Guts auch das bekomme, was versprochen wird.
* Preis und Preiss/Genuss-Verhältnis
* Generelle Art eines Weins: Ist er elegant, ist er rustikal, ist er spritzig, ist er tief, ist er flach, ist er interessant, ist er langweilig, usw. usf.? Das ist für mich u.a. auch deshalb wichtig, weil ich manchmal eben einen rustikalen oder einen "nur" spritzigen Wein will.
* Lagerpotenzial/Lagernotwendigkeit: Hat der Wein Potenzial? Ist er für Potenzial vinifiziert? All das hängt natürlich auch vom jeweiligen Weintypus ab. Wenn ein traditionell lagerbedürftiger Wein auf schnelle Trinkbarkeit hin vinifiziert wird, bin ich z.B. prima facie etwas skeptisch, v.a. wenn ich mir bei dem Weintyp von längerer Lagerung eine Verbesserung verspreche. Bei einem Dolcetto oder einem Müller-Thurgau ist mir das Lagerpotenzial eher egal.
* Fehltöne (z.B. auffällig oft auftretende Korkschmecker, zu viel Holz, Überextraktion, übermäßig marmeladige Töne, offensichtlich künstliche Frucht durch Aromahefen)
* Aktueller Zustand: V.a. bei etwas gereiften Weinen, wie präsentiert er sich gerade?
* Eignung eines Weins als Essensbegleiter
* Alkoholgehalt: Weine mit einem niedrigen Alkoholgehalt sind mir generell sympathischer, ein hoher Alkoholgehalt ist aber alles andere als ein Ausschlusskriterium

Selbst probieren ist natürlich das Beste, ist aber nicht immer möglich, gerade wenn man ziemlich weit von einem wirklich guten Weinanbaugebiet entfernt wohnt (das schöne Sachsen möge mir diesen Seitenhieb verzeihen ;)). Insofern finde auch ich die Weinbeschreibungen in Weinforen, auf Blogger-Websites, in VKN-Datenbanken, etc. sehr hilfreich, da sie einem ein relativ breites Bild vermitteln, v.a. im Zusammenhang mit den Einschätzungen einiger ausgewählter "Profis".

Wie seht Ihr das?
Beste Grüße, Stephan
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pivu

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Re: Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 10:37

Wie ich das sehe? Hier in Form von 10 Essays zum Thema "Punktewahnsinn" nachzulesen, viel Spaß!

Ciao
Peter
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austria_traveller

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Re: Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 10:51

Punkte sind halt was Feines.
Ein objektives Bewertungssystem für eine subjektive Wahrnehmung. :roll:
Für mich allenfalls ein Näherungswert, zumal ich den Autor kennen und auch einschätzen muss.
Ohne Beschreibung sind Punkte für mich komplett sinnlos.
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Jürgen

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Re: Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 10:59

Wenn ich den Autor der Punkte und seine Geschmacksvorlieben, gerade im Vergleich zu meinen kenne, reicht mir die nackte Punktzahl. Natürlich bin ich dankbar, wenn ich eine kleine Beschreibung zum Wein mitgeliefert bekomme.
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susa

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Re: Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 11:29

Wer von sich behauptet, dass ein Punktewert für ihn vollkommen nebensächlich ist, muss aber schon ein sehr gefestigter und abgeklärter Charakter sein ;). Ein wenig verhält es sich doch mit den Punkten wie mit dem Horoskop in der Tageszeitung, man liest es und wenn es gut ausfällt, ist man geneigt anzunehmen, es könnte ja vielleicht was dran sein und wenn es schlecht ausfällt, sagt man sich, ist doch eh alles Quatsch ;).

Punkte "brauche" ich im Zusammenhang mit wenigstens dem Namen des Verkosters bzw. der Institution, schöner aber noch mit der Beschreibung. Und vor allem ist hin und wieder auch nicht uninteressant, wie die Referenzgröße ist, zB bei Sternchen oder Gläschen, 2 Sterne von maximal 3 ist doch was ganz anderes als 2 Sterne von fünf.

Ob Punkte ein objektives Bewertungssystem sind, auch darüber lässt sich lange und ergebnisoffen (die Vokabel der Woche :? ) diskutieren. Auch die Punkte geben letztendlich den individuellen Eindruck des Testers wieder. Nur Punkte gaukeln einem schneller eine Neutralität oder Objektivität vor, 75/100 Punkte klingt doch ganz anders als "grottenschlechte Plörre" ;).

Grundsätzlich würde ich der Aufzählung von octopussy zustimmen wollen, aber dann doch auch wieder nicht, das sind allenfalls Denkansätze aber keine ausschlaggebenden Kriterien und zu jeder dieser Regeln gibt es genügend Ausnahmen, um sie auszuhebeln.

hier ein paar Beispiele

Größe des Weingutes, selbst industrielle Massen-Erzeuger leisten sich häufig Flagship-Produkte, die es mit jedem vin de garage oder sonstigem handwerklich erzeugten Wein aufnehmen können (Penfolds Grange? Almaviva?).

Böden, tja, die Rheinhessen haben es schon verdammt schwer mit ihren Rübenäckern ;)

Typizität manchmal sind die Ausreißer spannender als die typischen ;)

Preis und Preis/Genuss-Verhältnis ist sicher im Moment des Ankaufes (vor allem wenn noch viel Monat und wenig Geld übrig ist) von Interesse, aber wenn ein Wein einmal im Keller und bezahlt ist, finde ich das eher vernachlässigbar, jedenfalls ist das für mich kein Bewertungskriterium, lediglich eine notwendige Information; manche Weine kann ich mir halt nicht leisten, aber deswegen würde ich ihnen nicht weniger Punkte geben oder ihnen Punkte abziehen als solchen, die ich mir leisten kann.

lieben Gruß
susa

PS
Manchmal denk ich, das mit den Punkten, über deren Diktat wir ja natürlich alle irgendwie erhaben sind, ist es wie mit der Lektüre der Zeitschrift mit den 4 Buchstaben oder das Essen ist diesem reizenden schottischen Restaurant mit den Goldbögen, eigentlich kennt das keiner aus eigener Anschauung, aber ..... ;9 ;)
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
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robertz

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Re: Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 13:38

Für mich sind die Punkte zumeist dann von Interesse (bzw. ein besonderer Ansporn für eine selbstlose eigene Verkostung ;) ), wenn mehrere Publikationen, Verkoster, Weinrunden etc unabhängig von einander den Wein positiv (über dem Durchschnitt) bewerten.

Hingegen machen mich einzelne Spitzenbewertungen in einer Reihe von Belanglosigkeit eher stutzig bzw. zeigen die Vorlieben des Verkosters auf. :oops:

Liebe Grüsse
Robert
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Don Miguel

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BeitragMi 16. Mär 2011, 13:51

Man muss Punkte (Sterne, Gläser etc.) einfach nur unter einschränkenden Vorbehalten richtig einschätzen und einordnen, dann sind sie für mich auch durchaus hilfreich in einer riesigen Weinwelt, von der ich nur einen winzigen Bruchteil selbst jemals trinken kann.


Punkte ohne Text sind wertlos? Nicht unbedingt: „Aalto 2004, 94 P“, das sagt mir bei diesem Wein, den ich kenne, schon einiges, vor allem wenn ich den Verkoster einschätzen kann! Es kommt ja auch darauf an, wofür ich diese Information verwende. Eine Zwölferkiste würde ich mir deshalb nicht kaufen, aber eine Flasche aus dem Bestand würde ich dann durchaus trinken.


Und überspitzt :!: halte ich dagegen: Reine Textbeschreibungen ohne Punkte sind wertlos! Die reinen Beschreibungen lassen mich sehr häufig auch ratlos zurück, da die sprachlichen Wertungen so uneinheitlich sind, es fehlt jegliche Kalibrierung.

Don
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Jürgen

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Re:

BeitragMi 16. Mär 2011, 14:41

Don Miguel hat geschrieben:Und überspitzt :!: halte ich dagegen: Reine Textbeschreibungen ohne Punkte sind wertlos! Die reinen Beschreibungen lassen mich sehr häufig auch ratlos zurück, da die sprachlichen Wertungen so uneinheitlich sind, es fehlt jegliche Kalibrierung.

Bild meine Meinung
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Chris

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Re: Sinn und Unsinn der Punkte

BeitragMi 16. Mär 2011, 14:46

Eins weiss ich, ohne Punkte wärs ziemlich langweilig. Was haben wir hier oder auch woanders schon über zu hohe/niedrige Bewertungen diskutiert :lol:
Ich stimme auch der Aussage von Don Miguel voll zu. Ohne eine Quantifizierung, ob in Form von Punkten, Gläsern oder was auch immer geht es schlecht.
Grüße, Chris
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Don Miguel

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BeitragMi 16. Mär 2011, 16:37

Eine Diskussion um Sinn und Unsinn von Punkten müsste man imho unter verschieden Aspekten, d.h. Untergruppierungen, führen. Je nachdem können sich ganz unterschiedliche Argumentationslinien ergeben.

Das fängt schon mit dem Adressaten der Punkte an: Weinlaien (Verbraucher), Weinfreaks (ich könnte auch schreiben „Pseudo-Weinkenner“ :geek: :D ), Weinprofis (z. B. Winzer!) oder Prüfkommissionen!

Oder umgekehrt: Die Punkte stammen von den vorgenannten Gruppen oder von professionellen Weinbewertern.

Oder nach dem Zweck der Bepunktung: Prüfergebnis einer Weinzulassung, Kaufempfehlung oder just-for-fun-Wertung einer privaten Verkostungsrunde.

Oder nach dem eigenen Anspruch der Weinbewertung: Objektive Qualitätsbewertung (im Rahmen einer Prüfung) oder subjektive Manifestierung eines eigenen Eindrucks (wie hier in einem Forum)


Das lässt sich alles nicht unter einen Hut bringen!


Hier im Forum und auch die letzten Jahre bei taw verlief die Punktevergabe eigentlich recht entspannt. Die hitzigen Diskussionen sind schon eine ganze Weile her.

Jedenfalls hier unter uns Weinfreaks werden Punktevergaben doch recht nüchtern und emotionsfrei zur Kenntnis genommen, einfach weil wir wissen, dass es sich nur vermeintlich um eine objektive Aussage handelt.

Don
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