Dies ist ein komplexes Thema, das viele Facetten hat! Entsprechend bekommt dieser Thread aktuell auch wieder erfreulicherweise etwas mehr Aufmerksamkeit.
Ein sehr guter Freund von mir - kein Wein-Nerd - wurde vor Kurzem 60 Jahre und häufig habe ich ihm mit oder ohne Anlass die ein oder andere Flasche trinkreifen Wein aus meinem Keller überlassen. Häufig haben sie ihm einfach Spaß gemacht. Zum runden Geburtstag wollte ich mich nicht lumpen lassen und habe ihm einen Nuits Saints Georges Aux Chaignots 2006 von Mugneret-Gibourg überreicht. Ein Wein für den ich vor geraumer Zeit im Abverkauf ca. 40 € bezahlt habe. Wie die aktuelle Entwicklung in Burgund leider nun mal ist, handelt es sich hierbei um eines der Weingüter mit besonders gesteigerter Nachfrage, so dass die aktuellen Preise für ältere und jüngere Jahrgänge mE nicht mehr im Verhältnis zum Inhalt stehen. Winesearcher spuckte vor ca. einem Jahr einen Preis von ca. 250 € pro Flasche aus - heute bereits nahezu 400 €! Ich habe meine übrigen Flaschen des Weines bereits getrunken und finde ihn gut - aber auch nicht mehr - zur damaligen Zeit ein angemessener Preis. Dummerweise kam mein Freund auf die Idee, den Wein zu googlen und sah die aktuell aufgerufenen Preise. Für ihn ist das absurd und dekadent einen solch teuren Wein zu trinken. Diese Flasche konnte er nicht mehr unbeschwert genießen. Ich wohne in einer Weingegend und wer hier deutlich mehr als 10 € für eine Flasche "Woi" ausgibt, der wird schnell komisch beäugt.
Ein anderes gutes Beispiel sind die Weine von Jean-Marie Fourrier. Auch diese Weine genießen einen gewissen Kultstatus und die Preise sind entsprechend in astronomische Höhen geschnellt. Während mir seine Weine ausgesprochen gut gefallen, bin ich froh in der Vergangenheit von Village-Weinen bis zu dem ein oder anderen Premier Cru genügend Tropfen im Glas gehabt zu haben, so dass ich mich nun von der ein oder anderen Flasche auch trennen kann. Auch hier sind die Preise so hoch, dass ich mir dafür andere spannende neue Tropfen in deutliche höherer Flaschenanzahl leisten kann. Und ja ich möchte vieles mal getrunken haben, aber eben nicht alles zu jedem Preis.
Ich kann sehr gut die Neugierde und das Streben nach dem ganz besonderen Trinkerlebnis verstehen. Selber habe ich diesem Drang häufig genug nachgegeben und tue dies auch heute noch - allerdings mit sehr unterschiedlichen Erfolgserlebnissen. Es gibt viele Faktoren, die über das endgültige subjektive Urteil im Glas entscheiden: der Anlass zum Öffnen, die eigene Stimmung und die eigenen Erwartungen, Reifestadium / Trinkzeitpunkt der Flasche und und und ... Ein "singender" guter Wein kann dem großen Wein die Show stehlen, wenn dieser nicht zum guten Zeitpunkt aufgemacht wird, so einfach ist das mE. Häufig haben sehr hochwertige Weine in Top-Jahrgängen nach der Primärfruchtphase eine lange Adoleszenzphase, aus der sie nur mit ein wenig Glück hervorzulocken sind. Selbst wenn sie aber auch einfach nur im Trinkfenster sind und noch nicht wirklich auf dem Höhepunkt - hat das Trinken häufig mehr mit einer akademischen Beurteilung zu tun, als mit Genuss. Das Potential halt erkennen - aber macht das Freude oder führt es eher zur Enttäuschung? Ich bin schon auch häufig enttäuscht, da ich mir natürlich etwas anderes erhofft habe.
Vor diesem Hintergrund sind meine Erfahrungen mit höherwertigen Weine > 100 € bzw. >> 100 € einfach durchwachsen. Wie im ersten Absatz bereits erwähnt, spielt natürlich auch die Preisentwicklung bei sehr gefragten Weinen ein Rolle, sich hieraus ergebende Preise rechtfertigen nicht unbedingt den Inhalt. Ganz zu schweigen von ggf. eigenen großen Erwartungen an ganz besondere Flaschen ...
Ich habe aber natürlich auch positive Erinnerungen an besondere und teure Flaschen. Ich habe beispielsweise aus dem Geburtsjahrgang meiner Frau einen gereiften Portwein Colheita der Quinta de Noval aus Portugal mitgebracht und diesen an ihrem Geburtstag gemeinsam im Freundeskreis getrunken. Gott sei Dank hat keiner nach dem Preis gefragt! Die meisten haben den Wein einfach getrunken, genossen und wollten mehr, da der Wein tatsächlich auch spannend im Glas zu verfolgen war ... er änderte sich ständig ... An dieses gemeinsame Erlebnis erinnere ich mich sehr gerne.
Es schlummert auch noch manche, sehr hochwertige und teure Flasche in meinem Keller, aber insgesamt geht der Trend nicht mehr zu den besonders teuren Flaschen ... ganz zu schweigen davon, dass es gar nicht so viele außergewöhnliche Anlässe gibt, einen ganz besonderen Tropfen zu servieren ...
Nicht zuletzt ist mir ein Zitat von Olifant in einem anderen Thread in Erinnerung:
So richtig Weine des Jahres ... kann ich so im Eigentlichen nicht verzeichnen. Es erschien schwierig für mich, sich so richtig auf Einfach Genuss einzulassen. Zu groß war mir das Hintergrundrauschen aus Klimawandel, Terrorkrieg und Corona-Nachwehen - irgendetwas hat dies in mir verändert.
Dafür hatten die eher kleinen Genüsse Renaissance.
Auch wenn ich das nicht immer beherzige, so kann ich Gedanken und Empfinden gut nachvollziehen!