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Lagenqualität vs. Kostendruck

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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Gerald

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Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 11:39

Eine Frage, die mich schon länger beschäftigt: ist die Ursache der höheren Qualität von Weinen aus berühmten Lagen (wenn man das einmal als gegeben annimmt) die besseren Voraussetzungen von Boden bzw. Kleinklima? Oder ist es vielleicht ganz anders - nämlich dass durch das hohe Renommée der Lage entsprechend höhere Preise erzielt werden, die es dem Weingut ermöglicht, ohne großen Kostendruck mehr Aufwand in der Produktion zu treiben, z.B. durch aufwändige Selektion?

Waren die Spitzenlagen seinerzeit nicht einfach nur solche, wo man mit höherer Wahrscheinlichkeit als anderswo ausgereifte Trauben (Sonnenexposition, Sicherheit gegen Spätfröste etc.) ernten konnten - ohne Bezug auf geringfügige Unterschiede im Geschmack?

Grüße,
Gerald
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UlliB

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Re: Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 13:08

Gerald hat geschrieben:Eine Frage, die mich schon länger beschäftigt: ist die Ursache der höheren Qualität von Weinen aus berühmten Lagen (wenn man das einmal als gegeben annimmt) die besseren Voraussetzungen von Boden bzw. Kleinklima? Oder ist es vielleicht ganz anders - nämlich dass durch das hohe Renommée der Lage entsprechend höhere Preise erzielt werden, die es dem Weingut ermöglicht, ohne großen Kostendruck mehr Aufwand in der Produktion zu treiben, z.B. durch aufwändige Selektion?

Waren die Spitzenlagen seinerzeit nicht einfach nur solche, wo man mit höherer Wahrscheinlichkeit als anderswo ausgereifte Trauben (Sonnenexposition, Sicherheit gegen Spätfröste etc.) ernten konnten - ohne Bezug auf geringfügige Unterschiede im Geschmack?

Gerald,

das ist das alte "Henne & Ei"-Problem, das sich vermutlich nie wirklich beantworten lässt, da du hier nicht unter Laborbedingungen Versuche durchführen kannst. Was das Thema Lagengüte betrifft, hatte ich im Hinblick auf die Mosel im September 2011 folgendes geschrieben:

Im Nachfolgenden beziehe ich mich auf die historischen Klassifizierungskarten der Mittelmosel, weil ich mich hier schlicht und ergreifend am besten auskenne und die konkrete Situation vor Ort beurteilen kann. Meine Schlussfolgerungen gelten insofern nicht notwendigerweise für andere Gebiete.

Eine Lage an der Mittelmosel, die in die höchste Qualitätsstufe eingruppiert wurde, erfüllt typischerweise folgende Eigenschaften:

- sie liegt im Steilhang (was an der Mosel im Gegensatz zu anderen Gegenden wirklich steil bedeutet);
- dort in der unteren Hanghälfte, meistens sogar im unteren Hangdrittel;
- und hat eine möglichst reine Südexposition ohne relevante Beschattung durch den Gegenhang oder Seitenhänge.

Letzteres lässt sich aus Lagenkarten nicht immer leicht entnehmen, da die Hangneigung nicht immer rechtwinklig zum Flusslauf verläuft - man muss die Situation vor Ort in Augenschein nehmen. Ein prominentes Beispiel kann man im Bereich von Wintrich sehen: hier verläuft der Fluss genau von Süd nach Nord; die flächenmäßig größte Wintricher Lage „Großer Herrgott“ hat eine fast reine Westexposition (und ist als mäßig eingestuft). Am Südende drehen die Weinberge jedoch in Richtung Osten in ein kleines Seitental ein und die Reben kommen dadurch in eine Südexposition: das ist der Wintricher Ohligsberg; in den historischen Lagenkarten eine Lage der obersten Qualitätsstufe und auch vom VDP als „Erste Lage“ [nunmehr: Große Lage] eingestuft.

Mit den oben genannten Kriterien kann man das Spiel übrigens auch umdrehen: eine Lage, die alle genannten Kriterien erfüllt (und das sind wegen des sich hin-und herwindenden Flusses gar nicht so viele), ist so gut wie immer auch hoch klassifiziert. Wer die Mosel längsfährt und beim Gekurve durch die Schleifen die Orientierung für die Himmelrichtung nicht verliert (an trüben Tagen ist da ein Kompass durchaus hilfreich), weiß, wo die „Großen Lagen“ sind, bevor er eine Lagenkarte bemüht.

Fazit: entscheidendes Kriterium für die historische Klassifizierung war ganz klar die Exposition, und offensichtlich nicht die durchaus heterogene Geologie. Und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: die Lagen, die die genannten Kriterien erfüllen, sind die wärmsten (und damit auch die am frühesten reifen); ein unschätzbarer Vorteil in einem Weinbaugebiet, in dem bis vor gut 20 Jahren die Winzer in den meisten Jahrgängen Schwierigkeiten hatten, ihre Trauben auch nur annähernd reif zu bekommen.

Was bedeutet diese Klassifikation nun für die heutige Situation? In knapp reifen Jahrgängen wie 2010 oder auch 2008 wahrscheinlich immer noch einiges. In hochreifen Jahrgängen wie 2005, 2007 oder 2009 aber sicherlich weniger oder vielleicht auch gar nichts; sie könnte sich dann sogar in ihr Gegenteil verkehren. Abgesehen vom Klimawandel hat sich die Situation im Weinbau seit der Klassifikation aber auch sonst grundlegend verändert: dank neuer Möglichkeiten der Vitikultur kann man heute die Trauben auch in problematischen Jahrgängen wesentlich länger hängen lassen als früher, was den Reifevorteil der hoch klassifizierten Lagen zumindest teilweise kompensiert.

Wenn man heute unvoreingenommen klassifizieren würde, sähen die Ergebnisse vermutlich anders aus als vor hundert Jahren – hier könnten völlig andere Aspekte wie zum Beispiel die Wasserhaltung ganz entscheidend werden. Nur wird das nicht geschehen, denn eine Lagenklassifikation hat heute und hatte auch schon früher den Charakter einer „self fulfilling prophecy“ – da der Winzer für den Wein aus seinen hochrenommierten Lagen mehr mediale Aufmerksamkeit und auch mehr Geld bekommt, widmet er sich diesen Lagen mit mehr Sorgfalt und Aufwand als den für schlechter gehaltenen Lagen. Und was ist dann das Resultat?


Gruß
Ulli
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MichaelWagner

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Re: Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 14:40

Das ist in großen Teilen alles richtig, nur das Ergebnis ist ein anderes:

Die Klimaveränderung hat das Gesamtniveau gehoben. D.h. sowohl in den reinen Südlagen als auch in den schwächeren Lagen werden die Trauben reifer, was zum Ergebnis hat, dass sowohl die Spitze ein höheres Niveau erreicht als auch das untere Segment.

Jahrgangsunterschiede gabs schon immer, nur die Relationen innerhalb der Jahrgänge in Bezug auf verschiedene Lagengüten verschieben sich nicht merklich.

Gruß, Michael
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UlliB

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Re: Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 14:50

Michael,

was ist in Jahren mit Trockenstress? Ich kann mich noch ganz gut an 1989 erinneren, einem Jahrgang mit diesbezüglich massiven Problemen, in dem gerade die "besten" Lagen auf Grund ihrer Südexposition am meisten gelitten hatten, und manche der "Nebenlagen" am Ende deutlich bessere Weine geliefert haben. Ist das heute in Jahren wie 2003 und vielleicht auch 2015 nicht mehr so?

Gruß
Ulli
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MichaelWagner

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Re: Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 15:10

Hallo Ulli,

1989 war ich noch nicht so richtig aktiv dabei....mit 13 :D...aus Erzählungen meines Vaters, weiß ich aber, dass es problematisch war.

2003 war herrlich. Man kann sich natürlich über die Säure streiten, aber das hatte ja nichts mit Trockenstress zu tun, sondern eher mit den hochsommerlichen Temperaturen zur Erntezeit, sprich Säureabbau in der Traube. Das würde ich aber eher unter Geschmackssache einordnen.

2015 gabs keinen Trockenstress. Der Jahrgang ist wirklich ein Traum - wenn auch ein kleiner Traum. Und wir haben hier reine Südexposition der Steilhänge.

Das Einzige was wirklich Sorgen bereiten kann, ist die Herstellung der edelsüßen Prädikate, sprich Eiswein & Beerenauslese, da in Nov/Dez/Jan regelmäßig sowohl die nötigen Temperaturen fehlen, als auch deutlich zu viel Regen runterkommt, sprich Fäulnisprobleme. Was aber natürlich auf der anderen Seite dem Trockenstress fürs nächste Jahr vorbeugt.

Gruß, Michael
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Gerald

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Re: Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 15:18

Danke für die Antworten. Worauf ich eigentlich hinaus wollte:

Sind die Kriterien für eine Toplage heute noch dieselben wie vor hunderten Jahren, als die Lage eben zur Toplage erklärt wurde? Also regelmäßiger Ertrag und hohes Mostgewicht?

Kann es sein, dass bei gleicher Sorgfalt eine "mindere" Lage heutzutage regelmäßig "bessere" (wie auch immer man das definiert) Weine liefern würde?

Also z.B. dass im Burgund die höher gelegenen Lagen vielleicht bei vergleichbarem Aufwand viel bessere Weine als die Grand-Cru-Lagen liefern würden und die vermeintliche Hierarchie (die sich ja nach wie vor in den Bewertungen der Weinguides wiederfindet) nur absichtlich durch die Weingüter aufrecht erhalten wird, damit ja "alles beim Alten" bleibt? Und der Konsument eigentlich viel Geld für eine Chimäre bezahlt?

Grüße,
Gerald
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MichaelWagner

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Re: Lagenqualität vs. Kostendruck

BeitragMo 7. Mär 2016, 15:48

Hallo Gerald,

ich kann nur für die Mosel sprechen.

Hier ist das Gesamtniveau (über alle Lagenklassen - in Bezug auf die "alte" Lagenklassifikation von 18hundertund...) unter diesen Parametern (physiologische Reife, Mostgewicht) deutlich gestiegen. Hinzu kommen natürlich andere Möglichkeiten im Keller, was bei sorgfältigem, qualitätsbewussten Arbeiten das Niveau natürlich auch nochmal insgesamt hebt und einen Langzeitvergleich schwieriger macht. Ich gehe bei Gesagtem einfach nur vom zur Verfügung stehendem Traubenmaterial aus - was nachher rauskommt ist ja nochmal eine ganz andere Geschichte.

Was Bewertungen und Klassifizierungen von diversen Weinführern & Verbänden angeht, dazu möchte ich nur sagen, dass die o.g. alte Lagenklassifikation nach wie vor ziemlich gut ist (vielleicht auch weil sie obkjektiv aus Gründen der Besteuerung zustande kam), was man von Erstgenannten nicht unbedingt und immer behaupten kann.

Falls Du aber eigentlich meintest, ob "berühmte Lagen", die mehr oder weniger durch aus Eigeninteressen hervorgegangenen Klassifikationen zu Ruhm fanden, auch objektiv betrachtet wirklich überlegen sind würde ich antworten: mal ja, mal nein ;)

Gruß, Michael
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