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Punkte und Prädikate

Sterne, Punkte, Trauben - oder Obstkörbe
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UlliB

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 10:39

Ollie hat geschrieben:Daß die deutschen Winzer damals nicht chaptalisieren wollten, ursächlich um sich vom welschen System abzugrenzen, finde ich bemerkenswert; gerade im Zusammenhang mit hochtechnologischen, aber bitteschön "natürlich vergorenen" Süßweinen bringt die "Prädikats-Logik" das deutsche Wesen so wunderschön auf den Punkt: Der romantische Ingenieur und sein Traum von einer Buchhaltungsmaschine. :lol:

Dabei blendest Du aber aus, dass das Konzept der Nicht-Chaptalisation etliche Jahrzehnte vor der "hochtechnologischen" (naja) Herstellung restsüßer Weine entstanden ist; beide Konzepte sollte man zunächst einmal getrennt betrachten. Dass das 71er Weingesetz, das so ziemlich am Höhepunkt der Süßwelle entstanden ist, beide Konzepte amalgamiert hat, ist zwar richtig - aber die vorher existierenden "natur"-Weine konnten völlig trocken sein und waren das bis Ende der 50er Jahre auch meistens.

Gruß
Ulli
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amateur des vins

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 11:29

Ollie hat geschrieben:"Na, das ist aber ein besonders schönes Strichmännchen."
:lol:
So kann ich das immerhin akzeptieren, wenn auch nicht nachempfinden. Und warum bei den Arien kaum, bei den Punkten hingegen deutlich differenziert wird, erschließt sich mir damit auch nicht.

Aber wie sagte mein engster Studienkumpel: "Man kann zwar alles essen, aber nicht alles wissen." :mrgreen:
Besten Gruß, Karsten
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jessesmaria

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 11:39

amateur des vins hat geschrieben:
jessesmaria hat geschrieben:Um mal zur Bepunktung zurückzukehren: Die finde ich auch völlig absurd. Beispiel Lobenberg: [...]
Nur hat das überhaupt nichts mit den Prädikaten zu tun.

Mir ging es um Jubelarien über Kabinette in Verbindung mit Punkten, die so meh sind.


Verstehe. Aber das Grundproblem scheint mir das Gleiche: Die Prädikate erfüllen eine Doppelfunktion und sind einerseits Qualitäts-, anderseits Restsüßekategorien. Daher gilt mehr oder weniger: je süßer der Wein, desto höher die Punktzahl. Natürlich stark verkürzt und nicht der einzige Parameter, aber insgesamt eine sehr verzerrende Komponente.

Deswegen finde ich Molitors Handling plausibel, da er diese Widersprüche umgeht, indem er Prädikate von Restsüße trennt. "Konservativ" hab ich das genannt, weil das (wie hier ja auch schon erwähnt wurde) vor den VDP-Standards genau so war, dass das Prädikat vom Restzucker losgelöst ist und der Restzucker anderweitig angegeben werden kann.

Ulli hat geschrieben:Und auch, wenn es OT ist und mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat, trotzdem:
jessesmaria hat geschrieben: Ein aufwendigst hergestellter Spitzen-Brunello oder -Barolo (oft doppelt so teuer wie die Auslesen) [...]

Der Aufwand, eine hochwertige Auslese aus einer Steillage zu gewinnen, ist mit Sicherheit deutlich höher als bei jedem Barolo oder Brunello (ich weiß durchaus, wovon ich da rede, ich habe an so etwas ein paar mal mitgearbeitet). Über Qualitätsrelationen zwischen einem restsüßen Weißwein und einem trockenen Rotwein kann man lange philosophieren, für mich liegt eine Top-Auslese von der Mosel und ein Top-Barolo gleichauf. Und was die Preise betrifft, bleibt damit nur die Frage, ob die Auslese zu günstig oder der Barolo zu teuer ist :ugeek:


Ja, das glaub ich dir gerne. Der Aufwand äußert sich halt verschieden, beim Brunello wird der Wein eben lange im Fass gereift und zurückgehalten, was ja auch Kosten verursacht.
Für mich liegen übrigens auch "eine Top-Auslese von der Mosel und ein Top-Barolo gleichauf", aber beim Barolo sehe ich mehr Differenzierung bei der Bepunktung im oberen Bereich.
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EThC

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 11:52

UlliB hat geschrieben:Wer als Erzeuger im Hinblick auf den Restzucker differenzieren möchte, kann das auch über Angaben auf dem Etikett tun (trocken, halbtrocken, feinherb, oder eben nichts = süß)
...das würde ja implizieren, daß "nix" = süß (oder lieblich?) bedeutet. Ist aber nicht so, denn die Geschmacksangabe ist nicht obligatorisch, wenn nix drauf steht, kann das von fränkisch trocken bis süß alles sein...
UlliB hat geschrieben:Und wer ganz transparent sein möchte, kann auf das Rückenetikett auch die Analysenwerte schreiben (das kenne ich aber im Moment nur von den "Trockenen Schmitts")
...ist tatsächlich sehr selten, spontan fällt mir nur noch das Weingut Pix ein...
jessesmaria hat geschrieben:weil das (wie hier ja auch schon erwähnt wurde) vor den VDP-Standards genau so war, dass das Prädikat vom Restzucker losgelöst ist und der Restzucker anderweitig angegeben werden kann.
...das sind nach wie vor zwei Paar Schuhe, das Prädikat sagt allgemein erst mal nichts über den Restzuckergehalt aus, bei VDP-Weinen nur, daß sie eben nicht trocken sind. Und bei den Beerenauslesen + natürlich, weil die Hefen den vielen Zucker nicht komplett umwandeln können und eine trockene BA dann bei deutlich über 20 Umdrehungen landen müßte, was keine Hefe mitmacht. Erst mit der Geschmacksangabe hat man da eigentlich eine engere Definition.
Viele Grüße
Erich

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UlliB

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 12:11

EThC hat geschrieben:
UlliB hat geschrieben:Wer als Erzeuger im Hinblick auf den Restzucker differenzieren möchte, kann das auch über Angaben auf dem Etikett tun (trocken, halbtrocken, feinherb, oder eben nichts = süß)
...das würde ja implizieren, daß "nix" = süß (oder lieblich?) bedeutet. Ist aber nicht so, denn die Geschmacksangabe ist nicht obligatorisch, wenn nix drauf steht, kann das von fränkisch trocken bis süß alles sein...

Rein formal betrachtet ist das richtig. Praktisch gesehen schreiben die meisten (deutschen) Winzer bei hren trockenen Weinen aber tatsächlich auch "trocken" drauf, weil das für manche Kunden durchaus ein Qualitätsmerkmal ist. Selbst bei den GGs, die ja immer trocken sein müssen, findet man ziemlich regelmäßig auf dem Rückenetikett die Geschmacksangabe. Hingegen findet man "lieblich" oder "süß" selten bis nie... sondern stattdessen eben nichts. Zumindest in den Gegenden, in denen es eine immer noch mehr oder weniger ausgeprägte Neigung zur Herstellung restsüßer Weine gibt (Mosel, aber durchaus auch Nahe und Rheingau) wird das ganz regelmäßig so gehandhabt.

Gruß
Ulli
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amateur des vins

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 12:22

UlliB hat geschrieben:Praktisch gesehen schreiben die meisten (deutschen) Winzer bei hren trockenen Weinen aber tatsächlich auch "trocken" drauf, weil das für manche Kunden durchaus ein Qualitätsmerkmal ist. [...] Hingegen findet man "lieblich" oder "süß" selten bis nie... sondern stattdessen eben nichts. Zumindest in den Gegenden, in denen es eine immer noch mehr oder weniger ausgeprägte Neigung zur Herstellung restsüßer Weine gibt (Mosel, aber durchaus auch Nahe und Rheingau) wird das ganz regelmäßig so gehandhabt.
Qualitätsmerkmal? Weiß nicht. Für mich ist das eher ein Zeichen, daß süß als "normal" angesehen wird, insbesondere im Zusammenhang mit Prädikaten. Und um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen, wird dann eben "trocken" dazugeschrieben, wenn's "unnormal" ist.

Deutschland ist halt Lieblichland, immernoch.
Besten Gruß, Karsten
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Bernd Schulz

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 12:44

Ollie hat geschrieben: Was bei Kabinetten also trotz der objektiv oder zumindest: numerisch niedrigen Punkte die Arien verursacht, ist die "Stiltreue". Nach dem Motto: "Na, das ist aber ein besonders schönes Strichmännchen."


"Stiltreue" mag auch eine Ursache für die Arien sein. Aber der Hauptpunkt scheint mir darin zu liegen, dass die Strichmännchen so manchem Weinfreund verdammt viel Trinkvergnügen bieten. Ich jedenfalls verputze an einem warmen Sommerabend einen nicht zu restsüßen, schlanken, verspielten Mosel-Kabi oft mit mehr Genuss als eine noch so komplexe und daher hoch bewertete BA. Und ich bin, wenn solch ein Strichmännchen nicht über 9 Umdrehungen hinauskommt, vorteilhafterweise nicht so schnell duhn wie nach dem Kippen eines trockenen Chardonnays mit 14 Volt - das ist noch ein angenehmer Zusatzeffekt.

Meine Herren, habt ihr tagsüber viel Zeit zum Schreiben! Mein doofer Chef zwingt mich vor dem Abend dauernd zum Arbeiten...

Herzliche Grüße aus der Mittagspause sendet

Bernd
Zuletzt geändert von Bernd Schulz am Do 8. Jul 2021, 17:28, insgesamt 1-mal geändert.
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UlliB

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 12:45

amateur des vins hat geschrieben:Deutschland ist halt Lieblichland, immernoch.

Nein.

Ich habe zwar keine Statistik zur Hand (und weiß auch nicht, ob es überhaupt eine gibt), aber selbst in den klassischen Restsüß-Gegenden ist das meiste, was heute produziert wird, in der rechtlichen Kategorie "trocken". Ich habe zu dem Thema mit wirklich Dutzenden von Winzern geredet, und die Aussage zu restsüßen Weinen war immer: "Nischenprodukt für Liebhaber", "es lohnt sich eigentlich kaum noch, das zu machen", und "ganz schwer zu verkaufen". Natürlich gibt es ein paar Ausnahmen, JJ Prüm oder Egon Müller, aber die sind halt Ausnahmen.

Das Problem besteht viel eher darin, dass vieles, was als "trocken" im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten deklariert wird, das nicht wirklich ist, sondern am oberen Rand dessen steht, was erlaubt ist. Und das Thema "pseudotrockene restsüße Rotweine aus Italien" hatten wir kürzlich schon an anderer Stelle.

Gruß
Ulli


PS. Ich habe doch noch eine Statistik gefunden, und muss meine Aussage gründlich revidieren. Vermutlich habe ich nur mit den falschen Winzern geredet, ich hätte wohl eher bei den Kellereien und Genossenschaften fragen sollen: Volumenmäßig sind von den zur Qualitätsweinprüfung angestellten Weinen 48% der Weine trocken, der Rest fällt in die Kategorien halbtrocken (20%) und lieblich/süß (31%). Der fehlende Prozentpunkt liegt beim Anbaugebiet Saale-Unstrut, wo nicht differenziert wurde.

Die knappe Mehrheit der Weine ist also nicht "trocken". So kann man sich täuschen :oops:
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EThC

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 14:22

UlliB hat geschrieben:Rein formal betrachtet ist das richtig. Praktisch gesehen schreiben die meisten (deutschen) Winzer bei hren trockenen Weinen aber tatsächlich auch "trocken" drauf, weil das für manche Kunden durchaus ein Qualitätsmerkmal ist. Selbst bei den GGs, die ja immer trocken sein müssen, findet man ziemlich regelmäßig auf dem Rückenetikett die Geschmacksangabe. Hingegen findet man "lieblich" oder "süß" selten bis nie... sondern stattdessen eben nichts. Zumindest in den Gegenden, in denen es eine immer noch mehr oder weniger ausgeprägte Neigung zur Herstellung restsüßer Weine gibt (Mosel, aber durchaus auch Nahe und Rheingau) wird das ganz regelmäßig so gehandhabt.
Grundsätzlich ja, aber auch "trocken" steht relativ häufig auf meinen Fläschchen nicht drauf, bei rot kommt das öfters vor als bei weiß, wird auch regional unterschiedlich gehandhabt; das jeweils Übliche bleibt -wie Du geschrieben hast- oft unerwähnt, das regional eher Unübliche bekommt eine Geschmacksangabe verpaßt...
Bernd Schulz hat geschrieben:Meine Herren, habt ihr tagsüber viel Zeit zum Schreiben! Mein doofer Chef zwingt mich vor dem Abend dauernd zum Arbeiten...
...Freiberufler halt! Ich arbeite (weitgehend) wann ich will und mach zwischendurch Entspannungspausen wann ich will!
Ich kehr die erste Hälfte der ersten Platte, ich verschnauf ein wenig... :lol:
Viele Grüße
Erich

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amateur des vins

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Re: Punkte und Prädikate

BeitragDo 8. Jul 2021, 14:24

UlliB hat geschrieben:selbst in den klassischen Restsüß-Gegenden ist das meiste, was heute produziert wird, in der rechtlichen Kategorie "trocken". Ich habe zu dem Thema mit wirklich Dutzenden von Winzern geredet, und die Aussage zu restsüßen Weinen war immer: "Nischenprodukt für Liebhaber", "es lohnt sich eigentlich kaum noch, das zu machen", und "ganz schwer zu verkaufen".
Wenn das wirklich so sein sollte, gäb's ja garkeinen Grund mehr für die unsäglichen Prädikate!
UlliB hat geschrieben:Das Problem besteht viel eher darin, dass vieles, was als "trocken" im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten deklariert wird, das nicht wirklich ist, sondern am oberen Rand dessen steht, was erlaubt ist.
Und warum wird das wohl so gemacht? Weil die Kunden es so wollen! Nicht wir Freaks, aber das Gros. Das wird bei Prädikatsweinen weniger ausgeprägt sein als unterhalb, wo fröhlich chaptalisiert werden darf. Aber ich bin überzeugt, daß die Grundrichtung auch dort so ist - bis mir das Gegenteil bewiesen wird (ich bitte darum! :geek:).
Besten Gruß, Karsten
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