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Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten?

Sterne, Punkte, Trauben - oder Obstkörbe
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Rieslingfan

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Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten?

BeitragDi 20. Sep 2022, 14:46

Hallo liebe Weinfreunde,

Weinbewertungen, egal ob von offiziellen Weinkritikern oder aus dem Privatbereich können mitunter recht nützlich sein.

Dabei stellt sich mir aber stets die Frage, wie man denn einen Wein den man aufgrund des natürlichen Charakters der Rebsorte persönlich nicht mag, dennoch sachlich bewerten kann?

Beispiel: Gewürztraminer ist für mich z. B. ein Wein der mir geschmacklich gar nicht zusagt, dennoch kann es sich dabei aber um einen sehr hochwertigen Wein handeln.

Ich wüsste aber nicht wie ich so einen Wein unvoreingenommen und sachlich bewerten könnte?

Wie gelingt dies den offiziellen Weinkritikern, die alle möglichen Sorten bewerten und mit Sicherheit auch ihre persönlichen Vorlieben und Abneigungen haben?
Gruß Markus
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EThC

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDi 20. Sep 2022, 17:44

...da stellt sich mir zuerst mal die Frage, wer oder was ein "offizieller" Weinkritiker ist... :?

Eine sachliche Analyse kann man m.E. schon ein Stück weit antrainieren, ich glaube aber nicht, daß man davon ausgehen kann, daß man die subjektive Seite der Bewertung soweit eindämmen kann, daß sie irrelevant wird.

Und schwieriger wird's mit der Unvoreingenommenheit; wenn Profi-Verkoster wissen, was sie da gerade im Glas haben, wird das in vielen Fällen auch einen Einfluß auf die Bewertung haben, bewußt oder unterbewußt. Deshalb mag ich ja auch Blindverkostungen sehr gerne, viele unserer Verrisse oder Huldigungen hätte es bei offener Verkostung nicht gegeben...
Viele Grüße
Erich

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Rieslingfan

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDi 20. Sep 2022, 17:51

EThC hat geschrieben:...da stellt sich mir zuerst mal die Frage, wer oder was ein "offizieller" Weinkritiker ist... :?
Damit meine ich das, was du vermutlich als Profi-Verkoster bezeichnest, wie z. B. das Team hinter Eichelmann, Wein.plus, Parker usw.
Gruß Markus
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EThC

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDi 20. Sep 2022, 18:05

...dachte ich mir schon, daß Du das meinst. Ein "offizieller" ist für mich einer, der "von Amts wegen" verkostet, z.B. bei Qw-Prüfungen...
Viele Grüße
Erich

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UlliB

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDi 20. Sep 2022, 19:28

Rieslingfan hat geschrieben:Wie gelingt dies den offiziellen Weinkritikern, die alle möglichen Sorten bewerten und mit Sicherheit auch ihre persönlichen Vorlieben und Abneigungen haben?

Naja, es gelingt Ihnen halt nicht wirklich...

Die persönlichen Präferenzen spielen immer eine Rolle, das ist unvermeidlich. Und man kann diese auch erkennen, wenn man sich mit der jeweiligen Materie ein wenig auskennt. Parkers Präferenzen bei Bordeaux waren legendär, und mit der Kritik daran und der darauf folgenden Metadiskussion darüber könnte man vermutlich ganze Bibliotheken füllen. Und auch heute kann man mühelos sehen, dass bei Bordeaux die Präferenzen eines Jeb Dunnuck völlig andere sind als die eines Rolf Bichsel, und das drückt sich dann eben auch in deren Bewertungen aus.

Das ist auch nicht weiter schlimm, man muss nur wissen, mit welchem Kritiker man (zumindest weitgehend) konform geht und mit welchem nicht. Die Zeiten, in denen ein einzelner Kritiker das Geschehen fast völlig dominiert und damit den Weinstil eines ganzen Gebietes beeinflusst - oder wie manche sagen: deformiert -, wie das bei Parker und Bordeaux der Fall war, sind ja vorbei.

Im Übrigen sind die Profi-Kritiker, die wirklich alles von überall probieren, inzwischen eher selten geworden. Wo "Parker" draufsteht, ist mittlerweile gar kein Parker mehr drin, und auch in den letzten zwei Jahrzehnten seiner aktiven Zeit gab es da immer ein Verkosterteam, dass unter der "Marke" bewertet hat; d.h. nur einige "Parker-Punkte" kamen da tatsächlich von ihm selber, der Rest von anderen Verkostern. Dito bei "Suckling" oder "Jancis Robinson" - da gibt es auch Verkostungsteams, bei Vinous sowieso. Da braucht keiner mehr irgend etwas zu verkosten, was er gar nicht mag oder womit er sich überhaupt nicht auskennt.

Gruß
Ulli
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Kle

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragMi 21. Sep 2022, 19:46

Rieslingfan hat geschrieben:Beispiel: Gewürztraminer ist für mich z. B. ein Wein der mir geschmacklich gar nicht zusagt, dennoch kann es sich dabei aber um einen sehr hochwertigen Wein handeln.

Ich wüsste aber nicht wie ich so einen Wein unvoreingenommen und sachlich bewerten könnte?

das Gewürztraminer-Beispiel passt auch für mich, da ich die Note in ausgeprägter Form ebenfalls nicht mag. Aber wenn ich solche Weine probiere, gibt es zahlreiche weitere Eigenschaften, an denen sich die Qualität feststellen lässt. Jemand, der keine Rosen mag, wird ihren Wuchs und die Arbeit des Gärtners womöglich trotzdem gut einschätzen.
Wir als „inoffizielle“ Verkoster haben zudem den unschätzbaren Vorteil auf sachgerechte Bewertungen pfeifen zu können. Denn unser Vergnügen kann, aber muss nichts mit den Kriterien der Experten zu tun haben. Was uns nicht von der Pflicht entbindet, es zu beschreiben und nach Erklärungen dafür zu suchen.
The pasta asciuta was good; the wine tasted of alum, and we poured water in it.
Che Ti Dice La Patria/Ernest Hemingway

Der Grund , warum er diesen Wein trotzdem getrunken hat,kann nicht nur der Alkohol gewesen sein, denn dann hätte er ihn nicht mit Wasser verdünnt.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
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jessesmaria

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragMi 21. Sep 2022, 22:00

Nunja, je professioneller man sich mit so etwas auseinandersetzt, desto eher wird man in der Regel auch etwaige Idiosynkrasien abstreifen. Ein professioneller Restauranttester geht ja auch nicht zum Dreisternelokal und wünscht ein Menü ohne Rosinen und rezenten Käse.

Und dennoch bleibt, wie Ulli schon geschrieben hat, immer eine subjektive Komponente, und das ist ja auch gut so. Kritiker sind ja auch Menschen und keine Maschinen und werden auch so wahrgenommen. Oder würde man von einem Buch- oder Musikkritiker erwarten, dass er persönliche Vorlieben in der Beurteilung vollständig ausklammert?
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Kleiner_Pirat

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDo 22. Sep 2022, 08:46

Die persönliche Rebsortenpräferenz per se ist für einen professionellen Verkoster sicher weniger ein Problem, es sei denn, er vermeidet, seinen Erfahrungshorizont in den „ungeliebten“ Rebsorten zu erweitern. Denn selbst, wenn Du z.B. Sauvignon Blanc nicht selbst in Deinen Keller legen würdest, wirst Du nach 100 probierten Sauvignon schon herausfinden, was Qualitätsmerkmale der Rebsorte sind. Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen.

Ich bin zwar Amateur, aber ich mach mir den Verkostungsspaß gern mit Müller-Thurgau. Da würde ich zwar für mich auch hochwertigere Weine nicht kaufen, aber ich versuche Müllers bei den meisten Verkostungen schon zu probieren. Und dann finde ich es auch nicht so schwer, schwächere von besseren Müllers zu unterscheiden.

Schwieriger finde ich andere Moden und Präferenzen, die vielleicht eher unterschwellig vorhanden sind (Aufzählung sicher unvollständig):

1. Restzucker: Restzucker schminkt häufig Weine, und lässt auch einfachere Weine gefälliger (aber nicht wirklich besser) werden. Damit besteht zum einen die Gefahr, Weine besser zu sehen, weil sie Zucker haben (sollte bei einem Profi jetzt hoffentlich kein großes Thema sein, ich fall gelegentlich darauf rein), auf der anderen Seite besteht aber aus meiner Sicht definitiv die Gefahr, Weine mit Restzucker grundsätzlich negativer zu sehen, auch wenn der Wein grundsätzlich komplex, lang und sehr gut ist, und es halt Stil des Weinguts ist, etwas rundere“ Weine zu machen.

2. Holz: Gerade bei Weißwein: wann ist Holz zu viel? Ich glaube das ist wirklich schwierig zu beantworten. Zwischen „ich schmecke es nicht bis kaum“ bis zu „Ich bin doch kein Biber“ ists ein weiter und bunter Weg, wo auch ein Profi-Verkoster garantiert persönliche Präferenzen nicht ausschalten kann.

3. Schlank vs. Voluminös: Das ist ja grade aus der Vergangenheit ein großes Thema. Vor 20 Jahren hätten kraftvolle, eher alkoholreiche Weine aus sehr reifen Trauben sicher höhere Punkte bekommen als heute, wo eher drahtige, straffe Weine abräumen. Natürlich sind Weine die scharf alkoholisch oder marmeladig schmecken sicher keine sehr guten Weine, aber ein altmodischer Wachau-Klassiker könnte doch auch aus der Pfalz sehr gut bepunktet werden (hätte aber meine Zweifel, dass das heute so passieren würde) – da spielt auch Ullis Parker-Thema weiter oben herein.

Erichs Punkt bezüglich Unvoreingenommenheit bzw. blind oder nicht blind ist zudem ein wichtiges Thema aus meiner Sicht.

Insofern bin ich sicher, das persönliche Präferenzen immer eine gewisse, aber in den meisten Fällen eher untergeordnete Rolle spielen. Im Vergleich der Weinführer zum Beispiel lässt sich das ja auch gut feststellen. In den meisten Fällen schwanken die Punkte eines Winzers um 1 oder 2 Punkte, bei einzelnen Weinen aber auch mal 3, 5 oder 7 Punkte, das kann hier und da an Flaschenvarianzen liegen, liegt sicher aber eben auch an den persönlichen Präferenzen.
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Rieslingfan

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDo 22. Sep 2022, 15:09

Besten Dank für den interessanten Erfahrungsaustausch, der für mich wertvolle Tipps und Infos beinhaltet!

Gerne weitere Meinungen...
Gruß Markus
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EThC

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Re: Wie kann man Wein sachlich und unvoreingenommen bewerten

BeitragDo 22. Sep 2022, 17:56

Kleiner_Pirat hat geschrieben:bei einzelnen Weinen aber auch mal 3, 5 oder 7 Punkte, das kann hier und da an Flaschenvarianzen liegen
...da die allermeisten Weine von den Weinkritikern ja ziemlich jung verkostet werden, würde ich das "Hier und Da" diesbezüglich in den Vordergrund stellen, bei älteren, insbesonderen verkorkten Flaschen wird die Relevanz dieses Punkts sicher deutlich zunehmen.
Viele Grüße
Erich

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