Reise zur nächsten Stufe - Anfänger sucht Hilfe

Liebes Weinforum,

vor einiger Zeit bin ich in den Weingenuss gekommen und probiere mich kontinuierlich durch die verschiedenen Weine. Bisher habe ich viel auf Vivino gesetzt wobei ich mit der mir vorgeschlagenen Auswahl meistens recht zufrieden war, komme aktuell jedoch an Grenzen.

Zum einen habe ich bisher recht “planlos” gekauft auf Basis von Bewertungen, Preis, Regionen und den Geschmacksprofilen. In letzter Zeit habe ich eigentlich nichts neues aufregendes entdeckt.

Ich bin ein Genussmensch, koche liebend gerne und häufig, weshalb ich auch ein großes Interesse an Wein und Spirituosen habe. Habe mehrmals verschiedene Weinregionen und Weingüter in Italien (v.a. Chianti) und Frankreich (Bordeaux, Champagne) besucht, was mir großen spaß gemacht hat und ich öfter machen möchte. Zum anderen bewege ich mich beruflich und privat öfters in einem Kreis, in welchem es nicht schaden würde etwas mehr über Wein zu wissen (bin nicht in der Gastronomie tätig).

Jedenfalls würde ich gerne mein Interesse für Wein vertiefen und habe im Grunde genommen zwei Ziele für den Anfang:
1. Theoretisches Grundwissen auf- bzw. ausbauen (Regionen, Rebsorten, Aromen, Pairing, etc.). Mein Gefühl ist, dass es mir etwas an Grundwissen fehlt, um weiter zu kommen. Mag sein, dass man es sich mit der Zeit gut aneignen kann, aber ich habe das Verlangen zumindest ein gewisses Grundwissen anzueignen. Überzeugt mich gerne vom gegenteiligen, wenn ihr anderer Meinung seid.
2. Verkosten lernen. Ich habe in den letzten Jahren einige Weine probiert und habe immer mehr Geschmacksnoten herausschmecken können, aber würde gerne die nächste Stufe erreichen. Ich kann bei weitem nicht die angegebenen Aromen herausschmecken. Deshalb würde ich gerne mein Geschmacksprofil stärken.

Erst danach möchte ich Schritt für Schritt in die komplexere Welt der Weine einsteigen. Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn eine exklusivere Flasche Wein oder Champagner aufzumachen, ohne dass ich mich an dieses Level herangetastet habe und auch weiß ich es am besten verkosten und genießen kann. Ich möchte daraus keine Wissenschaft machen, aber es macht mir einfach mehr spaß mich daran heranzutasten.

Um dieses Ziel zu erreichen, habe ich mir verschiedene Verkostungen und Kurse in München und Umgebung angesehen - leider habe ich keine gefunden, welche mir zusprechen. Meist handelt es sich um Verkostungen von ein paar bestimmten Weinen (z.B. einer Region) oder es sind eher “Lifestyle” Veranstaltungen.

Zum anderen habe ich mir den WSET Level I angesehen bin mir aber unsicher, ob sich wirklich lohnt die ca. 300€ auszugeben; das gleiche gilt für den WSET II. Die Inhalte und Struktur find ich gut, jedoch kommt es mir vor, dass ich den Inhalt auch einfach selbst nachlesen kann in den entsprechenden Materialien und den Frontalvortrag garnicht benötige. Was mir am WSET sehr gefällt ist die strukturierte Heranführung an die Verkostung.

Ich bringe mir gerne Inhalte eigentlich gerne selbst bei, von daher würden mir die nötigen Materialien/ Bücher und idealerweise gute Youtube-Videos (v.a. zur Verkostung) reichen. Bei Youtube bin ich jedoch leider nicht fündig geworden bzw. mir fehlt das Wissen, um zu sagen, ob der Inhalt korrekt und gut ist oder ob es sich um ein “Lifestyle” Video handelt.

Alternativ habe ich mir gedacht mit Hilfe des Forums eine Liste an Weinen zusammenzustellen, um diese dann strukturiert zu verkosten. Hierzu muss ich mir aber noch Gedanken machen wir man das am besten angehen kann, um hier auch wirklich etwas zu lernen.

Ah und loht sich The Oxford Companion to Wine? Ist das Buch eher was zum nachschlagen oder auch mal tiefer reinlesen?

Natürlich habe ich auch hier im Forum gelesen. Die Devise “saufen, saufen, saufen” befolge ich liebend gerne sobald ich mir mehr wissen angeeignet habe und mehr spaß daran habe. Treffen mit Gleichgesinnten sind möglich und in Planung. Das Forum, Parker und Co. steht auch auf der Agenda.

Zeitlich kann ich es nur nebenberuflich machen, also am Abend oder am Wochenende. Ein ausgiebiges Stadion (auch in Teilzeit) ist nicht machbar und nicht gewollt.

Ich würde mich über euere Erfahrung und Antworten freuen

Viele Grüße,
newcomer

...wenn ich so schaue, wie ich in den letzten Jahrzehnten meinen Weinhorizont erweitert und wieder eingegrenzt habe, war da sehr wenig Strukturiertes dabei, viel mehr "try and error" sowie auch ganz viele "glückliche Fügungen".

Grundsätzlich ist es natürlich von Vorteil, auch entsprechend Theorie im Hinterkopf zu haben, die ist bei mir aber über die Jahre ereignisorientiert gewachsen, d.h. ich habe nicht erst 3 Bücher über Burgund gelesen, bevor ich den ersten Burgunder bewußt aufgemacht habe. Ich habe auch nie sowas wie WSET etc. gemacht, ich habe die Erfahrung, daß private Weingenießer durch sowas z.B. auf ein Verkostungsraster geeicht werden, was die persönliche Wahrnehmung bzw. "den eigenen Stil" eher behindert als fördert. Meiner Erfahrung nach hilft sowas eher denjenigen, die sich geschäftsmäßig mit Wein befassen, zum Finden der eigenen Vorlieben ist das m.E. weniger dienlich, man wird da eher in "allgemein beliebte" Genres geleitet, die möglicherweise gar nicht Deinen speziellen Vorlieben entsprechen.

Bezüglich der aromatischen Beschreibungen hilft m.E. nur, sich Aromen -geschmacklich wie geruchlich- in breiter Streuung bewußt zu machen und dauerhaft abzuspeichern, und zwar in jeder Hinsicht; also nicht nur eine breite Palette von Früchten probieren sondern auch allerlei Alltagsaromen einzufangen, je nachdem, was Dein Alltag halt so bietet.

Ansonsten: such Dir eine Weinrunde bzw. Gleichgesinnte, mit denen Du Dich step by step an Dein Portfolio rantrinken kannst. Oder geh auch des öfteren einfach mal zu ein paar der ständig angebotenen Präsentationen der diversen örtlichen Händler, fang vorne an und hör hinten auf, mit der Zeit kanalisiert sich das schon. Geh aber eher von 5 bis 10 Jahren als von 5 bis 10 Wochen aus...

Ich kann bei weitem nicht die angegebenen Aromen herausschmecken.

Die Aromen sind im Wein auch nicht drin. Es sind nur Assoziationen von Aromen, auf die man sich einlassen kann, aber man muss es nicht. Ich weigere mich beständig, Aprikosen, Kräuter, Leder oder Erde etc aus einem Glas herauszuschmecken. Ich sage mir eher: ah, das ist aber ein frischer Riesling, oder: oh, das ist ein Chardonnay der spürbar aus dem Barrique kommt, oder: mmh, so scheckt also ein gereifter Spätburgunder. Ich bin ebenfalls noch neu hier, und bin auf der gleichen Stufe wie Du, und das auch schon lange vor diesem Forum, und ich will und werde auch nicht mehr aufsteigen.

Als Buch kann ich Dir empfehlen: Einfach Wein von Aldo Sohm. Er erklärt unprätentiös und locker die vielen Aspekte des Weins in kleinen Schnipseln, so ist auch das Buch visuell aufgemacht. Das Buch geht nicht in die Tiefe, bietet aber einen guten Überblick über das Thema Wein und könnte den Ausgangspunkt für weiteren Lesestoff bilden.

Es bringt schon was, sich mit anderen Personen über Wein auszutauschen. In meinem Fall wars ein Bekannter, der mir meilenweit voraus ist auch im theoretischen Weinwissen, vom Anbau über Kellerausbau bis zu Geschmäckern. Will sagen, solche kommentierte Weinproben, Weinverkostungen oder Seminare können durchaus helfen. Und ja, sie sind zwangsläufig begrenzt auf Regionen oder Rebsorten oder Pairing, denn das Thema Wein ist ansonsten unendlich. Ich selber habe sowas allerdings nie gebucht gehabt, wäre aber auch nicht abgeneigt.

Ich würde Dir raten, Dich erstmal an den verschiedenen Qualitätsstufen zu orientieren, zB beim VDP zu versuchen die Unterschiede zwischen Guts-, Ortsweinen, ersten Lagen und GGs zu erschmecken oder im Burgund die Village und die Cru. Danach kannst Du zB versuchen zu vergleichen deutscher und burgundischer Spätburgunder, so langsam wirst Du dann auch den Einfluss von Holz auf den Wein schmecken etc. Dieses Hobby ist aber nicht billig und hat nix mit saufen zu tun, auch wenns dreimal hintereinander geschrieben steht Saufen ist Trinken ohne nachzudenken, und das Nachdenken und in sich Hineinhorchen ist schon wichtig, will man eine nächste Stufe erklimmen. Das sollte dann hoffentlich auch dazu führen, dass weniger Flüssigkeit langsamer die Kehle runterrinnt. Besoffen wirds schwieriger, die unterschiedlichen Nuancen wahrzunehmen. Guter Wein ist teuer, sehr guter Wein ist sehr teuer (zumindest ists die Regel). Wer ständig Kellers GGs trinkt, dem bleiben am Monatsende kaum noch Ersparnisse.

Ausserdem: das Sprechen über Wein ist voll von Verallgemeinerungen, das habe ich eben bewiesen Vielleicht hast Du aber schon alle meine Ratschläge hinter Dir, denn wir sind ja auf einer Stufe.

Hallo,

ein paar Antworten auf einen Teil der Fragen:

Oxford Companion to Wine lohnt sich schon, finde ich. Es handelt sich allerdings um ein Lexikon, d.h. alles ist alphabetisch und nicht thematisch geordnet. Gerade ist die neueste Auflage erschienen, und ich werde sie mir bestellen. Immer wieder stößt man auf interessante Einträge, die man eigentlich gar nicht gesucht hat und liest sich dann fest.

Gute sytematische Einführungen sind die beiden deutschsprachigen Bücher von Jens Priewe von 2017 und 2019, wobei mir die etwas ausführlichere Ausgabe von 2017 etwas besser gefällt als die "abgespeckte" und billigere Ausgabe von 2019.

Empfehlen kann ich auch die Webweinschule von Anja Schröder und Felix Bodmann, die aus kurzen Filmchen von etwa 7 bis 12 Minuten Länge besteht. Es beginnt mit allgemeinen Grundlagen und wird dann immer spezieller (z.B. Weinbaugebiete wie die Loire oder Rueda). Das ist anregend, unterhaltsam und informativ. https://www.webweinschule.de/

Herzliche Grüße

Michael

Danke für die informativen Antworten, das hilt mir schon einmal weiter

daß private Weingenießer durch sowas z.B. auf ein Verkostungsraster geeicht werden, was die persönliche Wahrnehmung bzw. "den eigenen Stil" eher behindert als fördert

Das kann ich sehr gut nachvollziehen und sehe es ähnlich wie du. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es mir langfristig helfen würde - hier spreche ich einfach aus mir heras, kenne mich ja etwas.

Oder geh auch des öfteren einfach mal zu ein paar der ständig angebotenen Präsentationen der diversen örtlichen Händler

Werde ich mir mal genauer anschauen hier in der Umgebung, habe bisher immer nur die Kurse und recht teueren Verkostungen gesehen.

Die Aromen sind im Wein auch nicht drin. Es sind nur Assoziationen von Aromen, auf die man sich einlassen kann, aber man muss es nicht. Ich weigere mich beständig, Aprikosen, Kräuter, Leder oder Erde etc aus einem Glas herauszuschmecken. Ich sage mir eher: ah, das ist aber ein frischer Riesling, oder: oh, das ist ein Chardonnay der spürbar aus dem Barrique kommt, oder: mmh, so scheckt also ein gereifter Spätburgunder.

So ähnlich geht es mir auch, sowohl bei Wein als auch bei Whisky. Einerseits finde ich es überbewertet all diese Aromen herauszuschmecken, andererseits finde ich es total spannend. Aber wie du sagst man muss sich drauf einlassen.

Ich würde Dir raten, Dich erstmal an den verschiedenen Qualitätsstufen zu orientieren, zB beim VDP zu versuchen die Unterschiede zwischen Guts-, Ortsweinen, ersten Lagen und GGs zu erschmecken oder im Burgund die Village und die Cru. Danach kannst Du zB versuchen zu vergleichen deutscher und burgundischer Spätburgunder, so langsam wirst Du dann auch den Einfluss von Holz auf den Wein schmecken etc.

Dieser Ansatz gefällt mir gut und klingt logisch. Ich dachte schon daran mir eine Liste an Weinen zusammenzustellen und diese in einer bestimmten Rheinfolge durchzuprobieren. Vielleicht hilt es da auch mal die eine oder andere "qualifizierte" Meinung/ Beschreibung zu dem Wein (wenn man sagen kann, dass es so etwas wirklich gibt) nebenbei zu lesen, um den eigenen Geschmack versuchen abzugleichen. Natürlich muss ich nicht alles rausschmecken was eine dritte Person herausschmeckt. Aber manchmal braucht man auch einen Hinweis, um das eine oder andere herauszuschmecken.

Empfehlen kann ich auch die Webweinschule von Anja Schröder und Felix Bodmann

Find ich sehr cool, danke!