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Lichtstress und Weinaroma

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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stollinger

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Lichtstress und Weinaroma

BeitragFr 6. Nov 2020, 17:44

Hallo,

ich habe gerade etwas Urlaub und habe die Freizeit genutzt, um etwas zum Thema Sonneneinstrahlung und Aromenprofil von Trauben/Wein zu lesen. Ich hoffe, der Beitrag kommt nicht zu belehrend oder neunmal-klug rüber. Es einfach ein Thema, was mich fasziniert.

Ich finde das recht interessant, und im Hinblick auf die Jahrgänge 2018 und 2019 auch durchaus aktuell. Ich möchte das gelesene gerne mit euch teilen und hoffe, dass sich eine Diskussion ergibt, inwieweit sich bei euch und bei mir die anekdotischen degustatorischen Eindrücke und die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erklärungen decken.

Allgemein reagieren Reben auf Stress, biotischen (wie Pilze oder Schädlinge) oder abiotischen (Trockenheit, intensive Lichteinstrahlung, Hitze), mit einer Abwehr- oder Schutzreaktion. Dafür produziert die Pflanze sekundäre Pflanzenmetabolite, die den angenehmen Nebeneffekt haben, dass sie als Ausgangsstoff für Aromen und strukturbildende Komponenten später im Wein zur Verfügung stehen. Die Rebe braucht Stress, damit die Trauben intensiv schmecken; Stress ist positiv für die Weinqualität, solange nicht wichtige pflanzenphysiologische Prozesse durch Überstress negativ beeinträchtigt sind.

Im Faden Elsass-Riesling hatte ich schon mal etwas den Einfluss von Grundgestein und Bodenauflage zusammen gefasst [Link]:

stollinger hat geschrieben:...
Insgesamt ist jedoch der Einfluss des Fundamentgesteins auf die Weinqualität indirekt und geschieht immer in Verbindung mit dem aufliegenden Boden. Die dafür wesentlichen Terroir-Parameter, die mit dem Boden in Verbindung gebracht werden, sind die Bodentemperatur, die Wasserrückhaltefähigkeit und die Menge an bodenverfügbarem Stickstoff. Hingegen gibt es keinen wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Mineralien im Boden und Eigenschaften des Weins. Das Thema ist in diesen beiden frei zugänglichen Artikeln gut zusammengefasst. [2, 3]

Ich versuche mal, die Beschreibung der Einflussgrößen aus den Artikeln zusammenzufassen:

- Die Bodentemperatur, und damit die Temperatur der Wurzeln der Rebe, beeinflussen den Zeitpunkt des Austriebs und die Geschwindigkeit der Reife. In warmen Weinbauzonen ist eine kühle Wurzeltemperatur von Vorteil, um die Reife zu verlangsamen und somit ausreichend Säure in phenolisch und aromatisch ausgereiften Trauben zu haben. In kalten Weinbauzonen ist eine warme Wurzelzone hilfreich, um eine gute Reife ohne grüne Aromen und zu hohe Säure zu erreichen.

- Ein moderater Trockenstress wirkt sich positiv auf die Qualität der Weine aus. Der Unterschuss an Wasser führt zu konzentrierteren Beeren, der Gehalt an Äpfelsäure wird reduziert, die Dicke der Schalen nimmt zu. Die Dicke der Schalen wirkt sich erhebllich auf den Gehalt an Phenolen wie Anthocyaninen und die Menge an glycosidisch gebundenen, wesentlichen Aromabestandteilen aus. Schwerer Trockenstress wirkt sich hingegen negativ auf das vegetative Wachstum, den Reifeverlauf und die Bildung von Aromen aus.

- Stickstoffversorgung ist für die Reben essentiell und wird natürlich für das vegetative Wachstum und die Reife der Beeren benötigt, ist aber auch relvant für die Ausbildung von Phenolen und Aromastoffen, bzw. Vorstufen für Aromastoffe. Eine moderate Versorgung der Rebe mit Stickstoff (in Form von Nitrat), wirkt sich positiv auf die Weinqualität aus. Die Beerengröße bleibt klein, was wieder zu hohem Zucker und hohem Gehalt an Phenolen und niedrigerem Gehalt an Äpfelsäure führt. Der Stickstoffbedarf von Weißweintrauben ist höher als der von Rotweintrauben. Stickstoff stimuliert die Synthese von vielen Thiol-Verbindungen in Weißweintrauben; diese Thiole und Metabolite aus ihnen bilden die wesentlichen Aromabestandteile von Weißwein. Eine zu hohe Stickstoffversorgung führt zu Pilzbefall.

Moderater Stress (nicht nur Trockenstress, sondern auch Stress wie UV-Strahlung und Schädlinge) wirkt sich also positiv auf die Qualität aus, die Rebe erfährt einen Auslöser zur Bildung von sekundären Pflanzenstoffen. Ein anschauliches Gegenbeispiel (Früchte ohne Stress) sind für mich Gewächshaustomaten.

Der Stickstoffgehalt im Boden wirkt sich nicht allein auf das Wachstum der Beeren und der Rebe aus, sondern es kommt auch noch darauf an, dass der Most einen ausreichend hohen Gehalt an hefeverwertbarem Stickstoff (jetzt nicht in Form von Nitrat, sondern als Aminosäuren o.Ä.) besitzt, den die Hefe für die Vermehrung benötigt. Wenn die Rebe keine ausreichende Stickstoffversorgung hat, fehlt dieser dann auch im Most und es kann zu Gärverzögerungen, Gärungsstop und einer Vermehrung von Gärungsnebenprodukten kommen.

Um den Stickstoff aus dem Boden in die Rebe zu bekommen, ist eine ausreichende Feuchteversorgung nötig, bei schwerem Trockenstress kann die Stickstoffversorgung deshalb unzureichend sein, direkt ist deshalb die Stickstoffversorgung der Rebe von der Wasserbalance im Boden gesteuert.

Der bodenverfügbare Stickstoff wird aus organischem Material durch Microorganismen und Bodenbewohner hergestellt (sofern nicht Mineraldünger verwendet wird). Dies geschieht hauptsächlich in den oberen Bodenschichten im Zeitraum von April bis September. In Zeiten von einer hohen Nitratbildung, im Frühjahr und im Frühsommer, wird potentiell übeschüssiges Nitrat mit dem Regenwasser in tiefere Bodenschichten transportiert und steht der Rebe zusätzlich im Zeitraum des höchsten Stickstoffbedarfs (Juli-August, zwischen Blüte und Veraison) zur Verfügung. Deshalb hat natürlich auch die Bodendurchlüftung (und damit die Porösität), aber vor allem auch die Bodenfeuchte, einen Einfluss nicht nur auf die Rebe, sondern in ganz erheblicher Weise auch auf den Boden, die Erde und all seine biologisch aktiven Bestandteile.

...

[2] C. van Leeuwen, L. de Rességuier, Major Soil-Related Factors in Terroir Expression and Vineyard Siting, Elements, Vol. 14, pp. 159–165, 2018. [Link]
[3] C. van Leeuwen, J.-P. Roby, L. de Rességuier, Soil-related terroir factors: a review, OENO One, 2018, 52, 2, 173-188. [Link]


Trockenstress wirkt sich direkt auf die Pflanze und nur mittelbar auf die Beeren aus. Noch weniger direkt ist das Nährstoffangebot im Boden beeinflusst. Dieses wirkt sich auch auf die ganze Rebe aus und die direkte Wirkung auf die Trauben und Beeren ist nur schwer differenziert untersuchbar. Die Prozesse im Boden sind langsam und die Wirkung auf die Rebe nicht auf eine Vegetationsperiode eingrenzbar und damit auch nicht unmittelbar auf das Aromenprofil eines einzelnen Jahrgangs.

Direkter ist die Wirkung von Licht. Untersuchungen der Wirkung von Lichtstress unmittelbar auf die Beeren und die Aromenzusammensetzung der Beeren lassen sich experimentell hingegen recht gut realisieren. Dieses kann durch unterschiedliche Entlaubungsgrade und Zeitpunkte, oder auch durch Verpacken der Beeren in Säcke oder Ähnliches geschehen. So gibt es z.B. aktuelle wissenschaftliche Publikationen über die aromatischen Komponenten in Abhängigkeit der Sonneneistrahlung für Sauvignon Blanc [1], Corvina [2], Pinot Noir [3], Nebbiolo [4,5] und Cabernet Sauvignon [6]. Dabei wird nicht nur der quantitative Anteil an Aromakomponenten bestimmt, sondern auch das Transkriptionslevel von beteiligten Genen durch den Lichtstress-Stimulus geändert [7]; d.h. dass bestimmte Gene, die an der Biosynthese von diesen Aromaten beteiligt sind, vermehrt aktiviert werden. Die Ursache ist hier also gut verstanden und die Wirkung gut physikalisch messbar. Die Biosynthese dieser Aromen findet zum großen Teil in den Beeren statt, nicht in der gesamten Rebe. Entsprechend finden sich später die Aromen auch hauptsächlich in der Beerenhaut und gelangen so in den Wein.

Diese Untersuchungen haben interessanterweise auch einen hohen Anwendungsbezug, da die Entlaubung im Weinberg kein rein akademisches Werkzeug ist, sondern eine wichtige landwirtschaftliche Praxis. Traditionell z.B. um Pilzbefall und Fäulnis zu vermeiden, indem die Durchlüftung verbessert wird. Aber auch umso mehr in den letzten, heißen und sehr sonnenreichen Jahrgängen, um die physiologische Reife der Trauben zu verlangsamen (um die Photosyntheseleistung zu reduzieren), um später den Alkohol im Wein niedrig zu halten und um eine gute phenolische Reife zu erlangen. Das Auftreten von Überstress, der Sonnenbrand, ist ja auch in Jahrgangsberichten wiederholt berichtet.

Dass die Praxis der Entlaubung und die Menge der Sonnenenstrahlung nicht nur einen großen Einfluss auf die physiologische Reife hat, sondern auch einen ganz Wesentlichen auf das Aromaprofil vom Wein, ist in diesem Übersichtartikel [8] recht gut zusammengefasst. Die Perspektive beschränkt sich hier nur auf das Aromenprofil und beschäftigt sich nicht mit dem Einfluss auf die Gerbstoffe. D.h., taktile Eindrücke, das Mundgefühl, Bitterstoffe, Säurewirkung, etc. werden nicht betrachtet. Ich versuche mal, das Interessante wiederzu geben und orientiere mich an der Struktur des Übersichtsartikels:

Die Konzentration von flüchtigen, aromatischen Bestandteile in Beeren und im daraus resultierenden Wein ist ein ganz bestimmender Faktor der Qualität und des Charakters. Diese aromatischen Bestandteile kommen in der Beere entweder als freie oder als gebundene Aromen vor. Die gebundenen sind dabei an Zuckereinheiten chemisch verknüpft und besitzen wenig oder kein aktives Aroma; sie sind nicht flüchtig. Diese Verknüpfung kann aber enzymatisch und/oder chemisch aufgebrochen werden und die Aromen freigesetzt. In der Praxis bedeutet das, entweder werden die Aromen während der Gärung durch die Hefen oder zugesetzte Enzyme freigesetzt, oder durch chemische Prozesse währende der Flaschenreifung.

Die gebundenen Aromen haben in der Traube einen deutlich höheren Anteil und dienen im Wein als Aromenreservoir. Das sind die z.B. floralen und fruchtigen Primär- und Sekundäraromen, die sich in einem guten Wein mit Tertiäraromen aus der Flaschenreife ergänzen. Für mein Verständnis sind Weine, bei denen durch die Weinbereitung bereits eine höhere Aromenkonzentration forciert wird, Kandidaten, die im Alter dann nicht mehr ausreichende Frucht besitzen und ausgezehrt, alt und aromatisch flach wirken.

Jetzt wird's recht speziell, den Absatz kann man aber auch fürs Gesamtverständnis überspringen:

Wichtige Stoffklassen der flüchtigen aromatischen Bestandteile sind:

a) Terpene: Terpene entstammen hauptsächlich der Beerenhaut und finden sich im Wein in freier Form als die entsprechenden Alkohole und Aldehyde. Bekannte Vertreter sind z.B. Linalool, Terpenol, Nerol, ±-Terpineol, Geraniol und Citronelol. Also florale- und (citrus)-fruchtige Aromen.

b) Norisoprenoide: Das sind auch vorangig florale und fruchtige Aromen, die aus der Degradation von Carotenoiden entstammen. Diese Carotenoide und auch Norisoprenoide sind Lipide und finden sich in den Zellwänden der Beerenhaut. Die Degradation erfolgt z.B. photochemisch oder photooxidativ. Die Beere schützt sich durch die vermehrte Produktion von Carotenoiden, und das je mehr sie mit Licht bestrahlt wird. Das heißt, viel Licht führt zu einer hohen Konzentration an aromatischen Verbindungen. Auch TDN (1,1,6-trimethyl-1,2-dihydronaphthalene), verantwortlich für den Petrolgeruch in Riesling, zählt zu dieser Stoffklasse.

c) Methoxypyrazine: Das sind stickstoffhaltige heterocylische Verbindungen, die eher mit vegetabil würzigen Aromen in Verbindung gebracht werden (grüne Paprika, Spargel und Kräuteraromen). Diese Verbindungen kommen neben der Beerenhaut auch in den Stielen in größerer Konzentration vor und Techniken bei der Weinbereitung wie Entbeeren und stärkeres Quetschen haben somit einen großen Einfluss auf die Konzentration im Wein.

d) C6 - Alkohole und Aldehyde: Diese Moleküle werden grünen Aromen zugeordnet und entstammen aus der Oxidation von Fettsäuren (die z.B. in den Traubenkernen und Häuten vorkommen).

e) Thiole: Das sind auch fruchtige Aromen (z.B. von schwarzer Johannisbeere, Grapefruit, Passionsfrucht, Stachelbeere), die einen sehr niedrigen Schwellenwert für die Wahrnehmung haben. In höheren Konzentrationen wirken diese Aromen häufig unangenehm. Diese Aromen sind an Aminosäuren gebunden und im Wein ist nur ein kleiner Teil (~5%) freigesetzt. Für die Menge im Wein ist also nicht die Sonneneinstrahlung, sondern die Praxis der Weinbereitung entscheidend. Eine starke mechanische Bearbeitung der Trauben führt zu einer Erhöhung, aber besonders ist der verwendete Hefestamm bei der Gärung ausschlaggebend. Wilde Hefen setzen hierbei mehr frei als Reinzuchthefen. Das ist also der viel zitierte Sponti-Stinker und auch die Spontangärungsaromatik verbunden mit einer reduktiven Weinbereitung (die verhindert, dass die Thiole sich verflüchtigen oder oxidiert werden).

Überspringen vorbei.

In der Wissenschaft ist es gut belegt, dass die Konzentrationen von flüchtigen aromatischen Verbindungen (auch die glykosidisch gebundenen) bei einer höheren Sonneneinstrahlung auf die Trauben höher sind. Das lässt sich auch an den Extraktwerten fest machen. Im Jahrgang 2019 findet man diese hohen Extraktwerte im Wein auch messbar wieder, zusätzlich mein subjektiver Eindruck, dass die Weine aromatisch sehr expressiv im Fruchtausdruck sind (z.B. durch die Konzentration an Terpenen und Norisoprenoiden) und auch kräftige würzige und Kräuteraromen besitzen (Methoxypyrazine).

In 2019 gab es, im Vergleich zum langjährigen Mittel (1961-1990) deutlich mehr Sonnenstunden [link]. Neben der Wetterlage, denke ich, ist das solare Charakteristikum auch noch durch die Praxis der Winzer im Weinberg verstärkt und herausgearbeitet worden. Immer wieder liest man, dass die Laubarbeit von Winzern und Händlern hervorgehoben wird. Ich finde daher für die Beschreibung von Rieslingen im Jahrgang 2019 in Deutschland die Charakterisierung als Weine eines, im Wesentlichen, solaren Jahrgangs treffend. Auch im Kontrast zu 2018, den ich nicht als vordergründig solaren Jahrgang charakterisieren würde.

Die Sonnenstunden waren zwar in 2018 noch höher als in 2019, trotzdem empfinde ich 2018 nicht als solaren Jahrgang. In 2018 war das Beerengewicht höher, die Beeren größer, auch der Ertrag höher, und somit auch das Verhältnis von Beerenhaut zu Saft/Fruchtfleisch ein anderes. Die verhältnismäßige Konzentration von Aromaten (Beere zu Most) ist niedriger. 2018 verfügt außerdem, in meiner Wahrnehmung, nicht über die phenolische Reife wie 2019. Ich finde deshalb die Charakterisierung von 2018 als Jahrgang mit einer Disbalance von physiologischer und phenolischer Reife treffender. Auch hat die schnelle Reife zu einer gewissen aromatischen Inhomogenität geführt; es sind auch überreife Aromen vorhanden. Ein weiterer Unterschied der beiden Jahrgänge ist, dass in 2019 die Sonnenstunden im Juni besonders hoch waren, in 2018 hingegen im Juli, September und Oktober. Untersuchungen zeigen, dass es einen signifikanten Einfluss hat, wann der Lichtstress auf die Beeren stattfindet, ob vor, oder nach der Veraison.

Deckt sich das mit euren Verkostungseindrücken?

Ich finde, auch die Eindrücke von Verkostern von Bordeaux-Weinen aus den Jahrgängen 2018 und 2019 kann man gut mit dem theoretischen Hintergrund des Einflusses von Lichtstress auf die Aromatik der Weine in Einklang bringen. Die Weine werden als sehr fruchtig und expressiv beschrieben. Dicht und extraktreich.

Erst mal klingt das eigentlich ganz gut, ich bin geneigt, den euphorischen Punkteorgien etwas mehr Glauben zu schenken. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass zwar eine messbare Erhöhung der Aromenkonzentration feststellbar ist, die messbare Reduzierung von anderen Komponenten aber in der Regel nicht in die Analyse mit eingeht. Sprich, die aromatische Balance wird ein wichtiges Kriterium sein; besonders auch im Hinblick auf die Alterung. Ein Großteil der Aromen in den jungen Weinen ist noch glykosidisch gebunden und wird erst mit Flaschenreife freigesetzt.

Ein weiterer für mich wichtiger Aspekt ist, dass in meinem Verständnis ein solarer Jahrgang, wie 2019, nur wenig ausgeprägt ein Terroir-Jahrgang ist. Die Hangneigung in Steillagen, die dazu führen, dass Trauben direkte Sonneneinstrahlung und Lichtstress erfahren und dadurch eine ander Aromatik aufweisen als Trauben aus der Ebene, sind kein Unterscheidungskriterium mehr. Ebenso, ob Reben auf schwarzem Schiefer oder Rotliegendem stehen, ob Rebzeilen begrünt sind oder nicht. Die Sonnenstrahldauer reicht auch in der Ebene und unabhängig von der Bodenreflektion für ausreichend Lichtstress, um das Aromenprofil zu prägen.

Grüße, Josef

[1] X. Yue,X. Ma,Y.Tang,Y. Wang, B. Wu, X. Jiao, Z. Zhang, Y. Ju, Effect of cluster zone leaf removal on monoterpene profiles of Sauvignon Blanc grapes and wines, Food Research International, 131, 2020, 109028. [Link]
[2] D. Slaghenaufi, S. Guardini, R. Tedeschi, M. Ugliano, Volatile terpenoids, norisoprenoids and benzenoids as markers of fine scale vineyard segmentation for Corvina grapes and wines, Food Research International, 125, 2019, 109028. [Link]
[3] H. Feng, F. Yuan, P. A. Skinkis, M. C. Qian, Influence of cluster zone leaf removal on Pinot noir grape chemicaland volatile composition, Food Chemistry, 173, 2015, 414-423. [Link]
[4] A. Asproudi, M. Petrozziello, S. Cavalletto, S. Guidoni, Grape aroma precursors in cv. Nebbiolo as affected by vine microclimate, Food Chemistry, 211, 2016, 947-956. [Link]
[5] A. Asproudi, M. Petrozziello, S. Cavalletto, A. Ferrandino,E. Mania, S. Guidoni, Bunch Microclimate Affects Carotenoids Evolution incv. Nebbiolo (V. viniferaL.), Appl. Sci. 10, 2020, 3846 [ink]
[6] C. M. Plank, E. W. Hellman, T. Montague, Light and Temperature IndependentlyInfluence Methoxypyrazine ContentofVitis vinifera(cv. CabernetSauvignon) Berries, HORTSCIENCE 54(2), 2019, 282–288. [ink]
[7] X. Yue, R. Ren, X. Ma, Y. Fang, Z. Zhang, Y. Ju, Dynamic changes in monoterpene accumulation and biosynthesis during grape ripening in three Vitis vinifera L. cultivars, Food Research International, 137, 2020, 109736. [ink]
[8] H. Alem, P. Rigou, R. Schneider, H. Ojeda, L. Torregrosa, Impact of agronomic practices on grape aroma composition: a review, 99, 2019, 975-985. [Link]
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amateur des vins

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Re: Lichtstress und Weinaroma

BeitragFr 6. Nov 2020, 20:07

Josef, vielen Dank für dieses Kompendium!
stollinger hat geschrieben:Für mein Verständnis sind Weine, bei denen durch die Weinbereitung bereits eine höhere Aromenkonzentration forciert wird, Kandidaten, die im Alter dann nicht mehr ausreichende Frucht besitzen und ausgezehrt, alt und aromatisch flach wirken.
Ich würde sogar noch weiter gehen: Wenn die Konzentration nicht "natürlich" vorliegt, sondern "erzwungen" wird, sind das solche Kandidaten.
stollinger hat geschrieben:[2018 vs. 2019]
Deckt sich das mit euren Verkostungseindrücken?
Jedenfalls haben meine extrem wenigen Meßpunkte aus 2019 (fast alles weiße aus D) den Eindruck frischerer, spannenderer, balancierterer Charakteristik ggü. 2018 hinterlassen. Ganz zu schweigen von den 2018ern, die aufgrund von (anscheinend) Trockenstreß diskutabel fehlerhaft sind.
Besten Gruß, Karsten
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Re: Lichtstress und Weinaroma

BeitragSa 7. Nov 2020, 10:20

Uiuiui, da muß ich mich irgendwann nochmal etwas konzentrierter damit befassen, um das alles einigermaßen zu verstehen... :mrgreen:
amateur des vins hat geschrieben:Jedenfalls haben meine extrem wenigen Meßpunkte aus 2019 (fast alles weiße aus D) den Eindruck frischerer, spannenderer, balancierterer Charakteristik ggü. 2018 hinterlassen. Ganz zu schweigen von den 2018ern, die aufgrund von (anscheinend) Trockenstreß diskutabel fehlerhaft sind.

...kann ich 1:1 unterschreiben...
Viele Grüße
Erich

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stollinger

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Trockenstress und Weinqualität

BeitragDo 13. Mai 2021, 13:42

Hallo,

die Bordeaux-Kampagne 2020 kommt gerade ins Rollen, vor ein paar Wochen wurde auch der Jahrgangsbericht des Institute of Vine and Wine Sciences of Bordeaux University veröffentlicht [Link].

Ich hatte es auch schon mal im Bordeaux 2020 - Faden geschrieben, in dem Jahrgangsbericht werden fünf Faktoren für einen erfolgreichen Jahrgang angeführt:

1) und 2) schnelle und gleichmäßige Blüte und Fruchtbildung.
3) Gleichförmig einsetzender Trockenstress, damit das vegetative Wachstum der Rebe bis zur Veraison gestoppt hat.
4) Vollreife Trauben durch eine optimale Photosynthese bis zur Ernte ohne das Wiedereinsetzen des vegetativen Wachstums der Reben.
5) Warmes und trockenes Wetter bei der Lese, um Verdünnung oder Fäulnis zu vermeiden.


Die Punkte 1, 2, und 5 stellen sicher, dass es nicht zu übermäßigen Qualitätseinbußen durch Pilze, Verieselung und Fäulnis kommt und sind für meine Begriffe recht einfach nachzuvollziehen.

In den Jahrgangsberichten, Kommentaren und Meinungen von Verkostern etc. bezogen auf Bordeaux 2020 ist immer wieder vom Trockenstress und der Wasserversorgung der Rebe als Schlüsselelement zu lesen. In der Regel ist Trockenstress hier negativ konnotiert.

Der 3. Punkt ist für meine Begriffe empirisch entstanden, die erste umfassendere wissenschaftliche Arbeit (die ich kenne), die sich mit dem Einfluss von Trockenstress auf die Qualität des Weins beschäftigt, stammt aus dem Jahr 2009 [1]. (frei zugänglich, [Link]) In der Zusammefassung steht:

Vine phenology and grape ripening are highlydependent on water uptake conditions. Moderate waterdeficits reduce shoot growth, berry size and yield andenhance fruit ripening and phenolic compound synthesisin the berries. These factors generally enhance grapequality for the production of red table wines.

Die Phänologie der Reben und die Reifung der Trauben hängen stark von den Wasseraufnahmebedingungen ab. Mäßige Wasserdefizite verringern das Sprosswachstum, die Beerengröße und den Ertrag und verbessern die Fruchtreife und die Synthese von phenolischen Verbindungen in den Beeren. Diese Faktoren verbessern im Allgemeinen die Traubenqualität für die Herstellung von Rotweinen.

Mittlerweile ist dieser Umstand in der önologischen Wissenschaft unumstritten, nicht nur für Trockenstress. In dem ersten Beitrag in diesem Faden hatte ich diesen Umstand auch schon mal generalisierter beschrieben:

stollinger hat geschrieben:Allgemein reagieren Reben auf Stress, biotischen (wie Pilze oder Schädlinge) oder abiotischen (Trockenheit, intensive Lichteinstrahlung, Hitze), mit einer Abwehr- oder Schutzreaktion. Dafür produziert die Pflanze sekundäre Pflanzenmetabolite, die den angenehmen Nebeneffekt haben, dass sie als Ausgangsstoff für Aromen und strukturbildende Komponenten später im Wein zur Verfügung stehen. Die Rebe braucht Stress, damit die Trauben intensiv schmecken; Stress ist positiv für die Weinqualität, solange nicht wichtige pflanzenphysiologische Prozesse durch Überstress negativ beeinträchtigt sind.


In dem Jahrgansbericht der Uni Bordeaux wird der Trockenstress auch anhand von Messwerten dargestellt, ganz anschaulich z.B. in Figure 5 des Berichts für den Jahrgang 2010 [Link]. Auf der y-Achse wird ein Indikator für den Trockenstress der Rebe aufgetragen. Das kann z.B. die elektrische Leitfähigkeit des Bodens sein (trockene Böden leiten keinen Strom). Je kleiner der Wert, desto mehr Trockenstress. Auf der x-Achse ist der Reifeverlauf als Tag der Jahres aufgetragen. Man kann sehen, dass der Trockenstress einsetzt zur Zeit der Veraison.

Die Rebe reagiert auf den einsetzenden Trockenstress, indem sie das vegetative Wachstum einstellt und ihren Stoffwechsel an eine bevorstehende Trockenperiode anpasst (z.B. durch Anpassung der Photosyntheserate und Regulierung der Spaltöffnung, um Transpiration zu verringern). Wenn sie das nicht macht, läuft sie Gefahr, massiven Trockenstress zu erfahren, der bis zum Absterben der Pflanze führen kann. Die pflanzenphysiologischen Vorgänge sind im Detail hier beschrieben [2] (frei zugänglich, [Link]).

Zum Absterben von Reben kam es, so weit ich weiß, in 2020 nicht. Aber zur Reifeblockade und daraus resultierenden Qualitätsminderung durch übermäßigen Trockenstress. Der Trockenstress war auch deshalb in einigen Bereichen so ausgeprägt, weil er abrupt eingesetzt hat. Die Reben hatten keine Zeit, ihren Stoffwechsel auf die bevorstehende Trockenheit einzustellen. Alte Reben und Reben auf Böden mit einer guten Wasserspeicherfähigkeit haben wenig oder keinen Trockenstress erfahren. Wenn jetzt also positiv herausgestellt wird, dass die Reben keinen Über-Trockenstress erleiden mussten, dann ist das schon mal gut, erfüllt aber nicht das Kriterium unter Punkt 3 (gleichförmig einsetzender Trockenstress).

Wenn man sich nun mal die Jahre ansieht, in denen ein gleichförmig einsetzender und anhalternder, moderater Trockenstress geherrscht hat, gibt es rein empirisch eine deutliche Korrelation mit der Qualitätswahrnehmung (alles aus den Jahrgangsberichten der Uni Bordeaux entnommen):

Gleichförmig einsetzender und anhaltender, moderater Trockenstress: 2005, 2009, 2010, 2016, 2019

Ausbleibender Trockenstress: 2002, 2006, 2007, 2008, 2013, 2014

Einsetzender, aber durch Regen durchbrochener Trockenstress oder asynchron zur Veraison: 2011, 2015, 2017, 2018

Die Erkenntnis, dass der (Trocken)-Stress einen Einfluss auf die Beschaffenheit und Qualität des Jahrgangs hat, lässt sich in den letzten Jahren durch neue wissenschaftliche Methoden immer präziser und sicherer belegen. Wichtige Methoden sind hierbei die Proteomik, die Genexpressionsanalyse und die biochemische Analyse von Schlüsselmetaboliten. Gut beschrieben ist das in diesen beiden Artikeln [3, 4] (frei zugänglich [Link 3], [Link 4])

Biochemisch messbar lässt sich dabei die Reaktion der Rebe und die Zusammensetzung der Beeren auf Umwelteinflüsse verfolgen. Dabei zeigt sich, dass diese Trigger, die entsprechenden Umwelteinflüsse, einen ganz wesentlichen Einfluss auf die spätere Zusammensetzung der flüchtigen aromatischen Bestandteile, die Gerbstoffzusammensetzung und die Säure der Trauben hat.[5] (frei zugänglich [Link]) Hierbei gibt es bestimmte Phasen im Vegetationszyklus der Rebe, an denen das Einsetzen (oder auch Ausbleiben) von externen Stressoren diese Vorgänge in Gang setzt (vielleicht ähnlich zur Pubertät beim Menschen).

Was bedeutet das konkret?

Nehmen wir das Beispiel der Säure: Es ist eben nicht alleine davon abhängig, ob es vor der Lese kühle Nächte gibt, dass die Frische erhalten bleibt oder nicht. Die Zusammensetzung und Konzentration der Säuren in der Beere hängt von den biochemischen Prozessen in der Beere ab, und die sind durch die Proteomik und Genexpression in früheren Entwicklungsstadien der Rebe bestimmt.

Ein anderes Beispiel: Das Vorhandensein von oxidativen Aromen. Bei sehr hohen Temperaturen kann es zur Oxidation von Aromen kommen, schon in den Beeren. Das findet sich dann in den Weinen durch den Eindruck von eingekochten Früchten oder auch Nelke. Ob es zur Oxidation kommt, und im welchem Umfang, ist aber nicht alleine von den Hitzeereignissen abhängig, sondern auch davon, ob die Reben und die Beeren im Vorfeld Antioxidantien (z.B. Gerbstoffe) gebildet haben, um sich vor der Oxidation zu schützen. Bei abrupt einsetzenden Hitzewellen ist die Gefahr von Oxidation entsprechend besonders hoch.

Die Zusammensetzung (z.B. aromatisch, Gerbstoffe, Säuren) ist ganz wesentlich vom Eintreten von abiotischen Stressereignissen geprägt ist.

Was heißt das für den Jahrgang 2020 in Bordeaux? Der Bordeaux-Vintage Report schreibt:

As a result,due to the earliness of the vintage and intense heat at the onset of véraison, the third prerequisite for a great red vintage was only partially met. The situation varied depending on the terroir and geographical area: vegetative growth continued after rainfall in vigorous plots or those located on rich soils, whereas vine growth stopped late July in plots sensitive to water stress with no real return to véraison, and, finally, vegetative growth was halted at the onset of véraison in plots on clay-limestone soils, but colour change was then accelerated by the arrival of thunderstorms.

Wegen der Frühzeitigkeit des Jahrgangs und der starken Hitze zu Beginn der Véraison ist die dritte Voraussetzung für einen großen roten Jahrgang nur teilweise erfüllt. Die Situation war je nach Terroir und geografischem Gebiet unterschiedlich: Das vegetative Wachstum setzte sich nach Regenfällen in nährstoffreichen Parzellen oder auf schweren Böden fort, während das Weinwachstum Ende Juli in Parzellen sensitiv für Trockenheit ohne wirkliche Rückkehr zur Veraison schließlich vegetativ blockiert war. Das Wachstum wurde zu Beginn der Véraison in Parzellen auf Ton-Kalkstein-Böden gestoppt, aber die Verfärbung der Trauben wurde dann durch das Eintreffen von Gewittern beschleunigt.

Das offenbart etwas die Limitation der Daten, die für den Trockenstressindex des Jahrgangsberichts verwendet werden. Diese werden aus verschiedenen Referenzweingärten ermittelt und gemittelt. Durch den Klimawandel werden aber Regenereignisse immer lokaler, es macht technisch zunehmend weniger Sinn, über einen größeren Bereich zu mitteln. Es gibt immer mehr lokale Abweichungen und Ausnahmen, abhängig vom Terroir und lokalen Wetterbedingungen (i.e. Regen). Das findet man auch in den Verkosterberichten wieder, der Jahrgang wird als recht inhomogen beschrieben. In Teilen vergleichbar zu Jahren wie 2005, 2009, 2010, 2016, 2019, in anderen Bereichen eine Reifeblockade und Überstress (wie z.B. in 2018).

Ein zweiter wichtiger Aspekt, warum der Jahrgang 2020 m.M. nach schwer mit anderen Jahren zu vergleichen ist, ist die Frühzeitigkeit des Jahres. Wie in dem ersten Beitrag in dem Faden beschrieben, ist Lichtstress ein zweiter sehr wichtiger abiotischer Faktor der direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der Trauben nimmt. Ebenso wie der Trockenstress, setzt Lichtstress biochemische Vorgänge in der Rebe in Gang, die sich in der Gerbstoff- und Aromazusammensetzung der Trauben wiederfinden. Insgesamt hat die Sonne in 2020 sehr viel geschienen, die Sonnenscheindauer hat sich jahreszeitlich zu bestimmten Phasen des Vegetationszyklus aber unterschieden. Die Blüte war z.B. 2 - 3 Wochen früher beendet als in 2016. Hierbei ist 2020 sehr vergleichbar mit 2011.

Einen klassischen Jahrgang erwarte ich mir nicht, dafür sind die Bedingung in der Vegetationsperiode für mich einfach zu untypisch. Es ist wohl ein Jahrgang, bei dem es sehr schwer ist, Parallelen zu ziehen und Voraussagen zu treffen. Postiv kann man es wahrscheinlich als spannenden Terroir-Jahrgang sehen.
Ich vermute deutliche Unterschiede - in 2030 wird eine Margaux vs. St- Estèphe Verkostung wahrscheinlich eine sehr interessante Terroir-Studie sein.

Grüße, Josef

[1] C. van Leeuwen, O. Trégoat, X. Choné, B. Bois, D. Pernet, J.-P. Gaudillère, Vol. 43 No. 3 (2009): Journal international des sciences de la vigne et du vin. [Link]
[2] G. A. Gambetta, J. C. Herrera, S. Dayer, Q. Feng, U. Hochberg, S. D Castellarin, Journal of Experimental Botany, Volume 71, Issue 16, 6 August 2020, Pages 4658–4676. [Link]
[3] I. S.George, P. A. Haynes, Front. Plant Sci. 5:686, 2014. [Link 3]
[4] A. Serrano, C. Espinoza, G. Armijo, C. Inostroza-Blancheteau, E. Poblete, C. Meyer-Regueiro, A. Arce, F. Parada, C. Santibáñez, P. Arce-Johnson, Front. Plant Sci. 8:1486, 2017. [Link 4]
[5] S Savoi, D. C. J. Wong, A. Degu, J. C. Herrera, B. Bucchetti, E. Peterlunger, A. Fait, F. Mattivi, S. D. Castellarin, Front. Plant Sci. 8:1124, 2017. [Link]
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Ollie

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Re: Lichtstress und Weinaroma

BeitragFr 14. Mai 2021, 13:23

Hi stollinger,

wieder mal ein super Beitrag, vielen Dank dafür! Deinen entwickelten Argumenten möchte ich einige Überlegungen zur von dir rezipierten Problematik beistellen.

Steffan Paeffgen hatte ja bereits im September 2020 geschrieben:

Im Lesegut fanden sich auch Beeren die noch nicht voll-reif waren. Die Kerne dieser Beeren sind an den Ansatzstellen noch grün. Eine zu starke Extraktion wird unangenehme adstringierende harte Tannine hervor bringen (so soll ja Leute geben die das mögen). Die Farbe und Tanningehalte sind auch bei sehr vorsichtiger Extraktion schon nach sehr kurzer Zeit (zwei Tagen) sehr hoch.


Bei Justerini's wird Edouard Moueix zitiert mit: “Some seeds were not ripe (...)" Gleichwohl bestätigen Stimmen von Ducru, was Stefan bereits ansprach: "The berries were tiny, with Cabernets weighing just 1g, and 1.2g for the Merlots. They were packed with tannins and anthocyanins."

Figure 13 im von dir referenzierten Jahrgangsbericht der Uni BDX bestätigt die extrem kleine Beerenegwichte, und den problematischen Reifeverlauf kann man gut an der hohen Äpfelsäure erkennen (fast so hoch wie im Problemjahrgang 2017!). Die die hohe Gesamtsäure unterstreicht alle Probleme des Jahres 2020, denn trotz der hohen Nachttemperaturen siegten Konzentrationseffekte gegen Säureveratmung.

Gleichzeitig konnte wegen der einsetzten Regenfälle die Lese nicht bzw. nur mit Qualitätseinbußen weiter verzögert werden. Allerdings sagt der Jahrgangbericht der Uni BDX (S. 19 der englischen Version, link zum PDF):

The Merlot wines are deeply-coloured, intensely fruity and delicious. Despite being made from fairly large grapes, they boast a good tannic structure, without hardness or dilution. In the context of climate change, which, for logical reasons, prompts winegrowers to choose later-ripening varieties, the remarkable success of this grape variety in the last three vintages has led us to reflect and challenge some of our convictions. The Petit Verdot grapes yielded good results in terroirs where water supplies remained sufficient. This grape variety, which is highly sensitive to water stress, nevertheless suffered in very well-drained soils. The Cabernets grapes, which were generally very small, produced deeply-coloured and tannic wines without any herbaceousness. Due to the deteriorating weather conditions, the early-ripening great terroirs were clearly at an advantage and produced very fine wines.


Im historischen Kontext, zumal im für Cabernet und sogar Merlot ehemals marginalen Klima des Bordelais, sind gute Lagen stets frühe Lagen; diese Binse bewahrheitet sich also auch 2020. Nicht nur Exposition, sondern auch die Kombination mit der Geologie entscheidet natürlich, ob der Boden dränen kann, wenn er dränen muss, und Wasser bereitstellen kann, wenn die Rebe es braucht. Die physiologischen Eigenschaften der Reben entscheiden dabei mit - alte, stark verwurzelte Reben sind im Vorteil, wie schon aus Stefan Paeffgens Bericht ersichtlich war.

Die Pflanzenphysiologie wird aber auch massiv durch die Weinbergsarbeit beeinflusst, speziell durch das Laubwandmanagement; ebenso spielen der Pilzdruck durch hohe Temperaturen und hohe Luftfeuchte eine wichtige Rolle, Stichwort Weinbergbegrünung, sowie Starkregenereignisse (Gewitter, die aber sehr lokal blieben, wie man dem Bericht entnehmen kann), die ausgebrachte Mittel abspülen können. Die Sache mit der Photosyntheseleistung und dem daraus resultierenden Wasserbedarf ist also komplex.

Bis hierhin zusammenfassend also: Die besten Lagen (erstens) in Kombination mit der bestmöglichen (und natürlich auch glücklichen) Weinbergswirtschaft (zweitens) werden die Probleme des Jahrgangs so weit wie irgendmöglich mitigiert haben. Von der ganz sicher in Anspruch genommenen Möglichkeit abgesehen, die Lese selbst optimal zu gestalten, einfach weil Resourcen vorhanden sind, das Richtige und Nötige zur richtigen Zeit zu machen. Ist ja nicht wie bei armen Leuten.

Neben den Wachstumsbedingungen und der pro- und reaktiven Weinbergswirtschaft ist der dritte große Einflussfaktor natürlich die Kellerwirtschaft. Und hier, denke ich, unterschätzt man das Know-How der Bordelaiser Winzer. So wenig wie deutsche Ingenieure zu doof sind, ein gescheites Elektoauto zu bauen, so wenig sind Bordelaiser Winzer, gerade die der ersten Reihe, außerstande, auf die Traubenqualität zu reagieren. Nochmal Stefan Paeffgen (ebenda): "Die Farbe und Tanningehalte sind auch bei sehr vorsichtiger Extraktion schon nach sehr kurzer Zeit (zwei Tagen) sehr hoch."

Und bei Justerini's liest man:

This meant most winemakers exercised restraint with their macerations. Edouard Moueix explained, “ (...) we chose shorter macerations, draining tanks after 18 to 20 days – more an infusion than brassé. Just circulating juice under the cap, no pumping over; we’re not fans of pigéage”. This view was echoed by nearly everyone we’ve spoken to. Gently does it. There was so much material: colours, tannins, fruit – it paid to be cautious. In the vast majority of cases, the tannic structure and the freshness of fruit is what sets these wines apart. Yes, you have immense, profound colours and this huge core of fruit, yet it appears so lifted and fresh, framed by these glorious tannins coated with dark berries and minerals.


Ich will nicht unken, aber ich glaube, das Tannin-Management (ich glaube, 2020 kann man schon von "Phenol-Management" sprechen: Tannine aus der Beerenhaut vs. solche aus den Kernen sowie Anthocyane) ist eine der Expertisen, in denen das Bordelais den weltweit größten body of knowledge aufweist, wenn es um Weine aus Bordeaux-Sorten geht. (Sorry für noch 'ne Binse, aber so entsteht nun mal Wissen. Daß es auch anderherum geht, zeigt Emile Peynauds tradierte Ablehnung der Ganztraubenmazeration, wie sie im Burgund damals üblich war; es geht mir also nicht um eine etwaige Verherrlichung eines Anbaugebiets.)

Solche Berichte kann man überall lesen, ich habe es nur bei diesem englischen Händler so schön an einer Stelle gefunden. Dies wird auch im Jahrgangsbericht der Uni BDX reflektiert (S. 19): "The Merlot wines are deeply-coloured, intensely fruity and delicious. Despite being made from fairly large grapes, they boast a good tannic structure, without hardness or dilution." (Hervorhebung von mir - entscheidend ist im Glas!)

Und das bringt mich zur finalen Einordnung der Beobachtungen: die Weine. Allenthalben liest man von ganz tollen Weinen mit einer, und das ist der Punkt, superben Tanninstruktur. Oder die eingehende Betrachtung der dritten Komponente, also der Kellerwirtschaft, lassen sich solche Berichte nicht erklären. (Exkurs: Es ist sowieso nicht möglich, aus den drei Komponenten auf die Weine zu schließen, denn diese ganzen Betrachtungen haben extrem geringe Vorhersagekraft (predictive power) - nicht nur ist das hochgradig nichtlineare System zu komplex, als daß man mehr als nur Ensembles statistisch(!) beschreiben könnte unter völliger Auslassung der Einzelfälle (die hier aber von hoher Relevanz sind; wir kaufen ja Weine einzelner Güter), darüberhinaus gibt es keine hinreichend gute statistische Unterfütterung der Theorie durch empirische Zeitreihen. Das Klima ändert sich einfach zu schnell. Schon 2015 war nicht mit 2005 vergleichbar, und 2025 wird es nicht mit 2015 sein.)

Erzeuger werden also zunehmend "freihändig" operieren müssen. Zwei Sachen kommen ihnen dabei zupass: Erstens das enorme Wissen, zweitens der Stilwechsel (siehe hierzu auch einen Bericht beim Decanter. Parker ist tot, und mit ihm der reife, stark extrahierte Weinstil, der seinerseits ja nur ein Artefakt des stark fruchtbetonten Weinstils war. Dank einer neuen Vorliebe der Konsumenten können es sich Erzeuger leisten (auch und gerade finanziell!), sanft extrahierte, "burgundisch-elegante" Weine zu bauen, die manche schlaflose Nacht überflüssig machen, einfach weil der Wein schon von der Maische getrennt wurde! Wenn das so weitergeht, hat man bald kalifornische Verhältnisse, wo schon in den 90ern die Cabernets nach sieben Tagen abgewirzt wurden (ich rede hier von den Großweinen, nicht der Konsumklasse).

Das bringt mich wieder zum Ausgangspunkt meiner kleinen Geschichte: Nein, mit den nur teilweise erreichten Qualitätskriterien ist 2020 in der Breite nicht so gut wie 2020 (daher mein Preisgelabere im anderen Strang). Aber die wirkliche Frage ist doch: Wieviel ist von den sicherlich real existierenden Deltas des Jahrgangs 2020 im fertigen Wein übrig geblieben? Welches also ist die tatsächliche Magnitude des Problems?

Einige, was du zur Jahrgangscharakteristik schreibst, wurde so auch in dem bereits von mir verlinkten Artikel im Figaro geschrieben. (Eine solche "Mischcharakteristik beginnt man übrigens auch in anderen Weibaugebieten zu sehen.) Zu den "fertigen" Weinen nochmal Justerini's:

Comparisons between these three great vintages have already begun. Debates will rage for decades and there will no doubt be some variations from chateau to chateau. However, we are beginning to see a clear picture emerging. 2018 is a vintage that will be remembered for scale and grandeur; 2019 is both voluptuous and refined; 2020 will become renowned for its intensity, freshness and poised stature.

(...)

But this is not a reason to dismiss 2020 – we requested fresh samples from the chateau and discovered many exceptional wines. The high points are definitely worth seeking out, ; they are breath-taking. There’s concentration, structure and power matched with definition, vibrancy, and relatively low alcohol levels. Many growers claim their wines are superior to their 2018s and 2019s, something to which we can attest.

Of the numerous wines we’ve tasted, there are scores of successes. We highly recommend the following: Pichon Comtesse, Margaux, Rauzan Segla, Canon, Brane Cantenac, Lynch Bages, Haut Bailly, Smith Haut Lafitte, Domaine de Chevalier, La Fleur Petrus, Belair Monange, Leoville Barton, Ducru Beaucaillou, Branaire Ducru, Grand Puy Lacoste, Meyney, Batailley and Phelan Segur.


Wie bereits geschrieben: the usual darlings, und diese Namen liest man wirklich überall. (Aber das ist vorhersehbar wie die Nennung der besten 2020er Riesling-GGs im September.)

Und da nun schon viele Erzeuger an den Markt kommen, obwohl die Kritiker noch gar nicht richtig sortiert sind, zeigt, wie losgelöst die Preise von den detaillierten Einschätzungen sind. Ob Grand-Puy-Lacoste 2020 besser ist als 2019, 2018 oder 2016, sagen mir nicht mehr Neal oder Antonio, das sagt mir François-Xavier. Kritiker ordnen mittlerweile nur noch die Stilistik ein, aber nicht mehr die Qualität.

Cheers,
Ollie
Zuletzt geändert von Ollie am Fr 14. Mai 2021, 17:30, insgesamt 1-mal geändert.
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stollinger

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Re: Lichtstress und Weinaroma

BeitragFr 14. Mai 2021, 15:43

Hi Ollie,

danke für deine Kommentare!

Ollie hat geschrieben:
Steffan Paeffgen hatte ja bereits im September 2020 geschrieben:

Im Lesegut fanden sich auch Beeren die noch nicht voll-reif waren. Die Kerne dieser Beeren sind an den Ansatzstellen noch grün. Eine zu starke Extraktion wird unangenehme adstringierende harte Tannine hervor bringen (so soll ja Leute geben die das mögen). Die Farbe und Tanningehalte sind auch bei sehr vorsichtiger Extraktion schon nach sehr kurzer Zeit (zwei Tagen) sehr hoch.


Bei Justerini's wird Edouard Moueix zitiert mit: “Some seeds were not ripe (...)" Gleichwohl bestätigen Stimmen von Ducru, was Stefan bereits ansprach: "The berries were tiny, with Cabernets weighing just 1g, and 1.2g for the Merlots. They were packed with tannins and anthocyanins."

Figure 13 im von dir referenzierten Jahrgangsbericht der Uni BDX bestätigt die extrem kleine Beerenegwichte, und den problematischen Reifeverlauf kann man gut an der hohen Äpfelsäure erkennen (fast so hoch wie im Problemjahrgang 2017!). Die die hohe Gesamtsäure unterstreicht alle Probleme des Jahres 2020, denn trotz der hohen Nachttemperaturen siegten Konzentrationseffekte gegen Säureveratmung.


Der Punkt mit der Äpfelsäure ist mir auch aufgefallen, die Ursache vermute ich auch in teilweise nicht vollreifen Trauben. Die Eindrücke der Verkoster von einer frischen Frucht (trotz sehr hoher pH-Werte) lässt sich damit gut in Einklang bringen. Es scheint wohl noch Äpfelsäure nach dem biologischen Säureabbau vorhanden sein, sei es mit Absicht oder weil er nicht vollständig war (wegen der hohen pH-Werte).

Die hohen pH-Werte findet man dann auch bei den Verkostungen von Quarin, häufig >3.8 (niedriger als im Problemjahrgang 2018!).

Das ist meine erste Unbekannte: Wie wird sich die Äpfelsäure im weitern Reifeverlauf verhalten? Selbst wenn die BSA durch bzw. gestoppt ist, hast du im Fassausbau noch eine schnelle Abnahme von evtl. vorhandener Äpfelsäure. Der Frischeeindruck kann also auch nur eine Momentaufnahme sein. Oder falls nachher noch Äpfelsäure im Wein ist, werden die Weine dropsig in der Frucht?

Ollie hat geschrieben:Und das bringt mich zur finalen Einordnung der Beobachtungen: die Weine. Allenthalben liest man von ganz tollen Weinen mit einer, und das ist der Punkt, superben Tanninstruktur. Oder die eingehende Betrachtung der dritten Komponente, also der Kellerwirtschaft, lassen sich solche Berichte nicht erklären.

Deine Ausführungen zum know-how im Weinberg und Keller der Bordeaux-Winzer sind bestimmt richtig. Und ja, die Begeisterung bzgl. der Tannine ist recht einhellig. Sogar so ein misstrauischer Mensch wie ich will das langsam glauben.

Was aber für mich noch einer weitere Unbekannte, besonders auch mit Bezug auf die Tannine ist, sprichst du im letzten Absatz auch schon an:
Ollie hat geschrieben:Und da nun schon viele Erzeuger an den Markt kommen, obwohl die Kritiker noch gar nicht richtig sortiert sind, zeigt, wie losgelöst die Preise von den detaillierten Einschätzungen sind. Ob Grand-Puy-Lacoste 2020 besser ist als 2019, 2018 oder 2016, sagen mir nicht mehr Neal oder Antonio, das sagt mir François-Xavier. Kritiker ordnen mittlerweile nur noch die Stilistik ein, aber nicht mehr die Qualität.

Das Klima und die technischen Möglichkeiten im Keller und im Weinberg haben sich so schnell geändert, parallel aber auch die Rolle der Verkoster (ich schätze, du hast bei den Wineberserkers die Diskussion um die 2000$ Vorab-Noten Option bei Vinous verfolgt). Ich habe meine Zweifel, dass alle noch in der Lage sind das Produkt, was sie Bewerten, technisch zu verstehen. Und egal ob sie es verstehen, oder nicht, sie sprechen mit ihren Verkostungen nicht die Konsumenten als Zielgruppe an, sondern sondern die Kampagne und den Handel; damit verdienen die ihr Geld, zumindest die meisten. Die gehaltvollen Zitate in deinem Beitrag stammen ja auch aus der Feder von Einkäufern und Winzern, nicht von Weinjournalisten.

Und wie du im 2020-Faden schreibst:
Ollie hat geschrieben:Die Frage seit 2015 lautet also: Ist das noch anders, oder ist das schon besser?

Sicher ist es anders. Nicht nur stilistisch, sondern auch technisch und klimatisch. Was ist also die Aussage von superben Tanninen in einem, fünf, zehn oder zwanzig Jahren wert? Die Referenzen fehlen.

Das ist schon recht hart misstrauisch, vielleicht ist mein Eindruck auch einfach falsch. Aber wenn ich mir die Flaschenbewertungen von 2017 und 2018 ansehen, habe ich schon das Gefühl, dass viel Euphorie kassiert wurde.

Mal historisch gefragt, bin ja neu: Gab es Jahrgänge, die sich en-Primeur als strukturell schön gezeigt haben und sich in der Rückschau als wenig reizvoll von den Gerbstoffen herausgestellt haben?

Ich habe es ja schon im 2020-Faden angedeutet, etwas angefixt bin ich schon. Ich denke, weil der Jahrgang 2020 anscheinend eine Geschichte zu erzählen hat, und noch eine, die mich interessiert. Damit unterscheidet er sich für mich schon mal von z.B. 2017 und 2018. Eine schöne Geschichte ist für mich dann doch mehr wert als 100 Punkte. Freue mich drauf.

Grüße, Josef

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