Aktuelle Zeit: Fr 29. Mär 2024, 15:13


Punkte und Prädikate

Sterne, Punkte, Trauben - oder Obstkörbe
  • Autor
  • Nachricht
Offline

amateur des vins

  • Beiträge: 4273
  • Bilder: 10
  • Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
  • Wohnort: Berlin

Re: Punkte und Prädikate

BeitragMi 7. Jul 2021, 13:32

Bernd Schulz hat geschrieben:Ein Kabinett ist gegenüber einer Auslese gewiss nicht "minderwertig", sondern hat seine völlige Daseinsberechtigung, nämlich zu anderen Gelegenheiten. Aber rein bewertungstechnisch stößt er an Grenzen; bewertet wird nun mal nach allgemeinem Konsens die an Komplexität gebundene Ausdruckskraft und nicht der Spaßfaktor.
Sehr schön!
Die Bewertungen sind minder, aber minderwertig ist er nicht. :?

I rest my case.
Besten Gruß, Karsten
Offline

Bernd Schulz

  • Beiträge: 6519
  • Registriert: Sa 11. Dez 2010, 23:55

Re: Punkte und Prädikate

BeitragMi 7. Jul 2021, 13:40

EThC hat geschrieben:...ich muß hier nochmal anführen, daß der Begriff "Kabinett" hinsichtlich seiner Bedeutung insbesondere an der Mosel außerhalb der gesetzlichen Vorschriften einfach im Laufe der Zeit "gehijacked" wurde.
Ansonsten ist das Prädikatssystem einfach so gemeint (gewesen), daß die jeweiligen Stufen Mindestanforderungen definieren und im gesetzlichen Kontext alle miteinander nach oben offen sind.


Je nun, die trockenen Buchstaben eines Gesetzes und die gelebte Wirklichkeit, die sich aus dem Gesetz ergibt, decken sich oft genug nicht komplett miteinander.... :mrgreen: :twisted:

amateur des vins hat geschrieben:De facto spielen nämlich trockene Prädikate kaum eine Rolle; ganz überwiegend geht es um die süßen - man korrigiere mich (bitte mit Quellenangabe), wenn ich falsch liege.


Seit der Etablierung der trockenen Großen Gewächse durch den VDP ist das weitgehend so; vorher gab es eine Zeit, in der es sich anders verhielt. Der erste GM, den ich mir gekauft habe, war der 1998er - wenn ich dort hineinschaue, finden sich in einigen Anbaugebieten wie z.b. der Pfalz die trockenen Kabinette und Spätlesen zuhauf.

Herzliche Grüße

Bernd
Zuletzt geändert von Bernd Schulz am Mi 7. Jul 2021, 23:04, insgesamt 1-mal geändert.
Offline
Benutzeravatar

EThC

  • Beiträge: 8123
  • Bilder: 27
  • Registriert: Fr 27. Feb 2015, 16:17
  • Wohnort: ...mal hier, mal dort...

Re: Punkte und Prädikate

BeitragMi 7. Jul 2021, 13:45

amateur des vins hat geschrieben:De facto spielen nämlich trockene Prädikate kaum eine Rolle; ganz überwiegend geht es um die süßen - man korrigiere mich (bitte mit Quellenangabe), wenn ich falsch liege.
...daß die trockenen Prädikate eine mittlerweile geringere Rolle spielen, hängt wohl wesentlich damit zusammen, daß diese bei den VDPlern generell per Reglement unter den Tisch fallen. Benutzt wird's aber nach wie vor, vor allem wenn Nicht-VDPler mit ihren Erzeugnissen gegen GG's und EL's antreten, in dem Fall also mit trockenen Auslesen und Spätlesen.
amateur des vins hat geschrieben:Was eigentlich abgebildet werden soll, und wofür Öchslegrade eben noch nie wirklich geeignet waren, ist eine Qualitätspyramide
Übrigens war's auch beim VDP lange Zeit so, daß in den Anforderungen zu den EL's und GG's stand, daß diese min. Spätlesequalität aufweisen müssen, wobei nach meiner Erinnerung auch Mindest-Oe's angeführt waren. Das ist mittlerweile durch "physiologisch vollreif" ersetzt worden.
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

https://ec1962.wordpress.com/
Offline
Benutzeravatar

EThC

  • Beiträge: 8123
  • Bilder: 27
  • Registriert: Fr 27. Feb 2015, 16:17
  • Wohnort: ...mal hier, mal dort...

Re: Punkte und Prädikate

BeitragMi 7. Jul 2021, 13:53

Bernd Schulz hat geschrieben:Je nun, die trockenen Buchstaben eines Gesetzes und die gelebte Wirklichkeit, die sich aus dem Gesetz ergibt, decken sich oft genug nicht komplett miteinander.... :mrgreen: :twisted:
...schon richtig, aber hier ging's ja darum, daß die Gesetzeslage der gelebten Wirklichkeit angepaßt werden soll. Was einerseits zu einem Gutteil i.O. ist, andererseits ist's dann auch ein weiterer Schritt in Richtung zu Überregulierung und Unübersichtlichkeit im deutschen Gesamtkontext hinsichtlich der Weinregularien...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

https://ec1962.wordpress.com/
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4518
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Punkte und Prädikate

BeitragMi 7. Jul 2021, 20:58

amateur des vins hat geschrieben:De facto spielen nämlich trockene Prädikate kaum eine Rolle; ganz überwiegend geht es um die süßen -

Wenn man die letzten 20 Jahre betrachtet, ist das ganz sicher so. Da spielt das Prädikatsverbot des VDP eine ganz entscheidende Rolle - nicht nur für die VDP-Mitglieder, sondern auch für alle anderen, die deren System als Modell für das eigene Vorgehen ansehen. Aber vor 2001 sah das ganz anders aus.

Das Prädikatssystem beinhaltet übrigens noch einen weiteren Aspekt, der heute gerne vergessen wird, der aber historisch sehr bedeutend war: die Nicht-Chaptalisation, die bei deutschen Spitzenbetrieben seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein zentraler Leitgedanke war, durchaus in gewollter Abgrenzung zur französischen Praxis. Mit der durchweg höheren Traubenreife ist das Thema heute zumindest in den Hintergrund getreten, wenn nicht in vielen Jahren sogar völlig obsolet geworden.

Gruß
Ulli
Offline

Bernd Schulz

  • Beiträge: 6519
  • Registriert: Sa 11. Dez 2010, 23:55

Re: Punkte und Prädikate

BeitragMi 7. Jul 2021, 22:59

UlliB hat geschrieben:Das Prädikatssystem beinhaltet übrigens noch einen weiteren Aspekt, der heute gerne vergessen wird, der aber historisch sehr bedeutend war: die Nicht-Chaptalisation, die bei deutschen Spitzenbetrieben seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein zentraler Leitgedanke war, durchaus in gewollter Abgrenzung zur französischen Praxis.


So ist es. Die entscheidende Grenze zwischen dem "Qualitätswein/QbA" und den mit dem Kabinett beginnenden Prädikatsweinen lag (und liegt- zumindest formal - auch heute noch) darin, dass ersterer aufgezuckert werden durfte. Und diese Art der Hierarchie entsprach dem, was hierzulande im frühen und mittleren 20. Jahrhundert unter "Naturweingedanke" verstanden wurde: Ein "Naturwein" war nach damaliger Auffassung in unseren nördlichen Breiten zunächst einmal ein Wein, der ohne Chaptalisierung auskam. Dementsprechend hieß der 1910 gegründete Vorgänger des VDP "Verband Deutscher Naturweinversteigerer" bzw. abgekürzt VDNV.

Aus heutiger Sicht versteht man unter "Naturwein" sicherlich etwas anderes. Und letztlich handelt es sich bei allen "Qualitätspyramiden" immer nur um Krücken, die eine mehr oder minder vage Orientierungshilfe bieten können; viel entscheidender ist in puncto Qualität am Ende das, wofür der einzelne Erzeuger mit seinem Namen bürgt. Soweit aber eine offizielle und damit eher grobe Klassifizierung trotzdem noch eine Rolle spielen soll, frage ich mich schon, ob es wirklich einen Gewinn darstellt, wenn man sich darum bemüht, ein derartiges Modell stramm-stramm über den burgundischen oder sonst was für einen Kamm zu scheren, ohne dem jeweiligen nationalen/regionalen und historischem Zusammenhang Rechnung zu tragen.

Herzliche Grüße

Bernd
Offline

jessesmaria

  • Beiträge: 377
  • Registriert: Mo 28. Dez 2020, 15:11

Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 07:49

Um mal zur Bepunktung zurückzukehren: Die finde ich auch völlig absurd. Beispiel Lobenberg: Wenn ein renommierter Winzer einen anständigen Gutsriesling auf den Markt bringt, bekommt der bereits über 90 Punkte. Der Kabinett desselben muss anscheinend per definitionem besser sein und landet etwa bei 95. Eine Auslese eines Haag, Molitor etc. ist entsprechend zwangsläufig im Bereich 100, Differenzierung ist nur noch möglich zwischen 98-100, 99-100, 100 und 100+. Ein aufwendigst hergestellter Spitzen-Brunello oder -Barolo (oft doppelt so teuer wie die Auslesen) landet dagegen meist im Bereich 94-96, 99 und 100 ist nur der absoluten crème de la crème im meist dreistelligen Preissegment (Biondi Santi etc.) vorbehalten. Wo ist da die Relation?

Bei Parker etc. ist das ganz ähnlich.

Ich finde das "konservative" Verfahren von Molitor, Prädikate und Restzucker zu trennen, am stimmigsten.
Offline

amateur des vins

  • Beiträge: 4273
  • Bilder: 10
  • Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
  • Wohnort: Berlin

Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 08:58

jessesmaria hat geschrieben:Um mal zur Bepunktung zurückzukehren: Die finde ich auch völlig absurd. Beispiel Lobenberg: [...]
Nur hat das überhaupt nichts mit den Prädikaten zu tun.

Mir ging es um Jubelarien über Kabinette in Verbindung mit Punkten, die so meh sind.

jessesmaria hat geschrieben:Ich finde das "konservative" Verfahren von Molitor, Prädikate und Restzucker zu trennen, am stimmigsten.
Hat Molitor nicht die Kapseln farbkodiert für Restsüßekategorien von "garnicht" bis "ganz schön viel"? Aber was ist daran "konservativ"? Das ist im Gegenteil eine vielleicht plausible, aber eher progressive, weil von der Norm abweichende und niemandem sonst verwendete Maßnahme. Oder nicht?
Besten Gruß, Karsten
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4518
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 09:11

amateur des vins hat geschrieben:
jessesmaria hat geschrieben:
jessesmaria hat geschrieben:Ich finde das "konservative" Verfahren von Molitor, Prädikate und Restzucker zu trennen, am stimmigsten.
Hat Molitor nicht die Kapseln farbkodiert für Restsüßekategorien von "garnicht" bis "ganz schön viel"? Aber was ist daran "konservativ"? Das ist im Gegenteil eine vielleicht plausible, aber eher progressive, weil von der Norm abweichende und niemandem sonst verwendete Maßnahme. Oder nicht?

Als progressiv empfinde ich daran nun überhaupt nichts. Wer als Erzeuger im Hinblick auf den Restzucker differenzieren möchte, kann das auch über Angaben auf dem Etikett tun (trocken, halbtrocken, feinherb, oder eben nichts = süß), und sehr viele tun das auch, vielleicht sogar die meisten. Und wer ganz transparent sein möchte, kann auf das Rückenetikett auch die Analysenwerte schreiben (das kenne ich aber im Moment nur von den "Trockenen Schmitts").

Und auch, wenn es OT ist und mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat, trotzdem:
jessesmaria hat geschrieben: Ein aufwendigst hergestellter Spitzen-Brunello oder -Barolo (oft doppelt so teuer wie die Auslesen) [...]

Der Aufwand, eine hochwertige Auslese aus einer Steillage zu gewinnen, ist mit Sicherheit deutlich höher als bei jedem Barolo oder Brunello (ich weiß durchaus, wovon ich da rede, ich habe an so etwas ein paar mal mitgearbeitet). Über Qualitätsrelationen zwischen einem restsüßen Weißwein und einem trockenen Rotwein kann man lange philosophieren, für mich liegt eine Top-Auslese von der Mosel und ein Top-Barolo gleichauf. Und was die Preise betrifft, bleibt damit nur die Frage, ob die Auslese zu günstig oder der Barolo zu teuer ist :ugeek:

Gruß
Ulli
Offline

Ollie

  • Beiträge: 1912
  • Registriert: Mo 6. Jun 2011, 11:54

Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 09:29

amateur des vins hat geschrieben:Mir ging es um Jubelarien über Kabinette in Verbindung mit Punkten, die so meh sind.


Daß und warum ein Kabinett bei um die 90 Punkte an die Decke stößt, hat Bernd gut dargelegt. Was bei Kabinetten also trotz der objektiv oder zumindest: numerisch niedrigen Punkte die Arien verursacht, ist die "Stiltreue". Nach dem Motto: "Na, das ist aber ein besonders schönes Strichmännchen."

Daß die deutschen Winzer damals nicht chaptalisieren wollten, ursächlich um sich vom welschen System abzugrenzen, finde ich bemerkenswert; gerade im Zusammenhang mit hochtechnologischen, aber bitteschön "natürlich vergorenen" Süßweinen bringt die "Prädikats-Logik" das deutsche Wesen so wunderschön auf den Punkt: Der romantische Ingenieur und sein Traum von einer Buchhaltungsmaschine. :lol:

Nixon und China, was?

Cheers,
Ollie
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
VorherigeNächste

Zurück zu Bewertungssysteme und Weinbeschreibungen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen